SchanskerDie Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele

Nomos Verlag, Baden-Baden 2015, 326 Seiten, broschiert, € 85,–

ELISABETHBRAMESHUBER (WIEN)

Inhalt des von Mareike Schansker verfassten Buches ist „einer der fundamentalen Grundsätze des deutschen Streikrechts“, jener der Beschränkung auf tariflich regelbare Ziele. Danach muss Ziel eines Streiks der Abschluss einer tariflichen Regelung sein; ein Verstoß gegen diesen Grundsatz führt dazu, dass der Streik rechtswidrig ist. Dies kann zu negativen rechtlichen Konsequenzen sowohl für die AN als auch für die den Ausstand organisierenden AN-Koalitionen führen. Dieser Grundsatz wurde allerdings durch die jüngere Judikatur in zweierlei Hinsicht erheblich gelockert: Mit Urteil vom 19.6.2007 entschied das BAG, dass auch ein Unterstützungsstreik dem Grundrechtsschutz des Art 9 Abs 3 GG unterfällt; bei einer zumindest mittelbaren Verstärkung des Drucks auf den sozialen Gegner sei er auch nicht ungeeignet iSd Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (BAG 19.6.2007, 1 AZR 396/06; siehe die Zusammenfassung bei Junker, Arbeitsrecht15 [2016] Rz 606). Die zweite Lockerung des Grundsatzes betrifft die Zulässigkeit des Arbeitskampfs für einen sogenannten Tarifsozialplan. Dabei handelt es sich insofern um eine neue Strategie der Gewerkschaften, als bei geplanten Standortverlagerungen ins Ausland auf den Abschluss eines Sozialplans gedrängt wird, allerdings nicht in seiner herkömmlichen Form – abgeschlossen zwischen Unternehmer und BR –, sondern als Haustarifvertrag mit dem konkreten AG oder aber als firmenbezogener Verbandstarifvertrag. In seinem Urteil vom 24.4.2007 (1 AZR 252/06) hielt das BAG fest, dass einerseits der Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags, andererseits auch ein Streik um einen solchen Tarifvertrag (grundsätzlich) zulässig ist.

Schansker hat sich im vorliegenden Buch, bei dem es sich um ihre im Sommersemester 2013 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen approbierte Dissertation handelt, zum Ziel gesetzt, im Lichte der aufgezeigten Judikaturentwicklungen den Geltungsgrund des Grundsatzes der Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele zu untersuchen. Geprüft wird, wie sich die Urteile auf den Grundsatz auswirken und ob die strenge Bindung zwischen Arbeitskampf und Tarifvertrag aufrechterhalten, gelockert oder überhaupt davon abgegangen werden sollte. Zu diesem Zweck gibt Schansker im ersten Teil der Untersuchung einen Überblick über die gesetzlichen Grundlagen sowie die bisherige Rsp des BAG zum Arbeitskampfrecht, um sich sodann der daraus folgenden Verknüpfung von Streikrecht und Tarifvertrag zu widmen. Auffallend kurz fällt die Auseinandersetzung mit Art 11 EMRK aus. Mag dies auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Arbeit bereits im Sommersemester 2013 approbiert wurde, so wäre angesichts des Erscheinungsdatums (erstes Quartal 2015) doch zumindest ein Hinweis auf das Urteil des EGMRin der Rs RMT/VK (8.4.2014, Bsw Nr 31045/10) angezeigt gewesen. Darin hat der EGMR den Sympathie-67streik als grundsätzlich von Art 11 EMRK geschützt anerkannt, mag auch in concreto das britische Verbot von Sympathiestreiks zulässig, weil in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Freiheiten anderer und im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlich und verhältnismäßig gewesen sein.

Nach einer Darstellung der Diskussion in der Literatur um den Grundsatz der Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele folgt eine erste eigene Stellungnahme. Schansker kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Grundsatz zu befürworten ist; sie nimmt allerdings insofern eine Präzisierung vor, als das Streikrecht unabhängig vom Regelungsmittel auf solche Arbeitskämpfe beschränkt werden sollte, die die kollektive Regelung von Arbeitsbedingungen bezwecken. Aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Gegebenheiten sei der Streik jedoch nur hinsichtlich des Abschlusses von Tarifverträgen ein für die AN-Seite unerlässliches Mittel zur Druckausübung.

An dieser Bewertung Schanskers ändert auch ihre Befassung mit den Urteilen des BAG vom 19.6.2007 zum Unterstützungsstreik sowie vom 24.4.2007 zum Tarifsozialplan nichts. Zu beiden Urteilen stellt die Autorin die seitdem erschienene umfangreiche Literatur dar und unterzieht diese wie auch die genannten Urteile einer kritischen Würdigung. IZm dem Streik um Tarifsozialpläne hält die Autorin vor allem „die häufige Lösungssuche über eine Grundrechtsabwägung oder Verhältnismäßigkeitsprüfung je nach der besonderen Situation des Einzelfalls“ für unbefriedigend. ISd Rechtssicherheit sei vielmehr eine Lösung auf Grundlage genereller Maßstäbe wünschenswert; dies auch deshalb, um eine „bald unüberschaubare Kasuistik“ zu vermeiden. Hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit von Sympathiestreiks führt Schansker aus, dass es sich beim Streikrecht um „kein – noch dazu schrankenlos gewährtes – Grundrecht [handle], dessen Einschränkung stets einer Rechtfertigung bedürfe“. Beiden Urteilen attestiert die Autorin, dass sie aufgrund der „Fokussierung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als maßgebliches Begrenzungskriterium von Arbeitskämpfen“ der Funktion des Streiks nicht gerecht würden. Mag Schansker zwar hinsichtlich des ins Treffen gebrachten Rechtssicherheitsarguments zuzustimmen sein, so ist insb aufgrund der jüngsten Entwicklungen in der Rsp des EGMR festzuhalten, dass es sich beim Streikrecht sehr wohl um ein von Art 11 EMRK gewährleistetes Grundrecht handelt. Dies bringt jedoch auch die Konsequenz einer klassischen Grundrechtsprüfung mit sich, sodass auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in den Fokus rücken muss.

Mit dem vorliegenden Buch gelingt es Schansker, die wesentlichen Grundlagen hinsichtlich des lange Zeit aufrechterhaltenen Grundsatzes der Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele darzustellen. Aufgrund der Tatsache, dass die Urteile des BAG, die zu einer Lockerung dieses Grundsatzes geführt haben, bereits im Zeitpunkt der Fertigstellung der Arbeiten an dem Buch rund fünf Jahre alt waren, wird dem interessierten Leser auch ein guter Überblick über die zahlreiche dazu erschienene Literatur gegeben. Schanskers Vermutung, dass künftig bislang geltende Grenzen des Streikrechts von der Judikatur aufgehoben werden könnten, hat sich etwa hinsichtlich der Kampfmittelfreiheit bewahrheitet – auch das BVerfG hat den diesbezüglichen Grundsatz auf alle möglichen Kampfmittel erstreckt (BVerfG 26.3.2014, 1 BvR 3185/09; krit etwa Junker, Arbeitsrecht15 Rz 612). Ob hingegen pro futuro auch die grundrechtlichen Aspekte des Streikrechts weitgehend außer Acht gelassen werden können, ist fraglich.