32Austritt wegen Arbeitgeberinsolvenz
Austritt wegen Arbeitgeberinsolvenz
Bei einem privilegierten Austritt des AN nach § 25 Abs 1 IO gebührt diesem als Insolvenzforderung eine als Schadenersatzanspruch zu qualifizierende Kündigungsentschädigung gem § 29 AngG bzw § 1162b ABGB. Schadenersatzansprüche stehen für den Zeitraum zu, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße AG-Kündigung hätte verstreichen müssen.
Auch freie DN haben Anspruch auf Insolvenzentgelt. Nach § 3 Abs 3 IESG sind für die Berechnung gesicherter Ansprüche ausschließlich gesetzliche oder kollektivvertragliche Kündigungsfristen und Kündigungstermine maßgebend. Eine einzelvertragliche Regelung dazu bleibt unbeachtlich.
Da für einen freien DN weder ein kollektivvertraglicher noch ein gesetzlicher Kündigungstermin besteht, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen. Im Nichtbestehen einer gesetzlichen Regelung zu einem Kündigungstermin für freie DN kann keine unsachliche Ungleichbehandlung freier DN erblickt werden.
Der Kl war vom 1.6. bis 4.10.2015 bei der späteren Schuldnerin, einem Sanatorium, als Orthopäde beschäftigt; er war freier DN. Im zugrunde liegenden freien Dienstvertrag war vereinbart, dass der Vertrag von beiden Vertragsparteien unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zu jedem Monatsletzten gekündigt werden konnte.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 3.9.2015 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kl erklärte daraufhin am 4.10.2015 seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis gem § 25 IO.
Der Kl begehrte Insolvenzentgelt für den Zeitraum vom 5.10. bis 30.11.2015. Mit Bescheid vom 22.3.2016 lehnte die Bekl die geltend gemachte Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 2.11. bis 30.11.2015 als nicht gesichert ab.
Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kl den Klagsbetrag. Strittig ist nur das zeitliche Ausmaß der dem Kl gebührenden Kündigungsentschädigung. Der Kl brachte vor, dass im freien Dienstvertrag die Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zu jedem Monatsletzten vereinbart worden sei. Für freie DN sei der vereinbarte Kündigungstermin maßgebend, sofern kein Missbrauch vorliege. Die geltend gemachte Kündigungsentschädigung sei daher zur Gänze gesichert.
Die Bekl entgegnete, dass gem § 3 Abs 3 IESG der Ermittlung der Kündigungsentschädigung nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine zugrunde zu legen seien. Für den Kl bestehe kein kollektivvertraglicher Kündigungstermin. Die Kündigungsmodalitäten würden sich daher nach dem ABGB richten. Nach § 1159a ABGB bestehe nur eine vierwöchige Kündigungsfrist, aber kein Kündigungstermin.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gem § 3 Abs 3 IESG seien der Berechnung des Insolvenzentgelts für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen. Die Sicherung könne daher nicht über gesetzliche und kollektivvertragliche Fristen und ebensolche Termine hinaus gehen. Der Gesetzgeber habe zur Vermeidung von Missbrauchsfällen mit § 3 Abs 3 IESG eine generalisierende Lösung getroffen. Für freie DN bestünden in Bezug auf die Kündigungsmodalitäten weder gesetzliche noch kollektivvertragliche Bestimmungen. Nach der Rsp und Lehre seien aber die Kündigungsmodalitäten der §§ 1159, 1159a, 1159b sowie der §§ 1162 bis 1162d ABGB analog anzuwenden. Davon ausgehend sei für den Kl eine vierwöchige Kündigungsfrist ohne Kündigungstermin maßgebend. Die Kündigungsfrist sei vom Tag des Zugangs der Beendigungserklärung an zu berechnen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Nach § 3 Abs 3 IESG sei die Sicherung der Ansprüche auf das beschränkt, was allgemein durch gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelungen vorgegeben sei. Der Umfang der Sicherung der Ansprüche solle demnach der Disposition der Einzelvertragsparteien entzogen sein. Eine vertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist sei nicht zu berücksichtigen. Das Gleiche gelte für die Vereinbarung eines Kündigungstermins. Auf einen freien Dienstvertrag seien die Kündigungsmodalitäten der §§ 1159 ff ABGB anzuwenden, nicht aber die Kündigungsfristen und Kündigungstermine des Angestelltengesetzes (AngG). Die vom Kl vorgetragene Ungleichbehandlung zwischen echten und freien DN sei sachlich gerechtfertigt. Die ordentli-303che Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Gegen diese E richtet sich die Revision des Kl, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer vom OGH freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Bekl, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil der OGH zur Frage der Sicherung der einem freien DN zustehenden Kündigungsentschädigung iSd § 3 Abs 3 IESG noch nicht ausführlich Stellung genommen hat. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
1. Der Kl steht weiterhin auf dem Standpunkt, dass für einen freien DN iSd § 3 Abs 3 IESG die einzelvertraglichen Kündigungstermine maßgebend sein müssten, weil weder gesetzliche noch kollektivvertragliche Kündigungstermine bestünden. Außerdem sei in § 3 Abs 3 IESG zwar von gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, nicht aber von gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsterminen die Rede. Der Zweck des § 3 Abs 3 IESG bestehe nur darin, Missbräuche zu verhindern. Bei einer vereinbarten Kündigungsfrist von einem Monat sei ein Missbrauch jedoch nicht zu erkennen.
Mit diesen Ausführungen ist der Kl nicht im Recht.
2. Seit langem ist klargestellt, dass bei einem privilegierten Austritt des AN nach § 25 Abs 1 IO diesem als Insolvenzforderung eine als Schadenersatzanspruch zu qualifizierende Kündigungsentschädigung gem § 29 AngG bzw § 1162b ABGB gebührt, die sich nicht am begünstigten Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters oder des eigenverwaltenden Schuldners, sondern an der ordentlichen AG-Kündigung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen orientiert. Der Anrechnungsausschluss für die ersten drei Monate des § 29 AngG bzw § 1162b ABGB ist auf den Schadenersatzanspruch des § 25 Abs 2 IO uneingeschränkt anzuwenden (8 ObS 16/04t; vgl auch 8 ObS 4/07g; Sundl, Insolvenz-und Arbeitsrecht, in
Die besonderen Lösungsrechte der Arbeitsvertragsparteien nach § 25 IO sind auf freie Dienstverträge sinngemäß anzuwenden. Dementsprechend steht einem nach § 25 IO ausgetretenen freien DN die Kündigungsentschädigung iSd § 1162b ABGB analog zu (Reissner in
3.1 Die Sicherung von AN-Ansprüchen durch den Insolvenzentgeltsicherungsfonds ist durch das IESG sondergesetzlich geregelt. Aus diesem Grund ist die Frage, welche Ansprüche einem AN im Fall der Insolvenz des AG als Insolvenzforderung gegenüber der Masse zustehen, von jener nach der Sicherung nach dem IESG zu unterscheiden.
3.2 Der Kl ist freier DN. Nach § 1 Abs 1 IESG haben seit Jänner 2008 (§ 2a IESG idF BGBl I 2007/104 bzw § 1 Abs 1 IESG idF BGBl I 2010/29) neben AN auch freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG Anspruch auf Insolvenzentgelt, wenn sie in einem freien Dienstverhältnis stehen oder gestanden sind. Dabei ist vom innerstaatlichen arbeitsrechtlichen Begriff des AN bzw des freien DN auszugehen. Dementsprechend richtet sich der in § 1 Abs 1 IESG verwendete AN-Begriff nach dem innerstaatlichen Recht (8 ObS 3/14w; vgl auch 8 ObS 8/13d).
3.3 Das Ausmaß des Insolvenzentgelts richtet sich nach § 3 IESG. Diese Bestimmung ist auch für den Kl als freien DN maßgebend. § 3 Abs 3 IESG bestimmt ausdrücklich, dass der Berechnung des Insolvenzentgelts für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen sind.
Der Wortlaut ist eindeutig. Der Zweck dieser Bestimmung liegt in der Begrenzung der gesicherten Ansprüche. Nach dieser Begrenzung sollen die gesicherten Ansprüche in Ausmaß und Dauer der Sicherung von Einzelvereinbarungen unabhängig sein. Die Sicherung der Ansprüche soll auf das beschränkt werden, was durch gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelungen vorgegeben ist. Das Ausmaß der gesicherten Ansprüche ist demnach für die Zeit bis zum Ablauf der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen beschränkt. Eine einzelvertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist kann daher keine anspruchserhöhende Wirkung haben (vgl Liebeg, IESG3 § 3 Rz 32).
Daraus folgt eindeutig, dass – entgegen der Ansicht des Kl – in § 3 Abs 3 IESG nicht nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, sondern ebenso die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine angesprochen werden. Eine Wiederholung der Wortfolge „gesetzlichen oder kollektivvertraglichen“ unmittelbar vor dem Wort „Kündigungstermine“ ist aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung unterblieben.
3.4 Der Berechnung des Insolvenzentgelts für gesicherte Ansprüche sind somit die einschlägigen gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die entsprechenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen. Sind etwa in einer BV oder in einem Arbeitsvertrag für den AN günstigere (längere) Kündigungsfristen des AG geregelt, so sind diese bei der Berechnung des Insolvenzentgelts nicht zu berücksichtigen.
Davon ausgehend stehen sowohl Kündigungsfristen als auch Kündigungstermine unter der Bedingung, dass eine Sicherung nur insoweit besteht, als sie nicht über gesetzliche oder kollektivvertragliche Fristen und Termine hinausgehende Ansprüche betrifft. Werden im Arbeitsvertrag abweichende Kündigungsfristen und/oder Kündigungstermine vereinbart, so ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Dabei ist ausgehend von den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und304Kündigungsterminen jeweils zu bestimmen, ob sich die konkret geltend gemachten Ansprüche noch innerhalb der nach den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelungen bestehenden Ansprüche bewegen (8 ObS 1/05p; Reissner in
3.5 Da sich der Kl unstrittig weder auf einen gesetzlichen noch auf einen kollektivvertraglichen Kündigungstermin berufen kann, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen.
4.1 Die Überlegungen des Kl zu einer angeblichen Ungleichbehandlung freier DN sind nicht stichhaltig. Zwischen der in Rede stehenden Bestimmung des § 3 Abs 3 IESG einerseits und der begünstigten Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters nach § 25 Abs 1 IO besteht ein eindeutiger Zusammenhang, der vom Gesetzgeber bewusst hergestellt wurde (vgl dazu auch 8 ObS 16/04t). Für eine Kündigung durch den Insolvenzverwalter ist eine einzelvertraglich vereinbarte längere Kündigungsfrist nicht maßgebend. Derselbe Ansatz wurde für die Begrenzung der Sicherung der Kündigungsentschädigung nach § 3 Abs 3 IESG gewählt. Daraus folgt, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach § 25 Abs 1 IO nicht zur Gänze gesichert sein muss. Darin liegt keine Ungleichbehandlung zwischen echten AN und freien DN.
Auch im Nichtbestehen einer gesetzlichen Regelung zu einem Kündigungstermin für freie DN kann keine unsachliche Ungleichbehandlung freier DN erblickt werden. Dieser Umstand ist in der besonderen arbeitsrechtlichen Qualifikation als freier DN begründet, die wegen Fehlens der persönlichen Abhängigkeit nicht mit jener eines echten AN vergleichbar ist. Aus diesem Grund wurde auch schon in der E 8 ObS 374/97a ausgesprochen, dass – abweichend von § 25 KO (IO) – nach § 3 Abs 3 IESG nicht nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, sondern auch die entsprechenden Kündigungstermine zu berücksichtigen sind.
4.2 Der Kl kann sich auch nicht auf die E 8 ObS 4/04bstützen. In dieser E sprach der OGH einem Angestellten ex contractu die gegenüber dem KollV für Handelsarbeiter höheren Ansprüche nach dem AngG zu und führte dazu aus, dass zwischen dem Kl und dem früheren DG keine Kündigungsfrist, sondern vielmehr die Anwendung des AngG vereinbart worden sei. Aus diesem Grund sei die Kündigungsfrist des AngG als „gesetzliche Kündigungsfrist“ iSd § 3 Abs 3 IESG anzusehen.
Durch die Bezugnahme auf die gesetzliche Kündigungsfrist und den Hinweis, dass es sich nicht um eine vereinbarte Kündigungsfrist handle, folgt ebenso, dass eine (zwischen den Arbeitsvertragsparteien) vereinbarte Kündigungsfrist für die Sicherung nach § 3 Abs 3 IESG nicht maßgebend ist.
5.1 Insgesamt ergibt sich:
Auch freie DN haben Anspruch auf Insolvenzentgelt. Nach § 3 Abs 3 IESG sind für die Berechnung gesicherter Ansprüche ausschließlich gesetzliche oder kollektivvertragliche Kündigungsfristen und Kündigungstermine maßgebend. Eine einzelvertragliche Regelung dazu bleibt unbeachtlich. Da für einen freien DN weder ein kollektivvertraglicher noch ein gesetzlicher Kündigungstermin besteht, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen.
5.2 Die E der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen. [...]
Die Wahl der Beschäftigungsform, der die Tätigkeit zugrunde liegt (siehe allgemein Glowacka, Vertragsrechtliche Einordnung der Erscheinungsformen und kritische Klauseln, in
Zwischen echten AN und arbeitnehmerähnlichen freien DN kommt es hinsichtlich der Insolvenzentgeltsicherung wiederum zu einer Unterscheidung beim Ausmaß des Insolvenzentgeltes. Während Erstere in den Genuss einer Kündigungsentschädigung im Ausmaß von bis zu einem knappen Dreivierteljahr nach Berücksichtigung der gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine iSd § 20 AngG kommen können, haben Zweitere maximal einen vierwöchigen Anspruch iSd §§ 1159 ff ABGB. Denn der OGH hält im gegenständlichen Fall fest, dass die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu laufen beginnt und durch die Arbeitsvertragsparteien nicht verlängert werden kann. Im Folgenden sollen daher zum einen die Möglichkeit der einzelvertraglichen Ausweitung (bzw Beschränkung) des Insolvenzentgeltanspruches und zum anderen die Ungleichbehandlung zwischen echten und freien DN erörtert werden. Zuallererst ist auf die Kündigungsentschädigung bei AG-Insolvenz einzugehen.
Gem § 25 Abs 1 IO kann das Arbeitsverhältnis im Falle der Insolvenz des AG vom AN durch vorzeitigen Austritt gelöst werden, „wobei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als wichtiger Grund gilt
“. Wenn das Arbeitsverhältnis derart gelöst wird,305„kann der Arbeitnehmer den Ersatz des verursachten Schadens als Insolvenzforderung verlangen
“ (Abs 2 leg cit). Nach hM (OGH8 ObS 8/06vDRdA 2006, 493; OGH8 ObA 36/06mArb 12.609; Holzer/Reissner/W. Schwarz, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz4 [1999] 452 f; Reissner in
Für die Berechnung von Insolvenzentgelt sind gem § 3 Abs 3 IESG „nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen
“.
Da für freie Dienstvertragsnehmer einzelne arbeitsrechtliche Bestimmungen des ABGB (wie insb die Kündigungsbestimmungen gem §§ 1159 bis 1159b und §§ 1162 bis 1162d) per analogiam zur Anwendung gelangen (vgl OGH9 ObA 54/97z
Der OGH hält fest, dass eine einzelvertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist keine anspruchserhöhende Wirkung haben darf. Dies kann wohl aber nur der Fall sein, wenn dieser Regelung absolut zwingende Wirkung zukommt. Ansonsten würde eine Verlängerung zugunsten des AN ausschlagen und wäre daher iS einer einseitig zwingenden Wirkung als zulässig anzusehen.
Der OGH begründet die Unmöglichkeit der Verlängerung der Kündigungsfrist damit, dass auch im Falle der begünstigten Kündigung durch den Insolvenzverwalter iSd § 25 IO eine einzelvertraglich vereinbarte längere Kündigungsfrist nicht maßgebend ist. Daraus ergebe sich, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach § 25 Abs 1 IO nicht zur Gänze gesichert sein muss. Reissner (in
arbeitsvertragsrechtlich [...] zwar die Einhaltung längerer Lösungsfristen als der gesetzlichen als für den Vertragspartner idR günstiger anerkannt“ wird, im Insolvenzrecht aber „eine manipulative Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bei einer Beendigung nach § 25 nicht zugelassen“ werden kann.
Sinngemäß ergibt sich dies für das IESG aus dem Telos. Die Arbeitsvertragsparteien sollen den Insolvenz-Entgelt-Fonds nicht über das notwendige Maß verpflichten können. Immerhin soll die „Versichertengemeinschaft“ nicht unverhältnismäßig belastet werden im Zuge der Besserstellung Einzelner. Das entspricht der stRsp des OGH (26.4.2011, 8 ObS 12/10p; 9 ObS 9/92dem Wesen der Insolvenzentgeltsicherung als Risikobegrenzung entspricht, durch Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse eine übermäßige Inanspruchnahme des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hintanzuhalten
“.
Dies scheint sich allerdings mit der vergangenen Rsp des OGH vom 12.3.2004, 8 ObS 4/04b, zu spießen. Demnach sei die im Wege der Vereinbarung der Anwendbarkeit des AngG für einen Arbeiter bewirkte Verlängerung der Kündigungsfrist einschlägig für die iSd IESG gedeckte Kündigungsentschädigung. Und das obwohl der OGH feststellt, dass die Zuerkennung der Angestellteneigenschaft, die die ver-306tragsmäßige Behandlung des AN als Angestellten bewirkt, den Arbeiter nicht zum Angestellten macht, sondern vielmehr das AngG hier die Funktion einer Vertragsschablone erfüllt. Somit hat die Einzelvereinbarung im Ergebnis sehr wohl Einfluss auf das Ausmaß des Insolvenzentgeltes iSd § 3 Abs 3 IESG. Im gegenständlichen Fall konstatiert der OGH aber (und hält dies im Einklang mit der Rs 8 ObS 4/04b), dass eine arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist für die Sicherung nach § 3 Abs 3 IESG nicht maßgebend ist. Der Unterschied erscheint dabei nur marginal. Für die zum Teil weitreichenden Konsequenzen für das Ausmaß des Insolvenzentgeltes gibt es mE keine Rechtfertigung. Denn die einzelvertraglich mögliche Verlängerung der Kündigungsfrist über den Umweg des AngG widerspricht dem oben angesprochenen Telos nicht weniger als der direkte Weg zur längeren Kündigungsfrist. Immerhin hält der OGH in den Entscheidungen vom 16.9.1992, 9 ObS 9/92 und vom 10.12.1998, 8 ObS 2339/96w, fest, dass „mittelbar oder unmittelbar vertraglich vereinbarte Verlängerungen der Kündigungsfrist an sich keine anspruchserhöhende Berücksichtigung finden
“ können. Die Zusammenschau der Auffassung des OGH in diesen Entscheidungen führt de facto zu folgendem befremdlichen Ergebnis: Es kommt zu (k)einer Verlängerung wegen der vertraglich vereinbarten (Geltung des AngG mit) längeren Kündigungsfristen.
Des Weiteren stellt sich auch die Frage, ob einzelvertragliche Vereinbarungen, die im Rahmen des § 20 AngG zulässig sind, Einfluss auf das Ausmaß des Insolvenzentgeltes haben dürfen. Zwar ist die einzelvertragliche Ausweitung iSd Abs 4 leg cit auf sechs Monate wohl in Anbetracht der vorliegenden E des OGH in teleologischer Auslegung zu verneinen. Allerdings lässt Abs 3 leg cit darüber hinaus die Ausweitung von gesetzlichen vier Kündigungsterminen auf einzelvertragliche 24 Kündigungstermine pro Jahr zu, sodass es zu keiner Ausweitung, sondern einer Beschränkung des Insolvenzentgeltes kommt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie mit der dispositiven Wirkung des § 77 GewO 1859 umzugehen ist. Danach beträgt die Kündigungsfrist zwei Wochen, sofern „nicht anderes vereinbart ist
“. Für die (zugegebenermaßen wenigen) Bereiche ohne KollV kann die Kündigungsfrist demnach einzelvertraglich nicht nur ausgedehnt, sondern auch eingeschränkt werden und verdrängt die gesetzlichen zwei Wochen. ME verlangt § 3 Abs 3 IESG nach einer teleologischen Reduktion, da eine „Rückführung“ auf die gesetzlichen bzw kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine obgleich der gesetzlich ermächtigten einzelvertraglichen Änderung ebendieser in einer unsachlichen Besserstellung der AN, die im Falle von AG-Insolvenz austreten im Vergleich zu AN, die aus einem anderen Grund iSd § 26 AngG bzw § 82a GewO 1859 austreten, münden würde; vor allem da diese Austrittsgründe (abgesehen von der Arbeitsunfähigkeit des AN) das Verschulden des AG an dem vorzeitigen Austritt des AN voraussetzen und dieses iSd § 25 IO anscheinend ungeprüft bleibt.
In einem letzten Schritt ist auf die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zwischen echten und freien DN einzugehen. Diese könnte durch das Nichtbestehen einer gesetzlichen Regelung eines Kündigungstermins für freie DN verwirklicht werden. Die Ungleichbehandlung sei nach Ansicht des OGH durch das Fehlen der persönlichen Abhängigkeit eines freien DN gerechtfertigt. Diese wird als weitgehende Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit umschrieben (Mayr, Arbeitsrecht § 1151 ABGB E 2a mwN). Freie DN können demnach idR vor allem über ihre Arbeitszeit, ihren Arbeitsort und ihr arbeitsbezogenes Verhalten frei entscheiden sowie sich vertreten lassen. Aufgrund ihrer – für die Anwendbarkeit des IESG vorausgesetzten – wirtschaftlichen Abhängigkeit sind sie „echten“ AN aber derart ähnlich, dass die vorliegende Diskrepanz doch fraglich erscheint. Denn die Bestimmungsfreiheit über Arbeitszeit, -ort etc wirkt sich auf eine allfällige Abhängigkeit von der als Einkommensquelle dienenden Beschäftigung kaum aus.
Auch wenn die Ungleichbehandlung zwischen echten AN und freien DN dennoch gerechtfertigt werden kann, erscheint abgesehen davon die Ungleichbehandlung, die sich aus dem Auseinanderklaffen der Kündigungsfristen und somit mittelbar beim Ausmaß des Insolvenzentgeltes vor allem bei Angestellten und Arbeitern ergibt, besonders fraglich.
Die überdurchschnittlich hohen Lohnnebenkosten in Österreich machen das unternehmerische Handeln im globalen Wettbewerb schwierig und zerren an der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes. Dazu zählen eben auch die Beiträge an den Insolvenz-Entgelt-Fonds. Daher ist zum einen eine Ausweitung der Sicherung der Ansprüche im Wege einzelvertraglicher Manipulationen jedenfalls abzulehnen. Zum anderen ist aber auch der evident nicht unbedeutende Gap zwischen Angestellten einerseits und Arbeitern bzw freien DN andererseits beim Ausmaß des Insolvenzentgeltes zu hinterfragen. De lege ferenda würde sich eine dem Telos entsprechende Begrenzung der Sicherung der Ansprüche iS einer Deckelung anbieten.307