ConzettLohndumping – Eine Spurensuche auf dem Bau

Rotpunktverlag, Zürich 2016, 176 Seiten, broschiert, € 26,–

STELLAWEBER (SALZBURG)

Lohndumping grassiert nicht nur auf den Baustellen in Grenzgebieten, sondern längst auch in Ballungszentren der Schweiz: Stundenlöhne von 12 Franken mitten in Zürich und horrende Mieten für eine Matratze in Ruinen zählen zum Schicksal vieler ausländischer Bauarbeiter. Ein Stundenlohn von 12 Franken erscheint auf den ersten Blick relativ hoch; aufgrund der hohen Lebenserhaltungskosten in der Schweiz ist das jedoch ein „Dumpinglohn“: Der Basisstundenlohn für jeweils die niedrigste Lohnklasse beträgt für Untertagbauten beispielsweise 25,85 Franken und für Grund- und Spezialtiefbau 25,45 Franken – online abrufbar unter: http://www.baumeister.ch/fileadmin/media/2_Kernthemen/LMV/Loehne/basisloehne_2014_anh-12-13-17_d.pdf abgerufen am 28.10.2016. Anja Conzett beschreibt in ihrem Buch die Auswirkungen von Lohndumping152 vor allem auf ausländische Arbeiter in der Schweiz. Erwartungen einer präzisen Beurteilung der rechtlichen Lage werden durch dieses Buch allerdings nicht erfüllt. Die Journalistin geht nur in kurzen Passagen auf die rechtlichen Grundlagen ein und bietet damit lediglich überblicksartige Erklärungen für „Nichtjuristen“. Wie der Untertitel „Spurensuche auf dem Bau“ bereits andeutet, will die Autorin vielmehr die Praxis im Zusammenhang mit Lohndumping darstellen. Dazu dokumentiert sie die Charaktere und Lebensumstände der Personen, die am Bau mit Lohndumping in Berührung kommen. Vor allem durch die realistischen Darstellungen der prekären Situation der Bauarbeiter wird klar, dass die Methoden zum Kampf gegen Lohndumping verbessert werden müssen. Das Buch ist in elf Kapitel eingeteilt. Sie widmen sich den unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Lohndumpings: Es wird sowohl die Sicht der Bauherren erfasst als auch der Blickwinkel der Bauarbeiter und der Kontrolleure beschrieben. Im Fokus steht vor allem die Kontrolle der Baustellen bzw der Arbeiter, als Mittel, um Lohndumping aufzudecken und diesem durch Strafen präventiv entgegen zu wirken. Ein Abkürzungsverzeichnis würde vor allem für „Nichtschweizer“ – aufgrund der zahlreichen nationalen Abkürzungen – die Lesbarkeit um einiges verbessern.

Das Arbeitsrecht ist in der Schweiz sehr zurückhaltend geregelt und damit vieles der Privatautonomie der Parteien überlassen. Die konkreten Arbeitsbedingungen sind überwiegend in Gesamtarbeitsverträgen festgelegt, wobei es Gesamtarbeitsverträge gibt, die lediglich privatrechtlich verbindlich sind und allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge, die den Kollektivverträgen in Österreich ähneln. Da diese allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge auf kantonaler Ebene noch Feinabstimmungen erhalten können, gibt es sowohl auf nationaler als auch auf kantonaler Ebene 41 allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge. Durch die Gesamtarbeitsverträge werden die Arbeitsbedingungen der AN aber nicht flächendeckend geregelt. Werden in Branchen – für die es keine Verträge gibt – die branchenüblichen Arbeitsbedingungen wiederholt unterschritten, können Bund und Kantone Normalarbeitsverträge erlassen, die eine zwingende Wirkung für gesamte Berufszweige entfalten.

Diese große Zahl an Verträgen erschwert die Kontrolle und Durchsetzung der Arbeitsbedingungen erheblich. Der Vollzug der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge wird von den Sozialpartnern durchgeführt, indem sie Paritätische Kommissionen zusammenstellen, die für die Kontrolle der Einhaltung der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge verantwortlich sind. Für die Kontrolle der Branchen ohne einen allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag sind sogenannte Tripartite Kommissionen zuständig. Beide Kommissionen beauftragen wieder Dritte mit der Kontrolle, wobei sie manchmal sogar denselben Verein betrauen. Hegen die Kommissionen aufgrund der Kontrollergebnisse einen Verdacht auf Missbrauch, können sie Lohnbuchkontrollen veranlassen, welche sie selbst, die Arbeitsmarktkontrollstelle oder professionelle Treuhänder durchführen. Allerdings gibt es weder einheitliche Vorgangsweisen noch anerkannte Regeln wie die Lohnbuchkontrollen durchzuführen sind und somit auch keine systematische Ausbildung für Kontrolleure. Ein weiteres Problem, das die Kontrolleure der Arbeitskontrollstelle bei ihrer Arbeit behindert, ist ihre fehlende Weisungsbefugnis bzw Hoheitsgewalt. Niemand muss der Kontrolle folgen. Der Kontrolleur kann lediglich die Polizei verständigen, welche die Arbeiter der verdächtigen Bauleiter mitnimmt und sie teilweise sogar in Handschellen abführt.

Die Geschäftsleiterin der Unia kritisiert die offiziellen Verfahren: Die Lohnbuchkontrollen seien zwar ein elementares Instrument bei der Aufklärung von Lohndumpingfällen, aber von der Verdachtsmeldung bis zur Sanktionierung könne es auf dem offiziellen Weg mehrere Monate bis Jahre dauern. Außerdem könnten Lohnbücher von den AG gefälscht werden.

Die Unia ist die größte Gewerkschaft der Schweiz und vertritt die Interessen der AN. Ihre Mitarbeiter sind oft auf Baustellen unterwegs und führen dort Befragungen durch, die dem offiziellen Kontrollverfahren sehr ähnlich sind. Sie sind allerdings nicht berechtigt, in Lohnbücher Einsicht zu nehmen. Die Gewerkschaft setzt stattdessen auf Aussagen und Dokumente der Arbeiter, auf Bankbelege, Stundenrapporte und Lohnabrechnungen. Zu diesen Informationen gelangt die Unia durch Razzien auf Baustellen allerdings nur, wenn die AN freiwillig aussagen. Bei diesen Kontrollen setzt die Unia Dolmetscher ein.

Die offiziellen Organe hingegen befragen die Vorarbeiter bzw lassen diese selbst übersetzen – eine Vorgangsweise, die in Frage gestellt wird: Zum einen wären Vorarbeiter oft von ihren Vorgesetzten instruiert und für ihr Stillschweigen gut entlohnt, zum anderen würden sie die Angaben ihrer Mitarbeiter beim Übersetzen filtern, sofern diese überhaupt den Mut haben, Missstände anzusprechen.

Der Geschäftsführer eines Lohnbuchkontrollunternehmens stellte jedenfalls fest, dass die Unia mehr Lohndumpingfälle aufdecke als die offiziellen Vollzugsorgane – was kein Lob für das System sei wie ein Kritiker betont. Erklärbar sei dieser Rückstand der Kommissionen damit, dass die meisten AG, die den Kommissionen beisitzen, diese Tätigkeit als Nebenamt betreiben. Die Unia hingegen sei (hoch)professionell aufgestellt.

Die Paritätischen und die Tripartiten Kommissionen wollen zwar ebenso wie die Unia Lohndumping bekämpfen, ihre Wege zu diesem Ziel unterscheiden sich jedoch. Aus den Beschreibungen der Autorin gewinnt man sogar den Eindruck, dass sie miteinander konkurrieren. Für den Leser stellt sich die Frage, warum die Kommissionen und die Unia iS einer effektiveren Durchsetzung ihrer Interessen nicht zusammenarbeiten. Außerdem könnte vom zuständigen Amt eine Leitlinie für ein einheitliches Verfahren für Lohnbuchkontrollen erlassen und damit die Kontrollverfahren verbessert werden. Würden Generalunternehmer überprüfen, ob der Preis der Offerten ihrer Subunternehmer noch eine Entlohnung der AN nach dem anzuwendenden Gesamtarbeitsvertrag ermöglicht, bevor sie diese annehmen, könnte Lohndumping bereits „im Keim erstickt“ werden.

Würde Lohndumping flächendeckend unterbunden werden, entstünde aber ein anderes Problem: Die Gesamtarbeitsverträge im Baunebengewerbe und der Landesmantelvertrag im Bauhauptgewerbe sorgen für überproportional gute Arbeitsbedingungen. Ein kauf-153männischer Angestellter mit abgeschlossener Berufsausbildung verdient im Gegensatz dazu oft weniger als ein ungelernter Bauarbeiter mit Primarschulabschluss ohne Deutschkenntnisse. Es gleiche einem „Drahtseilakt“ zu verhindern, dass hiesige AN dadurch indirekt nicht gedumpt werden. Außerdem drohe das Entstehen eines Überangebotes an unqualifizierten Arbeitskräften. In einer Krise wären sie die ersten, die ihre Stelle verlieren würden. Letztlich sollte aber trotzdem eine korrekte Entschädigung der AN das Ziel der Bemühungen sein.

Die Dokumentation von Anja Conzett kann wegen der realistischen Darstellungen der Auswirkungen des Lohndumpings als spannende Lektüre sowohl für Juristen als auch für juristische Laien empfohlen werden.