GlückKonsolidierung von Rechtsvorschriften – Über den buchstäblichen und den lesbaren Text von Gesetzen

Verlag des ÖGB, Wien 2016, 212 Seiten, kartoniert, € 36,–

PETERMADER (SALZBURG)

Das hier anzuzeigende Buch trägt den Untertitel „Über den buchstäblichen und den lesbaren Text von Gesetzen“ und befasst sich mit Fragen der Rechtsdokumentation; dies vorwiegend aus österreichischer Sicht mit Exkursen zum Recht der Europäischen Union und der Schweiz. Das Anliegen besteht in einer Darstellung der Erfahrungen aus der Praxis der (elektronischen) Rechtsdokumentation in Verbindung mit theoretischen Aspekten der Normenkonsolidierung, also auch der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in diesem Bereich.

Konsolidierte Rechtstexte (eigentlich „Kunsttexte“) bieten JuristInnen praxistaugliche Arbeitsbehelfe für die tägliche Praxis, indem durch die Einarbeitung von Novellen durchgängig lesbare Texte geschaffen werden. Das geschieht zT durch Verlage, die Gesetzestexte herausgeben, zT aber auch durch öffentliche Stellen wie im Fall von RIS oder SozDok. Das ist in allen Bereichen wichtig, vor allem aber dort, wo die „Novellenhäufigkeit“ besonders groß ist, wie etwa im Steuerrecht oder im Sozialversicherungsrecht. Die (Haupt-)Autorin des vorliegenden Buches kann dabei ihre Erfahrungen als juristische Leiterin der SozDok einbringen (welche Datenbank bei ihren Ausführungen auch im Mittelpunkt steht), auch die Co-Autoren (Dietmar Jahnel, Marius Roth und Josef Souhrada) können auf einschlägige berufliche Erfahrungen verweisen. Behandelt werden Vorgangsweise, Erfahrungen und Herausforderungen in Zusammenhang mit der Erstellung konsolidierter Normtexte sowie Fragen der Zugänglichmachung, aber auch etwa die grundsätzliche Frage, ob „Zugang zum Recht“ mit „Zugang zum Rechtstext“ gleichgesetzt werden kann.

Im Einzelnen sei herausgegriffen: Nach einer ausführlichen Erörterung der Grundlagen (Begriffsbestimmungen, Gesetzesgliederung, Dokumentationseinheiten, Metadaten in elektronischen Rechtsdokumentationen ua) behandelt Beate Glück die Novellierungspraxis in Österreich und ihre Auswirkungen auf die Schaffung von konsolidierten Rechtstexten. Ein Sonderproblem besteht etwa darin, dass nicht alle Teile einer Novelle (wie Titel, Einleitungen, Promulgationsklauseln, selbstständige Novellenartikel etc) in die konsolidierte Fassung eingehen (und das auch nicht sollen), solche Elemente aber manchmal für die Erkenntnis des einschlägigen Rechtsgebietes von Bedeutung sind. Des Weiteren werden materielle Derogationen idR bei der Erstellung der Kunsttexte nicht berücksichtigt (hier könnte natürlich ein Hinweis angebracht werden). Schließlich können auch Novellierungsanordnungen unbestimmt (oder auch fehlerhaft) sein, so dass „rechtstechnische Erläuterungen“ nötig werden. Nicht Aufgabe der Konsolidierung ist es hingegen, Kommentare zu missverständlichen Gesetzesstellen abzugeben; die Abgrenzung ist indes in vielen Fällen nicht ganz einfach. Dazu kommen Fragen der Layout- und Textgestaltung, der Übernahme von Rechtschreibfehlern und vieles mehr. Besondere Probleme ergeben sich schließ-68lich bei der Erstellung von Rückwärtsdokumentationen, anschaulich geschildert am Beispiel des ASVG (mit bisher ca 300 Textänderungen seit der Stammfassung).

In weiterer Folge wird auf die eigentliche Kunsttexterstellung und die einzelnen erforderlichen Arbeitsschritte eingegangen und dies mit ausgewählten Beispielen (wieder vorwiegend aus dem Sozialversicherungsrecht) anschaulich erläutert. Ein Sonderproblem besteht hier etwa in der Anordnung von Gesetzesänderungen mit Rückwirkung (in der SozDok dadurch berücksichtigt, dass bekanntlich nach „Stichtag“ und „Sichttag“ gesucht werden kann), ein (bereits angesprochenes) anderes Problem darin, dass Novellierungsanordungen manchmal unklar oder unbestimmt sind und den Kunsttextersteller dann mit schwierigen Fragen konfrontieren können. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der häufig anzutreffenden Komplexität, aber auch Kompliziertheit von Übergangsbestimmungen. Gegenübergestellt werden sodann die Darstellungsmöglichkeiten der Textentwicklung eines Gesetzes (in RIS, SozDok und EUR-Lex durchaus verschieden gelöst). Damit können nur einige wichtige, keineswegs aber alle der von der Verfasserin im Einzelnen erörterten Aspekte angesprochen werden.

Glück schließt ihre Ausführungen mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse von Interviews, die mit 19 namhaften österreichischen Legisten zum Fragenkreis Konsolidierung, ihrem Verhältnis zur Legistik und den Folgerungen daraus geführt wurden.

In den Gastbeiträgen befasst sich zunächst Jahnel mit der Normdokumentation des Sekundärrechts in EUR-Lex (wo der Zugang zu konsolidierten Texten deutlich schwieriger ist als etwa im RIS). Roth berichtet über Konsolidierungsfragen aus Schweizer Sicht (mit dem neuen Ansatz einer „Ex-Ante-Konsolidierung“, dh einer Erzeugung konsolidierter Normtextfassungen unmittelbar durch die Legistik). Souhrada stellt anhand von einigen Beispielen Normtexte und davon abweichende „Rechtswirklichkeit“ gegenüber und geht der Frage nach, wie die Rechtsdokumentation mit solchen Situationen umgehen sollte bzw könnte.

Das vorliegende Buch widmet sich insgesamt einem praktisch wichtigen Problemfeld, von dem Einzelaspekte bereits früher in der Literatur angesprochen wurden, das aber bisher kaum in seiner Gesamtheit dargestellt wurde. Es ist zweifellos geeignet, die Basis für weiterführende (und sicherlich notwendige) Diskussionen zum Thema Rechtsdokumentation zu bilden und zeigt mE eines deutlich – nämlich die Notwendigkeit eines Diskurses mit der Legistik, der bisher wohl noch nicht in ausreichendem Maß stattgefunden hat. Dem Rechtsanwender und Benutzer der SozDok kann es darüber hinaus wertvolle Einsichten über Aufbau und Ausgestaltung des Sozialversicherungrechts und die Funktionsweise dieser Spezialdatenbank liefern.