Bergmann/Sorger (Hrsg) 40 Jahre 40-Stunden-Woche in Österreich. Und jetzt? Impulse für eine geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik

Verlag des ÖGB, Wien 2016, 152 Seiten, kartoniert, € 10,–

KONRADGRILLBERGER (SALZBURG)

Im Jahr 2015 jährte sich zum 40. Mal die Einführung der gesetzlichen 40-Stunden-Woche in Österreich. Das war der Anlass für eine Fachtagung, auf der das Thema Arbeitszeitverkürzung vorwiegend aus geschlechtsbezogener Perspektive diskutiert wurde. Der vorliegende Band publiziert die bei dieser Tagung gehaltenen Referate und Diskussionen. Um es vorweg zu nehmen: Der Rezensent hat die hier gesammelten Beiträge mit Interesse und Zugewinn an Einsichten gelesen. Den Beginn macht ein historischer Rückblick von Emmerich Tálos über die Entwicklung der Arbeitszeitpolitik in Österreich. An deren Anfang stand der erste Versuch einer gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit für Kinder (1840), der aber am Widerstand der Unternehmer scheiterte. Die folgende Entwicklung wird anschaulich und umfassend auch in ihrem jeweiligen politischen Zusammenhang geschildert. Das gilt vor allem in Bezug auf die alte und umstrittene Forderung nach der 40-Stunden-Woche. Ergänzt wird der Beitrag von Tálos durch Anmerkungen von „Zeitzeugen“ aus der Gewerkschaft, Irmgard Schmidleithner und Heinz Dürr. Den Entwicklungen der Arbeitszeitpolitik aus der Geschlechterperspektive in Europa und in Österreich behandelt insb Ingrid Kurz-Scherf (Universität Marburg) unter soziologischem Blickwinkel. Globalisierung und Digitalisierung der Arbeit haben nach zahlreichen Untersuchungen negative Beschäftigungseffekte. Sie konstatiert jedenfalls für die BRD derzeit eine eher zurückhaltende Einstellung der Gewerkschaften für weitere Arbeitszeitverkürzungen. Mit arbeitszeitlichen Entwicklungslinien seit 1950 in Europa beschäftigen sich sehr gründlich Nadja Bergmann und Helmut Gassler. Sie stellen anschaulich die Änderungen in der Arbeitszeit jeweils in den Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, insb der Erwerbsbeteiligung der Frauen. Sie konstatieren für den untersuchten Zeitraum einen europaweiten Trend zu einer langsamen, aber stetigen Arbeitszeitverkürzung bei Männern. Gleichzeitig geht damit eine Erhöhung der Arbeitszeit der Frauen und damit eine schrittweise Annäherung zwischen den Geschlechtern einher. Freilich bestehen beträchtliche Unterschiede zwischen den Branchen der Wirtschaft. Diese Differenzen erschweren auch die Durchsetzung weiterer Arbeitszeitverkürzungen.

Sybille Pirklbauer, Julia Freidl und Gerlinde Hauer beschäftigen sich mit Arbeitszeitverkürzungen und Lohnausgleich im Hinblick auf die ungleiche Verteilung der Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen. Freiwillige Arbeitszeitverkürzungsmodelle reichen aus der Genderperspektive nicht aus, um eine geschlechtergerechte Verteilung der Arbeitszeit und damit auch des Einkommens sicherzustellen. Die praktischen Erfahrungen mit kollektivvertraglichen Regelungen zur Verkürzung der Arbeitszeit schildert sehr informativ der ergänzende Beitrag von Eva Scherz (GPA), gleiches gilt für den Beitrag von Susanne Haslinger (PRO-GE) über Erfahrungen mit betrieblichen Verkürzungen der Arbeitszeit, insb mit der Freizeitoption in den Industrie-Kollektivverträgen. Ebenfalls bemerkenswert ist der Bericht von Daniel Bernmar über die versuchsweise Einführung eines Sechs-Stunden-Arbeitstages in verschiedenen Unternehmungen in Schweden, so zB für Pflegekräfte in zwei Altenheimen in Göteborg. Die Ergebnisse sowohl für die AN als auch für die betreuten Personen waren durchwegs positiv. Mit Fragen des Arbeitszeitniveaus bei Müttern und Vätern (Stichwort: Elterngeld bzw Kinderbetreuungsgeld) aus der Sicht der BRD befasst sich Svenja Pfahl (Berlin). Ebenfalls aus deutscher Sicht, aber wohl gut auf Österreich übertragbar, geht Margareta Steinrücke (AK Bremen) der Frage nach, ob Arbeitszeitverkürzung auch einen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit leisten könnte. Untersuchungen zu den Wünschen in verschiedenen Altersgruppen von Beschäftigten weisen darauf hin, dass ein Sechs-Stunden-Tag und eine 30-Stunden-Woche das Ideal wären, wobei bei unteren und mittleren Einkommensgruppen ein voller Lohnausgleich nötig und auch bezahlbar wäre. Der Weg dahin dürfte aber lang sein und erhebliche Ausdauer erfordern.

Den Abschluss bildet eine Vision einer geschlechtergerechten Arbeitszeit von Claudia Sorger. Ihrem Wunsch, dass die entfachte Diskussion über eine Verkürzung der Arbeitszeit weitergeht und nicht bloß theoretischer Natur bleibt, kann sich der Rezensent jedenfalls anschließen.