Braun/Wisskirchen (Hrsg)Konzernarbeitsrecht – Handbuch

C.H. Beck Verlag, München 2015, LV, 914 Seiten, Leinen, € 179,–

LINDAKREIL (WIEN)

Der renommierte deutsche Beck-Verlag hat ein – schon dem Umfang nach beeindruckendes – Werk zum Konzernarbeitsrecht vorgelegt, dessen AutorInnen – 33 an der Zahl – fast durchwegs auf Arbeitsrecht spezialisierte RechtsanwältInnen sind. Die durch diese ausgeprägte „Praxislastigkeit“ geweckten Erwartungen werden eingelöst: Die Inhalte orientieren sich stark an praktischen Bedürfnissen, respektive an den Fragen, die in den Rechts- und Personalabteilungen von (deutschen) Tochter- oder Muttergesellschaften internationaler Konzerne regelmäßig auftreten dürften. Dabei bedient sich das Werk einer Grundgliederung in einen nationalen Teil I („Arbeitsrecht im nationalen Konzern“) und einen internationalen Teil II („Arbeitsrecht im grenzüberschreitenden Konzern“).

Auf diese Weise findet man konzerntypische „internationale“ Fragestellungen, zu denen man sich die Informationen sonst mühsam zusammensuchen muss, kompakt und aktuell abgehandelt nebeneinander, so zB das Vertragsstatut, die internationale Gerichtsbarkeit, die grenzüberschreitende Umstrukturierung (inklusive der Rechtsform der Societas Europaea [SE]), den Europäischen BR sowie die Themen „Grenzüberschreitende Richtlinien/Policies“ und „Sprachregelungen“. Eine Vielzahl an praktisch relevanten Bereichen werden überdies sowohl im nationalen als auch im internationalen Teil abgehandelt, zB Arbeitskräfteüberlassung und AN-Entsendung (271-301; 679-706), Datenschutz (302-332; 765-784); Compliance inklusive der Whistleblowing-Thematik (333-377; 785-845).

Daneben enthält das Werk auch „allgemeine“ arbeitsrechtliche Themen – wohl einfach deshalb, weil sie im Konzern eine besondere Rolle spielen. So bekommen etwa der Betriebsübergang 46 Seiten, wovon nur sechs Seiten „konzernspezifischen Fragestellungen“ gewidmet sind, und der grenzüberschreitende Betriebsübergang nochmals 60 Seiten an Raum.

Dies entspricht mE der tatsächlichen Bedeutung des Betriebsübergangs im Konzern: So können internationale Konzerne ihre globalen Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen, indem sie Produktions- und andere Betriebsstätten in das (sei es aufgrund der Arbeitskosten, Steuern oder Märkte) jeweils „günstigste“ Land verlagern (vgl auch das Stichwort „offshoring“). Konzerninterne Dienstleistungen wie Call Center, Buchhaltung oder EDV können in einem Konzernunternehmen gebündelt werden. Erwartungen an Synergieeffekte oä spielen bei unternehmensübergreifenden Zusammenlegungen von Verkaufsfilialen oder Produktionsstätten eine Rolle.

Mitunter wird sogar versucht, die Betriebsübergangsnormen selbst für Konzerninteressen zu instrumentalisieren. Dies zeigt der vor einigen Jahren in den Massenmedien stark wahrgenommene Fall der AUA, die ihren Flugbetrieb in ihre Konzerntochter Tyrolean mit dem Ziel einbrachte, dem für die AG-Seite günstigeren KollV der Tochter zur Geltung für das fliegende Personal auch der Mutter zu verhelfen. Der Rechtsstreit wurde schließlich durch eine Einigung auf einen neuen, für das Bordpersonal des gesamten Konzerns geltenden KollV beigelegt. Daher blieb die Frage, ob diese Umstrukturierungsmaßnahme als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, von der Rsp letztlich unbeantwortet (vgl OGH8 ObA 40/12hDRdA 2013, 534; EuGH 11.9.2014, C-328/13, Österreichischer Gewerkschaftsbund, DRdA 2014, 594, wobei die Rechtsmissbrauchsfrage allerdings keine Rolle spielte; dazu aber zB Krejci, Betriebsübergang und Rechtsmissbrauch, DRdA 2013, 207; Köck, Individualarbeitsrecht im Kon-69zern, ZAS 2014, 61, 62 ff; Kietaibl, Missbrauchsfragen bei Betriebsübergang, DRdA 2015, 396).

Dieses Problem berührt eine Grundfrage, nämlich wie weit die Organisationsfreiheit des AG gehen kann. Immerhin handelte es sich um eine gezielte Maßnahme, die sich eine Konzernstruktur in Kombination mit gesetzlichen Normen (§ 8 ArbVG; § 3 AVRAG) zunutze macht, die auf eine solche Struktur im Grunde gar nicht ausgerichtet sind. Missbrauchsüberlegungen der hier aufgeworfenen Art scheinen indes, wie ein Blick in das Stichwortverzeichnis des zu rezensierenden Buches zeigt, in Deutschland kein Thema zu sein.

Interessante Unterschiede zu Österreich treten aber auch andernorts zutage. So lässt sich dem Werk entnehmen, dass eine – zwischen Konzernleitung und Konzernbetriebsrat abgeschlossene – Konzernbetriebsvereinbarung nach deutscher Lehre für alle Konzernunternehmen unmittelbar und normativ wirksam ist (81 f), ohne dass diese ihr extra beitreten müssten, wie dies in Österreich gesetzlich gefordert ist (§ 113 Abs 5 letzter Satz ArbVG).

Dies wird aus dem in §§ 2 Abs 1, 23 Abs 3 des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) verankerten Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Betriebsparteien hergeleitet, obwohl sich in diesen Normen nichts Konkretes zum Konzern findet. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass der Konzern von einem offenbar erheblichen Teil der deutschen Lehre als Betriebsinhaber („betriebsverfassungsrechtlicher Arbeitgeber“) angesehen wird (70 ff mN des Meinungsstandes), was in Österreich wohl noch niemand vertreten hat (Überblick zB bei Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 34 Rz 8).

Derart progressiv verfährt man aber nur im kollektiven, nicht im Individualarbeitsrecht. Hier ist die deutsche Lehre und Rsp doch wesentlich zurückhaltender, etwa wenn es um eine Erweiterung von (arbeitgeberseitigen) Verpflichtungen aufgrund des Konzernzusammenhanges geht. So wird eine Erweiterung des Bezugsrahmens auf den Konzern, etwa in Form eines konzernweiten Kündigungsschutzes, nur dann befürwortet, wenn dies durch Vertragsklauseln oder eine entsprechende tatsächliche Handhabe des Arbeitsverhältnisses, insb durch konzernweite Versetzungen, gedeckt ist (201 ff, vgl auch 674 f). Dies entspricht der österreichischen Rsp, die konzernbezogene Erweiterungen des Kündigungsschutzes, vor allem die Prüfung von konzernweiten Beschäftigungsmöglichkeiten, anerkennt, wenn das Arbeitsverhältnis (vereinfacht gesagt) einen Konzernbezug aufweist (vgl zB OGH9 ObA 34/08bArb 12.820 = ZAS 2010/36 [Hutter]).

Wird hingegen ein Betrieb wegen Konzerninteressen stillgelegt, aber zugleich ein gleichartiger Betrieb eines Schwesterunternehmens – mit entsprechendem Arbeitskräftebedarf – erweitert, so stößt der Kündigungsschutz an seine (betrieblichen) Grenzen. Letztlich ist man also auch hier wieder auf die Frage zurückgeworfen, ob, und wenn ja, unter welchen Umständen Rechtsmissbrauch, Gesetzesumgehung oä vorliegen können. Derartige Fallgestaltungen werden jedoch in Lehre und Rsp kaum thematisiert; und wenn, scheint man vom unbedingten Vorrang der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit auszugehen (vgl Tinhofer, Die organisatorischen Grenzen der sozialen Gestaltungspflicht im allgemeinen Kündigungsschutz [Betrieb, Unternehmen, Konzern], RdW 2009, 816, 818 ff; Hutter, ZAS 2010, 223 ff; Köck, ZAS 2014, 67 ff). Weitergehende Tendenzen sind vereinzelt geblieben und dürften mittlerweile der Vergangenheit angehören (OGH 10.12.1993, 9 ObA 310/93; Kreil, Arbeitsverhältnisse im Konzern [1996] 223-233, mit Nachweisen der damals zT ebenfalls weitergehenden deutschen Literatur, insb 227 [FN 91]).

Zurück zum vorliegenden Werk: Auch dass an die Besonderheiten der Organverhältnisse im Konzern ausführlich gedacht wird (235-270; 734-764), zeichnet dieses aus. Neuerdings hat sich ja auch hierzulande die Frage nach der betriebsverfassungsrechtlichen ANEigenschaft von ManagerInnen mit Organ- bzw Leitungsfunktionen im Konzern eröffnet (OGH9 ObA 79/13bDRdA 2014/19 [Kreil]; OGH8 ObA 22/13pZAS 2014/52 [Kreil]). Jedenfalls die letztgenannte, eine Hotelmanagerin betreffende E, kann auch im Zusammenhang mit der so genannten Matrixstruktur gesehen werden, auf die im Buch besonderes Augenmerk gelegt wird.

In einer solchen unternehmensübergreifenden Struktur wird der AN „aufgrund seiner Position und Aufgaben innerhalb des Konzerns über die Unternehmensgrenzen hinweg tätig“. Seine Arbeitsleistung kommt also anderen Unternehmen als seinem Vertrags-AG zugute. Die fachliche und die disziplinäre Führung des AN erfolgen getrennt voneinander durch verschiedene Konzernunternehmen. Der – häufig in leitender Position tätige – AN ist arbeitsorganisatorisch nicht oder nur eingeschränkt in das Unternehmen des AG eingegliedert (so im Wesentlichen eine sehr hilfreiche Beschreibung der Matrixstruktur von Fedder/Braner auf S 198).

ME hängen viele konzernspezifische arbeitsrechtliche Probleme mit dieser eigentümlichen Struktur zusammen, zB die oft schwierigen Fragen nach der Betriebszugehörigkeit von AN (insb Führungskräften) und der Abgrenzung von Betrieben in einem Konzern, Probleme iZm Arbeitskräfteüberlassung und Entsendung (auch in Abgrenzung zum gemeinsamen Betrieb), zT auch der erwähnte konzerndimensionale Kündigungsschutz (vgl 207 f) und schließlich einige vertrags- und vertretungsrechtliche Fragen (vgl 619-625).

Die Matrixstruktur kennt keine rechtliche Entsprechung; daher fallen juristische Lösungen oft außerordentlich schwer und bieten juristische (Schutz-)Normen, vor allem aus AN-Sicht, mitunter keine befriedigende Handhabe. Im zu rezensierenden Werk wird die Matrixstruktur – sowohl im nationalen als auch im internationalen Teil – immer wieder erwähnt und behandelt, allerdings nicht zusammenhängend untersucht, was wohl eine lohnende Aufgabe für die Wissenschaft wäre. Das Verdienst, auf dieses rechtlich schwer fassbare Problem lösungsorientiert zuzugehen, kommt diesem Band aber ohne Frage zu (vgl auch Vogt, Arbeitsrecht im Konzern [2014] 56 ff, wo es ebenfalls ausführlich abgehandelt wird).

Abschließend kann gesagt werden: Da dieses insgesamt sehr eindrucksvolle Werk das deutsche Recht zum Ausgangspunkt nimmt, wird es in vielen Rechts- und Personalabteilungen von Unternehmen, die einen (Konzern-) Bezug insb zu Deutschland aufweisen und mit entsprechenden Rechtsproblemen konfrontiert sind, wohl bald nicht mehr wegzudenken sein. AN-VertreterInnen können darauf zurückgreifen, wenn sie Antworten zu speziellen Fragestellungen iZm der (grenzüberschreitenden) Konzernbindung „ihres“ Unternehmens benötigen. Diesbezüglich wird jedenfalls der „internationale“ Teil den österreichischen RechtsanwenderInnen sehr gute Dienste70 leisten. Außerdem bietet das Buch ganz allgemein eine wertvolle Orientierungshilfe zu Verständnis und arbeitsrechtlicher Einordnung von konzernüblichen Begriffen, Strukturen und Praktiken. Schon deshalb ist es allen, die sich damit zu beschäftigen haben, zu empfehlen.