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Asylrechtsberatung durch „freie“ Poolkräfte – kein Arbeitsverhältnis

MICHAELREINER (WIEN)
  1. Ein echter Arbeitsvertrag unterscheidet sich vom freien Dienstvertrag durch die persönliche Abhängigkeit des Dienstleistenden.

  2. Ein AN kann sich nicht aussuchen, ob und in welchem Ausmaß er im Folgemonat arbeitet.

  3. Die Führung eines Tätigkeitsprotokolls sowie von Arbeitszeitaufzeichnungen ist für die Bindung dann nicht relevant, wenn damit lediglich die verrechneten Arbeitsstunden nachvollziehbar werden sollen.

  4. Bindungen oder Freiheiten, die in der Natur der Sache liegen, sind für die AN-Eigenschaft unbeachtlich. Gesetzliche Vorgaben hinsichtlich Arbeitsort und inhaltliche Weisungsfreiheit liegen in der Natur der Sache.

Sachverhalt und Vorverfahren

Der Bekl ist ein Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit, dessen Zweck die Förderung der Integration von Flüchtlingen ist. [...]

Das BMI bediente sich des Bekl zur Durchführung der seit der Asylgesetz-Novelle 2003 vorgeschriebenen Rechtsberatung im Asylverfahren (Zulassungsverfahren).

Der Kl war von 1.5.2004 bis 31.1.2012 als Rechtsberater im Asylverfahren beim Bekl beschäftigt. Grundlage dieser Tätigkeit waren zum einen mit dem BMI abgeschlossene Bestellungsverträge, zum anderen mit dem Bekl abgeschlossene „freie Dienstverträge“. Der Kl hatte befristete Verträge mit dem BMI bzw dem Bekl [...].

Nach dem zuletzt [...] abgeschlossenen Bestellungsvertrag ist der Bekl berechtigt, den Vertrag mit sofortiger Wirkung zu kündigen, wenn der Kl wiederholt und beharrlich Verletzungen seiner Beratungs- und Anwesenheitspflicht begeht. Festgehalten wird, dass die näheren Regelungen, insb betreffend die Honoraransprüche, in einem freien Dienstvertrag mit dem Bekl getroffen werden.

Unter Bezugnahme auf diesen Bestellungsvertrag schlossen die Streitteile ebenfalls [...] einen als „Freier Dienstvertrag“ bezeichneten Vertrag über121 die Tätigkeit des Kl als Rechtsberater gem den §§ 64 und 65 AsylG 2005 idgF ab. Wesentliche Vertragsbestimmungen lauten wie folgt:

„3. Unabhängigkeit und WeisungsfreiheitDer Auftragnehmer ist in der Ausübung seiner Aufgaben als Rechtsberater sowohl dem Auftraggeber als auch dem BM.I gegenüber weisungsfrei und unabhängig.4. Leistungsbeschreibung4.1. Ort der LeistungserbringungDie Tätigkeit des Auftragnehmers ist in der Erstaufnahmestelle Ost, in Hafträumlichkeiten oder an einer Außenstelle des Bundesasylamts auszuüben4.2. Aufgaben des AuftragnehmersAufgabe des Auftragnehmers ist die Ausübung der Rechtsberatertätigkeit gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 idgF.Im Zuge dieser Rechtsberatertätigkeit sind insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:
  • vorbringensbezogene objektive Darlegung der Asyl- und Fremdenrechtslage;

  • Wahrung der rechtlichen Interessen des Asylwerbers durch Anwesenheit in der zweiten Einvernahme;

  • Unterstützung des Asylwerbers im Rahmen des Parteiengehörs;

  • Information über den weiteren Verfahrensverlauf nach der zweiten Einvernahme;

  • Wahrnehmung der Funktion des Zustellbevollmächtigten;

  • Wahrnehmung der Funktion des gesetzlichen Vertreters gemäß § 16 Abs 3 bis 5 AsylG 2005 bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern;

  • Unterzeichnung allfälliger Rechtsmittel von unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern.

Der Auftragnehmer hat die Beratungstätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen und an der Führung des Verfahrens so mitzuwirken, dass es zu keiner unnötigen Verzögerung kommt. Der Auftragnehmer hat sich während der Vertragslaufzeit jeglichen Verhaltens zu enthalten, das geeignet ist
  1. die gewissenhafte Wahrnehmung seiner Aufgaben hintanzuhalten;

  2. den Eindruck einer seinen Aufgaben widersprechenden Wahrnehmung seiner Pflichten zu erwecken oder

  3. die Amtsverschwiegenheit zu gefährden.

4.3. Anwesenheitspflicht(1) Der Auftragnehmer hat gemäß § 65 Abs 4 AsylG durch regelmäßige Anwesenheiten darauf hinzuwirken, dass es zu keiner unnötigen Verzögerung der Verfahren kommt und der Gesamtablauf des Zulassungsverfahrens aufgrund von wiederholten, langen Abwesenheiten nicht behindert wird.(2) Eine durchgehende, den Zeitraum von fünf Wochen übersteigende Nichtausübung der Rechtsberatertätigkeit, ist dem [Bekl] unabhängig vom Grund der Abwesenheit zu melden.(3) Bei festgestellter, unbegründeter Nichtausübung der Beratertätigkeit von mehr als fünf Wochen wird nach Ablauf einer Frist von 15 Tagen zur Möglichkeit der Abgabe einer begründeten Stellungnahme davon ausgegangen, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit eingestellt hat.4.4. Einteilung(1) Die allgemeinen Beratungsleistungen des Auftragnehmers erfolgen auf Basis von monatlichen Einsatzplänen, die vom Steuerungsbüro der Erstaufnahmestelle im Einvernehmen mit dem Auftragnehmer erstellt werden. Der zeitliche Rahmen, in dem die Beratungsleistungen erbracht werden können, beträgt Montag bis Freitag (werktags) von 7 Uhr 30 bis 18 Uhr.Bei der Erstellung der Einsatzpläne wird auf die vom Auftragnehmer dem Steuerungsbüro der Erstaufnahmestelle bis zum 20. des Vormonats bekannt gegebenen Wünsche, insbesondere etwaige Verhinderungen, Rücksicht genommen. Berücksichtigt werden können in der Regel nur in Halbtagen, Tagen oder Wochen angegebene Verhinderungen. Sonstige individuelle Abweichungen können nur berücksichtigt werden, wenn sie mit dem Dienstbetrieb der Erstaufnahmestelle vereinbar sind. Bei der Einsatzplanung wird weiters auf eine gleichmäßige Heranziehung der bestellten Rechtsberater geachtet.(2) Zusätzlich zu den im Einsatzplan für das jeweilige Monat festgelegten Zeiten können zur Abdeckung des schwankenden Bedarfs zwischen dem Steuerungsbüro der Erstaufnahmestelle und dem Auftragnehmer weitere Beratungsleistungen einvernehmlich vereinbart werden.5. VertretungSofern dem Auftragnehmer die Leistungserbringung zu einem im Einsatzplan vorgesehenen Zeitpunkt nicht möglich ist, steht es dem Auftragnehmer frei, sich durch eine(n) andere(n) vom BM.I bestellte(n) Rechtsberater(in) vertreten zu lassen.6. Entgelt(1) Für die gesamte aufgrund dieses Vertrages dem Auftragnehmer entstehende Arbeit und Mühe, einschließlich der hierbei anfallenden Kosten erhält der Auftragnehmer von € 25,72 brutto pro Arbeitsstunde und € 6,43 brutto für jede vollendete viertel Stunde, jeweils einschließlich einer allfälligen, auf den Honorarnoten gesondert auszuweisenden und an das Finanzamt abzuführenden Umsatzsteuer, das gemäß den Gehaltsabschlüssen des öffentlichen Dienstes für die Folgejahre angepasst wird.[...](4) Im Falle der Erkrankung hat der Auftragnehmer für den Zeitraum der Erkrankung, maximal für 10 Arbeitstage pro Jahr, gegen Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung Anspruch auf Entgelt im Ausmaß der wöchentlichen Durchschnittsdienstzeit der letzten 6 Monate.(5) Der Auftragnehmer wird vom Auftraggeber bei der zuständigen Gebietskrankenkasse zur Sozialversicherung angemeldet. Von dem in Absatz 1 genannten Honorar werden vom Auftraggeber die Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in Abzug gebracht.(6) Für die Versteuerung der Honorare hat der Auftragnehmer Sorge zu tragen.7. AbrechnungDer Auftragnehmer hat monatlich jeweils bis zum 5. eines Folgemonats dem Leiter der jeweiligen Erstaufnahmestelle eine Honorarnote über die im122 Vormonat geleisteten Arbeitsstunden vorzulegen. Das BM.I stellt dem Auftragnehmer eine standardisierte Musterhonorarnote zur Verfügung, die nach den im Punkt 6 genannten verrechenbaren Leistungen gegliedert ist.Die Honorarnoten werden nach Prüfung und Bestätigung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit durch das Steuerungsbüro der Erstaufnahmestelle an den Auftraggeber zur Überweisung der Honorarbeträge weitergeleitet. Die Auszahlung des Entgelts wird vom Auftraggeber innerhalb von zwei Wochen nach Vorlage der geprüften Honorarnoten veranlasst.[...]10. Kündigungsbestimmungen(1) Der Auftragnehmer ist berechtigt, den gegenständlichen Vertrag jeweils zum Monatsende unter Einhaltung einer zweimonatigen Kündigungsfrist ohne Angaben von Gründen zu kündigen. Mit der Kündigung dieses Vertrages erlischt auch der mit dem BM.I abgeschlossene Bestellungsvertrag.(2) Der Arbeitgeber ist berechtigt, den gegenständlichen Vertrag jeweils zum Monatsende unter Einhaltung einer zweimonatigen Kündigungsfrist ohne Angaben von Gründen zu kündigen.(3) Der Auftraggeber ist berechtigt, den gegenständlichen Vertrag mit sofortiger Wirkung zu kündigen, wenn der Bestellungsvertrag vom BM.I aufgrund von wiederholten und beharrlichen Verletzungen der Beratungs- und Anwesenheitspflichten durch den Auftragnehmer gemäß § 65 Abs 3 AsylG 2005 idgF gekündigt wird.[...]“

Der Kl übte seine Tätigkeit als Rechtsberater hauptsächlich in der Erstaufnahmestelle Ost in T, einem Standort des beim BMI eingerichteten Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (kurz: Bundesasylamt), fallweise aber auch am * und im Polizeianhaltezentrum * aus.

In der Erstaufnahmestelle Ost stellte das Bundesasylamt den Rechtsberatern Räumlichkeiten und zum Teil auch Büroarbeitsmittel zur Verfügung. Die Ausstattung der Arbeitsplätze war allerdings sehr beschränkt und veraltet. Teilweise verwendeten die Rechtsberater daher eigene Arbeitsmittel, insb den eigenen Laptop.

Die Dienstvertragsparteien vereinbarten keine fixe Wochenarbeitszeit. In den Bewerbungsinformationen des BMI war von einer „regelmäßigen wöchentlichen Höchststundenzahl“ im Ausmaß von 20 bis 40 Stunden die Rede. Im Einstellungsgespräch gab der Kl an, 40 Stunden pro Woche arbeiten zu wollen. Dazu wurde dem Kl erklärt, dass das Ausmaß der von ihm beabsichtigten Arbeitsstunden nicht in den Vertrag Eingang finden, sondern lediglich als Planungsgrundlage dienen könne, weil sich die zu leistenden Arbeitsstunden nach dem Arbeitsanfall richten würden. Um den Bedarf an Rechtsberatern einschätzen zu können, war es für die Bekl aber interessant, für wie viele Arbeitsstunden der einzelne Rechtsberater grundsätzlich zur Verfügung stand.

Die Leitung der Erstaufnahmestelle Ost gab zunächst bekannt, wie viele Rechtsberater an bestimmten Tagen zur Verfügung stehen sollten.

Der Kl konnte, wie auch jeder andere Rechtsberater, durch Eintrag in einen Dienstplan zunächst selbst entscheiden, ob und an welchen Tagen er im kommenden Monat arbeiten wollte. Dieser Dienstplan wurde dem Steuerungsbüro der Erstaufnahmestelle Ost übermittelt, das die konkrete Arbeitseinteilung der Rechtsberater, Referenten und Dolmetscher in einem Wochenplan vornahm. Dabei wurde bis Mitte 2011 vom zuständigen Leiter des Steuerungsbüros darauf geachtet, die Kontinuität der Beratung durch weitere Zuteilung des einmal eingeschrittenen Rechtsberaters in erster Linie bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern sicherzustellen und die vorhandene Arbeit auf alle Rechtsberater gleichmäßig und den jeweiligen von den Rechtsberatern bekannt gegebenen Arbeitskontingenten entsprechend zu verteilen. Waren zusätzliche Rechtsberater erforderlich, fragte das Steuerungsbüro bei den noch nicht eingeteilten Rechtsberatern nach. Die Rechtsberater hatten keine Pflicht, zusätzliche Dienste zu übernehmen. Es kam einmal vor, dass die Leitung der Erstaufnahmestelle Ost die Rechtsberater schriftlich aufforderte, ihren Arbeitseinsatz zu erhöhen, weil vorübergehend ein verstärkter Bedarf an Rechtsberatungen bestand. Der ab Mitte 2011 zuständige Leiter des Steuerungsbüros berücksichtigte die von den Rechtsberatern bekannt gegebenen Kontingentwünsche nicht.

Die Arbeitszeiten der Rechtsberater waren üblicherweise von Montag bis Freitag, 8:00 Uhr bis 15:30 Uhr. Dauerten Einvernahmen länger, mussten die Rechtsberater auch darüber hinaus anwesend sein. Das Abfassen von Berufungen außerhalb der Arbeitszeiten und außerhalb des Dienstplans wurde nicht honoriert. Für Tätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit musste vorab eine Genehmigung für Überstunden eingeholt werden. Diese Überstunden mussten zeitnah wieder abgebaut werden.

Beabsichtigte ein Rechtsberater, auf Urlaub zu gehen, trug er sich nicht in den Dienstplan ein. Der Abschluss einer Urlaubsvereinbarung war nicht erforderlich. Ein geplanter Urlaub musste aber dem Steuerungsbüro rechtzeitig gemeldet werden, damit längere Abwesenheiten bei der Zuteilung der Rechtsberater berücksichtigt werden konnten. Der einmal für einen konkreten Asylwerber eingeschrittene Rechtsberater sollte nämlich bis zum Ende der Rechtsberatung derselbe bleiben bzw musste es hinsichtlich unbegleiteter Minderjähriger sogar sein. Die Urlaube waren stets unbezahlt. Dem Kl war es auch ohne disziplinäre Konsequenzen möglich, die Rechtsberatertätigkeit für einen längeren Zeitraum einzustellen.

Die Rechtsberater mussten ihre Dienstleistung im Rahmen der ihnen im Wochenplan zugewiesenen Einvernahmen erbringen. Ein selbständiges Tauschen von Diensten zwischen den Rechtsberatern war zwar möglich, aber nicht erwünscht, weil dadurch die Einteilung, bei der etwa auf das Geschlecht oder die Volkszugehörigkeit des Asylwerbers Rücksicht genommen wurde, umgestoßen worden wäre. War ein Rechtsberater wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen verhindert, musste er dies im Steuerungsbüro melden und sollte123 selbständig für Ersatz aus dem Kreis der Rechtsberater der Erstaufnahmestelle Ost sorgen. Dabei sollte er sich zunächst um Vertretung durch einen Rechtsberater bemühen, der am betreffenden Tag diensteingeteilt war. Es kam allerdings gleich oft vor, dass sich das Steuerungsbüro selbst um eine Vertretung kümmerte. Sowohl Vertretungen im Verhinderungsfall als auch Diensttausche unter den Rechtsberatern kamen immer wieder vor. Die Rechtsberater stellten sich auch gegenseitig Vollmachten aus, um eine Vertretung zu gewährleisten. Als ultima ratio mussten die Einvernahmen abberaumt und die Termine neu eingeteilt werden. Dies hatte für den verhinderten Rechtsberater keinerlei Konsequenzen. Der Kl machte von der Möglichkeit, sich nach Vorliegen des Wochenplans von seinen Kollegen vertreten zu lassen, keinen Gebrauch.

Im Krankheitsfall musste der Kl nur dann eine Krankenstandsbestätigung im Steuerungsbüro abgeben, wenn er die vertraglich vereinbarte Entgeltfortzahlung beanspruchte.

Die Rechtsberater trugen sich bei Arbeitsantritt und -ende in eine im Steuerungsbüro aufliegende Anwesenheitsliste ein. Anhand dieser wurden die von den Rechtsberatern ausgestellten Honorarnoten kontrolliert. Trug sich ein Rechtsberater nicht in die Anwesenheitsliste ein, hätten ihm keine disziplinären Konsequenzen gedroht. Da dann allerdings seine Honoraransprüche nicht nachvollziehbar gewesen wären, nahm jeder Rechtsberater die Eintragung im eigenen Interesse vor.

Die Rechtsberater mussten ein Tätigkeitsprotokoll bezüglich der Dauer der Einvernahmen und der Rechtsberatungen sowie ihrer sonstigen Tätigkeiten, wie Internetrecherchen und das Verfassen von Rechtsmitteln, erstellen, und der Leitung der Erstaufnahmestelle Ost übermitteln.

Es gab keine Verhaltens- oder Kleidungsvorschriften für die Rechtsberater. Auch inhaltliche Weisungen erteilte ihnen der Bekl nicht.

Der Bekl entlohnte den Kl nach dessen Anwesenheitsstunden. Das tatsächliche Ausmaß der vom Kl verrichteten Arbeitsleistung schwankte erheblich und infolgedessen auch sein Honorar. Letzteres betrug im Zeitraum Jänner 2008 bis Jänner 2012 zwischen 270,10 € im Juni 2011 und 6.273 € im März 2010. Im Monatsdurchschnitt verzeichnete der Kl ein Honorar von 4.383,86 € im Jahr 2008, 4.182,46 € im Jahr 2009, 5.161,70 € im Jahr 2010 und 3953,62 € im Jahr 2011.

Im Jahr 2011 wurde der Bereich Rechtsberatung im Asylverfahren in Folge der Änderung des Asylgesetzes durch das BMI an den Verein M und die aus V und D bestehende ARGE R neu vergeben. Der Bekl gab den Aufgabenbereich der Asylberatung zur Gänze ab. Aufgrund der Strukturänderung kündigte der Bekl sämtliche bei ihm tätigen Rechtsberater zum 31.1.2012, weil er wegen des Wegfalls der Rechtsberatung keinen Bedarf mehr an Juristen hatte.

Mit Schreiben vom 9.11.2011 kündigte der Bekl somit auch das Dienstverhältnis des Kl zum 31.1.2012 auf. Da hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation des Dienstverhältnisses und der allfälligen AG-Stellung des BMI Unsicherheit bestand, sprachen zunächst das BMI mit Schreiben vom Jänner 2012 die Kündigung des Kl zum 29.2.2012 und schließlich der Bekl und das BMI gemeinsam vorsichtshalber nochmals mit Schreiben vom März 2012 die Kündigung des Kl zum 30.6.2012 aus. Als Kündigungsgrund wurde eine Struktur- und Organisationsänderung in Folge der durch die Novellierung des Asylgesetzes bedingten Änderung der Organisation der Rechtsberatung angegeben.

Der Kl begehrt mit der vorliegenden Klage die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses zwischen den Streitteilen über den 31.1.2012 hinaus, in eventu die Unwirksamerklärung der vom Bekl mit Schreiben vom 9.11.2011 ausgesprochenen Kündigung. Zusammengefasst brachte er vor, dass er aufgrund wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit bei der Leistungserbringung in einem echten Dienstverhältnis zum Bekl gestanden sei. Die Kündigung sei aus mehreren Gründen nichtig: [...]

Der Bekl bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete zusammengefasst ein, dass der Kl im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses und nicht in persönlicher Abhängigkeit für ihn tätig geworden sei. [...]

Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren des Kl ab. Da in einer Gesamtbetrachtung die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen, sei das vorliegende Vertragsverhältnis als echter Arbeitsvertrag zu qualifizieren. Im Mittelpunkt dieser Beurteilung stehe, dass der Kl, sobald er an einem bestimmten Tag um 8:00 Uhr den Dienst aufgenommen habe, in die betriebliche Ordnung des Bekl hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort eingeordnet gewesen sei. Im Wochenplan hätten die Referenten die nicht zur Disposition stehenden Zeiten der Einvernahmen zugewiesen bekommen. Der Kl habe demnach keine Möglichkeit gehabt, den Ablauf der Arbeit selbst zu regeln. Ein freies Dienstverhältnis sei aber nur dort möglich, wo es der faktische Arbeitsablauf gestatte, den DN nicht in den Betrieb zu integrieren und seine Dispositionsmöglichkeit weitgehend auszuschalten. [...]

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und dem Hauptbegehren statt. Es teilte zwar die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts über die Qualifikation des vorliegenden Vertragsverhältnisses als echter Arbeitsvertrag und die Anwendung des VBG, verneinte aber die Anwendbarkeit des AVRAG auf das dem VBG unterliegende Arbeitsverhältnis (§ 1 Abs 2 Z 4 AVRAG) und damit das Vorliegen eines Betriebsübergangs. [...] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu [...].

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Bekl ist zulässig und berechtigt, weil das Berufungsgericht die Frage, ob das hier vorliegende Vertragsverhältnis als echtes oder freies Dienstverhältnis zu beurteilen ist, unrichtig beurteilt hat.

1. Da die rechtlichen Grundlagen der Tätigkeit eines Rechtsberaters im Asylverfahren für die Beurteilung der Qualifikation des zwischen den Streitteilen vereinbarten Vertragsverhältnisses eine wichtige Rolle spielen, werden diese – vom Beru-124fungsgericht bereits herausgearbeiteten – Regelungen hier nochmals kurz dargestellt:

1.1. Durch die AsylG-Novelle 2003 (BGBl I 2003/101) wurde der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags (Asylverfahren) ein in den eigens dafür eingerichteten Erstaufnahmestellen des Bundesasylamts zu führendes sogenanntes Zulassungsverfahren vorgelagert und das Institut des Rechtsberaters im Zulassungsverfahren geschaffen.

§ 39a AsylG (Rechtsberatung in der Erstaufnahmestelle) lautete auszugsweise:

„(1) Im Zulassungsverfahren sind dem Asylwerber in der Erstaufnahmestelle rechtskundige Personen mit Spezialwissen im Bereich Asyl- und Fremdenwesen (Rechtsberater) zur Seite zu stellen. Der Rechtsberater ist unabhängig und hat seine Aufgaben weisungsfrei wahrzunehmen; er ist in Wahrnehmung seiner Aufgaben zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet.(2) ... Der Rechtsberater ist verpflichtet, an allen weiteren Einvernahmen im Zulassungsverfahren teilzunehmen.(3) Bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern hat der Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Zulassungsverfahren sowohl bei der Ersteinvernahme als auch bei jeder weiteren Einvernahme in der Erstaufnahmestelle teilzunehmen.“

§ 39b AsylG (Anforderungsprofil für Rechtsberater) lautete auszugsweise:

„(1) Rechtsberater haben entweder den Abschluss eines rechtswissenschaftlichen Studiums oder einer gleichwertigen rechtlichen Ausbildung nachzuweisen, es sei denn, diese Personen sind oder waren seit mindestens fünf Jahren in einer kirchlichen oder privaten Organisation hauptamtlich und durchgehend rechtsberatend im Asylwesen tätig.(2) Die Auswahl und Bestellung der Rechtsberater obliegt dem Bundesminister für Inneres. ...(3) Die Dauer des Rechtsberatungsverhältnisses richtet sich nach dem mit dem Bundesminister für Inneres abzuschließenden Vertrag; die Mindestvertragsdauer beträgt fünf Jahre. Begeht der Rechtsberater wiederholt und beharrlich Verletzungen seiner Beratungs- und Anwesenheitspflicht, kann der Vertrag mit sofortiger Wirkung gekündigt werden.(4) Die Kosten für die Rechtsberatung trägt der Bund.“

1.2. Mit dem Fremdenrechtspaket 2005 (BGBl I 2005/100) trat mit 1.1.2006 das AsylG 2005 in Kraft. Die Rechtsberatung im Zulassungsverfahren wurde in § 64 und das Anforderungsprofil für die Rechtsberater in § 65 geregelt. Neu wurde in § 65 Abs 3 zweiter Satz AsylG 2005 geregelt, dass eine Wiederbestellung kein unbefristetes Vertragsverhältnis begründet. Nach § 65 Abs 5 AsylG 2005 hat sich ein Rechtsberater während der Dauer seines Vertragsverhältnisses jeglichen Verhaltens zu enthalten, das geeignet ist, 1. die gewissenhafte Wahrnehmung seiner Aufgaben hintanzuhalten, 2. den Eindruck einer seinen Aufgaben widersprechenden Wahrnehmung seiner Pflichten zu erwecken oder 3. die Amtsverschwiegenheit zu gefährden.

1.3. Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 – FrÄG 2011 (BGBl I 2011/38) wurde das AsylG 2005 geändert. Die „Rechtsberatung im Zulassungsverfahren vor dem Bundesasylamt“ in § 64, die „Beratende Unterstützung im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesasylamt“ in § 65, die „Rechtsberatung vor dem Asylgerichtshof“ in § 66 und das „Anforderungsprofil für Rechtsberater und für juristische Personen“ in § 66a AsylG 2005 wurden neu geregelt. Nach § 64 Abs 1 AsylG 2005 idF BGBl I 2011/38 ist im Zulassungsverfahren einem Asylbewerber kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite zu stellen. § 64 Abs 4 AsylG 2005 idF BGBl I 2011/38 bestimmt, dass das Bundesasylamt für jede Erstaufnahmestelle die Zuständigkeit der Rechtsberater je nach Einbringung des Antrags festlegt. Die Übertragung der Aufgaben an einen anderen Rechtsberater kann im Einzelfall und nur mit Zustimmung dieses Beraters erfolgen. Nach § 64 Abs 5 AsylG 2005 idF BGBl I 2011/38 verordnet der Bundesminister für Inneres die Höhe der Entschädigung der Rechtsberater für den Zeit- und Arbeitsaufwand. Die Auswahl der Rechtsberater gem § 64 und § 65 AsylG 2005 obliegt dem Bundesminister für Inneres, die Auswahl der Rechtsberater gem § 66 AsylG 2005 dem Bundeskanzler (§ 66a Abs 4 AsylG 2005 idF BGBl I 2011/38). [...] Neu war noch, dass der Bundesminister für Inneres auch juristische Personen mit der Besorgung der Rechtsberatung gem § 64 AsylG 2005 und der beratenden Unterstützung gem § 65 AsylG 2005 betrauen konnte, der Bundeskanzler auch juristische Personen mit der Besorgung der Rechtsberatung gem § 66 AsylG 2005 (§ 66a Abs 6 AsylG 2005 idF BGBl I 2011/38).

1.4. Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz – FNG (BGBl I 2012/87) wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingerichtet (BFA-Einrichtungsgesetz – BFA-G) und ein BFAVerfahrensgesetz (BFA-VG) erlassen. Inhaltsgleich wurden mit Wirkung ab 1.1.2014 die Bestimmungen des § 64 AsylG 2005 (Rechtsberatung im Zulassungsverfahren vor dem Bundesasylamt) in § 49 BFA-VG, des § 65 AsylG 2005 (Beratende Unterstützung im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesasylamt) in § 50 BFA-VG und des § 66a AsylG 2005 (Anforderungsprofil für Rechtsberater und für juristische Personen) in § 48 BFA-VG übernommen.

1.5. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Vorgangsweise des BMI, mit dem jeweiligen Rechtsberater einen Bestellungsvertrag abzuschließen und die näheren dienstvertraglichen Bestimmungen in einem eigenen „freien Dienstvertrag“ zu regeln, habe diesen gesetzlichen Regelungen entsprochen, ist nicht zu beanstanden und wird im Revisionsverfahren auch von keiner der Parteien bestritten. Ein näheres Eingehen auf diese Frage ist daher nicht notwendig.

2.1. Der echte Arbeitsvertrag unterscheidet sich nach herrschender Lehre und Rsp vom freien Dienstvertrag durch die persönliche Abhängigkeit des AN vom AG, dh die Unterworfenheit des AN unter die funktionelle Autorität des AG (RIS-Justiz RS0021518; RS0021332; RS0021306; RS0021284; Spenling in KBB4 § 1151 Rz 6 mwH; Krejci in

Rummel
, ABGB3 § 1151 Rz 36 ff). Die Rsp hat in diesem125 Zusammenhang verschiedene Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit erarbeitet, die aber nicht alle gemeinsam vorliegen müssen und in unterschiedlich starker Ausprägung bestehen können. Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen (RIS-Justiz RS0021284 [T11, T20]; RS0021306 [T10]). Die für das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit sprechenden Merkmale sind vor allem die Weisungsgebundenheit des zur Arbeitsleistung Verpflichteten, insb hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und arbeitsbezogenem Verhalten, die persönliche Arbeitspflicht des AN, die Fremdbestimmtheit der Arbeit, deren wirtschaftlicher Erfolg dem AG zukommt, die funktionelle Einbindung der Dienstleistung in ein betriebliches Weisungsgefüge, einschließlich der Kontrollunterworfenheit und die Beistellung des Arbeitsgeräts durch den DG. Davon unterscheidet sich der freie Dienstvertrag besonders durch die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbst zu gestalten, also ohne Bindung an bestimmte Arbeitszeiten und jene Weisungen, die für den echten Arbeitsvertrag prägend sind, und die selbst gewählte Gestaltung jederzeit wieder zu ändern (RIS-Justiz RS0021518; RS0021743; Rebhahn in ZellKomm2 § 1151 ABGB Rz 128 und in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1151 ABGB Rz 98; Pfeil in
Schwimann/Kodek
4 § 1151 ABGB Rz 30; Schrammel in
Fenyves/Kerschner/Vonkilch
, Klang3 § 1151 ABGB Rz 61; Krejci in
Rummel
, ABGB3 § 1151 Rz 83).

2.2. Ein wesentlicher Aspekt, der im vorliegenden Fall gegen die Annahme eines echten Arbeitsvertrags und für den freien Dienstvertrag spricht, ist das dem Kl vertraglich eingeräumte und auch tatsächlich so gehandhabte (vgl RIS-Justiz RS0111914 [T4]) Recht, sich vorab frei und ohne jegliche Abstimmung mit dem Bekl entscheiden zu können, ob und gegebenenfalls in welchem Stundenausmaß sowie an welchen Arbeitstagen er eine Tätigkeit als Rechtsberater für den Bekl erbringen wollte. Ein echter AN hingegen, der seine Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit erbringt, hat zwar unter Umständen – wie die Revisionsbeantwortung insofern richtig aufzeigt – auch die Möglichkeit der freien Arbeitszeiteinteilung; er kann sich aber nicht aussuchen, ob und in welchem Ausmaß er überhaupt im Folgemonat arbeiten möchte. Der vorliegende schriftliche Dienstvertrag (Pkt 4.3. Abs 2 und 3) hält zwar in diesem Zusammenhang fest, dass eine durchgehende, den Zeitraum von fünf Wochen übersteigende Nichtausübung der Rechtsberatertätigkeit dem Bekl unabhängig vom Grund der Abwesenheit zu melden ist und bei festgestellter, unbegründeter Nichtausübung der Beratertätigkeit von mehr als fünf Wochen der Bekl nach Ablauf einer Frist von 15 Tagen zur Möglichkeit der Abgabe einer begründeten Stellungnahme davon ausgeht, dass der Kl seine Tätigkeit eingestellt hat. Doch konnte der Kl nach den weiteren für den OGH bindenden Feststellungen seine Rechtsberatertätigkeit auch für einen längeren Zeitraum ohne disziplinäre Konsequenzen einstellen.

Der Kl musste mit dem Bekl im Fall des Urlaubs auch keine Urlaubsvereinbarung abschließen und diesem den (stets unbezahlten) Urlaub auch nicht bekannt geben. Die Pflicht des Kl, dem Steuerungsbüro der Erstaufnahmestelle Ost einen Urlaub zu melden, hatte lediglich organisatorische Gründe, um die kontinuierliche Rechtsberatung, insb hinsichtlich unbegleiteter Minderjähriger, auch für den Fall der Abwesenheit sicher zu stellen. Das Vertragsverhältnis der Parteien war daher nicht davon gekennzeichnet, dass der Bekl faktisch über die Arbeitskraft des Kl wie bei einem echten Arbeitsvertrag verfügen konnte (vgl Rebhahn in ZellKomm2 § 1151 ABGB Rz 87 mwN). Dass die Parteien bei Abschluss des auch als „Freier Dienstvertrag“ bezeichneten Vertragsverhältnisses – auch wenn es für die Qualifikation als freier oder echter Dienstvertrag nicht auf die Bezeichnung durch die Parteien ankommt (RIS-Justiz RS0111914) – beabsichtigten, dieses so unabhängig und frei wie nur möglich zu gestalten (vgl RIS-Justiz RS0021518 [T3]), zeigt andererseits auch der fehlende (Rechts-)Anspruch des Kl, Dienstleistungen gegen Entgelt in einem bestimmten Ausmaß für die Bekl zu erbringen. Der Kl konnte insofern zwar seine jeweiligen Arbeitswünsche dem Steuerungsbüro im Vorhinein bekannt geben, sah jedoch erst nach Erstellung des jeweiligen Wochenplans, ob und gegebenenfalls an welchem Halbtag und in welchem Umfang er tatsächlich zur Dienstleistung herangezogen wurde. Der Umfang der vom Bekl benötigten Arbeitsleistungen des Kl hing im Wesentlichen vom jeweiligen konkreten Bedarf an Rechtsberatern ab.

Dass der Kl nach erfolgter Einteilung im Wochenplan grundsätzlich verpflichtet war, seine Rechtsberatertätigkeit zu verrichten, ist richtig. Dies ist aber kein besonderes Merkmal eines echten Arbeitsvertrags, sondern letztlich Ausfluss einer jeden Vertragsgestaltung, in der sich eine Person zur Erbringung einer Leistung gegenüber einer anderen Person verpflichtet. Der Kl war zwar bei der Verrichtung seiner Rechtsberatertätigkeit vor Ort zwangsläufig in eine gewisse Organisationsstruktur der Erstaufnahmestelle (und nicht des Bekl) eingebunden, aber nicht in dem Maße, dass er der funktionellen Autorität des Bekl unterworfen gewesen wäre (vgl 9 ObA 99/91).

Der Kl hatte auch grundsätzlich die Möglichkeit, sich bei Verhinderung von einem anderen an der Erstaufnahmestelle Ost tätigen Rechtsberater des Bekl vertreten zu lassen. Selbst wenn weder der Kl noch das Steuerungsbüro eine Vertretung organisieren konnten, hatte dies für den Kl keine Konsequenzen. Auch wenn dieses Vertretungsrecht vom Kl tatsächlich nicht in Anspruch genommen wurde (vgl RIS-Justiz RS0118332), stellt dies im vorliegenden Fall kein Indiz für ein echtes, auf die persönliche Arbeitspflicht des AN ausgerichtetes Rechtsverhältnis dar.

Die mangelnde organisatorische Gebundenheit des Kl an Weisungen über die Art der Ausführung der Tätigkeit gründet auf die schon gesetzlich vorgegebene Weisungsfreiheit (und damit auch Kontrollfreiheit) der Tätigkeit eines Rechtsberaters. Dieses Merkmal spricht daher im vorliegenden Fall weder126 für das Vorliegen eines echten Arbeitsvertrags noch eines freien Dienstvertrags. Dass der Kl ein Tätigkeitsprotokoll führen und seine Arbeitszeiten in eine Anwesenheitsliste eintragen musste, war nicht Ausfluss einer laufenden inhaltlichen Kontrolle des Bekl, sondern sollte nur die vom Kl in der Honorarnote verrechneten Arbeitsstunden für den Bekl nachvollziehbar machen (vgl 9 ObA 46/13z). Da der Kl auch im Übrigen nicht in eine betriebliche Hierarchie des Bekl eingeordnet und eingegliedert war, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Kl, vergleichbar einem echten AN, in den Betrieb des AG integriert war (vgl Rebhahn in ZellKomm2 § 1151 ABGB Rz 107 mwN).

Ebenfalls aus der Natur (dem Sacherfordernis) der Tätigkeit des Kl folgt die Festlegung der Arbeitsorte (vgl 4 Ob 116/84; 9 ObA 10/99g; 8 ObA 55/07g; 8 ObA 57/09d). Die Bereitstellung von üblichen Büromöbeln und Büroarbeitsmitteln – hier im Übrigen nicht durch den Bekl, sondern durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – stellt kein zwingendes Kriterium für einen echten Arbeitsvertrag dar. Auch die regelmäßige dauernde Dienstleistung des Kl für den Bekl steht für sich genommen der Annahme eines freien Dienstvertrags nicht entgegen (9 ObA 54/97z; RIS-Justiz RS0021749). Gleiches gilt hier auch in Bezug auf die vertraglich dem Kl eingeräumte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl Radner in

Mazal/Risak
, Das Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar Kap I Rz 38 mwN). Schließlich ist auch die vereinbarte Möglichkeit beider Parteien, den Vertrag unter gewissen Voraussetzungen aufzulösen, jedem Dauerschuldverhältnis immanent (8 ObA 63/13t).

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nach der Methodik eines beweglichen Systems überwiegen hier die für einen freien Dienstvertrag sprechenden Elemente. [...]

Der Revision des Bekl ist daher Folge zu geben und das sowohl das Haupt- als auch das Eventualklagebegehren abweisende Ersturteil wiederherzustellen. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Die E betrifft die arbeitsrechtliche Stellung eines Asylrechtsberaters (in Folge: Berater) im Kontext der Beendigung seines Dienstleistungsverhältnisses. Asylwerbern muss gem AslyG für das Verfahren eine Rechtsberatung gewährt werden. Das BMI bedient sich dafür eines Fonds, der mit mehreren Rechtsberatern (Pool) zweigliedrige Verträge abgeschlossen hat. Ein sogenannter „Bestellungsvertrag“ dürfte als Rahmenvertrag fungiert haben, ein als „freier Dienstvertrag“ bezeichneter Vertrag detailliertere Pflichten umschreiben. Die Poolkräfte konnten sich für konkrete Rechtberatungsdienste anmelden und führten dann die Beratung in Asyleinrichtungen (insb Erstaufnahmezentren) durch. Der OGH verneint die AN-Eigenschaft – mE zu Unrecht. Jedenfalls tragen die vom OGH vorgebrachten Argumente das Ergebnis der E nicht. Jüngst hat der OGH seine E bekräftigt: 29.9.2016, 9 ObA 120/15k.

Bemerkenswert ist, dass beide Vorinstanzen die AN-Eigenschaft noch bejaht haben. Daran sieht man, wie wenig vorhersehbar die Rsp des OGH in diesem Gebiet ist, obwohl es deutlich mehr als hundert Entscheidungen zum AN-Begriff gibt. Die Rsp lässt nach wie vor eine systematische Aufbereitung des AN-Begriffs vermissen. Insb die Gewichtung, das Zusammenspiel der einzelnen Argumente und die Gesamtbewertung erscheinen als black box. Die (zutreffende) Annahme eines Typusbegriffs für den AN-Begriff bedeutet nicht, dass für die Ausfüllung des Typus auf jede Systematik verzichtet werden könnte.

Im Übrigen sollte der OGH mE öfters prüfen, ob manche Entscheidungen der Instanzengerichte zur AN-Eigenschaft allein schon wegen der Nichterfüllung der Revisionsvoraussetzungen Bestand haben sollten, wenn und weil sie eine vertretbare Rechtsansicht äußern, also die Rechtslage nicht grob verkennen (vgl allg zu dieser Revisionsvoraussetzung Zechner in

Fasching/Konecny
, § 502 ZPO Rn 66 ff). Freilich ist die vorliegende E kein besonders gutes Beispiel für diese Vorgangsweise, weil hier das Arbeitsverhältnis auch sondergesetzlich stark geprägt war (was der OGH jedoch ohnehin kaum berücksichtigt hat). In der Folge werden einige, aus meiner Sicht besonders relevante Aspekte der E diskutiert.

2.
Probleme im Tatbestand
2.1.
Zur Bedeutung des Zustandekommens einzelner Dienste

Der Berater verrichtete die Dienste auf Basis eines Rahmenvertrags. Dieser enthielt keine Festlegung zur Arbeitszeit, weder der Höhe noch der Lage nach. Die Dienste bedurften daher der Konkretisierung im Einzelfall. Der OGH misst nun offenbar der Art und Weise, wie die einzelnen Dienste zustande kommen, eine große Bedeutung für die AN-Eigenschaft zu; auf die Durchführung der einzelnen Dienste blickt der OGH hingegen bloß sekundär. Das ist aber schon deshalb verfehlt, weil es bei der Prüfung der persönlichen Abhängigkeit völlig unstrittig darauf ankommt, ob und welchen Bindungen der Dienstleistende bei der Erbringung der Dienstleistung unterworfen ist (in diese Richtung auch Rebhahn in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 95). Für diese Bindungen ist es aber irrelevant, wann, wie oder wie oft etc Dienste vereinbart werden. Persönlich abhängig kann man auch eine Stunde pro Monat sein, unabhängig davon, ob der Dienstleistende selbst entschieden hat, ob und wann er diese eine Stunde arbeiten möchte. Die persönliche Abhängigkeit ist ein rein organisatorisches Kriterium. So spielt das Ausmaß der Arbeitszeit, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Höhe des Entgelts, etwaiges privates Vermögen des Dienstleistenden etc für die AN-Eigenschaft anerkanntermaßen keine Rolle. Daher127 kann auch der Art und Weise, wie die einzelnen Dienste konkret vereinbart werden, keine große Bedeutung zukommen.

Sicher mag die persönliche Abhängigkeit als alleiniges Kriterium unbefriedigend erscheinen, wenn der Dienstleistende bloß fallweise beschäftigt ist und dabei völlig frei ist, ob, wann und wie lange er überhaupt arbeiten will (dazu, dass dies hier aber ohnehin nicht der Fall war, vgl Pkt 3.). Einige Normzwecke des Arbeitsrechts – insb zum Schutz bei wirtschaftlicher Abhängigkeit und vor übermäßiger Inanspruchnahme der Arbeitskraft – greifen hier nicht so recht. Das Arbeitsrecht scheint uU „nicht erforderlich“, ja „unverhältnismäßig“, weil der Dienstleistende – aus der Perspektive mancher Schutzzwecke des Arbeitsrechts – nicht schutzwürdig erscheint. Aber man hat sich eben bewusst dafür entschieden, nicht sämtliche Normzwecke des Arbeitsrechts in den Tatbestand des AN-Begriffs zu heben, sondern vertraut darauf, dass die persönliche Abhängigkeit typischerweise auch mit den sonstigen Normzwecken korreliert.

Das war auch zweifellos so lange richtig, als unbefristete, herkömmliche Vollzeitbeschäftigung die Regel war. Die Arbeitswelt hat sich aber deutlich geändert, wie nicht zuletzt dieser Fall zeigt. Der „juristische Normalfall“ und der für das erforderliche Quantum an persönlicher Abhängigkeit vom OGH gerne als Benchmark beschworene „typische Arbeitnehmer“ geht zunehmend verloren. Die Anwendung der überkommenen Kriterien auf die schöne neue Arbeitswelt (Ulrich Beck) erzeugt daher zwangsläufig Rückfragen an diese Kriterien. Die persönliche Abhängigkeit ist immer weniger der größte gemeinsame Nenner, sondern vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner der unselbständig Beschäftigten (Reiner, JBl 2010, 552). Aber immerhin ist es noch ein Nenner, und ein anderer ist derzeit auch nicht in Sicht, sondern rückt durch die immer stärkere Differenzierung der Arbeitsformen in immer weitere Ferne. Das überkommene Kriterium der persönlichen Abhängigkeit sollte vom OGH daher nicht ohne Zwang aufgeweicht werden, und schon gar nicht bloß implizit unter dem Deckmantel, dass formal weiterhin „bloß“ das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit angewendet wird.

Zuzugestehen ist freilich, dass es nicht bloß auf die faktische Erbringung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit ankommt, sondern auf die Verpflichtung zur Erbringung solcher Dienste. Soweit man dies bisher auf die Verpflichtung bezogen hat, überhaupt (persönlich) den vereinbarten Dienst anzutreten, ist daraus wenig zu gewinnen, und wurde auch schon bisher als nicht wesentlich erachtet: Die Pflicht zur Arbeit als solche sagt eben noch nichts dazu, ob die Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen ist. Viel wesentlicher ist hingegen die Pflicht, den konkret angetretenen Dienst auch durchzuführen. Erst wenn der Dienstleistende selbst den begonnenen Dienst jederzeit abbrechen kann (mit oder ohne Vertretung), entfällt die AN-Eigenschaft tatsächlich wegen mangelnder (persönlicher) Verpflichtung. Rein faktische Arbeit ohne jede rechtliche Verpflichtung (selbst nach Dienstantritt) ist aber wohl äußerst selten und sollte insb bei entgeltlichen Dienstleistungsverhältnissen im Zweifel nicht angenommen werden.

Insgesamt sollte daher bei Rahmenabreden und bloß fallweiser Beschäftigung stärker auf die konkreten Arbeitseinsätze geblickt werden und weniger stark auf das Zustandekommen der einzelnen Dienste. Daher ist dem OGH nicht zu folgen, wenn er als erstes und – aus seiner Sicht – wesentliches Kriterium auf das Zustandekommen der Dienste blickt und dabei die angeblich große Freiheit des Beraters betont. Diese Freiheit hat im Übrigen auch gar nicht bestanden (dazu Pkt 3.).

2.2.
Zur Bedeutung der Natur der Sache

Nach dem Argument von der Natur der Sache sind bestimmte Bindungen (oder Freiheiten) dann und deshalb nicht relevant für die AN-Eigenschaft, weil auch ein (fiktiver) Selbständiger daran gebunden (bzw nicht gebunden) wäre. Manchmal ist auch vom Sacherfordernis oder Sachzwang die Rede. Der OGH setzt dieses Argument immer wieder ein, ohne dass ein System zu erkennen wäre, wann und warum er das Argument verwendet bzw nicht verwendet. Tatsächlich ist dieses Argument schon seit einiger Zeit und zunehmend auf Kritik gestoßen (Reiner, JBl 2010, 549 ff; ihm folgend Rebhahn in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 101 ff; Kietaibl, Arbeitsrecht I8 [2013] 25; Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung [2015] 218 ff; Schrammel in
Fenyves/Kerschner/Vonkilch
[Hrsg], ABGB-Klang3 § 1151 Rz 27). Es ist dogmatisch falsch und sozialpolitisch fragwürdig. Dogmatisch ist es zusammengefasst deshalb falsch, weil es für die persönliche Abhängigkeit und die Schutzzwecke des Arbeitsrechts irrelevant ist, warum eine Bindung besteht und ob auch eine (fiktive) andere Person diesen Bindungen unterläge. Sozialpolitisch ist das Argument fragwürdig, weil es zwangsläufig zu verschiedenen AN-Begriffen führt. Man sieht ja: Beim Asylrechtsberater ist die Bindung an den Arbeitsort nach Ansicht des OGH nicht relevant, beim Fließbandarbeiter hingegen schon – oder dort auch nicht, weil das Fließband nun einmal in der Fabrikhalle des Auftraggebers steht, und nicht woanders, und die Fabrik war halt zuerst da? Soweit zu sehen, wurde die seit Sinzheimer bestehende Grundannahme noch nie bestritten, dass für alle Dienstleistende der gleiche AN-Begriff gilt. Immerhin gelten ja auch für alle AN dieselben Rechtsfolgen (sieht man von vereinzelten Berufsgruppenspezifika ab). Das Argument von der Natur der Sache bewirkt, dass man hinter diesen Erkenntnisstand zurückfällt.

Der OGH verwendet in der E zweimal das Argument von der Natur der Sache:

(1) Die Bindung an den Arbeitsort (Erstaufnahmestelle) sei nicht relevant, weil der Arbeitsort aus der Natur der Tätigkeit folge. Der Arbeitsort war im Vertrag vereinbart, ist aber schon gesetzlich vorgegeben (§ 29 Abs 4 AsylG 2005), was der OGH jedoch nicht erwähnt. Abgesehen davon, dass das Argument von der Natur der Tätigkeit abstrakt falsch ist (siehe oben), ist selbst die konkrete Anwendung zweifelhaft: Rechtsberatung als Gespräch zwischen128 zwei Menschen kann freilich an allen möglichen Orten stattfinden: Im Büro des Beraters, in einem Kaffeehaus etc. Denkbar wäre auch Kommunikation per Telefon oder E-Mail. Dass die Beratung in dem vom Auftraggeber bestimmten Ort (hier Erstaufnahmezentrum) stattfindet, ist daher eine bewusste Organisationsentscheidung (des Gesetzgebers). Das blendet der OGH aus, und macht denselben Fehler wie in der von ihm angeführten E zum Gefängnisarzt (OGH 10.7.2008, 8 ObA 55/07g: Dass die ärztliche Behandlung von Insassen im Gefängnis stattfindet, liege in der Natur der Tätigkeit; zur Kritik, wonach das weder faktisch noch rechtlich zutrifft Reiner, JBl 2010, 557 f). Dass der Fonds sich den Arbeitsort selbst nicht aussuchen konnte, weil dies gesetzlich vorgegeben ist, ist irrelevant. Auch der Baumeister, der Verträge mit Kunden abschließt – so könnte man meinen –, kann sich die Bauplätze nicht aussuchen, weshalb die Ortsbindungen seiner Mitarbeiter unbeachtlich seien. Das wurde aber zu Recht noch nie vertreten. Gemessen am Schutzzweck des Arbeitsrechts geht es bei der Ortsbindung nämlich stets darum, dass der Dienstleistende in einer von ihm nicht gestaltbaren, ihm also vorgegebenen Umwelt tätig ist.

(2) Nach dem Vertrag ist der Berater in der Ausübung seiner Aufgaben weisungsfrei und unabhängig. Der OGH bemerkt richtig, dass dies bereits aufgrund des AsylG 2005 (§ 48 Abs 2) erforderlich ist. Daraus folge – so der OGH –, dass diese Freiheit nicht relevant sei. In einigen Vorentscheidungen hat der OGH diese Freiheiten noch voll gegen die AN-Eigenschaft in Rechnung gestellt (zB OGH 28.8.1991, 9 ObA 99/91; OGH 10.7.2008, 8 ObA 55/07g); das ist auch richtig (vgl Reiner, JBl 2010, 566). Für eine Nicht-Abhängigkeit ist eben nicht jener Schutz bereitzustellen, der bei und wegen Abhängigkeit zustehen soll. Warum jemand bestimmte Freiheiten bei der Erbringung der Dienstleistung genießt und ob das auch für andere Dienstleistende (fiktive Selbständige) gilt, ist für die Prüfung der AN-Eigenschaft irrelevant. Bindungen sind Bindungen, Freiheiten sind Freiheiten. Auch im Arbeitsrecht.

Falsch ist es allerdings, wenn der OGH aus der Weisungsfreiheit auch auf die Kontrollfreiheit schließt. Bei jedem Vertrag darf der Vertragspartner die Leistung kontrollieren, wenn auch mit geringerer Intensität als beim Arbeitsvertrag.

Fraglich kann bei der inhaltlichen Weisungsfreiheit nur sein, wie schwer diese wiegt. Die früher oft anzutreffende Aussage, dass fachliche Weisungen für die AN-Eigenschaft weniger relevant seien, trifft mE nicht zu (richtig Rebhahn in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm3 § 1151 Rz 110 ff). Eine Beurteilung erfordert jedoch zunächst die Prüfung der genauen Reichweite der inhaltlichen Weisungsfreiheit. Dazu ist der E nichts zu entnehmen. Nach dem Normzweck des (§ 48 Abs 2) AsylG wird dies mE aber eher eng auszulegen sein und insb etwa nicht die Frage betreffen, wann welche Personen zu beraten sind und in welcher Reihenfolge dies zu geschehen hat. Auch wird der Dienstleistende wohl Beschränkungen hinsichtlich der Bearbeitungsdauer unterliegen, was ebenfalls die inhaltliche Freiheit schmälert. Die Freiheit bei der Rechtsbeurteilung beginnt inhaltlich dort, wo die Vertretbarkeit einer Entscheidung beginnt. Darunter liegt keine lege artis Falllösung vor und der Berater verletzt grundsätzlich seine Dienstpflicht. Im Übrigen besteht wohl auch innerhalb dieses Spielraums eine Begründungspflicht, warum man sich für die Lösung A statt B entscheidet, auch wenn beide vertretbar sind. Für diese enge Sicht spricht weiters, dass der Auftraggeber (Fonds) für die regelmäßige Fortbildung der Rechtsberater sorgen muss (§ 48 Abs 7 Z 3 AsylG 2005). So betrachtet wäre die Freiheit des Beraters freilich nicht allzu groß.

2.3.
Zur Bedeutung einzelner, isolierter Kriterien

Der OGH neigt dazu, stark auf die einzelnen Kriterien der AN-Eigenschaft zu blicken und der Gesamtbetrachtung wenig Raum zu geben: „Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nach der Methodik eines beweglichen Systems überwiegen hier die für einen freien Dienstvertrag sprechenden Elemente.“ Ein Satz, keine Begründung, das war‘s. Die isolierte Fokussierung auf die einzelnen Kriterien führt aber vor allem dazu, dass der OGH oft festhält, dass bestimmte einzelne Kriterien bzw Bindungen nicht zwingend für ein Arbeitsverhältnis seien, für sich betrachtet einem freien Dienstvertrag nicht entgegenstünden oder nicht relevant seien, weil etwa auch Selbständige dieser Bindung unterlägen etc. Das könnte man aber nahezu bei jedem Kriterium der persönlichen Abhängigkeit behaupten – wenn man es isoliert. Wenn man auf diese Weise jedes Kriterium für sich behandelt und kritisiert, wird man dementsprechend schwer zur AN-Eigenschaft gelangen. Es ist unbestritten, dass keine Bindung allein die AN-Eigenschaft trägt. Umso wichtiger wäre es, die Einordnung der Gesamtbeurteilung eingehender zu behandeln. Die einzelnen Bindungen, also die einzelnen Kriterien der AN-Eigenschaft bekommen erst im Gesamtbild ihre Bedeutung. Isoliert betrachtet sind sie weder erforderlich noch hinreichend, aber deshalb noch keineswegs irrelevant für die Gesamtprüfung, sondern vielmehr deren Eingangsgrößen. Die vom OGH angestellte „Vorauslese“ der einzelnen Bindungen ist daher aus meiner Sicht zu stark ausgeprägt.

2.4.
Zur Bedeutung der gesetzlichen Vorgaben

Die rechtliche Stellung des Rechtsberaters ist relativ stark gesetzlich geprägt, weshalb der Fall nicht ohne weiteres übertragbar ist. Der OGH zitiert zwar die gesetzlichen Vorgaben, zieht dann aber kaum Folgerungen daraus, sondern wendet vielmehr die herkömmlichen, allgemeinen Kriterien der AN-Eigenschaft an. Das erscheint problematisch. Der OGH macht das vielleicht deshalb, weil nach seiner Ansicht die gesetzlichen Regeln für die AN-Eigenschaft ohnehin auszublenden seien. Dies deshalb, weil sowohl ein selbständiger als auch ein unselbständiger Erwerbstätiger daran gebunden wäre, die Vorgaben also in der „Natur der Sache“ lägen und daher für die AN-Eigenschaft neutral seien (zur Kritik daran vgl oben Pkt 2.2.).129

Genauer betrachtet enthalten die gesetzlichen bzw europarechtlichen Grundlagen aber wichtige Anhaltspunkte für die rechtliche Qualifikation der Berater. Die Rechtsberatung des Asylwerbers ist europarechtlich geschuldet. Der einschlägige Art 20 Abs 1 Satz 1 RL 2013/32 lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Rechtsbehelfsverfahren nach Kapitel V auf Antrag unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird.“ (zur Regelungsgeschichte sowie allg zum europäischen Einwanderungs- und Aslyrecht Kugelmann in

Schulze/Zuleeg/Kadelbach
, Europarecht3 [2015] 2500 ff). Nimmt man das ernst, ist fraglich, ob die vom Fonds behauptete und vom OGH bejahte Umsetzung – keinerlei Rechtspflicht der Berater zum Tätigwerden – europarechtlich überhaupt zulässig ist. Zwar verlangt die RL nicht, dass, die Leistungserbringung unselbständig erbracht werden muss. Nach der Behauptung des Fonds und der E des OGH besteht für die Poolkräfte keinerlei Verpflichtung zur Rechtsberatung. Anders gewendet: Der Staat verschafft sich keinerlei Zugriffsrecht für die nach der RL erforderliche und sicherzustellende Dienstleistung. Danach ist ex ante gerade nicht sichergestellt, dass die Dienstleistung erbracht wird. Das ist aus der Sicht der RL wohl problematisch. Dies schon deshalb, weil es für die Umsetzung von RL nicht hinreicht, wenn europarechtlich geschuldete Ergebnisse bloß faktisch durch innerstaatliche Praxis hergestellt werden (dazu Streinz, Europarecht9 [2012] 169 f). Die Situation ist dann kaum anders, als wenn ein Mitgliedstaat in jedem Einzelfall selbständige Rechtsanwälte betraut. Freilich: Wäre das zulässig, müsste auch die Gestaltung über Poolkräfte zulässig sein. Die dahinterstehende Grundfrage ist eine allgemeine: Kann die Sicherstellung eines europarechtlich geschuldeten Ergebnisses überhaupt spontan über den Markt geschehen? Kann man auf den Markt als Sicherstellungsmechanismus für den spontanen Einkauf von (Rechtsberatungs-)Leistungen verweisen?

Interessant sind auch die einfachgesetzlichen Vorgaben. § 48 Abs 5 AslyG bestimmt etwa, dass die wiederholte Bestellung als Rechtsberater kein unbefristetes Vertragsverhältnis begründet. Dieses Problem besteht außerhalb des Arbeitsrechts aber gar nicht, weil die Kettenvertragsregelung nur für Arbeitsverhältnisse gilt. Unterstellt man dem Gesetzgeber Rechtskenntnis und rationale Rechtsetzung, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass der Gesetzgeber ohnehin von einem Arbeitsverhältnis ausgegangen ist. Freilich könnte es sich aber auch um eine Regelung bloß für den Fall handeln, wenn die Rechtsberatung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses organisiert wird.

§ 48 Abs 6 und 7 AslyG regeln die Beauftragung einer juristischen Person mit der Rechtsberatung. Dies ist hier aufgrund des Fonds der Fall. Entsprechend der gesetzlichen Regelung muss die juristische Person etwa über genügend Rechtsberater „verfügen“, während sie auf Dolmetscher zur Unterstützung für die Rechtsberatung bloß „zugreifen“ können muss. Nach diesem Wortlaut erscheint die behauptete Konstruktion eines Rahmenvertrags ohne jede Arbeitspflicht äußerst fraglich.

Auch wenn hier nicht sämtliche gesetzliche Anhaltspunkte gesichtet werden können, zeigt sich, dass diese wesentliche Aufschlüsse geben, die der OGH kaum beachtet hat.

3.
Probleme im Sachverhalt
3.1.
Suggestion der Atypizität

Die Arbeit des Beraters erfolgte auf Basis einer Rahmenabrede und jeweiliger Konkretisierungen der Einsätze. Der OGH scheint den Fall aus der Perspektive der Atypizität konstruieren zu wollen. Das traf aber – wirtschaftlich betrachtet – keineswegs zu: Der Dienstleistende hat zu Beginn des Arbeitsverhältnisses erklärt, 40 Stunden pro Woche arbeiten zu wollen. Betrachtet man das durchschnittliche Monatsentgelt über vier Jahre (jeweils etwa zwischen € 4.000,– und € 5.000,–) dürfte dies auch so gelebt worden sein (genaue Stundenangaben fehlen leider). Wenn der OGH in einem einzelnen Monat ein Einkommen iHv bloß € 270,– hervorhebt, mag dies auf der schlichten Tatsache beruhen, dass der Dienstleistende auf Urlaub war, der eben laut Vertrag nicht bezahlt wurde. Wann man arbeitete, konnte man nur innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens wählen (Montag bis Freitag zwischen 8:00 und 15:30 Uhr). Der Arbeitsort war vorgegeben (Pkt 4.1. des Vertrags). Nach den Feststellungen machte der Dienstleistende von seinem vertraglich vorgesehenen Vertretungsrecht keinen Gebrauch. Die vom OGH suggerierte Atypizität ist daher durchaus tendenziös und gibt der Fallbeurteilung gleich zu Beginn eine bestimmte Richtung. Freilich sind diese wirtschaftlichen Faktoren aus der Sicht der persönlichen Abhängigkeit irrelevant. Es bleibt aber der Eindruck, dass der OGH die Kriterien der persönlichen Abhängigkeit doch im Lichte der wirtschaftlichen Abhängigkeit deutet (dazu oben 2.1.). Es mag gute Gründe geben, die wirtschaftliche Abhängigkeit stärker zu berücksichtigen, weil etliche Normzwecke des Arbeitsrechts darauf abstellen. De lege ferenda wäre etwa zu überlegen, ob man bei gegebener wirtschaftlicher Abhängigkeit für die persönliche Abhängigkeit eine Beweislastumkehr vorsieht (der AG muss beweisen, dass der Dienstleistende nicht persönlich abhängig war). De lege lata sind die beiden Abhängigkeitsebenen auseinanderzuhalten. Will man schon de lege lata die wirtschaftliche Abhängigkeit stärker berücksichtigen, sollte dies zum einen aber explizit geschehen, zum anderen wäre sie in dem vorliegenden Fall aber jedenfalls für die AN-Eigenschaft in Rechnung zu stellen.

3.2.
„Die große Freiheit“

Der OGH betont die große Freiheit des Dienstleistenden bei der Frage, ob und wann er arbeiten möchte. Tatsächlich lag die Gestaltungsmacht aber klar beim Auftraggeber: Dieser gab nämlich zunächst bekannt, wie viele Berater er wann benötigte. Daraufhin konnte sich der Berater bestimmte Zeiten „wünschen“, er konnte also Zeiten angeben, während derer er arbeiten wollte. Die konkrete130 und damit die tatsächliche Einteilung übernahm dann aber wieder der Auftraggeber, genauer ein sogenanntes „Steuerungsbüro“ (man merke die Bezeichnung!). Im Übrigen wurden auch die Wünsche hinsichtlich des quantitativen Ausmaßes vom Steuerungsbüro nicht berücksichtigt. Die Schichtzeiten waren vorgegeben, bei längeren Beratungen musste der Berater „Überstunden“ machen. Es wurde Wert darauf gelegt, dass stets derselbe Berater ein und dieselbe Asylwerberin berät. Nach dem Vertrag musste der Dienstleistende an den Verfahren auch so mitwirken, dass es zu keiner Verzögerung kam und dafür regelmäßig anwesend zu sein (Pkt 4.3 des Vertrags). Der Berater machte von dem vertraglich zustehenden Vertretungsrecht keinen Gebrauch – warum der OGH dazu entgegen der sonstigen Judikatur erklärt, dass dies hier nichts für die Einordnung als Arbeitsverhältnis aussagt, verstehe wer will. Worin die besondere Freiheit des Beraters liegt, ist nicht ersichtlich. Es ist evident, dass die Einsatzplanung ganz nach den Bedürfnissen des Auftraggebers gestaltet war. Freilich reicht eine grundsätzliche Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Auftraggebers nicht aus, um einen Arbeitsvertrag anzunehmen (treffend Schrammel, ASoK 2016, 368). Im Grunde könnte der Arbeitsvertrag aber sehr wohl als jener Dienstleistungsvertrag umschrieben werden, der dem Auftraggeber die größtmögliche Berücksichtigung seiner Bedürfnisse erlaubt, weil dieser die Dienste jederzeit seinen Bedürfnissen anpassen kann.

4.
Fazit

würdig. Bindungen, die in der Natur der Sache liegen, wird man immer finden, wenn man will. Dienstleistende, die trotz fehlender Rechtspflicht regelmäßig arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ebenfalls. Das kann aber schon reichen, um aus dem Arbeitsrecht zu fallen, wie diese E zeigt. Dies ist umso bedauerlicher, als beide Ansätze (Natur der Sache und aus wirtschaftlichen Gründen nicht ausgeübtes Vertretungsrecht) mE dogmatisch verfehlt sind, jedenfalls aber überbewertet. Es gehört zu den größeren dogmatischen Fortschritten bei der Konkretisierung des AN-Begriffs, dass der Schleier der Vertragsgestaltung gelüftet wurde und nun verstärkt auf das tatsächlich gelebte Rechtsverhältnis geblickt wird. Eine solche Betrachtungsweise ist dem zwingenden Charakter und den Schutzzwecken des Arbeitsrechts geschuldet. Das sollte auch bei den dogmatischen Ansätzen des OGH beachtet werden. Bei beiden Ansätzen führt nämlich eine rein rechtliche Betrachtungsweise dazu, Bindungen bzw Abhängigkeiten für irrelevant zu erklären.

Als ich einem viel größeren Arbeitsrechtsinsider, als ich es bin, von dieser E berichtete, war seine spontane erste Frage, ob die Rechtsberatung von der öffentlichen Hand finanziert wird? Ja, wird sie. Und ja, wenn sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses stattfindet, ist sie wohl teurer. Aber nein, bis zum Beweis des Gegenteils möchte ich nicht glauben, dass dies eine Rolle spielt. Dh aber, nur die vom OGH ausdrücklich vorgebrachten Argumente zu würdigen und ernst zu nehmen, und nicht „verstehende“ oder sonst wohlwollende Lesarten des Urteils anzustellen. Einer solcherart kritischen Sicht hält das Urteil mE nicht stand.