S. C. MüllerBeschäftigung von Rentnern unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten

Nomos Verlag, Baden-Baden 2015, 468 Seiten, broschiert, € 119,–

MICHAELREINER (WIEN)

Nach Ansicht mancher reichen nicht einmal drei Pensionssäulen. Dies greift das Buch auf und behandelt die vierte Pensionssäule: Das Weiterarbeiten, trotz Erreichen des (Regel-)Pensionsantrittsalters. Vom Sicherungsziel der Lebensstandardsicherung haben sich die meisten Sicherungssysteme zumindest faktisch verabschiedet. Wer arbeitet schon 45 Jahre durchgehend und mit gleichbleibendem Entgelt? Und mit einer ergänzenden Alterssicherung hat man vielleicht gar nicht, zu spät, zu gering oder mit dem „falschen“ Vor-157sorgeprodukt begonnen. Tatsächlich wächst die vierte Pensionssäule in Deutschland und Österreich. Freilich von einem geringen Ausgangsniveau, aber doch.

Sonja Charlotte Müller hält zutreffend fest, dass das Arbeitsrecht grundsätzlich („Normalfall“) von AN ohne Rentenbezug ausgeht (und das Rentenrecht von Rentnern ohne Arbeitseinkommen). Das Arbeitsrecht geht nämlich – wie insb die Entgeltfortzahlung zeigt – davon aus, dass die AN auf das Entgelt angewiesen ist, also in dieser Hinsicht wirtschaftlich abhängig ist. Dies ist bei einem Rentner jedenfalls modifiziert, trotzdem gilt für ihn grundsätzlich herkömmliches Arbeitsrecht. Der Gesetzgeber schenkt der Rentnerbeschäftigung aber zunehmend Aufmerksamkeit und hat einige Sonderregeln für diese Arbeits- bzw Lebensphase erlassen, wenn auch mehr im Sozial- als im Arbeitsrecht. Müller hat ihre Dissertation zur Rentnerbeschäftigung an der Universität Passau verfasst, womit die deutsche Rechtslage im Vordergrund steht. Sie hat allerdings weniger die Sonderregeln als die allgemeinen Regeln im Blick und fragt, wie diese auf – dort naturgemäß nicht ausdrücklich bedachte – Fragen der Rentnerbeschäftigung reagieren.

Nach einer sehr instruktiven Einleitung folgt ein großer Teil zum Arbeitsrecht und ein deutlich kürzerer Teil zum Sozialrecht, zum Schluss (leserfreundlich) eine umfangreiche Zusammenfassung samt Ausblick. Beim Arbeitsrecht werden behandelt: Altersgrenzen, arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten und Kündigungsschutz nach Erreichen der Altersgrenzen; die Betriebsrenten werden nicht extra bedacht. Zu den Altersgrenzen erweist sich das Diskriminierungsrecht als wenig hilfreich für die Rentnerbeschäftigung, weil ein Rentenanfall regelmäßig als sachliche Rechtfertigung hinreicht. Bei den Gestaltungsmöglichkeiten werden verschiedene Beschäftigungsformen durchgespielt (freie Mitarbeit, Pool, Rentnergesellschaft, Befristung etc) und auf Vor- und Nachteiligkeit für die Rentnerbeschäftigung befragt. Teilzeit fehlt, obwohl gerade diese Form naheliegend erscheint. Für die Weiterbeschäftigung nur einiger ausgewählter Rentner sieht Müller kaum gleichbehandlungsrechtliche Hürden. Bei der Kündigung untersucht sie die Rolle von Rentnern in der Sozialauswahl. Sie plädiert zwar für eine Einbeziehung von Rentnern, allerdings sei das Kriterium des Lebensalters einschränkend auszulegen, was mE überzeugt.

Im sozialrechtlichen Teil werden die Beitragspflicht sowie die Zuverdienstgrenzen näher beleuchtet. Dieser Aspekte werden eher aus rechtspolitischer Perspektive behandelt. Müller plädiert hier für eine weitgehende Abschaffung der Zuverdienstgrenzen (wie schon der deutsche Juristentag 2008 gefordert hat).

Das Buch ist aus mehreren Gründen gelungen: (1) Der Ausgangspunkt ist ein soziales Phänomen bzw Problem und keine rein vom Normenbestand her gedacht Rechtsfrage. Dies indiziert gesellschaftliche Relevanz. (2) Das Buch bedenkt Arbeits- und Sozialrecht, wenn auch (zu) ungleichgewichtig. (3) Das Buch ist sehr gut geschrieben: anregend, kurzweilig und oft pointiert. Aus meiner Sicht ist das Buch wärmstens zu empfehlen, auch der Politik, die hier eine Fülle von argumentierten Anregungen finden kann.