Zur Geschichte der Laiengerichtsbarkeit im Arbeitsrecht

KLAUS-DIETERMULLEY

1997, anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Inkrafttretens des ASGG am 1.1.1987, erläuterte Kuderna* in dieser Zeitschrift rechtshistorisch die „Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Österreich“ und orientierte sich an dem über ein Jahrzehnt davor erschienenen Aufsatz von Machacek,* der in Anlehnung an Kolroß* und Machek* einen kurzen historischen Überblick über die Einrichtung von Gewerbegerichten in Österreich bot. Jüngst widmete Kozak* der Geschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit ein instruktives, mit Grafiken über deren Organisation veranschaulichtes Kapitel in seiner Dissertation. Den genannten rechtshistorischen Arbeiten ist allerdings gemeinsam, dass sie die politischen Überlegungen, die zur Gründung und personellen Zusammensetzung von Gewerbe- respektive Arbeitsgerichten führten, nur am Rande behandeln. Als Historiker werde ich mich in diesem kurzen Überblick, unter Ausklammerung der kollektivvertraglichen Streitigkeiten, auf einige wesentliche, bislang weitgehend weniger bekannte, jedoch vor allem für die Genese der Laiengerichtsbarkeit in der arbeitsrechtlichen Rsp politisch relevante und bedeutsame Punkte beschränken.*

Die Arbeitsgerichtsbarkeit verdankt bekanntlich ihre Entstehung der Industrialisierung und der Herausbildung der freien Lohnarbeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sozialhistorisch und rechtsgeschichtlich lässt sie sich jedoch zur Zunftgerichtsbarkeit zurückverfolgen.* Die Zünfte waren vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das zentrale Element der Wirtschaftsordnung.* Zunftordnungen, die besonders dann im 18. Jahrhundert der Genehmigung durch den Grund- oder Landesherren bedurften, regelten auch das Streitbeilegungsverfahren zwischen Meistern und Gesellen.* Das genossenschaftliche Selbstverständnis der Zünfte war auf Autonomie und gegen die Unterwerfung unter staatliche Gerichte angelegt. Neben Zusammenkünften der Meister gab es vielerorts auch Gesellenversammlungen, die Vertreter für Verhandlungen mit den Meistern wählten. Doch mit der Zurückdrängung der Zünfte durch eine liberale merkantile Wirtschaftspolitik und der steigenden Anzahl von Lohnarbeitern in Fabriken und Manufakturen sowie der im Rahmen der Staatsbildung einhergehenden Verrechtlichung des Untertanenverhältnisses trat der individuelle Arbeitsvertrag in den Mittelpunkt. Allerdings orientierte sich das ABGB 1811 in seinen §§ 1151-1174 wohl noch an den Dienstbotenordnungen, zumal es „den Arbeiter“ iS eines seine Arbeitskraft zur Verfügung Stellenden sowie eines Klassenbegriffes nicht kannte.* Mit Pribram kann somit festgestellt werden, dass – soweit nicht für AN noch Zunftstatuten in Geltung standen – bis zur Erlassung der Gewerbeordnung (GewO) von 1859 „die Verhältnisse zwischen den Hilfsarbeitern und ihrem Arbeitgebern im Wesentlichen durch Polizeivorschriften geregelt“ waren.* In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass es zu jener Zeit – der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – nach dem Vorbild der 1806 in Lyon und ab 1809 in weiteren Städten Frankreichs errichteten „Rat der Gewerbesachverständigen“ (conseil de prud`hommes) bereits in mehreren Regionen Deutschlands „Fabriksgerichte“ als Institutionen zur Streitbeilegung gab.* Bestand der „Rat der Gewerbesachverständigen“ paritätisch aus gewählten Vertretern der AN und AG, so waren die „Fabriksgerichte“ oder „Fabrikendeputationen“ meist staatliche Gerichte, zu welchen Fabrikskommissare und Sachverständige herangezogen wurden. Wie Pressemeldungen der 1840er-Jahre zeigen, waren die Gewerbegerichte in Frankreich und Deutschland der österreichischen Administration sowie der bürgerlichen Öffentlichkeit bekannt.*

In Österreich schien sich erst durch die Revolution von 1848, die nicht nur eine bürgerliche, sondern vielfach ein verzweifelter Aufschrei einer unterdrückten Arbeiterklasse war,* zumindest kurzfristig das Verhältnis von der bislang einzig vorhan-227denen Verhandlungsmacht des Staates und der AG gegenüber der kollektiven Gegenmacht der AN zu ändern: Streiks und Demonstrationen verunsicherten die Fabrikanten. So gelang es den Arbeitern der Seidenindustrie Wiens, am 28.3.1848 mit den Industriellen einen Vertrag abzuschließen, in dem die Einrichtung von paritätisch von AN und AG besetzten „Schiedsgerichten“ gefordert wurde.* Die „Einführung von Gewerbeschiedsgerichten“ gehörte auch zum Forderungsprogramm des „Wiener Arbeitervereins“, der bekanntlich 1848 die Einberufung eines „Arbeiterparlaments“ betrieb, zu dem es aber infolge der Oktoberereignisse nicht kam.* Auch in der in Frankfurt zu jener Zeit tagenden Nationalversammlung wurden von Abgeordneten „Schiedsgerichte“ gefordert.* Während die Frankfurter Nationalversammlung diese Forderung nicht umsetzte, sah die preußische Gewerbegerichtsverordnung vom 9.2.1849 für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen AN und AG die nahezu gleichgewichtige Repräsentation von AN und AG als „Beisitzer“ vor.* Lückenhafte Verfahrensregeln und der Anfall von Kosten vereitelten einen Erfolg dieser Gewerbegerichte.*

In der Habsburgermonarchie regierte jedoch nach der Niederschlagung der Revolution der Neoabsolutismus, der alle Regungen der Arbeiterschaft verbot und Verabredungen zur solidarischen Interessendurchsetzung unter Strafe stellte. Erst nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen 1866 und dem Ausgleich mit Ungarn kam es in der cisleithanischen Reichshälfte durch ein Zweckbündnis zwischen der klerikalen Staatsmacht, liberalen Wirtschaftstreibenden und einer aufgeschlossenen Administration sukzessive zu ersten Reformen.

Doch bereits einige Jahre vorher „unter dem Kanonendonner von Magenta und Solferino hielt der Liberalismus in Österreich seinen Einzug, freilich nicht als Sieger nach gewonnener Schlacht, sondern als unterthäniger Hausgeist, den man zu Hilfe ruft, wenn man seine Dienste nicht entbehren kann“.* Durch die GewO 1859,* die nach Weidenholzer als „Kompromiß der Interessen des liberalen Bürgertums mit traditionellen Interessen der etablierten Führungsschichten und des von der Kirche unterstützten Kleinbürgertums“ anzusehen ist,* kam es noch unter neoabsolutistischer Herrschaft zu ersten Schutzvorschriften für AN* und zur Normierung eines Streitbeilegungsverfahrens in den – zur Aufhebung der Zünfte – nun angeordneten Gewerbegenossenschaften. Für die Lösung arbeitsrechtlicher Konflikte war der Gewerbevorstand zuständig, dem von der Behörde eine Anzahl von Gehilfen beigestellt wurde. Das bedeutete für die zu bildenden gewerblichen Zwangsgenossenschaften de facto die Übernahme des in einigen Zunftordnungen festgelegten internen Streitbeilegungsverfahrens. Damit hielten zwar erstmals gewisse Aspekte der „Laiengerichtsbarkeit“ für einen Teil der Wirtschaft Eingang in die österreichische Gesetzgebung, doch befriedigend war diese Lösung nicht, da Bezirksämter bzw Bezirksgerichte weiterhin für Streitangelegenheiten zwischen AN und AG in industriellen Betrieben zuständig waren* und die gewerbegenossenschaftlichen Schiedsgerichte, die als Vergleichskommissionen und anschließend als Spruchbehörden zu agieren hatten – wenn sie überhaupt zusammentraten –, weitgehend von den AG dominiert wurden. So etwa musste der Reichsratsabgeordnete Andreas Fetz 1869 feststellen, dass „die Art der Constituierung jener Gerichte die Interessen der Streittheile aus dem Arbeiterstande nicht befriedigen konnte“.*

Nach der Wiedereinberufung des Reichsrates 1867 und der Erlassung eines Vereinsrechtes* legte die Regierung, die sich zunehmend mit einer regen Versammlungstätigkeit der Arbeiterschaft konfrontiert sah und wohl diese „soziale Unruhe“ eingedämmt haben wollte, nach Studien der französischen „Conseils de prud‘hommes“, auf Insistieren einiger Handels- und Gewerbekammern 1869, ein Gewerbegerichtsgesetz (GewGG) dem Reichsrat zur Beschlussfassung vor, welches die bisherige Zuständigkeit der politischen Behörden oder der ordentlichen Gerichte für Streitfälle zwischen AN und AG zum Teil beseitigte.* Kaiser Franz Joseph begrüßte das Gesetz in seiner Thronrede am 15.5.1869 enthusiastisch: „Das Gesetz über die Gewerbegerichte wird auch bei uns eine Institution schaffen, die sich in anderen Ländern bewährte, es bezeichnet zugleich den Anfang der Legitation im Interesse der arbeitenden Klassen der Bevölkerung.*

Wenn auch dieses erste genuin arbeitsgerichtliche Gesetz „sozialen Frieden“ auf individualistischer Ebene zum Ziel hatte, blieb es für die Arbeiterschaft ein Torso, der letztlich nicht befriedigen konnte. Allerdings bestimmte es die Zusammensetzung der Gewerbegerichte zur Hälfte aus AG und AN, die in eigenen Wahlkörpern zu wählen waren. Diese ersten Gewerbegerichte waren somit reine Laiengerichte, die in einer „Vergleichskommission“, bestehend aus vier Mitgliedern und einer „Spruchkommission“, welche sechs bis acht Mitglieder zählte, zu tagen hatten. Kam in der Vergleichskommission keine Einigung zu Stande, so sollte in der Spruchkommission entschieden werden. Erstmals wurde auch definiert, um welche Streitsachen es sich handeln sollte. Zuständig waren die Gewerbegerichte für Streitgegenstände, die sich aus dem228Lohn, der Auflösung der Dienstverhältnisse, aus Entschädigungs- und Ersatzansprüchen sowie aus Ansprüchen aus Pensions-, Kranken- und anderen Kassen bezogen, die von AG und AN finanziert wurden. Die Gewerbegerichte galten für fabrikmäßig betriebene Gewerbe. In der Debatte im Herrenhaus des Reichstages wurden die Für und Wider eines reinen Laiengerichts abgewogen: So etwa wurde bemerkt, „daß die Bevölkerung unserer Länder bißher wenig Zutrauen selbst bloß zu den von ihren Standesgenossen ausgehenden Sühneversuchen und gar zu einer von denselben vorzunehmenden schiedsgerichtlichen Entscheidung kund tut“ und ihr im Übrigen weitgehend die entsprechende Bildung sowie Rechtseinsicht fehle. Andererseits musste zugegeben werden, dass „der Arbeiterstand auf Durchsetzung seiner Ansprüche und Rechte gegenüber den mächtigeren Arbeitgebern fast regelmäßig (...) zu verzichten genöthigt ist (...)“. Die Laienrechtsprechung wurde damit begründet, dass es „nur selten auf eigentlich Rechts- und Gesetzeskenntnisse, sondern in der Regel auf die Beurteilung tatsächlicher Verhältnisse (...) ankommen wird.* Wohl infolge der den Gemeinden und nicht dem Staatsschatz zugewiesenen Kosten für die Errichtung und Führung von Gewerbegerichten kam es nur in Wien (jeweils für die Metall- und Textilindustrie), Brünn und Bielitz zur Errichtung von Gewerbegerichten.* Ihre sachliche Zuständigkeit war stark eingeschränkt. Sie erstreckte sich auf bestimmte Streitigkeiten, sofern diese während des aufrechten Arbeitsverhältnisses oder spätestens 30 Tage nach dessen Auflösung anhängig gemacht wurden. Für alle übrigen Arbeitsstreitigkeiten sowie zur Entscheidung über Rechtsmittel waren weiterhin die ordentlichen Gerichte und zum Teil auch die politischen Behörden zuständig. Es blieb also im Grunde bei aufgesplitterten, unübersichtlichen Zuständigkeiten.

Wiewohl von Seiten der sich sukzessive organisierenden Arbeiterschaft heftige Kritik am GewGG – insb an der Ausschließung von Frauen zum aktiven und passiven Wahlrecht sowie an der Kostenfrage – geübt wurde,* beförderte sie die Laienrichterwahlen, zumal diese lang vor der Erreichung des allgemeinen (Männer-)Wahlrechts 1907 die erste Möglichkeit einer demokratischen Wahl darstellten.* Deutlich lässt sich jedoch zeigen, dass dafür eine gewerkschaftliche Organisierung Voraussetzung ist, zumal die ersten Wahlen zu den Gewerbegerichten nur eine geringe Beteiligung von AN hatten.* Umgekehrt beförderten die Laienrichterwahlen mancherorts die Bildung von Gewerkschaften und das solidarische Bewusstsein der Arbeiterklasse. Wie ein Beispiel aus Wien zeigt, führte eine Versammlung von 1000 Metallarbeitern in der Volkshalle des Rathauses im Herbst 1890 zur Feststellung ihrer Kandidaten für die Laienrichterwahl zur Gründung ihrer Gewerkschaft, die sich wenige Monate später als „niederösterreichischer Metallarbeiterverband“ konstituierte.* Für die in Gewerkschaftsvereinen organisierten AN hatten die Gewerbegerichte eine ganz zentrale Funktion: Nicht nur deshalb, da erstmals gewählte AN-Vertreter in einer gesetzlich normierten Institution Sitz und Stimme bekamen, sondern weil damit die Relevanz der Fortentwicklung der AN-Rechte eine neue – aus der Praxis geschaffene – Qualität bekam.

Die Forderung nach einer Neufassung des GewGG geht sowohl auf Wünsche der AN wie auch auf eine Forderung jenes Teils der AG zurück, die in einer konsensualen Streitschlichtung wirtschaftliche Vorteile erblickten. 1877 wurde vom Gewerbegericht Wien ein zentrales Argument für die Laiengerichtsbarkeit bzw für die Mitwirkung von Laienrichtern ins Treffen geführt: „Der Umstand, daß das Gewerbegericht nicht einseitig aus Angehörigen einer Partei, sondern aus AG und AN zusammengesetzt ist und beiden die gleichen Rechte zustehen, gewährt den rechtsuchenden Parteien ein Gefühl der Befriedigung, welches nicht hoch genug angeschlagen werden kann.*

Eine durchgreifende Änderung wurde nach Forderungen der Gewerkschaften und einem heftigen rechtspolitischen und -wissenschaftlichen Diskurs* durch das GewGG 1896* herbeigeführt, welches auf einen Antrag von Joseph Maria Baernreither zurückging. Da durch dieses Gesetz, welches zusammen mit einer neuen Zivilprozessordnung in Kraft trat, erstmals „eine ausschließliche erstinstanzliche Zuständigkeit der nun mit Berufsrichtern und Laienrichtern besetzten Gewerbegerichte für alle Streitigkeiten zwischen ‚Gewerbeinhabern und Hilfsarbeitern‘ geschaffen wurde“, sieht es Kuderna rechtshistorisch als „Geburtsstunde einer eigenen, selbständigen Arbeitsgerichtsbarkeit in Österreich“ an.* Aus sozial- und politikgeschichtlicher Perspektive wäre diese allerdings – trotz aller Kritik an der alten Norm – wie gezeigt, wohl mit dem GewGG 1869 anzusetzen.* Jedenfalls wurde nun die Einrichtung von Gewerbegerichten breiter angelegt und die Kostenübernahme weitgehend durch den Staat bestimmt. Die nach Berufsgruppen zu erfolgende Wahl der Laienrichter wurde beibehalten, allerdings wurde nun ein229Senat unter Vorsitz eines beamteten Richters gebildet. In Gewerkschaftskreisen war man sich uneins, wie diese Abkehr vom Laiengericht zu beurteilen sei. Während Lischka „im Auftrag des Verbandes der Eisen- und Metallarbeiter Österreichs“ kritisch bemerkte „Wir finden keinen Grund dafür, es sei denn, einer Anzahl von Bourgeoisesöhnen Ämter zu verschaffen“, sich somit dagegen verwahrte und es besser fand, „wenn die Besetzung dieses Amtes der freien Wahl der Gewerberichter wie bisher überlassen bleibt“,* fand der Gewerkschaftsjurist Isidor Ingwer die Bestimmung „wenigstens für die gegenwärtigen Verhältnisse ganz vernünftig“.* Ingwer schloss sich den Bemerkungen in den Erläuternden Bemerkungen zum GewGG* an, in welchen auch mit Hinweis auf eine 1892 mit Vertretern von AN und AG abgehaltenen Enquete Kritik an den bestehenden Gewerbegerichten geäußert wurde. So etwa kam in Reichenberg ein Gewerbegericht nicht zustande, da sich AN und AG nicht auf einen Obmann einigen konnten. In Wien, wo die Metallwarenindustrie den Obmann des Gewerbegerichts für sich reklamierte, war dies „keineswegs zum Vortheil der Arbeiter“.* Einen Teilerfolg erlangten die Gewerkschaften durch das nun entgegen den ursprünglichen Vorschlag von Baernrether normierte aktive Wahlrecht von Frauen für die AN-Beisitzer der Gewerbegerichte, was wohl insb auf die rege Agitation der von Adelheid Popp ua geführten „ArbeiterInnen-Zeitung“ zurückzuführen ist. Das aktive Frauenwahlrecht wurde „mit der Thatsache begründet, daß es Industrien und Betriebe gibt (Textilfabriken, Wäschefabriken, Konfektionsgeschäfte u.s.w.), in denen die weibliche Arbeiterschaft derartig den Hauptstock der ganzen bei diesen Betrieben beschäftigten Personen ausmacht, daß, wenn für eine solche Betriebskategorie ein Gewerbegericht oder eine besondere Abtheilung eines Gewerbegerichtes errichtet wird, die Wahl der Arbeiterbeisitzer ganz den Charakter einer solchen verliert, wenn die überwiegende Menge der beschäftigten Arbeitskräfte, und zwar diejenigen, die in diesem Betriebszweig spezifisch beschäftigt sind, von der Wahl ausgeschlossen und zu derselben nur jene wenigen, etwa bei der Betriebsmaschine, dem Fuhrwerk ec. beschäftigten männlichen Arbeiter zugelassen werden, welche diesen Industriezweig gar nicht repräsentieren.* Zum passiven Wahlrecht für Frauen, welches wohl genau aus dieser Begründung ebenso ersichtlich war, konnte sich der Reichsrat nicht durchringen, was denn auch heftige Kritik der Gewerkschaften und Frauenverbände hervorrief.

Nach 1900 wurde in enger Verbindung mit der (sozialdemokratischen) Reichsgewerkschaftskommission ein „Verein der Gewerberichter Österreichs“ zum Erfahrungsaustausch innerhalb der AN-Laienrichter gegründet, der regelmäßig Versammlungen abhielt und ab 1906 ein eigenes Mitteilungsblatt herausgab. Es galt „die Kenntnis der Gesetze und die Kenntnis der Praxis der Gewerbegerichte nunmehr durch das gedruckte Wort zu verbreiten, wie dies bisher durch das gesprochene geschehen ist“.* Wiewohl auch die AG ihre Laienrichter in Vorträgen zu schulen suchten, geißelten sie die Organisierung der AN-Laienrichter, da ihnen nun im Gewerbegericht – wie sie selbst zugeben mussten – auf AN-Seite kompetent instruierte Fachkräfte gegenübersaßen: „Die Arbeiterbeisitzer, zumeist waschechte Sozialdemokraten, über die wichtigsten zur Erörterung gelangenden Fragen trefflich instruiert, treten mit aller Energie für die Kläger ein und ihrem Einflusse ist es zu zuzuschreiben, daß manche ganz bedenkliche Urteile erflossen, manche ganz unnötige Vergleiche von den Unternehmern konzediert worden sind.* Der niederösterreichische Gewerbeverein und der Bund österreichischer Industrieller machten in der Folge immer wieder Eingaben an die Regierung, damit die ihrer Ansicht nach gröblichen Missstände durch eine Novellierung des GewGG geändert werden. Ihre Klagen richteten sich gegen die Organisation und Rsp der Gewerbegerichte sowie gegen den angeblichen Missbrauch der Gewerbegerichte durch „Mutwilligkeitsklagen“ von AN. Als gegen Ende des Jahres 1902 die AG Nachwahlen zu den Laienrichtern in Wien boykottierten, eskalierte der Streit. Die Sozialdemokraten, die zwar mit den Zuständen am Wiener Gewerbegericht auch nicht zufrieden waren und dem vorsitzenden Richter Einschüchterungen von AN und Drohungen vorwarfen,* sahen im Boykott der AG-Verbände eine Erpressung, um die Gewerberichter zu beeinflussen und einzuschüchtern.* Dagegen verwahrten sich die AG-Verbände und verwiesen auf den Motivenbericht zum GewGG 1896, nach welchem die Gewerbegerichte auch die Funktion haben sollten, „Unternehmer und Arbeiter zur Achtung der gegenseitigen Rechte zu erziehen“.* Der Deeskalierung diente eine vom Justizministerium im Frühjahr 1903 veranstaltete Enquete, in der die AG-Verbände ihre Kritik und Vorschläge zur Änderung des GewGG vorbringen konnten. Das Ministerium teilte dem sozialdemokratischen Verein der Gewerberichter mit, dass er dazu nicht geladen ist, man jedoch auf Besprechungen mit ihm zurückgreifen würde, wenn „der Boden für die weitere Behandlung dieser Angelegenheit einigermaßen geebneter und verbreiteter sein wird.* 1910 wurden auch Streitigkeiten aus dem Handlungsgehilfengesetz in die Kompetenz der Gewerbegerichte einbezogen.

Bis 1921 wurden in Österreich nur in Wien, Graz, Leoben und Judenburg Gewerbegerichte errichtet, jedoch konnten infolge des Krieges in den drei steirischen Gewerbegerichten keine Laienrichterwahlen durchgeführt werden. Diese wenigen230 Gewerbegerichte entsprachen nicht dem sich aus dem Angestelltengesetz 1921 ergebenden arbeitsrechtlichen Notwendigkeiten, sodass der Nationalrat die Regierung aufforderte, Vorschläge für eine Reform der Gewerbegerichte zu unterbreiten.*

Nachdem im Rahmen der Sozialgesetzgebung von Ferdinand Hanusch auf Drängen sowohl der sozialdemokratischen (freien) und der christlichsozialen Gewerkschaften von der konstituierenden Nationalversammlung Arbeiterkammern als demokratisch organisierte gesetzliche Vertretung der AN eingerichtet wurden,* schien es nur folgerichtig, dass in Hinblick auf die auch weiterhin schwache Beteiligung von AN bei den Laienrichterwahlen den gesetzlichen Interessenvertretungen im GewGG 1922,* welches einen Ausbau und eine Erweiterung des Wirkungskreises der Gewerbegerichte brachte, nun ein Nominierungsrecht für die Ernennung der LaienrichterInnen eingeräumt wurde: „Die unverhältnismäßig hohen Kosten der Wahl, der außerordentliche Arbeits- und Zeitaufwand, den sie verursachen, die Erschwerung durch passives Verhalten vieler zur Mitwirkung berufener Teile und schließlich die verhältnismäßig sehr geringe Beteiligung der Wähler lassen die Wahlen in diesem Falle nicht zweckmäßig erscheinen.* Kam es in der Folge zur Errichtung weiterer Gewerbegerichte, so konnte Max Lederer 1929 in seinem „Grundriss des österreichischen Sozialrechts“ feststellen, dass es durch die Form der Rechtspflege in der Arbeitsgerichtsbarkeit möglich wurde, „die im modernen Arbeitsrecht enthaltenen neuen Ideen wirksam auszuschöpfen und die vielen, im täglichen Leben auftauchenden Arbeitsstreitigkeiten nicht bloß nach juristischen Regeln, sondern auch im Sinne sozialer Gerechtigkeit zu lösen“.* Darüber hinaus ging die Verbesserung bzw die Verhinderung von Verschlechterungen des Arbeits- und Sozialrechts für AN zu einem nicht geringen Teil auf die praxisnahen Erfahrungen zurück, die LaienrichterInnen in den Gewerbegerichten sammeln konnten.

Die Institution der Laiengerichtsbarkeit als solche wurde auch von den Faschismen nicht abgeschafft, jedoch ihrer demokratischen Legitimierung entkleidet. In einer auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes erlassenen VO konnte der Bundesminister für soziale Verwaltung auf Antrag der (mit Ende 1933 durch den Austrofaschismus einer Verwaltungskommission unterstellten) Arbeiterkammern LaienrichterInnen aus der Gruppe der AN „ihres Amtes entheben, wenn diese Beisitzer im Zeitpunkt ihrer Bestellung Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs oder einer unter ihrem Einfluß stehenden Berufsvereinigung waren.* Die vom austrofaschistischen Regime geplante Reorganisation der Gewerbegerichte bzw deren Umbenennung in „Arbeitsgerichte“ (letzteres wurde von der Bundesregierung allerdings bereits im Rahmen des GewGG 1922 ventiliert) und die Einführung eines Schlichtungsverfahrens „zur Sicherung des Arbeitsfriedens“ kamen nicht zu Stande.* Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurden sogenannte „soziale Ehrengerichte* für „gröbliche Verletzungen der durch die Betriebsgemeinschaft begründeten sozialen Pflichten* eingeführt. Das GewGG 1922 blieb mit nationalsozialistischen Änderungen weitgehend erhalten. Per VO vom 1.9.1938* wurden die Beisitzer in den Gewerbegerichten abgeschafft, jedoch bereits 1939 wieder eingeführt.* Allerdings oblag die Bestellung der LaienrichterInnen, nachdem die Arbeiterkammern bekanntlich liquidiert wurden, dem Gauleiter der NSDAP, der wohl nach den Vorschlägen der „Deutschen Arbeitsfront“ entschied.

Nach der Wiedererrichtung der demokratischen Republik Österreich wurde mit dem ArbGG 1946* die österreichische Gewerbegerichtsbarkeit nach dem GewGG 1922 mit bestimmten Teilen des GewGG 1943 wiederhergestellt: „Dabei wurde zum ersten Male auch die Laiengerichtsbarkeit beim Obersten Gerichtshof durch Zuziehung je eines Beisitzers aus dem Kreise der AG und AN eingeführt.* Wenn es auch im Laufe des langen Weges zum ASGG* fallweise zu Kritik an der Laiengerichtsbarkeit kam, so stellte die RV zum ASGG doch klar, dass ohne die Beteiligung fachkundlicher LaienrichterInnen die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit nur „Stückwerk“ wäre, „da bei den in ihrem Rahmen zu treffenden Entscheidungen besonders genaue Kenntnisse der sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge unerlässlich sind“.* Abschließend seien jene Worte in Erinnerung gerufen, die der Gewerkschaftsjurist Isidor Ingwer 1899 schrieb: „Hunderte von Arbeitern werden in diesem Jahre zu einem Amt berufen (...). Dieses Amt ist das wichtigste im Staate, denn seine Aufgabe ist die Rechtsprechung. Schon die Völker des Altertums huldigten dem Grundsatze, dass man nur die Besten und Fähigsten die Ausübung des Richteramtes anvertrauen dürfe, und sie zollten den Richtern, welche die Aufgabe ernst nahmen und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllten, große Achtung und Verehrung.*231