Strasser/Jabornegg/Resch (Hrsg) Arbeitsverfassungsgesetz – Kommentar
36.-41. ErgLfg, Manz Verlag, Wien 2016 Gesamtwerk in 3 Mappen, Stand: März 2016, € 168,–
Strasser/Jabornegg/Resch (Hrsg) Arbeitsverfassungsgesetz – Kommentar
Das 2002 gestartete Kommentarprojekt wurde nun komplettiert. Endgültig fertiggestellt ist ein Kommentar ja nie, weil Gesetzesänderungen sowie neue Rsp und Literatur immer wieder Überarbeitungen notwendig machen. Das ArbVG bleibt allerdings von Gesetzesänderungen mehr verschont als andere Materien. Als Mitherausgeber eines anderen ArbVG-Kommentars und – wegen der gesetzgeberischen Hyperaktivität leidgeprüfter – Mitherausgeber eines Kommentars zum Sozialversicherungsrecht kann ich das aus unmittelbarer Wahrnehmung bestätigen. In jedem Fall ist die Herausgebertätigkeit nicht leicht, Jabornegg und Resch ist zur (vorläufigen) Vollendung zu gratulieren.
In den hier zu besprechenden Lieferungen haben Burger-Ehrnhofer und Drs die §§ 61 bis 64, und Drs die §§ 89 bis 93 kommentiert. Die Kommentierung zu § 97 wurde dreigeteilt, wobei für Teil 1 Jabornegg, Mayr und Rainer, für Teil 2 Födermayr, Jabornegg, Mayr und Reiner sowie für Teil 3 Jabornegg, Mayr, Födermayr, Burger-Ehrnhofer, Drs und Eichinger die Verantwortung tragen. Wie bei solchen Besprechungen nicht anders möglich, kann nur beispielhaft auf einige Punkte eingegangen werden.
Eine von zwei Änderungen des ArbVG aus jüngerer Zeit betrifft den § 61 (BGBl I 2017/12). Die Tätigkeitsdauer des BR wurde von vier auf fünf Jahre ausgedehnt. Die Kommentierung konnte dies noch nicht berücksichtigen, weil sie schon vorher erschienen ist. Ansonsten ist die Kommentierung §§ 61 bis 64 von Burger-Ehrnhofer und Drs aber nicht nur aktuell, sondern auch gründlich und praxisgerecht gestaltet. Die Autorinnen bevorzugen einen eher neutralen Stil, der die eigene Ansicht weniger in den Vordergrund stellt. Ein Beispiel ist die Kommentierung zum BR im „Nichtbetrieb“ (§ 62 Rz 70 ff). In der gebotenen Ausführlichkeit wird die Rsp erläutert, die eine Betriebsratswahl trotz fehlender Betriebseigenschaft als gültig aber anfechtbar ansieht und keine Analogie zu § 62 Z 6 zulässt. Wird daher innerhalb der einmonatigen Frist nicht angefochten, ist der Mangel saniert, ein vorzeitiges Ende der Tätigkeitsdauer kommt nicht in Betracht. Sowohl die zustimmende überwiegende Meinung als auch die zT abweichende Meinung von Schrammel sowie eine die Folgen der Sanierung analysierende Arbeit von Marhold werden ausgewogen dargestellt.
Detailliert, gründlich, übersichtlich und mit weniger Zurückhaltung werden die §§ 89 bis 93 von Drs kommentiert. Es gibt wohl kaum ein Problem, das nicht angesprochen wird. Die differenzierten Positionen überzeugen meistens. So ist es tatsächlich überlegenswert, ob man nicht trotz des engen Wortlauts in § 89 Z 1 („Einsicht zu nehmen“) nicht nur ein Recht des BR anerkennt, Aufzeichnungen über die Bezüge der AN, sondern auch Kopien anzufertigen. Dies jedenfalls dann, wenn aufgrund der Betriebsgröße das Abschreiben unzumutbar wird (§ 89 Rz 49 unter Berufung auf Schneider, Löschnigg und Grünanger). Bei einer größeren Zahl von AN würde damit der Informationszweck der Bestimmung faktisch verunmöglicht. Fraglich ist nur, ob ein Kopierrecht auch dann besteht, wenn es sich um sensible Unterlagen handelt, an deren Geheimhaltung und Nichtweitergabe der Betriebsinhaber ein besonderes Interesse hat (eine idS einschränkende und auf den Wortlaut gestützte engere Position habe ich in Tomandl, ArbVG § 89 Rz 10 vertreten).
Besondere Aktualität haben die Ausführungen von Jabornegg zu § 97 Abs 1 Z 1 (allgemeine Ordnungsvorschriften) im Hinblick auf Bekleidungsvorschriften und das sichtbare Tragen religiöser Symbole (§ 97 Rz 66 ff). Nun ist nicht strittig, dass in solchen Angelegenheiten eine BV iSd § 97 Abs 1 Z 1 abgeschlossen werden darf, also eine entsprechende Regelungsbefugnis besteht. Fraglich ist aber, wie weit solche Regelungen gehen dürfen. Im Einklang mit der hM und der Rsp vertritt Jabornegg, dass Weisungen des AG bezüglich Bekleidung dann vom Arbeitsvertrag gedeckt sind, wenn sie branchenüblich sind (§ 97 Rz 67; zB Sakko und Krawatte des Kundenberaters in einer Bank). Freilich wird dabei zu bedenken sein, dass sich Üblichkeiten ändern können. Das zeigt sich etwa daran, dass schon Spitzenpolitiker zT ohne Krawatte öffentlich auftreten und in immer mehr Unternehmen das Weglassen der Krawatte auch bei Kundenkontakt als durchaus normal empfunden wird. Entscheidend ist letztlich, was im Hinblick auf die konkret ausgeübte Tätigkeit erwartet wird. Dem steht freilich der Schutz der Privatsphäre des AN gegenüber, aus dem abzuleiten ist, dass Kleidung und Schmuck grundsätzlich frei gewählt werden können. Das berechtigte Interesse eines AG, über das Auftreten der AN am Arbeitsplatz das in ihn gesetzte Vertrauen von KundInnen zu wahren, bzw ein einheitliches Auftreten seiner AN sicherzustellen, ist gegen die sich daraus uU ergebenden Verletzungen von Persönlichkeitsrechten der AN abzuwägen (OGH9 ObA 82/15xDRdA 2016/26, 246 [Ruß]). Der OGH hat ein Überwiegen der Persönlichkeitsrechte des AN angenommen, wenn ein Buslenker ein rosafarbenes Haarband trägt, weil eine konkrete Gefährdung betrieblicher Interessen, etwa in der Form, dass Fahrgäste an der Professionalität und Seriosität des AN gezweifelt hätten, als eher gering einzuschätzen sei (OGH9 ObA 82/15xDRdA 2016/26, 246 [Ruß]). Vor 20 oder 30 Jahren wäre diese E wahrscheinlich anders ausgefallen.
Auch die jüngeren Entscheidungen zum Tragen religiöser Symbole sind von diesem liberalen Grundrechtsverständnis geprägt, das die individuellen Persönlichkeitsrechte hoch bewertet. So wird das Tragen eines islamischen Kopftuchs als von der Religionsfreiheit geschützt angesehen. Dazu kommt, dass – wie von Jabornegg angeführt – die Gleichbehandlungskommission und neuerdings auch der OGH (9 ObA 117/15vDRdA 2017/7, 50 [Rebhahn]= ZAS 2017/7, 38 [Marhold]) Nachteile aufgrund des Tragens religiöser Symbole als unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion (gem § 17 GlBG) qualifizieren. Der EuGH232(vom 4.3.2017, C-157/15, Achbita1) hat hingegen ein Kopftuchverbot dann als nicht diskriminierend und damit als zulässig angesehen, wenn es sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet (und wenn die Regel auch nicht mittelbar diskriminiert). Eine solche generelle Regelung könnte auch in einer BV als allgemeine Ordnungsvorschrift getroffen werden. Die Gestaltungsspielräume wären dabei wohl nicht größer als bei einer generellen Weisung des AG. Zwar könnte man im Hinblick auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte bei einer BV berücksichtigen, dass der BR als Vertreter der Interessen der Belegschaft und auch der einzelnen AN eingebunden ist. Es ist aber schon mehr als fraglich, ob deshalb ein weitergehender Eingriff in die Individualrechte zulässig ist (eher noch beim KollV, dessen Autonomie verfassungs- und unionsrechtlich geschützt ist). In Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht ist diese Argumentation schon deshalb ausgeschlossen, weil Betriebsvereinbarungen als Normen der kollektiven Rechtsgestaltung an das GlBG gebunden sind (diskriminierende Entlohnungskriterien sind nach § 25 GlBG ausdrücklich verboten).
Eine Buchbesprechung erlaubt es nicht, auf die vielen interessanten Beiträge in diesem Kommentar einzugehen, die die Dogmatik des Arbeitsverfassungsrechts bereichert haben. Dass es unterschiedliche Herangehensweisen gibt, die zT mehr von besonderer Praxisorientierung, zT von vorrangig wissenschaftlicher Ausrichtung geprägt sind, lässt sich bei einem Großkommentar mit vielen AutorInnen nicht vermeiden. Man kann das auch positiv sehen: Eine Vielfalt an Ansätzen und Meinungen bereichert Theorie und Praxis des Arbeitsrechts gleichermaßen.