Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung/DIW (Hrsg) Pflegesicherung in Deutschland: Trotz unbestrittener Erfolge bleibt Reformbedarf erheblich

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2015, 170 Seiten, € 78,–

WALTERJ.PFEIL (SALZBURG)

Die Pflegesicherung in Deutschland ist knapp zwei Jahre nach der Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich in Kraft getreten. Die beiden Systeme weisen einige Ähnlichkeiten auf, unterscheiden sich aber vor allem in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen ist die deutsche Pflegesicherung als Zweig der SV organisiert und wird daher aus Beiträgen und nicht wie in Österreich aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Zum anderen kennt das österreichische System keine einheitliche und abgestimmte Organisation von Geld- und Sachleistungen: An Stelle der integrativen Zuständigkeit der mit den dortigen Krankenversicherungsträgern verbundenen deutschen Pflegekassen besteht hier eine – nur durch eine (in weiten Teilen überholte) Vereinbarung nach Art 15a B-VG und nun zusätzlich durch den auf Bundesebene eingerichteten Pflegefonds koordinierte – Aufgabenteilung zwischen Bund (Pflegegeld, SV für pflegende Angehörige) und Ländern (insb stationäre Pflege und ambulante soziale Dienstleistungen). Trotz dieser strukturellen Unterschiede ist die vorliegende, überwiegend wirtschaftswissenschaftlich angelegte Analyse des deutschen Systems auch aus österreichischer Sicht spannend und überaus anregungsreich.

Dies gilt namentlich für die Grenzen einer nur aus den Beiträgen der Erwerbstätigen finanzierten Sicherung, die sowohl im Einleitungsbeitrag von Hagen und Rothgang als auch in der „Zwischenbilanz“ von Hoffer und Schölkopf sichtbar werden. Auch in Deutschland hat man zusätzlich zur Versicherung einen Pflegevorsorgefonds eingerichtet, der von Fichte kritisch, aber letztlich positiv beleuchtet wird. Die Schlussfolgerung für Österreich sollte eigentlich sein, dass man der immer wieder erhobenen Forderung, auch hier auf eine Sozialversicherungslösung umzustellen, endgültig eine Absage erteilt: Das Risiko Pflegebedürftigkeit ist viel weniger mit der Erwerbstätigkeit verknüpft als alle anderen in der SV erfassten Risiken. Und statt einer zusätzlichen Belastung des Faktors Arbeit sollte auf eine noch breitere Finanzierung gesetzt werden, wobei eine (zumindest teilweise) zweckgebundene Vermögens- bzw Erbschaftssteuer auch einen Ausstieg aus der „Sozialhilfelogik“ ermöglichen würde, die bereits jetzt einen weitgehenden Zugriff auf Vermögen und Erbschaften vorsieht, aber eben nur bei pflegebedürftigen Personen und deren Angehörigen!

Ein auch in Österreich unzureichend erfasstes Problem spricht der einzige überwiegend juristische Beitrag von Pitschas/Thiele mit den Bezügen auf demenzielle Erkrankungen und deren besserer Einbeziehung an. Viele Anregungen sind auch aus den beiden Analysen zur Pflegequalität von Hasseler bzw von Weiß/Sünderkamp/Rothgang zu gewinnen. Ebenfalls von grenz- bzw systemüberschreitender Bedeutung sind die arbeitsmarktpolitischen Ausführungen von Bogai zu den diesbezüglichen Perspektiven für Pflegekräfte bzw zum Spannungsverhältnis von öffentlicher Daseinsvorsorge und mehr Markt in der Pflegearbeit von Evans/Thiele/Ziegler/Risthaus. Aus heimischer Sicht dagegen zu bedauern ist, dass Österreich im abschließenden Vergleich formeller wie informeller Pflege in ausgewählten europäischen Ländern durch Schulz und Geyer nicht einbezogen wurde.

Ungeachtet dessen ist der vorliegende Band allen mit Fragen der Pflegebedürftigkeit und der künftigen Bewältigung dieses – schon allein wegen der demographischen Entwicklung noch bedeutsamer werdenden – Risikos zu empfehlen. Eine ähnliche breit angelegte wirtschaftswissenschaftliche und sozial- wie rechtspolitische Analyse wäre auch für das österreichische System allemal wünschenswert.