22Voraussetzungen für eine Feststellungsklage gem § 54 Abs 2 ASGG – Abdingbarkeit der Nachwirkung bei Kündigung einer fakultativen Betriebsvereinbarung
Voraussetzungen für eine Feststellungsklage gem § 54 Abs 2 ASGG – Abdingbarkeit der Nachwirkung bei Kündigung einer fakultativen Betriebsvereinbarung
Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, denen bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen nicht die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses im Rahmen eines Feststellungsantrags nach § 54 Abs 2 ASGG, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind. Der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG muss der Prävention und der Prozessökonomie dienen.
Die Feststellung, dass es sich bei einer BV mit näher genannten Prämienkomponenten um eine solche iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG handelt und die Feststellung, dass die Rechtswirkungen gem § 32 Abs 3 ArbVG nach einer Kündigung einer BV iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG durch eine Vereinbarung zwischen dem BR und dem Betriebsinhaber nicht ausgeschlossen werden können, sind nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen gerichtet, sondern enthalten allgemein formulierte, abstrakte Rechtsfragen.
Ist eine Frage kein Streitpunkt zwischen den Parteien, liegt ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden Feststellung durch den OGH nicht vor.
Wird die Feststellung begehrt, dass eine BV auch nach der von der AG-Seite erklärten Kündigung entsprechend § 32 Abs 3 ArbVG für die von ihr erfassten AN weiterhin – bis zum Abschluss einer entsprechenden (kollektiven oder Einzel-)Vereinbarung – wirksam sein soll, liegt ein Feststellungsinteresse vor.
Nur für Fälle, in denen die Vertragsparteien einer fakultativen BV sich über ihre Geltungsdauer (und damit auch über eine spätere Nachwirkung nach einer Kündigung) nicht ausdrücklich geeinigt haben und sie durch eine einseitige Erklärung einer der beiden Parteien endet, sieht § 32 Abs 3 zweiter Satz ArbVG vor, dass die BV für die im Zeitpunkt ihres Erlöschens von ihr erfassten AN bis zum Abschluss einer neuen (kollektiven oder einzelvertraglichen) Vereinbarung weiter gelten soll.
Die Nachwirkung gem § 32 Abs 3 ArbVG ist auch im Falle von Kündigungen dispositiv.
Antragsteller und Antragsgegner sind kollektivvertragsfähige Körperschaften. Am 28.11.2012 wurde von einem dem gegnerischen Fachverband angehörenden AG mit dem zuständigen Arbeiter-BR für einen bestimmten Betriebsstandort die „Betriebsvereinbarung (BV) über die Umstellung der bestehenden Akkordentlohnung und akkordähnlichen Prämien im Leistungslohn auf das Zeitlohnsystem mit Zielgruppenprämienentlohnung für ArbeiterInnen
“ abgeschlossen. Von diesem Zielgruppenprämien-Modell waren alle im Teilprozess der Produktion beschäftigten AN, die bisher im Akkord entlohnt wurden oder akkordähnliche Prämien erhielten, und die Staplerfahrer in der Produktion erfasst; ausgenommen waren Führungskräfte und Einsteller. Prämienrelevant war danach „nicht die Einzelleistung der einzelnen ArbeitnehmerInnen, sondern die sich aus den Einzelleistungen ergebende Teamleistung der gesamten Zielgruppe innerhalb des jeweiligen Abrechnungszeitraums
“. Im Einzelnen wurden näher bezeichnete Teilprozesse, die bisher im Akkord oder durch eine akkordähnliche Prämie entlohnt wurden, „aus den derzeit beim Dienstgeber definierten Teilprozessen anhand der aktuellen Organisationsstruktur
“214 abgeleitet.
Durch Ergänzungen vom Juli 2013 und Juni 2014 wurden die Parameter für die Prämien angepasst.
Dieses Zielgruppenprämien-Modell war in die Quantitätskomponente (zur Mengenberechnung) und die Qualitätskomponente (in der Fehler bzw Reklamationen berücksichtigt und in unterschiedliche Prioritäten eingeordnet wurden) unterteilt. Die höchste monatliche Prämie, die ein AN verdienen konnte, setzte sich je zur Hälfte aus der maximal erreichbaren Qualitäts- und der höchsten Quantitätskomponente zusammen. Beim qualitativen Anteil an der Prämie konnten prämienrelevante Fehler einzelner AN zu einer Reduktion der Prämie für die gesamte Zielgruppe (und damit auch für andere AN) führen. Grundlage für die Mengenkomponente waren bestimmte „Zeitgradziele“, wobei die Mengenberechnung letztlich anhand der durch die jeweilige Zielgruppe im jeweiligen Zeitraum abgelieferten Mengen an Halb- und Fertigteilen zu errechnen war.
Die BV vom 28.11.2012 enthielt ua folgende Bestimmung: „Diese BV tritt mit 1.1.2013 in Kraft und ersetzt die bisherige BV über Leistungsentlohnung vom 19.1.1995. Es gelten hinsichtlich Beendigung im Weiteren die Bestimmungen des § 96 Abs 2 ArbVG, wonach eine Kündigung von jedem der Vertragspartner jederzeit unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zu jedem Monatsende schriftlich erfolgen kann. Die Vertragsparteien vereinbaren als ersten möglichen Kündigungstermin den 31.12.2013. Im Fall einer Kündigung entfällt das Zielgruppenprämien-Modell zur Gänze [...].
“
Der Betriebsinhaber teilte dem Arbeiter-BR mit Schreiben vom 29.9.2015 mit, dass er die BV über die Zielgruppenentlohnung vom 28.11.2012 sowie die dazugehörenden Ergänzungen zum 31.12.2015 kündigt und dass das Zielgruppenprämien-Modell nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Gänze entfällt. Seit Jänner 2016 wurden keine Prämien iSd BV mehr ausbezahlt.
Der Antragsteller, der Österreichische Gewerkschaftsbund, begehrte, der OGH möge feststellen, dass
1. es sich bei einer BV (Zielgruppenprämien-Modell) mit den Prämienkomponenten Quantität und Qualität, welche je zur Hälfte die Höhe der Prämie beeinflussen können, um ein leistungs- und erfolgsbezogenes Prämiensystem iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG handle;
2. nach Erlöschen der BV über ein Zielgruppenprämien-Modell durch Kündigung die unmittelbar vor ihrem Erlöschen durch sie erfassten AN bei Erfüllung der Voraussetzungen der Prämienzahlung weiterhin Anspruch auf Bezahlung dieser Prämie haben und dieser Anspruch bestehe, solange für diese Arbeitsverhältnisse nicht eine neue BV wirksam oder mit den betroffenen AN nicht eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen werde;
3. die Rechtswirkung einer BV gem § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG nach ihrem Erlöschen durch Kündigung (§ 32 Abs 3 ArbVG) durch eine Vereinbarung zwischen dem BR und dem Betriebsinhaber nicht ausgeschlossen werden kann.
Die BV vom 28.11.2012 sei als solche gem § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG zu qualifizieren und daher wirke sie gem § 32 Abs 3 ArbVG nach. Nach der E des OGH zu 9 ObA 111/07z sei für die Abgrenzung zwischen akkordähnlicher und sonstiger Prämie das Überwiegen der quantitativen Elemente maßgeblich. Hier würden diese Elemente nicht überwiegen. Außerdem enthalte der anzuwendende KollV für die * Industrie in Abschnitt XIII Pkt 14 eine Definition der akkordähnlichen Prämie; danach gelte eine Prämie nur dann als akkordähnlich, wenn die anderen Merkmale nur von geringer Bedeutung (maximal ein Viertel der Prämienvorgabe) im Vergleich zu quantitativen Elementen seien. Auch danach liege hier keine akkordähnliche Prämie vor.
Der Antragsgegner äußerte sich zu diesem Antrag zusammengefasst dahin, dass er keine abstrakte arbeitsrechtliche Frage enthalte, weil die BV nur in einem bestimmten Betrieb gegolten habe und daher nur in diesem relevant sein könne. Außerdem sei die Kündigung im Rahmen eines für das Unternehmen wirtschaftlich erforderlichen Restrukturierungsprogramms erfolgt. Mit den betroffenen Mitarbeitern seien neue Einzelvereinbarungen getroffen worden, die jedenfalls eine allfällige Nachwirkung beendet hätten. Der anzuwendende Arbeiter-KollV regle in Art 12 die Akkordarbeit und in Art 13 die akkordähnliche Prämie sowie die sonstige Prämienarbeit. Die Parteien der BV seien übereingekommen, dass eine fakultative BV abgeschlossen werde, die nicht eine akkordähnliche Entlohnung betreffe. Es sei außerdem der gleichlautende Wunsch beider Betriebsparteien gewesen, eine nachwirkungslose Beendigungsmöglichkeit zu vereinbaren.
Die BV vom 28.11.2012 stelle nur eine Durchführungsregelung auf Betriebsebene dar, aus der sich die effektive Lohngestaltung ergebe. Hier hätten die Parteien daher zulässig und wirksam eine Nachwirkung ausgeschlossen.
Rechtliche Beurteilung
Zu diesem Feststellungsantrag hat der OGH Folgendes erwogen:
1. Gem § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der AG und der AN im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der AN bzw der AG beim OGH einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei AG oder AN von Bedeutung ist. Gem § 54 Abs 4 ASGG hat der OGH über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden (RIS Justiz RS0085712).
Der vorliegende Feststellungsantrag, der eine BV zum Gegenstand hat, die unstrittig mehr als drei AN betrifft, ist daher grundsätzlich zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.
2. Ein Feststellungsantrag gem § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststel-215lungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. Danach kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung besteht. Dieses rechtliche Interesse ist vom OGH auf der Grundlage des vom Antragsteller zu behauptenden Sachverhalts, der auch auf das rechtliche Interesse Bezug nehmen muss, von Amts wegen zu prüfen. Sein Fehlen führt nach stRsp zur Abweisung des Antrags (9 ObA 87/12b mwN). Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, denen bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses auch im Rahmen eines Feststellungsantrags nach § 54 Abs 2 ASGG nicht, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind (RIS Justiz RS0109383). Der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG muss ebenso wie eine Feststellungsklage der Prävention und der Prozessökonomie dienen. Insofern unterscheidet sich das Modell des besonderen Feststellungsverfahrens nach § 54 Abs 2 ASGG von einer reinen Gutachtertätigkeit (9 ObA 131/10w mwN; RIS-Justiz RS0109383). [...]
Hier sind die Pkte 1 (Feststellung, dass es sich bei einer BV mit näher genannten Prämienkomponenten um eine solche iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG handle) und 3 des Feststellungsantrags (Feststellung, dass die Rechtswirkungen gem § 32 Abs 3 ArbVG nach einer Kündigung einer BV iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG durch eine Vereinbarung zwischen dem BR und dem Betriebsinhaber nicht ausgeschlossen werden können) nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen gerichtet, sondern enthalten allgemein formulierte, abstrakte Rechtsfragen. In diesen beiden Punkten hat der Antragsteller daher kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, weshalb sein Antrag insoweit abzuweisen ist (RIS-Justiz RS0037479 [T2]; RS0085635 [T6]). Die Qualifikation des von den Parteien gewählten Zielgruppenprämien-Modells als bloß fakultative BV iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG (Pkt 3 des Antrags) ist im Übrigen kein Streitpunkt, denn diese Qualifikation wird vom Antragsgegner nicht in Zweifel gezogen. Ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden Feststellung durch den OGH liegt daher auch aus diesem Grund nicht vor.
3. Pkt 2. des Feststellungsantrags bezieht sich erkennbar auf die BV der Streitteile vom 28.11.2012, auch wenn der Antrag auch in diesem Punkt nicht konkret auf diese BV bezogen formuliert ist („[...] eine BV über ein Zielgruppenprämien-Modell“). Begehrt wird damit aber erkennbar die Feststellung, dass diese BV über das von den Parteien im Jahr 2012 beschlossene Zielgruppenprämien-Modell auch nach der von der AG-Seite erklärten Kündigung entsprechend der Bestimmung des § 32 Abs 3 ArbVG für die von ihr erfassten AN weiterhin – bis zum Abschluss einer entsprechenden (kollektiven oder Einzel-)Vereinbarung – wirksam sein soll.
Die Auslegung der Vereinbarung, nach der durch die Formulierung, dass die Vereinbarung im Fall ihrer Kündigung „zur Gänze entfällt“ (auch ohne eine Bezugnahme auf § 32 Abs 3 ArbVG) eine Nachwirkung ausgeschlossen werden soll, wird von beiden Parteien nicht angezweifelt.
Zu der Frage, ob die gesetzliche Anordnung der Nachwirkung gem § 32 Abs 3 ArbVG zwingend ist, oder ob die Partner der BV die im Gesetz angeordnete Nachwirkung für den Fall der Kündigung in ihrer Vereinbarung wirksam ausschließen können, sind unterschiedliche Lehrmeinungen vorhanden: Kietaibl (in
Auch nach Marhold (Nachwirkung zwingender Betriebsvereinbarungen?RdW 1989, 367 [368]) spricht nichts dagegen, den Ausschluss der Nachwirkung fakultativer Betriebsvereinbarungen auch für den Fall einer Kündigung durch den Betriebsinhaber zu vereinbaren.
Pfeil (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht § 32 Rz 23) ist hingegen der Auffassung, die Fälle der einvernehmlichen Festlegung einer Befristung einer fakultativen BV seien mit der einseitigen Beendigung durch eine der Parteien nicht vergleichbar und die Anordnung der Nachwirkung (§ 32 Abs 3 ArbVG) sei als solche nicht disponibel, sondern zwingend.
Jabornegg (Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung, DRdA 2012, 295 [305 f]) meint, die Argumentation der Lehre, die einen Ausschluss der Nachwirkung bei Kündigung zulasse, gehe am Zweck der Bestimmung vorbei, der gerade für den Fall einseitiger Beendigung darin bestehe, der kalkulierten Herbeiführung eines betriebsvereinbarungslosen Zustands durch einen der Vertragspartner den Anreiz und allfälligen länger dauernden Neuverhandlungen den Zeitdruck zu nehmen. In den Fällen der einvernehmlichen Aufhebung oder der Befristung sei die Geltungsdauer selbst einvernehmlich begrenzt und nicht durch einseitige Willenserklärung einer Partei der BV bestimmt. Strasser (in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG1 § 32 Rz 10) behandelt die Frage der Zulässigkeit einer Vereinbarung der Betriebspartner über die angeordnete Nachwirkung nicht ausdrücklich, geht aber erkennbar ebenfalls von einer zwingenden Anordnung aus.
Der erkennende Senat schließt sich jenen Lehrmeinungen an, die eine zulässige Parteiendisposition (auch) für die Nachwirkung einer fakultativen BV nach § 32 Abs 3 ArbVG befürworten.216
Inhalt einer BV kann nur sein, was durch Gesetz oder KollV der Regelung durch BV überantwortet wurde (§ 29 ArbVG; RIS-Justiz RS0050981). Betriebsvereinbarungen in den Angelegenheiten des § 96 Abs 1 ArbVG können – soweit die Parteien keine Regelung über ihre Geltungsdauer festgelegt haben – jederzeit ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden; eine Nachwirkung iSd § 32 Abs 3 ArbVG schließt das Gesetz für diese zustimmungspflichtigen Maßnahmen (notwendige Betriebsvereinbarungen) ausdrücklich aus (§ 96 Abs 2 ArbVG).
In den Angelegenheiten des § 97 Abs 1 Z 7 bis 26 ArbVG (fakultative Betriebsvereinbarungen) können die Parteien eine BV abschließen; ein Abschluss kann in diesen Materien aber von keiner der beiden Betriebspartner erzwungen werden (Reissner in ZellKomm2 § 97 ArbVG Rz 12).
Die Bestimmung des § 32 ArbVG räumt den Vertragsparteien fakultativer Betriebsvereinbarungen jede Möglichkeit ein, eine solche Vereinbarung für eine bestimmte Zeit zu befristen oder jederzeit einvernehmlich zu beenden. Auch eine (schriftliche) Kündigung ist jederzeit (mangels gesonderter Regelung durch die Vertragsparteien mit einer dreimonatigen Frist) möglich (§ 32 Abs 1 ArbVG). Die Rechtswirkungen der fakultativen BV enden mit deren Erlöschen (§ 32 Abs 3 erster Satz ArbVG). Nur für die Fälle, in denen die Vertragsparteien einer fakultativen BV sich über ihre Geltungsdauer (und damit auch über eine spätere Nachwirkung nach einer Kündigung) nicht ausdrücklich geeinigt haben und sie durch eine einseitige Erklärung einer der beiden Parteien endet, sieht § 32 Abs 3 zweiter Satz ArbVG vor, dass die BV für die im Zeitpunkt ihres Erlöschens von ihr erfassten AN bis zum Abschluss einer neuen (kollektiven oder einzelvertraglichen) Vereinbarung weiter gelten soll.
Die Nachwirkung gem § 32 Abs 3 ArbVG ist daher dispositiv. Die Betriebspartner können beim Abschluss einer fakultativen BV zulässig und wirksam vereinbaren, dass deren Rechtswirkungen (auch) im Fall einer Kündigung mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Vereinbarung enden.
Damit kommt letztlich auch dem zweiten Punkt des Feststellungsantrags keine Berechtigung zu, weil die Parteien hier eine Nachwirkung für den Fall der Kündigung der BV durch eine der Vertragsparteien wirksam ausgeschlossen haben.
Die E greift zwei Probleme auf: Welche näheren Anforderungen sind für das im Feststellungverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG erforderliche Feststellungsinteresse zu beachten: Dabei geht es um eine ausreichend konkrete Anbindung an einen manifesten arbeitsrechtlichen Konflikt. Eine allgemeine „Gutachterrolle“ ist bei Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG nicht vorgesehen. Das Gericht verfolgt hier die bewährte, allseits anerkannte Linie. Die Lösung überzeugt.
Die zweite Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Dazu lag bisher nur eine kontroverse Diskussion im Schrifttum vor. Es ist daher grundsätzlich zu begrüßen, dass die Frage, ob die in § 32 Abs 3 ArbVG angeordnete Nachwirkung der BV im Falle einer Kündigung durch die Betriebsparteien abgedungen werden kann, nunmehr durch das Höchstgericht entschieden wurde. Das Ergebnis ist enttäuschend. Es ist inhaltlich verfehlt und erreicht hinsichtlich der Begründung kein akzeptables Niveau. Es handelt sich um eine Frage von erheblicher praktischer wie theoretischer Bedeutung. Umso mehr erstaunt der magere Begründungsaufwand. Das Gericht bejaht den dispositiven Charakter der Anordnung des § 32 Abs 2 ArbVG. Eine Auseinandersetzung mit den doch gehaltvollen Gegenmeinungen erfolgt nicht einmal in Ansätzen. Es genügt nicht, sich einfach einer der in der Lehre vertretenen Positionen anzuschließen. Aussagen in Bezug auf die Rechtswirkungen von Gestaltungsinstrumenten würden sich ein hohes Ausmaß an dogmatischer Analyse verdienen. Dem hat sich das Gericht im zweiten Teil seiner Ausführungen verweigert.
Das von § 54 Abs 2 ASGG geforderte Feststellungsinteresse hat das Höchstgericht nur hinsichtlich einer der drei beantragten Fragestellungen bejaht. Ob die BV über das gegenständliche Zielgruppenprämien-Modell auch nach der von der AG-Seite erklärten Kündigung entsprechend der Bestimmung des § 32 Abs 3 ArbVG für die von ihr erfassten AN weiterhin, dh bis zum Abschluss einer entsprechenden (kollektiven oder Einzel-)Vereinbarung, wirksam sein soll, erachtete der OGH zu Recht als feststellungsfähig. Hingegen wurden die beiden anderen Fragen, der bisherigen Rsp folgend, als nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen gerichtet angesehen. Die Feststellungswünsche des Antragstellers bezogen sich hier – mag sein etwas übermotiviert – auf allgemein formulierte, abstrakte Rechtsfragen. In solchen Fällen wird dem Zweck des § 54 ASGG nicht Rechnung getragen, durch Testverfahren eine streitvermindernde Wirkung auf die Ansprüche der betroffenen AG und AN zu erzielen. Das besondere Feststellungsverfahren ist ein Instrument der Prozessökonomie. Das rechtliche Interesse muss sich unmittelbar aus dem streitigen Rechtsverhältnis ergeben und die Klage muss geeignet sein, die Beeinträchtigung der Rechtssphäre durch den Gegner zu verhindern oder zu beenden. Erforderlich ist also ein unmittelbarer aktueller Anlass zur Klageführung. Nach diesen Regeln konnten die Fragen 1 und 3 nicht als feststellungsfähig anerkannt werden. Das Gericht hat richtig erkannt, dass die erforderliche streitvermeidende Funktion bezogen auf ein konkretes Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen nur hinsichtlich der Frage 2 bestand. Außerdem war die Qualifizierung der BV als eine fakultative zwischen den Parteien nicht umstritten. Den Ausführungen des Gerichts zur Frage des Feststellungsinteresses ist somit zur Gänze beizupflichten.217
Zur Frage der Abdingbarkeit der Nachwirkung im Falle der Kündigung fakultativer Betriebsvereinbarungen bestehen in der Lehre zwei Positionen. Kietaibl (in
Sucht man nach einem gemeinsamen Nenner für die Zulässigkeit von Vereinbarungen, die bei Kündigungen die Nachwirkung ausschließen, so muss man sich mit dem Hinweis begnügen, dass die Nachwirkung durch Befristung bzw einvernehmliche Aufhebung der BV ausgeschlossen werden kann. Daraus wird ein generelles Dispositionsrecht der Betriebsparteien über die Nachwirkung bei fakultativen Betriebsvereinbarungen abgeleitet. Der OGH hat dieses Kernargument in dankenswerter Weise kompakt zusammengefasst: Nur für Fälle, in denen sich die Vertragsparteien einer fakultativen BV über deren Geltungsdauer und damit auch über eine spätere Nachwirkung nach einer Kündigung nicht ausdrücklich geeinigt haben (Hervorhebung des Rezensenten) und sie durch eine einseitige Erklärung einer der beiden Parteien endet, sehe § 32 Abs 3 zweiter Satz ArbVG vor, dass die BV bis zum Abschluss einer neuen (kollektiven oder einzelvertraglichen) Vereinbarung weiter gelten soll. Daher sei die Nachwirkung gem § 32 Abs 3 ArbVG dispositiv.
Das klingt vorerst logisch, der Denkfehler ist aber offensichtlich. Ungenauer kann man den Gesetzestext nicht lesen. Ein Ergebnis contra legem kann man nicht besser wie auf einem Silbertablett servieren. Der Entfall der Nachwirkung ist bekanntlich ausschließlich an zwei Beendigungsformen geknüpft. Bei Kündigungen sieht das Gesetz explizit keinen Entfall der Nachwirkung durch eine „Einigung der Vertragsparteien“ vor. Wie um Himmels Willen kann man aus den beiden anders gelagerten Beendigungsarten ein uneingeschränktes Dispositionsrecht über die Nachwirkung ableiten? Das Recht auf generelle Vereinbarungen betreffend die Nachwirkung ist leider nicht mehr als eine schlichte Erfindung. Das ist keine denkmögliche Auslegung mehr, hier wird dem Gesetz der gebotene Respekt verweigert. Jabornegg hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich dabei im Prinzip um klare und einfache Vorschriften handelt. Hier besteht keinerlei Spielraum für Auslegungskünste. Die Meinung des OGH müsste sich angesichts der klaren Regelung des Gesetzes zumindest auf schlüssige Argumente für eine teleologisch unterfütterte Analogiefähigkeit der Regelung bei Befristung und einvernehmlicher Auflösung stützen können.
Das kann nicht gelingen. Vor allem ist hier die in ihrem Kern allseits anerkannte Theorie der zweiseitig zwingenden Wirkungen des ArbVG zu nennen. Abgesehen von den jüngst von Felten (Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz [2015] insb 396 ff) kritisierten Überinterpretationen besteht Übereinstimmung darüber, dass die Anordnungen des ArbVG, hier betreffend die Wirkungen von Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, durch KollV, BV oder Arbeitsvertrag nicht abänderbar sind. Das muss vor allem für so sensible Regelungen wie die Bestimmung der Wirkungsweise von Normen, unter Einschluss von etwaigen Wirkungen nach deren Erlöschen, gelten. Die Wirkungen von Normen der kollektiven Rechtsgestaltung gehören zu den zentralen Strukturnormen des ArbVG. Fragen wie die, ob der Günstigkeitsbereich ausgeschlossen werden kann oder ob den Kollektivvertrags- oder Betriebsvereinbarungsnormen auch dispositive Wirkungen zuerkannt werden können, regeln die Reichweite und Grenzen der normativen Gestaltungsmacht. Entscheidend ist dabei, dass der Gesetzgeber bei der Ausformung der Wirkungen von Normenverträgen sehr problembewusst, erstaunlich gezielt und mit feinsten Differenzierungen gearbeitet hat. Das zeigt sich in besonders auffälliger Weise bei der Ausgestaltung des Nachwirkungsproblems bei Betriebsvereinbarungen. Es bestehen hier mehrere Modelle, für die sich das Gesetz ganz offensichtlich auf der Basis nachvollziehbar rationaler Überlegungen entschieden hat: Das Modell des § 96 ArbVG (keine Nachwirkung), das Modell der erzwingbaren Betriebsvereinbarungen (vgl § 32 Abs 2 ArbVG) und eben das mit Sonderregeln für Kündigungen operierende Modell bei den fakultativen Betriebsvereinbarungen.
Der OGH könnte seine Hypothese nur retten, wenn er den Nachweis erbringt, dass sich der Gesetzgeber hier in krasser Weise vertan hat. Das wäre der Fall, wenn ein teleologischer Hintergrund für die unbedingt-zwingende Anordnung der Nachwirkung bei Kündigungen nicht erkennbar ist. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Gründe für eine nachvollziehbare Ratio der gesetzlichen Regelung hat Jabornegg (Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung, DRdA 2012, 295 [305 f]) umfassend erläutert: Es sei Zweck der Bestimmung, für den Fall einseitiger Beendigung der kalkulierten Herbeiführung eines betriebsvereinbarungslosen Zustands durch einen der Vertragspartner den Anreiz und allfälligen länger dauernden Neuverhandlungen den Zeitdruck zu nehmen. In Fällen der einvernehmlichen Aufhebung oder der Befristung sei hingegen die Geltungsdauer selbst einvernehmlich begrenzt und nicht durch einseitige Willenserklärung einer Partei der BV bestimmt. Für Jabornegg handelt es sich um eine sozialpolitisch wichtige Schutznorm. Es sei daher sachwidrig, sie schlicht und einfach für vorweg verzichtbar anzusehen. Er weist die zentralen Unterschiede zu den beiden nachwirkungsfreien Beendigungsformen nach: Bei Befristung wird die Geltungsdauer der BV einvernehmlich begrenzt und nicht durch einseitige Willenserklärung einer Betriebsvereinbarungspartei bestimmt. Im Falle der einvernehmlichen Aufhebung der BV ist der bei-218derseitige Auflösungswille aktuell gegeben und nicht wie bei der Kündigung einseitig bestimmt. Ließe man auch für den Kündigungsfall einen Ausschluss der Nachwirkung zu, so würde diese ohne den Vorteil einer bestimmten Bindungsdauer der BV und ohne einen bei Beendigung vorhandenen aktuellen einvernehmlichen Auflösungswillen der Betriebsvereinbarungsparteien entfallen. Auch Pfeil (in
Die E bewegt sich auf der leider in gespenstischer Regelmäßigkeit auftauchenden Linie von Rsp und Teilen der Lehre, die intendierte Ordnungswirkungen des ArbVG bei der Anordnung der Wirkungen von Normenverträgen nicht ernst genug nehmen und ihre spezifische arbeitsverfassungsrechtliche Funktionalität nicht erkennen. Zu nennen ist hier die unselige Rsp zur Zulässigkeit von dispositiven Kollektivvertragsnormen (wohl auch Betriebsvereinbarungsnormen), die einen schweren Eingriff in die Kartellfunktion der kollektiven Rechtsgestaltung, einer ganz zentralen Funktion des Systems der zwingenden Normenverträge, darstellt (OGH4 Ob 25/78
Zusammenfassend kann nur festgestellt werden, dass sich der OGH auf die besondere Ratio der Nachwirkung bei Kündigungen einer fakultativen BV nicht eingelassen hat. Er hat – ohne auf die Gegenmeinungen auch nur ansatzweise einzugehen – dem Gesetz eine allgemeine Dispositionsbefugnis der Betriebsparteien über die Nachwirkung unterstellt. Damit wurde eine zentrale Ordnungs- und Schutznorm des ArbVG eliminiert. Wir stehen damit vor dem unerfreulichen Ergebnis, dass Betriebsinhaber bei fakultativen Betriebsvereinbarungen, bei denen die Belegschaft bekanntlich über keine rechtlich verankerten Durchsetzungsmöglichkeiten verfügt, nunmehr generell nachwirkungsfreie Regelungen aufzwingen können. Lassen wir dazu den gegenständlichen Sachverhalt im Lichte der OGH-Meinung für sich sprechen: BV gekündigt, Prämien in Luft aufgelöst, Neuverhandlungen eher aussichtlos. War das vom ArbVG so gewollt?