Mesch (Hrsg) Wie kam der Keynesianismus nach Österreich?

Verlag des ÖGB, Wien 2016 112 Seiten, kartoniert, € 19,90

WALTERSCHERRER (SALZBURG)

Nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008 hat sich der Keynesianismus dem neoklassisch geprägten ökonomischen und wirtschaftspolitischen Mainstream in Erinnerung gerufen: Gerade in Krisensituationen ist der Staat zu aktivem Eingreifen in den Wirtschaftsablauf („antizyklische Konjunkturpolitik“, „Gegensteuern“) gefordert, um eine wirtschaftliche Erholung zu erreichen. Neben dem konjunkturpolitischen Aspekt der auf John Maynard Keynes zurückgehenden wirtschaftspolitischen Konzeption stand bei der Übernahme Keynes‘scher Gedanken in Österreich beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg die langfristige Entwicklungsperspektive eines „staatlich gezügelten Kapitalismus“ (S 77) im Vordergrund. Wirtschaftswachstum und die daraus resultierende Vollbeschäftigung soll dabei durch den – auch von Konjunkturschwankungen unabhängigen – Einsatz einer Vielzahl von staatlichen Instrumenten erlangt werden.

Doch es war alles andere als ausgemacht, dass jenes keynesianische Gedankengut, auf dessen Grundlage die internationalen wirtschaftspolitischen Institutionen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds errichtet wurden und das die Wirtschaftspolitik in den Marktwirtschaften Europas in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmen sollte, auch seinen Weg in die österreichische Politik finden würde. In den 1930er-Jahren war die Creme der österreichischen Ökonomen emigriert, und die an den österreichischen Universitäten in der Nachkriegszeit betriebene Nationalökonomie isolierte sich selbst weitgehend von modernen Einflüssen und versank in wirtschaftspolitischer Bedeutungslosigkeit. Nicht die Universitäten, sondern die Wiener Arbeiterkammer und das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) waren es, die dem Keynesianismus in Österreich den Weg bereiteten. Hier setzt der von Michael Mesch herausgegebene Band an, der die drei bei einer Tagung im November 2015 gehaltenen Referate zur Frage enthält, wie denn der Keynesianismus nach Österreich kam.

Im ersten Beitrag beschreibt Günther Chaloupek die Emigration von Ökonominnen und Ökonomen österreichischer Herkunft in die USA und nach Großbritannien in den 1930er-Jahren und den Einfluss der Rückwanderer auf Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsdenken in Österreich nach 1945. Unter den insgesamt 83 Emigrierten (davon fast 60 alleine in die USA) finden sich klingende Namen, wie zB Peter Drucker, Alexander Gerschenkron, Gottfried Haberler, Friedrich A. Hayek, Emil Lederer, Fritz Machlup, Oskar Morgenstern, Karl Polanyi, Kurt Rothschild, Wolfgang Stolper, Gerhard Tintner, die sich auch heute noch in den Ökonomie-Lehrbüchern finden. Chaloupek ordnet – nicht ganz überschneidungsfrei in der Kategorisierung – die Emigration in die USA den vier Strömungen „Österreichische Schule der Nationalökonomie“, „Österreichische Schule und liberaler Mainstream“, „Marxisten und Sozialisten“ sowie „Bürgerliche sozialliberale Ökonomen“ zu. Ähnlich werden die 22 dauerhaft nach Großbritannien Emigrierten in „Österreichische Schule und Liberale“ sowie in „Linksorientierte Ökonomen/Keynesianer“ unterschieden. Fast die Hälfte der nach Großbritannien emigrierten Ökonomen kam nach 1945 wieder nach Österreich zurück. Sie waren mit der Konzeption einer wohlfahrtsstaatlichen Vollbeschäftigungspolitik vertraut geworden, viele von ihnen waren noch mit politischen Organisationen verbunden (SPÖ, KPÖ), die in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle spielten. Aus den USA kam nur knapp ein Zehntel der Emigrierten zurück, was vor allem auf die günstigen Lebensbedingungen in den USA zurückgeführt wird, die eine Rückkehr in das zerbombte und in der russischen Besatzungszone liegende Wien wenig attraktiv erscheinen ließen.

Im zweiten Beitrag beschreibt Alois Guger die frühe Keynes-Rezeption am Institut für Konjunkturforschung bzw Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Die jüngere Generation der Vertreter der Österreichischen Schule, die in den versteinerten universitären Strukturen der Zwischenkriegszeit wenig Karrierechancen hatte, traf sich im Privatseminar von Ludwig Mises, dem bestens vernetzten Leitenden Sekretär der Handelskammer, der schließlich 1927 das Konjunkturforschungsinstitut gründete. Am Institut gab es einen regen internationalen Gedankenaustausch (so wurde unmittelbar nach ihrem Erscheinen ein Seminar über Keynes‘ „General Theory“ veranstaltet), der aber ab 1938 zum Erliegen kam. 1945 wurde das Institut als WIFO wieder errichtet mit der Schwerpunktsetzung auf empirische Wirtschaftsforschung (die über die Konjunkturberichterstattung hinausgeht), das „in seiner Forschungs- und Beratungstätigkeit rasch dem ökonomischen Mainstream, dem Keynesianismus Hicks‘scher Prägung“ (S 59) folgte.234

Anders als die Ökonomie an den österreichischen Universitäten war auch das WIFO schon in den Anfangszeiten international gut vernetzt sowie für neue Strömungen und qualifizierte Rückkehrer aus dem Exil offen. Kurt W. Rothschild ist wohl der prominenteste von ihnen. Obwohl – oder vermutlich gerade weil – er bereits 1947 bei seiner Rückkehr nach Österreich in führenden internationalen Journalen publiziert hatte, konnte er erst knappe zwanzig Jahre später in Linz seine universitäre Karriere fortsetzen und dort Generationen von österreichischen Ökonomen (darunter auch den Verfasser dieser Rezension) prägen. Bis dahin war er am WIFO tätig, das ihm ebenso wie Josef Steindl, ebenfalls ein Rückkehrer aus dem britischen Exil, und Kazimierz Laski, der Ende der 1960er-Jahre aus Polen emigrierte, einen beruflichen Anker bot. Diese drei Persönlichkeiten haben die Keynes‘sche Lehre an den österreichischen Universitäten und in der Wirtschaftspolitik verbreitet und die wissenschaftliche Reputation Österreichs in den Wirtschaftswissenschaften in dieser Zeit wesentlich gestärkt.

Der dritte Beitrag von Johannes Feichtinger beleuchtet die Keynes-Rezeption vor dem Austro-Keynesianismus der Ära Kreisky und die Bedeutung der Arbeiterkammer als wirtschaftspolitischer „Think-Tank“ in der Nachkriegszeit. Der Beitrag ruft in Erinnerung, dass sich der staatlich gezügelte Kapitalismus als Wirtschaftsordnung in Österreich erst Anfang der 1950er-Jahre durchsetzte. Der „erste Verfechter keynesianischer Wirtschaftspolitik in Österreich“ (S 86), Stefan Wirlandner, war 1945 aus dem Exil zurückgekehrt und baute in der Wiener Arbeiterkammer die volkswirtschaftliche Abteilung auf. Später profilierte sich diese Einrichtung als „der Think-Tank keynesianischer Wirtschaftspolitik in Österreich“ (S 103 f), zu dessen MitarbeiterInnen eine „Handvoll linker Migranten“ zählte, welche das Wirtschaftsmodell von Keynes austrifizierten. Detailreich wird in dem Beitrag die Rolle der Arbeiterkammer und ihrer führenden wirtschaftswissenschaftlichen MitarbeiterInnen bei der Konzeption und Umsetzung von keynesianischen Strategien dargestellt und das diffizile Zusammenwirken mit den Gewerkschaften, dem sozialpartnerschaftlichen Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, dem WIFO sowie den politischen Entscheidungsträgern beschrieben.

Resümierend ist festzuhalten, dass dieses Buch für alle LeserInnen, die an der wirtschaftswissenschaftlichen Fundierung der Wirtschaftspolitik in Österreich in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg interessiert sind, eine aufschlussreiche Lektüre darstellt.