ScalaHaftungsprobleme in der Arbeitskräfteüberlassung
Verlag des ÖGB, Wien 2016 436 Seiten, kartoniert, € 36,–
ScalaHaftungsprobleme in der Arbeitskräfteüberlassung
Haftungsfragen sind schon im gewöhnlichen Arbeitsverhältnis nicht immer einfach zu lösen, richtig kompliziert kann es aber werden, wenn es sich um Haftungsfragen im Kontext von Arbeitskräfteüberlassung handelt. Probleme bereitet hier einmal mehr die typische Dreieckskonstellation der Arbeitskräfteüberlassung: Neben den Überlasser als rechtlichem AG tritt der Beschäftiger als faktischer AG hinzu, zu diesem steht die überlassene Arbeitskraft allerdings in keinerlei vertraglicher Beziehung. Um den AN vor sich aus dieser Aufspaltung der AG-Rolle resultierenden Nachteilen (auch) im Bereich der Haftung zu schützen, hat der Gesetzgeber im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) – insb in den §§ 6 bis 7 AÜG – einige wichtige Klarstellungen getroffen. Diese zielen freilich in erster Linie auf die Ausdehnung der ganz grundsätzlich im Arbeitsverhältnis bestehenden haftungsrechtlichen Besonderheiten auf das Verhältnis zwischen Beschäftiger und überlassener Arbeitskraft ab. Diese Regelungstechnik lässt im Detail vieles offen, sodass es nicht weiter verwunderlich ist, dass Haftungsfragen in der Arbeitskräfteüberlassung ein wiederkehrendes Thema in Literatur und Judikatur darstellen.
Alexander Scala, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Universität Graz, hat sich nun mit seiner im Jahr 2015 approbierten (und im selben Jahr mit dem Hans-Vollmann-Preis des steirischen Kummer-Institutes ausgezeichneten) Dissertation das Ziel gesetzt, das Thema Haftungsprobleme in der Arbeitskräfteüberlassung erstmals einer umfangreicheren, systematischen Untersuchung zu unterziehen.
Scala widmet sich in seiner Arbeit nach einem kurzen Überblick über die faktische und rechtliche Entwicklung der Arbeitskräfteüberlassung in Österreich zunächst sehr ausführlich der rechtlichen Einordnung dieses atypischen Beschäftigungsverhältnisses sowie dem Anwendungsbereich des AÜG, bevor er konkret auf haftungsrechtliche Fragestellungen eingeht. Als Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen zur Haftung dient die in Anlehnung an Spielbüchler und Jabornegg getroffene rechtliche Qualifikation des Arbeitsvertrages der (gewerblich) überlassenen Arbeitskraft als unechter Vertrag zugunsten des Beschäftigers, durch den der AN seinem AG (dem Überlasser) zur Leistung an einen Dritten (den Beschäftiger) verpflichtet wird, letzterer aber keinen unmittelbaren Anspruch auf die Arbeitsleistung erwirbt.
Den zentralen Teil der Arbeit zu Problemen der Haftung im Leiharbeitsverhältnis untergliedert Scala in vier große thematische Blöcke, wobei in den ersten beiden Abschnitten die Haftung von Überlasser und/oder Beschäftiger für Schäden der überlassenen Arbeitskraft – und zwar einerseits für Personen-, andererseits für Sach- und Vermögensschäden – im Vordergrund steht. Das folgende Kapitel widmet sich umgekehrt der Haftung der überlassenen Arbeitskraft für von ihr verursachte Schäden. Zuletzt geht Scala (in einem allerdings vergleichsweise kurzen Kapitel) noch Fragen der Haftung zwischen Überlasser und Beschäftiger nach
Der Autor verfolgt mit seiner Untersuchung sichtlich den Anspruch einer möglichst vollständigen Aufarbeitung aller denkbaren Haftungskonstellationen im Dreiecksverhältnis der Arbeitskräfteüberlassung; der Meinungsstand in Literatur und Rsp wird dabei akribisch aufgearbeitet, wobei Scala in strittigen Fragen durchaus auch deutlich eine eigene Stellung bezieht. Spannend (und nicht unumstritten) ist insb die an mehreren Stellen im Buch bearbeitete Fragestellung, inwieweit der Arbeitsvertrag zwischen überlassener Arbeitskraft und Überlasser bzw der Dienstverschaffungsvertrag zwischen Überlasser und Beschäftiger auch Schutzwirkungen zugunsten Dritter entfaltet. Schutzwirkungen zugunsten der Stammbelegschaft des Beschäftigerbetriebs, die zur Folge hätten, dass ein durch eine überlassene Arbeitskraft verletzter Stamm-AN Ersatzansprüche auch gegen den Überlasser geltend machen könnte, sind vom OGH bislang sehr deutlich abgelehnt worden. Scala zieht eine solche Drittschutzwirkung zumindest dann in Betracht, wenn die Schädigung des AN auf einen Auswahlfehler des Überlassers zurückzuführen ist, dieser also eine ungeeignete Person zur Verfügung gestellt hat. Die von Scala sorgsam begründete Schutzwirkung des Arbeitsvertrags zwischen AN und Überlasser zugunsten des Beschäftigers entspricht dagegen wohl der hM im Schrifttum.
Ein bislang noch wenig beackertes Feld betritt Scala mit seinen Ausführungen zu den relativ jungen Regelungen des § 6a AÜG, der die Geltung von Gleichbehandlungsvorschriften und Diskriminierungsverboten im Dreiecksverhältnis zwischen Überlasser, Beschäftiger und überlassener Arbeitskraft zum Inhalt hat und dabei eine auffallend strenge Zurechnung von diskriminierenden Handlungen des Beschäftigers an den Überlasser vorsieht. Die in Abs 4 vorgesehene Sanktion der Anfechtbarkeit einer auf eine diskriminierende Beendigung der Überlassung folgenden Beendigung des Arbeitsvertrages kritisiert Scala als schwer zu rechtfertigende Haftung des Überlassers für fremdes Fehlverhalten und führt diese Norm in seinem Fazit am Ende der Untersuchung als Beleg dafür an, dass der ursprünglichen Regelungstechnik des Gesetzgebers, sich mit eigenen Haftungsnormen im Dreiecksverhältnis der Arbeitskräfteüberlassung zurückzuhalten und sich stattdessen mit Verweisungen auf allgemeine arbeitsrechtliche Normen zu begnügen, prinzipiell der Vorzug zu geben wäre.
Insgesamt handelt es sich bei der Arbeit von Scala um eine höchst anspruchsvolle und umfassende Aufarbeitung des gewählten Themas. Kritisch anzumerken ist allenfalls, dass durch den erkennbaren Anspruch auf vollständige Abarbeitung des Haftungsthemas im Arbeitsverhältnis an manchen Stellen der Fokus auf tatsächliche Haftungsprobleme in der Arbeitskräfteüberlassung vorübergehend in den Hintergrund tritt. Eine Straffung der Ausführungen in jenen Bereichen, in denen die dreipersonale Konstellation der Arbeitskräfteüberlassung im Vergleich zu regulären Arbeitsverhältnissen keine besonderen Probleme aufwirft, hätte es ermöglicht, die interessanten Überlegungen des Autors zu Haftungsfragen im Verhältnis zwischen Überlasser und Beschäftiger noch etwas zu vertiefen, ohne den ohnehin bereits bemerkenswerten Umfang der Arbeit noch weiter auszudehnen. Scala setzt sich am Ende seiner Untersuchung etwa noch kurz mit der Frage auseinander, inwieweit den Überlasser nach einer aufgrund von AN-Schutz- oder241Fürsorgepflichtverletzungen des Beschäftigers vorgenommenen Abberufung einer überlassenen Arbeitskraft die Pflicht zur neuerlichen Überlassung oder zum Austausch der Leiharbeitskraft trifft bzw ob in solchen Fällen auch die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung des Dienstverschaffungsvertrages gegeben ist. Er kommt dabei zum Ergebnis, dass ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Beendigung der Vertragsbeziehung zum Beschäftiger (erst) dann anzunehmen sei, wenn es zu (wiederholten) gravierenden Verletzungen der Sittlichkeit oder erheblichen Ehrverletzungen durch den Beschäftiger oder seine Mitarbeiter kommt, zB durch regelmäßige sexuelle Belästigungen, Verspottungen oder Beschimpfungen der Leiharbeitskraft. In diesem Zusammenhang könnte man aber vor dem Hintergrund der eigenen Fürsorgepflichten des Überlassers durchaus auch die Frage stellen, ob in diesen oder ähnlichen Konstellationen die weitere Überlassung von Arbeitskräften in diesen Betrieb überhaupt noch ohne eigene Fürsorgepflichtverletzung möglich ist oder nicht vielmehr sogar eine Pflicht des Überlassers zur Auflösung des Dienstverschaffungsvertrages anzunehmen ist. Die bereits angesprochenen Zurechnungsregeln des § 6a AÜG legen mE eine solche strenge Sichtweise nahe.
Als zweiter kleiner Kritikpunkt ist anzumerken, dass die systematische Zuordnung einzelner Fragestellungen zu den vier Kapiteln nicht immer ganz nachvollziehbar erscheint. So findet sich etwa die Abhandlung der praktisch bedeutsamen Frage, ob dem Überlasser in gewissen Konstellationen bei einem Ausfall der überlassenen Arbeitskraft durch einen vom Beschäftiger verschuldeten Arbeitsunfall nicht doch (entgegen der Rsp) die Geltendmachung des Lohnfortzahlungsschadens gegen den Beschäftiger zustehen kann, nicht – wie zu erwarten gewesen wäre – im Kapitel zu Haftungsfragen im Verhältnis zwischen Überlasser und Beschäftiger, sondern in jenem Abschnitt, in dem die Haftung der überlassenen Arbeitskraft für von ihr verursachte Schäden im Mittelpunkt steht. Das ändert freilich nichts daran, dass man in Scalas Werk mit großer Sicherheit fündig werden wird, wenn man vor speziellen Fragen der Haftung im dreipersonalen Arbeitsverhältnis der Arbeitskräfteüberlassung steht, und es schmälert nicht im Geringsten das große Verdienst des Autors, sich mit seiner Untersuchung in umfassender und tiefgehender Weise eines schwierigen Themas angenommen zu haben.