Religion, Weltanschauung und Arbeitsverhältnis*

WALTERBERKA (SALZBURG)
Mit der Stellung der Religion in der Gesellschaft wird ein Thema angeschnitten, das zeitlos und aktuell zugleich ist. Zeitlos, weil man lange Zeit der Auffassung war, dass die Religionsfreiheit das erste und älteste Grundrecht gewesen sei. Das ist zwar historisch betrachtet nicht ganz richtig. Trotzdem steht fest, dass die Freiheit in Glaubensdingen über Jahrhunderte hinweg ein äußerst aktueller Freiheitsanspruch war. Später ist es unter den Vorzeichen der Aufklärung und Säkularität ruhig um das Grundrecht geworden, bis es nun seit einigen Jahren wieder in den Fokus politischer und rechtlicher Kontroversen getreten ist.Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Auf die äußeren Anstöße, vor allem auf die demografische Entwicklung im Zuge der Migrationswellen, braucht man nur hinzuweisen: Der Umstand, dass der Islam mittlerweile zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft in Österreich geworden ist, verdeutlicht die gesellschaftlichen und konfessionellen Veränderungen auf einer ganz praktischen Ebene. Ob es darüber hinaus andere Gründe für die oft zitierte „Wiederkehr des Religiösen“ gibt, müssen die Religionsphilosophen beurteilen, die bereits von einer postsäkularen Gesellschaft sprechen.* Der nachfolgende Beitrag behandelt den Stellenwert von Religion und Weltanschauung im Arbeitsverhältnis anhand des aktuellen Beispiels des islamischen Kopftuchs, weist aber auch auf andere damit zusammenhängende Fragen hin.
  1. Vom Haarband zum islamischen Kopftuch

  2. Die Beurteilungsmaßstäbe: Religionsfreiheit und Gleichbehandlungsrecht

    1. Das Arbeitsrecht als „Feld kollidierender Konfliktlagen“

    2. Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

    3. Der Schutz vor Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsrecht

  3. Zu den Kopftuchverboten und anderen religiösen oder weltanschaulichen Symbolen und Bekleidungsstücken

    1. Aktuelle Entscheidungen zum islamischen Kopftuch

    2. Symbole und Bekleidungsstücke als Ausdrucksformen eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses

    3. Zur Abgrenzung von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung

    4. Zur Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung

    5. Zur Rechtfertigung im Rahmen einer mittelbaren Diskriminierung

  4. Besonderheiten bei öffentlichen Dienstverhältnissen und bei Tendenzbetrieben

    1. Besonderheiten bei öffentlichen Dienstverhältnissen

    2. Religion und Weltanschauung bei kirchlichen Organisationen und bei Tendenzbetrieben

  5. Sonstige Beschränkungen der religiösen oder weltanschaulichen Betätigung im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen

  6. Schlussbemerkungen

1.
Vom Haarband zum islamischen Kopftuch

Für die arbeitsrechtliche Praxis ist die Religion für lange Zeit kein wirkliches Thema gewesen. Das zeigt sich auch an den klassischen Lehrbüchern des Arbeitsrechts* und am übrigen Schrifttum, das sich, soweit den verfassungsrechtlichen Grundfreiheiten und Menschenrechten überhaupt eine Relevanz für private Arbeitsverhältnisse zugeschrieben wurde, in erster Linie dem Gleichheitsgrundsatz, der Gewissens- und Meinungsfreiheit und allenfalls noch der247 Privatsphäre zugewandt hat.* Eine E des OGH aus dem Jahre 1997 zu den „aufwendigen Gebetsritualen“ eines muslimischen AN, die eine Entlassung wegen beharrlicher Dienstverweigerung rechtfertigte, stellte so gesehen eine Ausnahme dar.*

So könnte man im Rückblick den Eindruck gewinnen, dass die Redeweise vom „Tu felix Austria ...“, also diese liebevolle und für manche Österreicher identitätsstiftende Maxime, die den Imperativ des Nichthandelns und Zuwartens zur Tugend erklärt, auch noch dann befolgt wurde, als das Religiöse plötzlich wieder brisant geworden war. Zumindest galt diese Maxime für längere Zeit auch für die Frage des islamischen Kopftuchs, also für jenes Attribut muslimischer Weiblichkeit oder islamitischer Religiosität, das heute zum Symbol für die Schwierigkeiten einer Zeit hochstilisiert wird, die sich mit neuen und für viele fremdartigen Zeichen des Religiösen konfrontiert sieht. Während sich die Verwaltungs- und Zivilgerichte vieler europäischer Staaten schon seit Jahren mit dem islamischen Kopftuch in unterschiedlichen Zusammenhängen herumschlagen, war es in Österreich nicht das religiöse Symbol, das Anlass zu einer einschlägigen höchstgerichtlichen Entscheidung gab. Es war vielmehr das pinkfarbene Haarband eines Linzer Straßenbahnfahrers, mit dem dieser seine üppige Haarpracht bändigte, das dem OGH die Gelegenheit gegeben hat, sich im Jahre 2015 erstmals mit betrieblichen Bekleidungsvorschriften unter den Perspektiven des Persönlichkeitsschutzes auseinanderzusetzen.* Hatte der OGH in einer früheren E dem AG noch das Recht eingeräumt, einem zu Seriosität verpflichteten Bankangestellten das Tragen einer auffälligen Goldkette zu untersagen,* rechnet er nunmehr das Tragen des Haarbandes zu den verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechten.

Dass sich die juristische Praxis eher der Bedeutung von Haarbändern für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit zugewendet und ihr sich die Brisanz religiöser Bekleidungsvorschriften offenbar nie gestellt hat, während in Deutschland die einschlägige Leitentscheidung zum Kopftuch im Arbeitsverhältnis schon im Jahre 2002 ergangen ist,* musste man nicht unbedingt als Nachteil bewerten. Auf die Dauer hat sich das Thema freilich auch in Österreich nicht vermeiden lassen, und zwar nicht nur in der Politik, die das Kopftuch nunmehr sogar zum Gegenstand von Regierungserklärungen gemacht hat,* sondern auch in der Rsp.

Mit der bekannten E des OGH vom 25.5.2016, 9 ObA 117/15v,* ist auch das österreichische Höchstgericht in die Arena der juristischen Auseinandersetzungen um das islamische Kopftuch eingetreten, und damit in jene Arena, in der sich schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) tummeln, wobei sich der EuGH mit den Urteilen der Großen Kammer in den Rs Achbita und Bougnaoui zuletzt in grundsätzlicher Weise geäußert hat.*

In diesem Beitrag sollen die Entscheidungen dieser Gerichte zum islamischen Kopftuch im Zentrum stehen, nicht nur, weil das Kopftuch zum Symbol für den Umgang mit der Religion auch in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen geworden ist, sondern weil sich hier Grundsatzfragen diskutieren lassen, die sich stellen, wenn man sich mit der Bedeutung von Religion und Weltanschauung im Arbeitsrecht auseinandersetzt. Das bedeutet freilich nicht, dass es nicht noch andere Themen als das Kopftuch gibt, auf die abschließend zumindest noch kurz hingewiesen werden soll.

2.
Die Beurteilungsmaßstäbe: Religionsfreiheit und Gleichbehandlungsrecht
2.1.
Das Arbeitsrecht als „Feld kollidierender Konfliktlagen“

Wenn von Grundsatzfragen die Rede war, welche sich exemplarisch am Beispiel des islamischen Kopftuchs stellen, dann ist es tatsächlich so, dass sich gegenwärtig grundlegende Fragen der gesellschaftlichen Ordnung am Umgang mit der Religiosität entzünden. Dass sich die öffentliche Diskussion diesen Themen zuwendet und diese Diskussion nicht nur ausnahmsweise zur öffentlichen Erregung wird, derer sich die Politik eilfertig bemächtigt hat, ist das eine. In diesen Diskussionen muss man mit einer nicht immer rationalen Mischung von Urteilen und Vorurteilen rechnen, trifft die Angst vor dem Fremden und Anderen auf einen mitunter recht unkritischen oder überfordernden Multikulturalismus und sehen sich die traditionellen Werte der Religiosität mit weltanschaulicher Indifferenz oder laizistischer Unduldsamkeit konfrontiert. Schwierige Fragen stellen sich auch losgelöst von einer solchen Aufgeregtheit, und zwar nicht nur für die Gesellschaftspolitik oder Religionsphilosophie, sondern auch in rechtlicher Hinsicht:

  • So geht es um das Verhältnis von Religionsfreiheit und dem Anspruch auf Gleichbehandlung, ein Verhältnis, das schon am Beginn der Entwicklung, die zu den modernen Menschenrechten geführt hat, spannungsreich war und das bis heute vielschichtig und ambivalent ist.*248

  • Es geht darum, welcher Grad an Toleranz auch gegenüber demonstrativen oder mitunter auch aggressiven Manifestationen religiöser oder pseudoreligiöser Bekenntnisse rechtlich geboten ist und welchen Weg die staatliche Rechtsordnung zwischen der Forderung nach religiöser Neutralität oder Indifferenz und der Maxime zu gehen hat, dass jeder nach seiner Façon selig werden können soll.

  • Und es stellt sich die Frage, wie diese teils alten, teils neuen Spannungslagen und Konflikte im Arbeitsverhältnis zu behandeln sind: wie viel Rücksichtnahme auf die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen eines AN auch in privatautonom gestalteten Rechtsverhältnissen geboten ist, wie die wirtschaftlichen Interessen eines AG im Konflikt mit religiösen Werten zu gewichten sind, in welchem Ausmaß vom Arbeitsrecht erwartet werden kann, allgemeine gesellschaftspolitische Ziele wie die Integration religiöser Minderheiten oder weltanschauliche Toleranz zu fördern, und zwar auch dann, wenn sich das mit betrieblichen Erfordernissen reibt.

Im Lichte dieser Herausforderungen ist es nicht erstaunlich, wenn heute konstatiert wird, dass das Verhältnis zwischen der Religion und der rechtlichen Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen zu einem „Feld kollidierender Konfliktlagen“ geworden ist.* Für die rechtliche Ordnung dieses Konfliktfelds sind zwei rechtliche Gewährleistungen maßgeblich, nämlich einerseits die grundrechtliche Freiheitsgarantie in der Form der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und andererseits die Diskriminierungsverbote nach den Gleichbehandlungsgesetzen. Mit einigen Hinweisen zu den entsprechenden Rechtsentwicklungen soll deutlich gemacht werden, wieso das Thema der Religion gerade auch für das Arbeitsrecht brisant geworden ist.

2.2.
Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist im österreichischen Recht mehrfach garantiert, und zwar im innerstaatlichen Verfassungsrecht (Art 14 StGG), in der Menschenrechtskonvention (Art 9 EMRK) und in der Europäischen Grundrechtecharta (Art 10 EGC).* Obwohl die Religionsfreiheit zu den historisch ältesten Grundrechten zählt, hat es in der Gegenwart einen bemerkenswerten Bedeutungswandel und Bedeutungszuwachs erfahren.

In erster Linie haben die Pluralisierung der Glaubensgemeinschaften und eine gewisse Subjektivierung des Religiösen die Bedeutung der Religionsfreiheit als Individualrecht in den Vordergrund treten lassen. Das Religionsrecht wird immer prononcierter vom individuellen Grundrecht her gedacht, dem mehr Gewicht und stärkere Bedeutsamkeit zuerkannt werden. Das kann zu neuen Spannungslagen zur korporativen Religionsfreiheit führen, also zu dem Grundrecht der verfassten Kirchen und Religionsgemeinschaften. Im Arbeitsrecht schlägt sich das bei den Konflikten zwischen kirchlichen AG und ihren AN nieder, wenn sich diese in moralischen oder religiösen Dingen dem Selbstverständnis der konfessionellen Organisationen unterwerfen müssen.* In Verbindung mit dem menschenrechtlichen Diskriminierungsverbot (Art 14 EMRK) hat die individuelle Religionsfreiheit außerdem dazu geführt, dass die Privilegien nicht mehr ohne Weiteres hingenommen werden, welche das Staatskirchenrecht dominierenden Bekenntnissen zuerkennt, in Österreich also den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und unter diesen wiederum der Mehrheitsreligion. Auch das hat das Arbeitsrecht nicht unberührt gelassen.*

Vor allem hat der Bedeutungszuwachs der individuellen Religionsfreiheit das Gewicht des Grundrechts in jenen Situationen verstärkt, in denen es zu einer Abwägung mit konkurrierenden Rechtspositionen kommt, und zwar gerade auch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen. Worauf das hinausläuft, lässt sich am deutlichsten anhand der Judikatur des EGMR zeigen.

Lange Zeit ist die Straßburger Rsp davon ausgegangen, dass die dem Einzelnen garantierte Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung ungehindert auszuüben, durch Einschränkungen am Arbeitsplatz nicht berührt wird, auch wenn diese Einschränkungen Bekundungen des Glaubens erschweren oder Konflikte mit religiösen Pflichten zur Folge haben. Maßgeblich für diese zurückhaltende Judikatur, welche gleichsam die Ausübung der Religion zur Privatsache deklarierte, war die Auffassung, dass der Konflikt mit der Religionsfreiheit nicht unausweichlich sei, weil und soweit der AN immer noch die Möglichkeit habe, seinen Arbeitsplatz zu wechseln oder seine religiösen Überzeugungen außerhalb des Arbeitsverhältnisses oder der Arbeitszeit zu bekunden.* Für die frühere Menschenrechtskommission lag in der Möglichkeit zum Wechsel des Arbeitsplatzes sogar die eigentliche Garantie („ultimate guarantee“) der Religionsfreiheit – was rückblickend betrachtet ein doch eher seltsames Grundrechtsverständnis offenbart.* Disziplinäre Sanktionen wegen eines Fernbleibens vom Arbeitsplatz, um etwa das Bayram-Fest oder den Sabbath249 zu begehen, wurden in konsequenter Weise nicht als Eingriffe in die Religionsfreiheit qualifiziert.

Die E des EGMR zu den Fällen Eweida ua brachte im Jahre 2013 die gebotene Klarstellung:* Wenn hier das Tragen eines Kreuzes am Arbeitsplatz untersagt oder wenn anderen Beschwerdeführern in demselben Verfahren eine Arbeit zugewiesen wurde, die sie mit ihren religiösen Überzeugungen nicht vereinbaren konnten, handelt es sich nach dieser neueren Judikatur um Eingriffe in das Grundrecht aus Art 9 EMRK, die auf eine entsprechend tragfähige Rechtfertigung angewiesen sind.*

Bei dieser Einschätzung wird man dem EGMR nicht widersprechen können:* In der Tat wäre es nicht überzeugend, Manifestationen des religiösen Glaubens gänzlich in die Privatsphäre oder AN auf die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels zu verweisen, wenn es um die Ausübung eines Menschenrechts geht, das die innersten Überzeugungen eines Menschen zum Gegenstand hat. Zu Recht weist der Straßburger Gerichtshof außerdem auf die Inkonsequenz hin, würde man gerade die Religionsfreiheit anders behandeln als andere Freiheitsrechte, bei denen es nicht auf die Unausweichlichkeit einer Grundrechtsbeschränkung ankommt. Um in diesem Zusammenhang nochmals an eine Eingangsbemerkung zu erinnern: Das pinkfarbene Haarband eines Schaffners mag tatsächlich ein schutzwürdiger Ausdruck der Persönlichkeit sein, aber es würde schwerlich überzeugen, würde man im Lichte dieser E einem Ausdruck des religiösen Glaubens dieselbe Bewertung versagen.

Im Fall Eweida ua hat der Gerichtshof zugleich den Maßstab entwickelt, an dem er Einschränkungen der Religionsfreiheit im Arbeitsverhältnis messen möchte: Berücksichtigt man die hohe Bedeutung der Religionsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft, bedarf es einer auf die Verhältnismäßigkeit abzielenden Güterabwägung.* Maßstab für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Beschränkung der Religionsfreiheit im Arbeitsverhältnis ist eine „overall balance“ oder eine „fair balance“, also der angemessene Ausgleich zwischen den Interessen eines AG und eines AN nach den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

Das Kriterium des fairen Ausgleichs verweist auf Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit des grundrechtlich gebotenen Interessenausgleichs, ohne dass es dezidiert auf eine Rechtfertigung von Beschränkungen nach Maßgabe des der Religionsfreiheit beigefügten Gesetzesvorbehalts (Art 9 Abs 2 EMRK) ankommt. Das ist dogmatisch überzeugend und sachgerecht: Die Gesetzesvorbehalte der EMRK sind auf staatliche Eingriffe angelegt, aber nicht unmittelbar anwendbar, wenn es um die Beurteilung des Ausgleichs von grundrechtlich geschützten Interessenlagen im privaten Rechtsverkehr und somit auch in privaten Arbeitsverhältnissen geht. Hier entfalten die Grundfreiheiten und Menschenrechte jedenfalls nach der Judikatur des Straßburger Gerichtshofs ihre Wirkung im Wege der „positive obligations“, also der positiven Gewährleistungspflichten: Der Staat ist der primäre Grundrechtsadressat, der aber sicherzustellen hat, dass auch in privaten Rechtsverhältnissen die grundrechtlichen Wertungen respektiert und mit den Gegeninteressen angemessen ausgeglichen werden. Auf diese Weise erledigt sich die Drittwirkungsdiskussion, welche die Lehre mit sehr viel Aufwand und Leidenschaft in einer ganze Bibliotheken füllenden Weise jahrzehntelang beschäftigt hat, ganz ungezwungen.

Das Arbeitsrecht hat sich an diesen Diskussionen ohnedies nicht sehr intensiv beteiligt, sondern ist immer schon davon ausgegangen, dass die verschiedenen Pflichten der Parteien eines Arbeitsvertrages auch im Lichte der in Betracht zu ziehenden Grundrechte zu bewerten und auszugleichen sind, etwa im Zusammenhang mit dem Weisungsrecht des AG, auf das sich Vorschriften und Anweisungen im Zusammenhang mit religiösen Symbolen oder Bekleidungen zurückführen lassen, oder bei der Bemessung der Fürsorgepflichten des AG. So gesehen dürfte das vom EGMR herangezogene Kriterium der „fair balance“ durchaus anschlussfähig sein.

Die Gewährleistung des Art 9 EMRK gibt freilich nicht nur dem Gläubigen einen entsprechenden Grundrechtsschutz, sondern schützt auch den Atheisten oder den Agnostiker (das ist die Religionsfreiheit mit ihrer negativen Komponente), so wie das Konventionsgrundrecht auch demjenigen Bekenntnisfreiheit garantiert, der sich auf eine zivile Weltanschauung beruft. Religionsfreiheit und Weltanschauungsfreiheit gehen so gesehen Hand in Hand.* Das Gebot eines fairen Ausgleichs konkurrierender250 Grundrechtspositionen gilt auch in dieser Hinsicht, sodass nicht nur der AG auch dem Bekenntnis zu nicht-religiösen Weltanschauungen Raum zu geben hat, sondern auch die Möglichkeit zu bedenken ist, dass im Betrieb unter Umständen ganz unterschiedliche, möglicherweise höchst kontroverse religiöse, areligiöse, atheistische oder sonstige weltanschauliche Positionen aufeinanderstoßen. Auch im Hinblick auf diese Manifestationen einer religiösen oder nicht-religiösen Gesinnung ist Bekenntnisfreiheit zu gewähren, und zwar grundsätzlich auch im Arbeitsverhältnis.* Es geht also nicht immer nur um die Benachteiligung oder Beschränkung bei der Ausübung eines Glaubens oder weltanschaulichen Haltung, sondern auch um den Ausgleich konkurrierender Positionen in Sachen des Glaubens und der Weltanschauung, die der Staat im Geiste der Toleranz sicherzustellen und dem auch ein privater AG Rechnung zu tragen hat.*

2.3.
Der Schutz vor Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsrecht

Neben der Religions- und Weltanschauungsfreiheit wirkt sich der Diskriminierungsschutz auf die Rechtslage aus, der im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Gleichbehandlungsrichtlinien aus den Gleichbehandlungsgesetzen folgt.

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG), das in Umsetzung der RL 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmen-RL) ausgebaut worden ist, verbietet jede Benachteiligung in Arbeitsverhältnissen ua aus Gründen der Religion oder Weltanschauung (§ 17 GlBG). Damit wird zunächst klargestellt, dass die Menschenrechte auf Gleichheit und auf Achtung der menschlichen Würde auch im Arbeitsrecht und gegenüber dem Grundsatz der Privatautonomie durchzusetzen sind, jedenfalls soweit es sich um Ungleichbehandlungen aus einem der angeführten verpönten Motive handelt.*

Die praktische Bedeutung des Diskriminierungsschutzes ist groß, ebenso groß sind freilich die mit dem Gleichbehandlungsrecht verbundenen dogmatischen Probleme, was nicht zuletzt eine Folge des nicht sonderlich gut gelungenen Richtlinienrechts ist, das nach Ansicht mancher Kritiker mitunter von einer geradezu byzantinischen Komplexität ist.* Vor allem ist die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung alles andere als einfach, aber zugleich folgenreich, weil die Richtlinie und ihr folgend das Gleichbehandlungsgesetz die restriktiv formulierten und noch restriktiver angewendeten Gründe für eine Ungleichbehandlung von dieser Unterscheidung abhängig machen.

Umso wichtiger ist es, dass trotz des teilweisen Gleichlaufs von Religions- und Weltanschauungsfreiheit und Diskriminierungsverbot, die sich wechselseitig stützen und ergänzen können, der wesentliche Unterschied nicht verkannt wird.

Denn der Diskriminierungsschutz hat den Schutz vor Diskriminierung zum Gegenstand, nicht mehr und nicht weniger: Er untersagt daher dem AG eine Benachteiligung aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen und andererseits auch eine Bevorzugung wegen einer Religion oder Weltanschauung. Was er nicht gewährleistet, ist die freie Ausübung des Glaubens oder einer Weltanschauung, und entsprechende Beschränkungen sind im Lichte des Gleichbehandlungsrechts zulässig, solange sie nicht auf eine Ungleichbehandlung wegen eines solchen verpönten Kriteriums hinauslaufen. Mit anderen Worten: Die Diskriminierungsverbote schützen weder das Recht auf religiöse Betätigung des AN noch vor berechtigten Leistungsanforderungen des AG.* Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Achtung religiöser Haltungen und weltanschaulicher Bekenntnisse oder auf Respektierung von religiösen Betätigungen, wenn diese mit Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis kollidieren, kann daher allenfalls aus dem Freiheitsrecht folgen, also aus der Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

Das Verbot der Diskriminierung aus religiösen Gründen hat noch einen weiteren, gleichsam konkurrierenden Bezug zum Freiheitsrecht: An sich steht das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit auch dem AG zu, der somit auch in seinen wirtschaftlichen Beziehungen einschließlich der Beschäftigung von AN seinen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen nachgehen kann.* Trotzdem darf er etwa bei der Entscheidung über die Einstellung zwischen verschiedenen Stellenbewerbern nicht nach ihrem religiösen Bekenntnis differenzieren, weil das in der Regel auf eine verbotene Diskriminierung hinauslaufen würde. Mit dieser Einschränkung des Freiheitsrechts des AG hat der Gleichbehandlungsgesetzgeber einen Konflikt zwischen konkurrierenden Grundrechtspositionen daher in bestimmter Weise, nämlich iS einer Gleichbehandlung der AN, aufgelöst; dies ist grundsätzlich zulässig, vor allem weil die Gesetzgeber auf Unionsebene und nationaler Ebene mit der Ausnahme für Tendenzbetriebe (§ 20 Abs 2 GlBG) Raum für eine angemessene Berücksichtigung der Interessen religiös oder weltanschaulich orientierter AG gelassen haben.*251

3.
Zu den Kopftuchverboten und anderen religiösen oder weltanschaulichen Symbolen und Bekleidungsstücken
3.1.
Aktuelle Entscheidungen zum islamischen Kopftuch

Die behandelten Gewährleistungen bilden den rechtlichen Rahmen für die „Kopftuchproblematik“ oder, um dem Thema die allgemeinere Fassung zu geben, für die Frage, wie die Demonstration eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses zu bewerten ist, wenn dieses durch die Verwendung von bestimmten Symbolen oder einer religiös konnotierten Bekleidung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck gebracht wird.

Diese Frage soll anhand der aktuellen Judikatur diskutiert werden, also anhand der E des OGH vom Vorjahr, in der es um eine im Sekretariat eines Notars tätige Angestellte ging,* sowie anhand der jüngsten Entscheidungen des EuGH, in denen die nationalen Gerichte Anträge um Vorabentscheidung im Zusammenhang mit einer in einem belgischen Unternehmen beschäftigten Rezeptionistin (Rs Achbita) und einer in einem französischen Unternehmen tätigen Softwareingenieurin (Rs Bougnaoui) gestellt hatten.* In all diesen Fällen war es das islamische Kopftuch, das die ANinnen nicht ablegen wollten, wobei die Protagonistin im österreichischen Fall nicht nur wegen des Kopftuchs auf einen ungünstigeren Arbeitsplatz versetzt, sondern schließlich auch gekündigt wurde, als sie letztlich das Kopftuch durch einen Gesichtsschleier ersetzt hatte.

Dogmatisch betrachtet sind es dabei drei Probleme, die zu diskutieren sind:

  • Zunächst ist zu klären, ob das islamische Kopftuch oder ein anderes Symbol einer bestimmten Religion, wie das christliche Kreuz, überhaupt Ausdrucksformen eines Glaubens sind, und das Gleiche würde sinngemäß auch für bestimmte andere Attribute gelten, die, wie etwa ein Che Guevara-T-Shirt, für eine bestimmte Weltanschauung stehen.

  • Steht das fest, muss entschieden werden, ob ein AG, der ein Kopftuchverbot verfügt oder auf einer bestimmten Dienstkleidung besteht, sich einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung schuldig macht.

  • Und schließlich ist zu diskutieren, ob eine Ungleichbehandlung wegen eines Attributs einer Religion oder Weltanschauung nicht doch gerechtfertigt werden kann, was wiederum davon abhängt, ob die Diskriminierung eine unmittelbare ist oder nicht.

3.2.
Symbole und Bekleidungsstücke als Ausdrucksformen eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses

Fest steht, dass gewisse aussagekräftige Symbole oder bestimmte Bekleidungsstücke, wie das christliche Kreuz, der Turban des Sikhs, die jüdische Kippa oder die Schläfenlocke des orthodoxen Juden und (eben auch) das Kopftuch oder der Gesichtsschleier der Muslimin Manifestationen eines Glaubens oder Ausdrucksformen religiöser Observanz sein können.* Vergleichbares gilt für einen Button mit einem Bekenntnis zu einer bestimmten Ideologie oder das Tragen eines T-Shirts mit einer weltanschaulichen Aussage. Die Verwendung solcher Zeichen einer Religion oder Weltanschauung fällt daher unter den Schutz des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und sie dürfen als Ausdruck einer Religion oder Weltanschauung nicht zum Kriterium für eine Ungleichbehandlung gemacht werden. Ob ein solches Bekenntnis durch tatsächlich zwingende Glaubens- oder Gewissensgründe geboten ist und ob sie religiöse Gebote darstellen, die von allen Angehörigen eines Glaubens gleichermaßen geteilt werden oder nur von religiösen Außenseitern, ist nicht maßgeblich.* Daher kommt es im vorliegenden Zusammenhang auch nicht auf die selbst unter Muslimen umstrittene Fatwa an, zu der sich die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich im Frühjahr 2017 veranlasst sah.*

Nach der Judikatur der Straßburger Instanzen schützt Art 9 EMRK freilich nicht jede Handlung, die durch Religion oder Glauben motiviert ist, sondern nur ein solches Verhalten, das „unmittelbarer Ausdruck der weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung“ ist; das wird freilich für die verschiedenen Formen der islamischen Frauenbekleidung ebenso bejaht, wie etwa für das Tragen des christlichen Kreuzes.* Im Ergebnis kommt es somit weitgehend, wenngleich nicht grenzenlos, auf das Selbstverständnis dessen an, der seinen Glauben oder seine Weltanschauung in einer solchen Form bekunden möchte.* Daher hatten weder der OGH in seiner E vom Vorjahr noch die Generalanwältinnen in ihren Schlussanträgen bei252 den vor dem EuGH anhängigen Verfahren noch das Gericht selbst irgendwelche Zweifel, dass die entsprechenden Verhaltensweisen – das Tragen eines islamischen Kopftuchs (Hijab), eines bodenlangen Übergewandes (Abaya) oder eines Gesichtsschleiers in der Form des Niqab – Ausdrucksformen eines religiösen Bekenntnisses sind.*

3.3.
Zur Abgrenzung von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung

Wird ein AN wegen des religiös motivierten Tragens einer bestimmten Bekleidung oder der Verwendung eines bestimmten religiösen Symbols benachteiligt, etwa durch eine Kündigung oder die Zuweisung eines weniger attraktiven Arbeitsplatzes oder in einer anderen Weise, liegt eine Ungleichbehandlung vor. Fraglich und wegen der unterschiedlich gestalteten Rechtfertigungsmöglichkeiten wesentlich ist, ob es sich um eine unmittelbare Diskriminierung handelt oder ob sie auf eine „nur“ mittelbare Diskriminierung hinausläuft.

Der Unterschied zwischen diesen Diskriminierungsformen scheint evident zu sein: Unmittelbar ist eine Diskriminierung, wenn eine Benachteiligung direkt oder indirekt an das Merkmal der Religion oder Weltanschauung anknüpft; mittelbar ist eine Diskriminierung, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften die Angehörigen einer bestimmten Religion oder Weltanschauung ungerechtfertigt benachteiligen. So definiert das Gesetz in etwa den Unterschied (§ 5 GlBG) und das klingt einfach, ist aber alles andere als trivial.*

Ist es eine unmittelbare oder doch nur allenfalls eine mittelbare Diskriminierung, wenn einer ANin das Tragen des Kopftuchs durch eine individuelle Anordnung untersagt wird? Bereits diese Frage weist auf eine Mehrdeutigkeit hin. Denn so gefragt bleibt offen, ob ein solches Verbot auf jedes Kopftuch zielt (also auch auf eine modische oder eher altmodische Kopfbedeckung, und das wäre dann eine unter religiösen Gesichtspunkten neutrale Anknüpfung) oder nur bzw in Wahrheit auf das islamische Kopftuch. Damit wird bereits die erste Schwierigkeit bei der Unterscheidung der mittelbaren von der unmittelbaren Diskriminierung deutlich: Bei betrieblichen Vorschriften, etwa einem Bekleidungscode oder Uniformierungsvorschriften, kann man an den Wortlaut anknüpfen, um zu beurteilen, ob ein unverdächtiges, dh neutrales, Merkmal verwendet wird oder das verpönte Kriterium der Religion. Auch bei feststehenden betrieblichen Usancen kann man in ähnlicher Weise vorgehen. Bei einem individuellen Verhalten eines AG, wie der Erteilung einer ein entsprechendes Verbot aussprechenden Weisung, ist es dagegen zunächst eine Sachverhaltsfrage, ob die Benachteiligung wegen des islamischen Kopftuchs oder wegen einer zB für Kundenkontakte unpassenden Kleidung erfolgt, also letztlich jedes Tragen eines Kopftuchs erfasst hat oder hätte. Das wird auch in den vom EuGH entschiedenen Fällen deutlich, denn – und das wirkt auf den ersten Blick erstaunlich – die Große Kammer hat das Kopftuchverbot in der einen Entscheidung als mittelbare und in der anderen eher als unmittelbare Diskriminierung gewertet.

Im französischen Fall war die Softwaredesignerin Asma Bougnaoui bereits seit einem Jahr in einem privaten Unternehmen tätig, ohne dass ihr wegen des Kopftuchs Probleme gemacht worden waren. Sie wurde erst entlassen, als ein Kunde Anstoß am Kopftuch nahm und sie dieses nicht ablegen wollte. Ob diese Benachteiligung die AN in unmittelbar oder mittelbar diskriminierte, ließ der Gerichtshof sachverhaltsbedingt offen: Er schließt nicht aus, dass die Entlassung auf einer neutralen Richtlinie des AG beruht, denn dann wäre sie – wie sich gleich zeigen wird – eine mittelbare Diskriminierung; wenn aber die Entlassung – wie das der Sachverhalt und die Vorlagefrage nahelegen – erfolgt ist, um dem Willen eines Kunden zu entsprechen, müsse von einer unmittelbaren Diskriminierung ausgegangen werden – mit der Folge, dass die Benachteiligung grundsätzlich unzulässig bzw nur unter strengen Bedingungen gerechtfertigt werden könne.

Der OGH ist in seiner einschlägigen E ohne Weiteres von einer unmittelbaren Diskriminierung ausgegangen, wenn die Klin in diesem Verfahren, wegen des Tragens des islamischen Kopftuchs und der Abaya auf einem ungünstigeren Arbeitsplatz eingesetzt wurde; auch die letztendlich erfolgte Kündigung der Notariatsangestellten, weil sich diese weigerte, einer Weisung des AG nachkommend auf den Gesichtsschleier zu verzichten, wurde als unmittelbare Diskriminierung wegen eines religiösen Bekenntnisses gewertet. Diesen Einschätzungen wird man nicht widersprechen können, denn ähnlich wie im Fall Bougnaoui deuten auch in diesem Fall die ganz konkreten Sachverhaltselemente darauf hin, dass es tatsächlich das islamische Kopftuch und dann der Schleier waren, welche zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führten.* Dass der Notar vorgetragen hatte, ihm sei es bei den Beschränkungen der Klin bei ihrer Tätigkeit im Klientenkontakt und als Testamentszeugin nicht um die Religion, sondern ausschließlich um deren äußeres Erscheinungsbild gegangen, hat den Gerichtshof zu keiner anderen Einschätzung veranlasst.

Anders und sehr viel grundsätzlicher urteilt der EuGH in dem am selben Tag entschiedenen belgischen Fall Achbita. Hier war die Muslimin Samira Achbita als Rezeptionistin in ein privates Unternehmen eingetreten, in dem die ungeschriebene und später verschriftlichte Regel galt, wonach AN am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen tragen dürfen. Hier stellte sich für den EuGH die Frage, ob eine interne Vorschrift, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, eine verbotene unmittelbare Diskriminie253rung darstellt. Das verneint der EuGH, und zwar mit einer lapidaren Begründung, wenn er meint, dass nach dieser Regel alle AN gleich behandelt würden und diese Regel daher keine unmittelbare auf der Religion oder Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung begründe.

Was soll also gelten? Stellen Kopftuchverbote am Arbeitsplatz eine grundsätzlich verbotene Diskriminierung dar oder können sie doch auf eine nur mittelbare Benachteiligung hinauslaufen, die unter gewissen Umständen gerechtfertigt werden kann? Natürlich muss man die unterschiedlichen Sachverhalte berücksichtigen, mit denen sich der OGH und der EuGH jeweils auseinanderzusetzen hatten, und im Hinblick auf den EuGH auch die unterschiedlich formulierten Vorlagefragen der beiden Entscheidungen. Aber hängt wirklich alles von den zufälligen Besonderheiten des Sachverhalts ab? Der EuGH könnte zumindest so verstanden werden, dass es entscheidend sein sollte, ob es eine generelle Regel gibt, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens einer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung verbietet, oder ob eine ANin im Einzelfall wegen eines Kopftuchs Schwierigkeiten bekommt.* Das wäre freilich nicht sehr überzeugend. Zwar stellt eine generelle Regel wie zB eine betriebliche Bekleidungsvorschrift eher sicher, dass es nicht zu willkürlich diskriminierenden Anordnungen im Einzelfall kommen kann. Aber ob eine unmittelbare Diskriminierung zu verneinen ist, kann nicht davon abhängen, ob das gleiche Verbot generell oder individuell formuliert wird, wenn es sich nur der Sache nach um eine neutrale Anordnung handelt, die nicht an die Religion oder Weltanschauung anknüpft.

In Wahrheit geht es um eine Grundsatzfrage, welche die Judikatur des EuGH nur andeutungsweise anspricht. Sie wird in den Schlussanträgen der beiden Generalanwältinnen in den Fällen Bougnaoui und Achbita sehr viel prägnanter thematisiert, und zwar gerade weil die beiden Generalanwältinnen deutlich kontroverse Positionen bezogen haben.

Generalanwältin Sharpston hat dem Verbot unmittelbarer Diskriminierung aus religiösen Gründen in ihrem Schlussantrag zum Fall Bougnaoui einen denkbar weiten Anwendungsbereich gegeben: Eine in den Arbeitsplatzvorschriften eines Unternehmens enthaltene Regelung, die AN des Unternehmens während des Kontakts mit Kunden das Tragen religiöser Zeichen oder einer religiös konnotierten Bekleidung verbietet, läuft immer auf eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung hinaus.* Das ist zumindest eine eindeutige Auffassung.

Konträr sieht das die Generalanwältin Kokott im Fall Achbita. Sie verneint das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung in einer solchen Konstellation, und zwar (zunächst) mit dem Argument, dass die darin liegende Benachteiligung anders als einer Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, des Alters oder der sexuellen Orientierung eines Menschen nicht an unabänderliche Körpermerkmale oder persönliche Eigenschaften von Menschen anknüpfe, sondern an Verhaltensweisen, die auf einer subjektiven Entscheidung oder Überzeugung beruhen, wie das Tragen oder Nichttragen einer Kopfbedeckung.* Dieses Argument ist jedenfalls beim Wort genommen fragwürdig, denn zu Ende gedacht würde damit der Schutz vor religiöser Diskriminierung ausgehebelt. Denn die Entscheidung für einen bestimmten Glauben oder eine Weltanschauung beruht immer auf einer „subjektiven Entscheidung“, an die gleichwohl auch in Arbeitsverhältnissen kein Nachteil geknüpft werden darf.

Trotzdem geht die Argumentation der Generalanwältin Kokott in die richtige Richtung: Das Recht verbietet eine Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung, weil die geistige und religiöse Überzeugung eines Menschen Sache seiner freien persönlichen Entscheidung sein soll. Das gilt auch für das Arbeitsverhältnis, in dem der Einzelne nicht vor die Wahl gestellt werden darf, sich zur Vermeidung von Nachteilen für oder gegen einen bestimmten Glauben oder für oder gegen eine bestimmte Weltanschauung einschließlich der Glaubenslosigkeit zu entscheiden. Auch ein AG darf sich nicht in diese höchstpersönlichen Entscheidungen einmengen und hat daher in den Dingen des Glaubens und der Weltanschauung seinen AN gegenüber strikte Neutralität zu wahren.

Eine Verpflichtung zum Verzicht auf eine Bekleidung oder auf Symbole, die in auffälliger Weise mit einem bestimmten Glauben oder einer Weltanschauung assoziiert werden, nimmt zwar die Freiheit zu einem bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis. Das Selbstbestimmungsrecht in Dingen des Glaubens und der Weltanschauung wäre freilich nur dann beeinträchtigt, wenn das Bekenntnis für oder gegen eine bestimmte Religion oder für oder gegen eine bestimmte Weltanschauung einschließlich des Atheismus beeinträchtigt würde. Erstreckt sich eine betriebliche Bekleidungsvorschrift auf alle Manifestationen des Glaubens und andere Ausdrucksformen einer Weltanschauung, kommt es aber zu keiner Bevorzugung oder Benachteiligung religiöser AN im Verhältnis zu solchen, die einen anderen Glauben haben, die der Religion fernstehen oder sie als bekennende Atheisten ablehnen.* Es handelt sich somit tatsächlich um keine unmittelbare Diskriminierung auf Grund der Religion oder Weltanschauung. Anders wäre es nur, wenn man dem Diskriminierungsschutz eine Wertentscheidung zugunsten der Religion entnehmen müsste;* das ist aber mE nicht möglich, denn das Gleichbehandlungsrecht schützt die Freiheit, sich für diese oder jene oder gegen eine Religion oder Weltanschauung zu entscheiden, nicht aber die Freiheit zur Ausübung einer Religion am Arbeitsplatz.

Wenn das der EuGH im Fall Achbita so gemeint hat, kann man ihm zustimmen. Wahrt ein AG gegenüber den AN strikte Neutralität in den Dingen der Religion und Weltanschauung, stellt dies keine unmit-254telbare Diskriminierung „auf Grund“ der Religion oder Weltanschauung dar, auch wenn das auf ein Verbot hinausläuft, Symbole zur Schau zu stellen oder Bekleidungsstücke zu tragen, die mit einer Religion oder Weltanschauung assoziiert werden. Ein Recht zum Tragen eines Kopftuchs oder anderer Symbole und Manifestationen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse kann sich daher allenfalls aus dem Verbot auch mittelbarer Diskriminierungen ergeben oder aus dem Freiheitsrecht der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit.

3.4.
Zur Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung

Dass der OGH für den von ihm zu entscheidenden Fall der muslimischen Notariatsangestellten von einer unmittelbaren Diskriminierung ausgegangen ist, und das nach Lage des Falles wahrscheinlich zu Recht, wurde bereits erwähnt. Auch in der Vorabentscheidung im Fall Bougnaoui lässt der EuGH erkennen, dass die Kündigung der ANin, um einem Kundenwunsch zu entsprechen, vom nationalen Gericht wohl eher als unmittelbare Diskriminierung anzusehen wäre. Daher konnte die Kündigung oder Entlassung der ANinnen in diesen Fällen, die wegen der Weigerung ausgesprochen wurde, das Kopftuch oder (im österreichischen Fall) den Gesichtsschleier abzulegen, nur dann keine unzulässige Diskriminierung darstellen, wenn sie nach § 20 Abs 1 GlBG bzw Art 4 Abs 1 der RL hätte gerechtfertigt werden können. Nach diesen Bestimmungen liegt keine Diskriminierung vor, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt und sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.*

Einig ist sich die nationale und europäische Judikatur, dass diese Bestimmung als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist.* Ob einer solchen Auslegungsmaxime wirklich die ihr zugeschriebene Überzeugungskraft zukommt, ist fraglich; aus grundrechtlicher Sicht könnte die unkritische Übernahme dieser Maxime hinterfragt werden, weil die zitierte Ausnahmebestimmung der Sache nach auf einen Ausgleich zwischen dem Anliegen des Diskriminierungsschutzes und den betrieblichen Erfordernissen und Notwendigkeiten zielt, also auf einen Ausgleich mit Gesichtspunkten, die im Hinblick auf die wirtschaftlichen Freiheitsrechte (Eigentums- und Berufsfreiheit, unternehmerische Freiheit), die dem AG zustehen, ebenfalls Grundrechtsschutz genießen. Zumindest bei der Auslegung wird das zu beachten sein.

Auch der OGH bekennt sich zum Gebot einer engen Auslegung des Ausnahmetatbestands, um dann doch eine Mehrzahl von Gesichtspunkten ins Gewicht fallen zu lassen, um die Kündigung wegen der Weigerung, den Gesichtsschleier abzulegen, zu rechtfertigen. Zunächst verweist der Gerichtshof auf die bekannte S.A.S.-E des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs zu Frankreich, aus welcher abgeleitet wird, dass das Verbot des Tragens eines Gesichtsschleiers gerechtfertigt sei, um zwischenmenschliche Beziehungen zu ermöglichen, die nicht durch die Verschleierung des Gesichts beeinträchtigt werden dürften. Darauf aufbauend wird es sodann zu den „unbestrittenen Grundregeln zwischenmenschlicher Kommunikation“ gerechnet, das Gesicht unverhüllt zu lassen, wobei sich der OGH auf eine strafrechtliche Entscheidung stützt, in der es um die Zeugin ging, die sich in einem Strafverfahren geweigert hatte, auf ihre Verschleierung zu verzichten. Schließlich wird noch auf die deutsche Rechtslage und die Verpflichtung von Lehrerinnen an öffentlichen Schulen verwiesen, ihr Gesicht unverhüllt zu lassen.* Es ist also eine Art von tour d‘horizont durch prominente „Verschleierungsfälle“, welche der OGH hier unternimmt. Dass das allgemeine französische Verschleierungsverbot auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, und dies wiederum vor dem Hintergrund der spezifisch französischen laicité und mit allgemeiner Geltung, dass es beim Verschleierungsverbot im Strafprozess um die Erfordernisse einer aussagekräftigen Zeugenaussage geht und die Lehrerinnen in Deutschland wegen der staatlichen Neutralitätspflicht den Schleier ablegen müssen, gibt diesen Belegen freilich eine jeweils ganz spezifische Konnotation. Ob das alles für das Arbeitsverhältnis und betriebliche Umstände maßgeblich ist, bleibt offen.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob es wirklich nötig und sinnvoll ist, auf „Grundregeln der zwischenmenschlichen Kommunikation“ oder den achtenswerten, aber mehrdeutigen Wert der Toleranz in zwischenmenschlichen Beziehungen Bezug zu nehmen, um die spezifischen beruflichen Anforderungen zu definieren, die für die Tätigkeit einer Sekretärin in einer Notariatskanzlei iSd § 20 Abs 1 GlBG entscheidend und wesentlich sind. Das alles scheint mir eher offen für rechtsstaatliche Missverständnisse zu sein:* Zumindest im Polizeirecht hat sich der Rechtsstaat schon vor längerer Zeit von solchen ungeschriebenen Verhaltensanforderungen verabschiedet. Dieser Rekurs auf vage Konventionen ist auch gar nicht nötig, um die relativ einfache Schlussfolgerung zu stützen, bei255 der dem OGH gar nicht zu widersprechen ist: Zu den üblichen betrieblichen Erfordernissen einer Tätigkeit in einem Sekretariat, auf die ein AG einen vertraglichen Anspruch hat, gehört ein unverhüllter Umgang mit Kunden, anderen Mitarbeitern und dem Chef, ohne die es in unserer Arbeitswelt schwer möglich ist, die geschuldete Arbeit als solche und dies außerdem im Rahmen eines akzeptablen Betriebsklimas zu besorgen.

Das alles gilt für den Gesichtsschleier. Eine andere Beurteilung findet das islamische Kopftuch, und zwar sowohl beim OGH wie in der EuGH-E im Fall Bougnaoui, wobei es auch hier – da bzw soweit von einer unmittelbaren Diskriminierung auszugehen war – auf eine Rechtfertigung durch eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ankam. Dies haben die beiden Gerichte im Ergebnis verneint, und auch das sicherlich zu Recht: Weder aus der Verpflichtung des Notars zu einer objektiven und unparteiischen Amtsführung noch aus anderen zwingenden Erfordernissen des Arbeitsplatzes oder wegen der Wünsche von Kunden lassen sich diese Verbote rechtfertigen; auch auf den weiteren, auf Kirchen ua, durch einen besonderen Ethos gekennzeichnete Tendenzbetriebe zugeschnittenen Ausnahmetatbestand des § 20 Abs 2 GlBG kann sich der Notar nicht berufen.

3.5.
Zur Rechtfertigung im Rahmen einer mittelbaren Diskriminierung

Somit zeigt sich als ein Zwischenergebnis: Kopftuchverbote oder vergleichbare Verbote, die sich auf die Zurschaustellung auffälliger religiöser oder weltanschaulicher Symbole am Arbeitsplatz bis hin zur Verschleierung beziehen, können eine unmittelbare Diskriminierung auf Grund der Religion oder Weltanschauung bewirken. Eine darauf gestützte Benachteiligung lässt sich dann nur unter den engen Voraussetzungen rechtfertigen, dass ein solches Verbot wegen zwingender beruflicher Voraussetzungen unerlässlich ist. Wenn das die Judikatur für den Fall einer Gesichtsverschleierung annimmt und für den Fall eines islamischen Kopftuchs verneint, ist das für die typischen Arbeitsplatzsituationen und beruflichen Tätigkeiten zutreffend. Ein Kopftuchverbot könnte daher nur dann gerechtfertigt werden, wenn es dafür einen ganz konkreten arbeitsplatzbezogenen Grund gibt, etwa um tatsächliche Gefährdungen der ANinnen oder von Kunden zu vermeiden, aus Hygienegründen oder bei Tätigkeiten, die wie im Fall eines Models ein bestimmtes äußeres Erscheinungsbild voraussetzen.

Das alles gilt freilich nur für die Fälle einer unmittelbaren Diskriminierung. Verfügt ein AG neutrale Beschränkungen im Hinblick auf auffällige Symbole und Kleidungsstücke, die ein Bekenntnis religiöser oder weltanschaulicher Art zum Ausdruck bringen, handelt es sich nach der E des EuGH im Fall Achbita, der im Ergebnis zuzustimmen ist, um keine unmittelbare Diskriminierung. Auch neutrale Beschränkungen dieser Art können allerdings darauf hinauslaufen, dass Mitarbeiter mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt werden, was nicht nur ausnahmsweise auf Musliminnen zutreffen wird, wenn diesen das Tragen eines Kopftuches verwehrt wird. Eine solche Benachteiligung ist freilich unter den Bedingungen des § 20 Abs 2 GlBG rechtfertigungsfähig, wenn das Verbot einem legitimen Ziel dient und dieses Ziel mit angemessenen und erforderlichen Mitteln verfolgt wird; gibt es eine solche tragfähige Rechtfertigung, liegt keine unzulässige mittelbare Diskriminierung vor.

Entscheidend ist somit die Rechtfertigungsfähigkeit: Gibt es eine im dargelegten Sinne tragfähige Rechtfertigung, darf ein Kopftuchverbot auch dann verfügt werden, wenn es zu greifbaren Benachteiligungen für die Angehörigen bestimmter Glaubensgemeinschaften kommt. Dabei gibt der EuGH der Frage nach der Rechtfertigungsfähigkeit von Bekleidungsvorschriften bereits von Beginn an eine ganz wesentliche und folgenreiche Wendung: Denn eine betriebliche Neutralitätspolitik stelle nicht nur keine unmittelbare Diskriminierung dar, sondern sie sei sogar selbst Ausdruck einer grundrechtlichen Freiheit: Denn der „Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit, die in Art 16 der Charta [EU-Grundrechtecharta] anerkannt ist“, und dieser Wunsch „ist grundsätzlich rechtmäßig“.*

So gesehen wird das Vorliegen eines rechtmäßigen Ziels außer Frage gestellt. Im Zusammenhang mit der Erforderlichkeit und Angemessenheit eines diesem Ziel dienenden Kopftuchverbots zeigt der EuGH im Fall Achbita allerdings gewisse Grenzen und Schranken auf, die einer betrieblichen Neutralitätspolitik gesetzt sind; insoweit ist das in manchen Medien vermittelte Bild, der EuGH habe den AG schlechterdings die Freiheit zur Einführung von Kopftuchverboten gegeben, falsch: Denn der AG muss seine Neutralitätspolitik in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, er darf das Tragen eines Kopftuchs nur den mit Kunden in Kontakt tretenden ANinnen verbieten und er muss versuchen, einer ANin einen Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt mit Kunden anzubieten, bevor er sie wegen der Weigerung, auf das Kopftuch zu verzichten, entlässt.* Ob diese Bedingungen erfüllt sind und ob insgesamt die Angemessenheit des betrieblichen Bekleidungscodes gewahrt ist, müssen – so der EuGH – die nationalen Gerichte beurteilen.

Wie ist nun diese E des EuGH einzuordnen? Auffällig ist zunächst die Divergenz zur Auffassung des österreichischen Höchstgerichts: Der OGH geht von der Unzulässigkeit eines Kopftuchverbots aus, freilich unter der Annahme einer unmittelbaren Diskriminierung, während der EuGH den Unternehmern die Freiheit attestiert, sich zu einer – freilich sachlich begrenzten – Neutralitätspolitik zu bekennen, wenn diese in der Form einer betrieblichen „Regel“ eingeführt wird. Auf sie gestützt256 darf ein Kopftuchverbot grundsätzlich verfügt werden, freilich nur im aufgezeigten eingeschränkten Umfang, also begrenzt auf Kundenkontakte und mit der Verpflichtung, die Zuweisung eines Ersatzarbeitsplatzes für Kopftuchträgerinnen zu prüfen. Wäre es dem österreichischen Notar also gelungen, die Existenz einer allgemeinen betrieblichen Regel nachzuweisen, wäre dann sein Fall vielleicht anders zu beurteilen gewesen? Ich lasse das offen, denn entscheidend scheint ohnedies eine andere Frage zu sein.

Fehlt nicht, so muss man sich fragen, in dem ganzen Gefüge dogmatischer Erwägungen, die der EuGH im Fall Achbita anstellt, ein nicht unwesentlicher Baustein – nämlich das Grundrecht der Religionsfreiheit? Zwar kann man sich der Ansicht des EuGH anschließen, dass eine betriebliche Neutralitätspolitik grundsätzlich zulässig ist und unter den Aspekten des Gleichbehandlungsrechts allenfalls auf eine mittelbare, aber rechtfertigungsfähige Diskriminierung hinausläuft. Die grundrechtliche Freiheit zur Äußerung eines religiösen Bekenntnisses gewährleistet aber nicht nur Gleichheit, sondern Betätigungsfreiheit, und sie schützt auch das Tragen des Kopftuchs am Arbeitsplatz.

Der EuGH hat im Fall Achbita für die Religionsfreiheit nur eine Nebenbemerkung übrig gehabt, wenn er auf die Judikatur des Straßburger Gerichtshofs im Fall Eweida verweist, um seine Aussage zu untermauern, dass ein Unternehmen mit der angesprochenen Neutralitätspolitik ein rechtmäßiges Ziel verfolgt.* Dass die Religionsfreiheit auf diese Weise nur mehr von der Schranke, nicht aber von ihrer Substanz her gedacht wird, halte ich indessen für missverständlich, ja sogar für unverständlich. Zwar hat der EGMR in Eweida einem Unternehmen das legitime Recht zuerkannt, ein gewisses Unternehmensimage zur verfolgen, und zwar auch in der Form eines bestimmten Bekleidungscodes;* dieses Recht wird allerdings vor dem Hintergrund der fundamentalen Bedeutung behandelt, die der Religionsfreiheit nach Auffassung des Gerichts in einer demokratischen Gesellschaft zukommt, die auf Pluralismus beruht und auf Toleranz auch in Glaubensdingen angewiesen ist.

Wenn der EuGH die Religionsfreiheit nur von der Seite ihrer Einschränkungen her behandelt und die Grundrechtecharta mit der unternehmerischen Freiheit (Art 16), nicht aber die in der Charta ebenfalls gewährleisteten Religionsfreiheit (Art 10) ins Spiel bringt, entsteht somit eine wertungsmäßige Schieflage. Sie stellt die entscheidende Schwäche der E des EuGH im Fall Achbita dar: Denn wenn bereits jede Form einer betrieblichen Neutralitätspolitik eine ausreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung religiös oder weltanschaulich motivierter Manifestationen darstellt, läuft das auf einen Freibrief hinaus. Dabei helfen dann die vom EuGH angeführten Schranken einer solchen Politik nicht mehr wirklich weiter – denn ist eine Neutralitätspolitik per se gerechtfertigt, dürfte es auch keinen Unterschied machen, ob sich das Verbot religiöser Zeichen nur auf Kundenkontakte bezieht oder für interne Unternehmensbereiche gilt, für die es unter Umständen sogar wichtiger sein könnte, auf strikter religiöser oder weltanschaulicher Neutralität zu beharren.

Blendet man die Religionsfreiheit nicht aus, zeigt sich, dass es bei Erscheinungsformen einer mittelbaren Diskriminierung und gerade bei ihnen in Wahrheit um einen angemessenen Ausgleich (fair balance) zwischen den Interessen des Unternehmens und den Interessen der ANinnen an der Betätigung ihrer religiösen Überzeugungen geht, wobei beide Seiten grundrechtlich geschützt sind und keine einen prinzipiellen Vorrang behaupten kann.

Das ist nun zugleich der Punkt, an dem das entsprechende Freiheitsrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ins Spiel kommt und kommen muss, das nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern Betätigungsfreiheit garantiert. Diese Freiheit ist nicht schrankenlos, aber sie ist auch im Rahmen privater Arbeitsverhältnisse zu respektieren, und zwar – folgt man der E des EGMR im Falle Eweida ua – durch einen abwägenden Interessenausgleich zwischen dem grundrechtlich geschützten Interesse des AN und denjenigen des AG.

Mit diesem Erfordernis konvergieren Gleichbehandlungsrecht und Grundrechtsgarantie: Wird der Konflikt in der konkreten Situation in einer Weise gelöst, die insgesamt als der grundrechtlich gewährleistete faire Ausgleich bewertet werden kann, ist die Lage auch iSd Gleichbehandlungsrechts und der bei mittelbaren Diskriminierungen beachtlichen Rechtfertigungserfordernisse gelöst. Der gelungene grundrechtliche Interessenausgleich lässt zugleich den Vorwurf der unzulässigen mittelbaren Diskriminierung entfallen.

Was bedeutet das für die Praxis? Aus der Perspektive der Religions- und Weltanschauungsfreiheit betrachtet, muss ein Unternehmen grundsätzlich die religiöse Freiheit von ANinnen respektieren, sich für das Tragen eines Kopftuchs zu entscheiden, und Gleiches gilt für andere Zeichen einer Religion oder Weltanschauung. So gesehen kann man der E des OGH folgen, wenn dieser zwingende betriebliche Notwendigkeiten für ein Kopftuchverbot verneint. Ich meine, dass das sogar der Regelfall ist. Einem Unternehmen ist es allerdings, insoweit ist dem EuGH zu folgen, nicht verwehrt, und zwar weder unter den Gesichtspunkten des Gleichbehandlungsrechts noch denen des Grundrechts, einen Bekleidungscode einzuführen, wenn und soweit mit diesem legitime Ziele verfolgt werden: Die bloße Berufung auf eine betriebliche Neutralitätspolitik ist freilich mE zu allgemein und undifferenziert und läuft Gefahr, nichts anderes als ein Feigenblatt für unzulässige mittelbare Diskriminierungen zu liefern. Tatsächlich kann es konkrete unternehmerische Zielsetzungen geben, die einen betrieblichen Bekleidungscode rechtfertigen, etwa zur Gestaltung eines einheitlichen Unternehmensauftritts oder unter Berücksichtigung zwingender Markterfordernisse; sie dürfen verfolgt werden, wenn dies diskriminierungsfrei, dh in religiös und257 weltanschaulich neutraler Weise, geschieht.* Die Legitimität und das Gewicht, das solchen unternehmerischen Zielsetzungen zukommt, müssen vom entscheidenden Gericht im Einzelfall bewertet werden, wie dies auch der EuGH anerkannt hat, der die Bewertung der Angemessenheit einer Beschränkung dem nationalen Richter überlässt. Aber der Ausgangspunkt für eine solche Bewertung muss jedenfalls der fundamentale Rang der Religionsfreiheit sein und ebenso die besondere Bedeutung des Glaubens oder von weltanschaulichen Überzeugungen für die Entfaltung der individuellen Persönlichkeit. Das hätte der EuGH deutlicher sagen müssen und das begründet den Vorwurf der wertungsmäßigen Schieflage.

4.
Besonderheiten bei öffentlichen Dienstverhältnissen und bei Tendenzbetrieben

Besonderheiten gibt es im Hinblick auf die Themen von Religion und Weltanschauung in Arbeitsverhältnissen, wenn Dienstverhältnisse zu öffentlichen DG und zu Tendenzbetrieben in den Blick genommen werden.

4.1.
Besonderheiten bei öffentlichen Dienstverhältnissen

Weder nach dem Gleichbehandlungsrecht noch im Kontext des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit kommt es zunächst darauf an, ob es sich um einen AN in einem privaten Dienstverhältnis handelt oder um einen öffentlich Bediensteten und ob auf das Arbeitsverhältnis Privatrecht oder ein öffentlich-rechtliches Dienstrecht anzuwenden ist. Ist der Staat oder eine ihm gleich zu haltende öffentliche Institution der AG, tritt allerdings ein besonderer Rechtfertigungsgrund in den Fokus. Nach ihrem verfassungsrechtlich verankerten Selbstverständnis sehen sich manche Staaten einem streng verstandenen Prinzip der religiösen Neutralität verpflichtet, mit dem es unvereinbar wäre, wenn sich staatliche Einrichtungen und die dort tätigen Bediensteten mit einer bestimmten Religion identifizieren. Die öffentliche Zurschaustellung religiöser Symbole oder das Tragen religiös konnotierter Bekleidung verstößt nach dieser Auffassung gegen das Identifikationsverbot und muss daher unterbleiben. Auch in diesem Zusammenhang steht das islamische Kopftuch im Zentrum der Aufmerksamkeit, obwohl sich das Identifikationsverbot an sich auf jedes religiöse Bekenntnis bezieht oder beziehen müsste, wenn dieses demonstrativ zur Schau gestellt wird.

Ein solches staatliches Identifikationsverbot, wie es etwa für die Rechtsordnungen Frankreichs oder Deutschlands gilt, wirft eigenständige Probleme auf. Für das österreichische Recht wäre zunächst zu fragen, ob es ein vergleichbares Verbot der sichtbaren religiösen Identifikation auch für österreichische Behörden oder sonstige Einrichtungen, wie zB für öffentliche Schulen und die dort tätigen Bediensteten, gibt. Dabei müsste man verschiedene Aspekte unterscheiden. Auf der verfassungsrechtlichen Ebene lässt sich ein striktes Identifikationsverbot de lege lata constitutione nicht begründen. Zwar ist der Staat von Verfassungs wegen zur Neutralität gegenüber den Glaubensgemeinschaften verpflichtet und er hat sie grundsätzlich gleich zu behandeln, aus dieser den Staat treffenden Pflichten kann aber kein unmittelbar anwendbares Verbot für einzelne Bedienstete folgen, nicht zuletzt im Lichte der diesen zustehenden religiösen Bekenntnisfreiheit.* Auch die in diesen Zusammenhängen gelegentlich ins Treffen geführten Vorschriften für das Tragen des richterlichen Amtskleides und die Uniformierungsvorschrift für Sicherheitsorgane bilden keine taugliche Rechtsgrundlage für ein „Kopftuchverbot“, nicht zuletzt im Hinblick auf den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt (Art 9 Abs 2 EMRK) und das für Grundrechtseingriffe geltende Bestimmtheitsgebot.* Ein durch generelle oder individuelle Weisung eines Vorgesetzten verfügtes Verbot müsste daher am Gesetzesvorbehalt des Art 9 Abs 2 EMRK gemessen werden und es wäre mangels tragfähiger gesetzlicher Grundlage verfassungswidrig.

Die andere Frage ist, ob der Gesetzgeber ein Kopftuchverbot im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Beamtendienstrechts oder des Vertragsbedienstetenrechts einführen dürfte, wie dies bekanntlich gegenwärtig politisch gefordert und als Integrationsanreiz von manchen Migrationsexperten befürwortet wird. Über die rechtspolitische Sinnhaftigkeit eines solchen Verbots kann man diskutieren. Ob es verfassungsrechtlich betrachtet zulässig ist, kann nicht von vornherein verneint werden, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der einschlägigen Judikatur des EGMR.* Als staatlicher Eingriff in die Bekenntnisfreiheit müsste ein solches Verbot anhand des Gesetzesvorbehalts (Art 9 Abs 2 EMRK) gerechtfertigt werden. Das setzt voraus, dass sich der Gesetzgeber auf tragfähige Gründe stützen258 kann und diese mit verhältnismäßigen Mitteln verfolgt. Eine konzise Politik staatlicher Neutralität kann daher entsprechende Einschränkungen rechtfertigen, freilich nur, wenn sie kein bestimmtes Religionsbekenntnis diskriminiert und sich nicht nur in Bekleidungsvorschriften erschöpft. Ein isoliertes Verbot des islamischen Kopftuchs würde diese Bedingungen nicht erfüllen und eine neutral gefasste Regelung wirft die Fragen auf, welche bereits im Rahmen der Behandlung der mittelbaren Diskriminierung erörtert wurden.*

Letztlich würde eine solche Regelung gewichtige Grundsatzfragen aufwerfen: Das österreichische Staatskirchenrecht gab bisher, neben dem Grundsatz der Neutralität des Staates und der Parität der Religionsgemeinschaften, dem Prinzip einer Kooperation zwischen dem Staat und den anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften deutlichen Raum. Ob es hier eine Neuorientierung geben soll, die stärker in eine laizistische Richtung geht, ist eine politische Frage. Sie soll hier nicht vertieft werden. Diese Diskussion müsste aber geführt werden, bevor man die Forderung nach einem „Kopftuchverbot“ weiter verfolgt.

4.2.
Religion und Weltanschauung bei kirchlichen Organisationen und bei Tendenzbetrieben

Andere Besonderheiten gelten für das kirchliche Arbeitsrecht und die Arbeitsverhältnisse bei anderen, nicht-kirchlichen Tendenzbetrieben. Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung in der Richtlinie sieht § 20 Abs 2 GlBG eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot für berufliche Tätigkeiten in Kirchen oder anderen öffentlichen oder privaten Organisationen vor, deren Ethos auf religiösen oder weltanschaulichen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht. Diese mitunter als „Kirchenklausel“ bezeichnete Ausnahme entspannt die möglichen Spannungslagen, die es geben kann, wenn sich ein AG selbst auf seine religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisfreiheit und eine sie sichernde Selbstverwaltungsgarantie stützt. Diese Begünstigung kommt nicht jedem AG zu, sondern denjenigen Einrichtungen, die sich – wie es das Gesetz angelehnt an die Richtlinie formuliert – auf ein ausgeprägtes „Ethos“ stützen, also auf eine sittliche oder weltanschaulich geprägte Grundsatzhaltung, die für das Selbstverständnis des Betriebs und die dort geleisteten Arbeiten wesentlich ist. Gestützt auf diese Ausnahmebestimmung können die erfassten Kirchen und sonstigen Tendenzbetriebe bei der Einstellung und der Beschäftigung ihrer Mitarbeiter sowie bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen spezifische Loyalitätsbindungen und -pflichten erwarten und durchsetzen, ohne dass ihnen deswegen eine Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung vorgeworfen werden kann.

Die Auslegung dieser Bestimmung wirft nicht wenige Zweifelsfragen auf, die freilich durchwegs lösbar sind und auf die an dieser Stelle nur hingewiesen werden soll.* Praktisch wichtig sind Fälle, in denen ein AN nicht unmittelbar wegen seiner Religion, sondern wegen Verhaltensweisen benachteiligt wird, die mit religiös begründeten Erwartungen des kirchlichen AG unvereinbar sind, also etwa wegen seiner sexuellen Orientierung, seinem Alter oder seinem Geschlecht. Denn der Ausnahmetatbestand erfasst nur Diskriminierung aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen, nicht aber aus anderen verpönten Motiven, wie das die Richtlinie eindeutig festhält (Art 4 Abs 2 RL 2000/78/EG). Wie daher etwa eine Benachteiligung wegen einer gelebten Homosexualität zu beurteilen ist, wird kontrovers gesehen.*

5.
Sonstige Beschränkungen der religiösen oder weltanschaulichen Betätigung im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen

Das Kopftuchverbot ist zur Cause célèbre geworden, wenn es um den Stellenwert der Religion in Arbeitsverhältnissen geht. Das darf nicht übersehen lassen, dass das Bekenntnis zu einem bestimmten Glauben und seine Ausübung auch in anderen Zusammenhängen Fragen aufwerfen können, auf die das Arbeitsrecht zu antworten hat, und Vergleichbares kann auch für Weltanschauungen gelten.

Wenn ein frommer Muslim sich weigert, an der Abfüllung alkoholischer Getränke mitzuwirken, weil der Wein nach einem Koranvers „ein wahrer Gräuel und Teufelswerk“ ist, beruft er sich auf ein religiös begründetes Verbot. Der in einer Sexualberatungsstelle tätige Angestellte im EGMR-Fall Eweida ua hat es abgelehnt, homosexuelle Paare zu beraten, weil er das mit seiner christlichen Überzeugung nicht vereinbaren konnte. Auf der gleichen Ebene liegen die Weigerung des gläubigen Juden, am Samstag zu arbeiten, oder das Beharren des Muslims auf die Einhaltung strikter Fastengebote, die mit regelmäßiger Arbeitsleistung unvereinbar sein können, also Sachverhalte, die als Beispiele für jene Fallkonstellationen angeführt werden können, in denen die Verpflichtung zur Einhaltung von Arbeitszeitregelungen mit religiösen Geboten kollidiert.

Der arbeitsrechtlichen Literatur und Judikatur sind solche Konstellationen nicht unbekannt und sie hat Standards und Kriterien entwickelt, wie damit umzugehen ist. Soweit es um die Zuweisung von Arbeiten geht, die den AN in einen ernsthaften Konflikt mit religiösen Pflichten verwickeln oder seinem Gewissen widerstreiten, gebietet die Fürsorgepflicht dem AG ein gewisses Maß an Rücksichtnahme. Das kann auf die Zuweisung einer anderen Arbeit hinauslaufen, wenn das möglich259 ist.* Die Teilnahme an religiösen Übungen oder Ritualen ist ebenfalls im Rahmen des Möglichen zu gestatten, auch durch eine entsprechende Freistellung ohne Gehaltseinbuße, wenn es dafür einen wichtigen Grund gibt.* Für die nähere Bemessung dieser Pflichten zur Rücksichtnahme spielen die Gesichtspunkte der Vorhersehbarkeit und der Zumutbarkeit eine nicht unbedeutsame Rolle.*

Aus einer grundrechtlichen Perspektive betrachtet sind solche und andere Maximen der Konfliktlösung, die hier nur angedeutet wurden, weder zu beanstanden noch kann das Verfassungsrecht entscheidend neue Gesichtspunkte ins Spiel bringen. Man kann die erwähnten Gesichtspunkte der Vorhersehbarkeit und Zumutbarkeit durchaus als verfassungskonforme Ausprägungen des Interessenausgleichs ansehen, zu dem (auch) das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit anhält.

Dem Gleichbehandlungsrecht kommt in diesen Zusammenhängen insoweit Relevanz zu, als es gebietet, den grundrechtlichen Interessenausgleich diskriminierungsfrei zu gestalten. Nimmt der AG im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf religiöse Bedürfnisse Rücksicht oder erlaubt er die Berufung auf Gewissenszwänge, darf er dabei nicht bestimmte Religionsbekenntnisse und Weltanschauungen bevorzugen oder benachteiligen. Das kann in einer Zeit, die durch eine religiöse Vielfalt gekennzeichnet ist, schwieriger geworden sein. Das, was früher als quasi selbstverständliche Bedachtnahme auf Mehrheitsreligionen hingenommen wurde, kann unter diesen Umständen problematisch werden. Vor allem kann der staatskirchenrechtliche Sonderstatus der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht mehr ohne Weiteres oder fraglos unterstellt werden. Galt dieser Status für lange Zeit als verfassungsrechtlich legitimiert, ist heute die Beurteilung der diesen Kirchen und Religionsgemeinschaften eingeräumten Privilegien den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes nicht mehr entzogen.

Nicht zuletzt veranlasst durch die Judikatur des Straßburger Gerichtshofs wird heute die Pflicht zur Gleichbehandlung der verschiedenen religiösen Bekenntnisse schärfer ausgeprägt.* Das gilt in Österreich für die im Rahmen des Anerkennungsrechts anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften im Verhältnis zueinander, aber auch für den Rechtsstatus der anerkannten Religionsgemeinschaften im Vergleich zu den nicht-anerkannten Konfessionen bzw denjenigen religiösen Gemeinschaften, die sich als Bekenntnisgemeinschaften konstituiert haben. Die einzelnen religiösen Bekenntnissen zugestandenen Sonderrechte können heute, ausgehend von der Neutralitätspflicht des Staates und einer Verpflichtung zu einer diskriminierungsfreien („fairen“) Ausgestaltung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse, nur dann gerechtfertigt werden, wenn es für die jeweilige Sonderstellung eine konkrete und tragfähige Rechtfertigung gibt.

In diesem Lichte bedürfen etwa die Regelungen des Arbeitsruherechts einer Neubewertung. Dass die Regelungen über die Sonn- und Feiertagsruhe (§§ 3, 7 ARG) maßgeblich durch christliche Vorstellungen geprägt sind, ist unübersehbar und zugleich als Rechtfertigungsgrund nicht mehr selbstverständlich tragfähig. Dies führt zur Frage, inwiefern bestimmte gesellschaftliche Konventionen, die ursprünglich aus einer bestimmten religiösen Tradition entstanden sind, in einer säkularen, zugleich aber auch multireligiösen Gesellschaft zu bewerten sind. Die Antwort wird ähnlich kontrovers ausfallen wie nach der Bedeutung des Kreuzes in Schulen oder Kindergärten, das für die einen ein sich aufdrängendes Symbol des Christentums ist, während andere und auch der VfGH darin eher ein „Symbol der abendländischen Geistesgeschichte“ sehen, dem keine staatliche Präferenz für eine bestimmte Religion entnommen werden müsse.*

Davon abgesehen sind vor allem die gegen die Regelung des § 7 Abs 3 ARG erhobenen Bedenken nicht von der Hand zu weisen, in welcher der Karfreitag nur für die Angehörigen der evangelischen, der altkatholischen und der methodistischen Kirche zum Feiertag erklärt wird.* Es wird abzuwarten sein, ob der vom OGH mit dieser Sache befasste EuGH mit der anstehenden Vorabentscheidung mehr Klarheit schaffen können wird als mit seinen beiden Entscheidungen zum islamischen Kopftuch.*

6.
Schlussbemerkungen

Losgelöst von allen dogmatischen Subtilitäten, die dem nicht erspart bleiben, der sich mit dem Gleichbehandlungsrecht auseinandersetzt, und den Besonderheiten der Sachverhalte, mit denen sich der OGH und der EuGH in ihren „Kopftuch-260entscheidungen“ auseinanderzusetzen hatten, gibt es zusammenfassend betrachtet gute Gründe, der behandelten E des OGH vom 25.5.2016, 9 ObA 117/15v, zuzustimmen. Dass einer ANin im Regelfall das Tragen des islamischen Kopftuchs nicht verwehrt und daran kein Nachteil geknüpft werden darf und dass eine Gesichtsverschleierung in den allermeisten Fällen mit den Erfordernissen eines Arbeitsplatzes unvereinbar ist, lässt sich nicht nur dogmatisch begründen. Es ist zugleich ein Ausdruck praktischer juristischer Vernunft.

So gesehen gibt diese Entscheidung dem Prinzip der gelebten Toleranz auch im Arbeitsrecht und im Zusammenhang mit den heikel gewordenen Dingen des Glaubens praktische Relevanz. Sie stellt sicher, dass auch am Arbeitsplatz dem Umstand Rechnung getragen wird, dass unsere Gesellschaft ein guter Ort oder, wenn man so will, eine Heimstatt für alle Menschen sein soll, die hier leben, und zwar unabhängig von ihrem Glauben oder der weltanschaulichen Orientierung und ohne dass das Religiöse aus der Lebenswelt verdrängt wird.* Zugleich überfordert diese Judikatur nicht die Bereitschaft der Gesellschaft zur Toleranz und sie bürdet AG keine Pflichten auf, die von ihm nicht erwartet werden können. So gesehen könnte das Arbeitsrecht ein Vorbild sein für das, was heute angesichts einer von populistischer Polemik und politischer Hektik getriebenen Diskussion dringend geboten wäre: für eine unaufgeregte Behandlung von Problemen, die sicherlich nicht ganz einfach, aber auch nicht apokalyptisch sind, und für Lösungen mit Augenmaß.