Bundesarbeitskammer (Hrsg)Hinterm Horizont geht's weiter ... – Ein Lesebuch mit Erfahrungsberichten zur transnationalen gewerkschaftlichen Zusammenarbeit 2016

Verlag des ÖGB, Wien 2016 160 Seiten, kartoniert, e-Book inside, € 19,90

MICHAELEGGER (INNSBRUCK)

Die Sozialakademie der Bundesarbeitskammer Österreich (SOZAK) bietet in einem zehnmonatigen Lehrgang die umfassendste Ausbildung für AN-VertreterInnen in Österreich. Teil dieser Ausbildung ist seit mittlerweile sechs Jahren ein vier Wochen langes Europapraktikum. Die TeilnehmerInnen können sich dabei ein Zielland aussuchen und bei europäischen Gewerkschaften, Betriebsratskörperschaften oder internationalen gewerkschaftlichen bzw gewerkschaftsnahen Organisationen mitarbeiten. Die erklärten Ziele dieser Praktika sind vor allem ein Zuwachs an Fachwissen, eine verstärkte Vernetzung mit AN-VertreterInnen aus anderen Ländern und das Kennenlernen anderer gewerkschaftlicher Systeme und Kulturen – sozusagen ein Blick über den Tellerrand. Im Jahr 2016 absolvierten 21 Auszubildende ihre Europapraktika in zehn verschiedenen europäischen Ländern: Neun Personen entschieden sich für Deutschland, je zwei für Finnland, Großbritannien und Irland und je eine für Belgien, Dänemark, Kroatien, die Niederlande, Schweden und die Schweiz. Die TeilnehmerInnen der SOZAK griffen sich jeweils ein Thema bzw Ereignis heraus, das ihr Praktikum geprägt hatte, und verfassten dazu kurze Erfahrungsberichte. Diese wurden – wie bereits üblich – im Lesebuch „Hinterm Horizont geht's weiter ...“, benannt nach dem Lied von Udo Lindenberg, abgedruckt und veröffentlicht.

Die Qualität der einzelnen Beiträge hängt naturgemäß stark vom gewählten Thema bzw Ereignis sowie vom Schreibstil der/des jeweiligen PraktikantIn ab. Auch 2016 gibt es wieder einige sehr interessante und gut geschriebene Berichte. So schildert etwa Christian Pomberger, dass der schwedische Sozialstaat, der lange als Vorzeigemodell galt und teilweise noch immer gilt, seit Beginn der 1990er-Jahre aufgrund von Krisen und politischen Veränderungen kontinuierlich eingeschränkt worden sei, und rät, die „rosarote Brille“ abzulegen. Mario Danzberger erzählt vom Einsatz der britischen Gewerkschaft Unite the Union für einen Verbleib Großbritanniens in der EU, der – wie mittlerweile bekannt ist – nicht von Erfolg gekrönt war. Zum Teil besorgniserregend sind die Berichte von Snjezana Brajinovic über die arbeitsrechtlichen und sozialen Standards in Kroatien, die größtenteils weit von den Verhältnissen in Westeuropa entfernt seien. So seien Kettendienstverträge – entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben (RL 1999/70/EG) – zwar grundsätzlich verboten, kommen jedoch gerade im Handel regelmäßig vor. Außerdem dürfen die Geschäfte 24 Stunden geöffnet haben, und das auch an Sonntagen und den meisten gesetzlichen Feiertagen. Christian Puhr thematisiert das Recht der Arbeitskräfteüberlassung in den Niederlanden, das auf den ersten Blick deutlich weniger arbeitnehmerfreundlich wirkt als das in Österreich, und erläutert die drei Phasen, die LeiharbeiterInnen auf dem Weg zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis durchlaufen müssen. Franz Steindl erzählt von der Bildungsfreistellung in Thüringen. Im Gegensatz zu Österreich, wo man unter diesem Begriff eine Art der Freistellung von der Arbeitsleistung für Betriebsratsmitglieder versteht (§ 118 ArbVG), habe in Thüringen grundsätzlich jede/r AN unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf eine Freistellung im Ausmaß von bis zu fünf Arbeitstagen (allerdings unter Berücksichtigung der Anzahl an Beschäftigten im jeweiligen Betrieb). Da nicht nur arbeitsbezogene, sondern auch gesellschaftspolitische und ehrenamtliche Weiterbildungen umfasst seien, scheint die Bildungsfreistellung gut angenommen zu werden. Thomas Rinaldi spricht ein aktuell in Deutschland und insb in Nordrhein-Westfalen besonders wichtiges Thema an: Die Energiewende weg von der Braun- und Steinkohle sowie von der Kernenergie, um CO2-Emissionen zu verringern. Er gesteht zwar zu, dass vermehrt auf erneuerbare Energien gesetzt werden solle, die Grundversorgung sei aber weiterhin durch Kohleverbrennung zu sichern, zumal ansonsten sehr viele Arbeitsplätze gefährdet seien. Wolfgang Skofitsch berichtet von den Versuchen von Unternehmen in der Verkehrswirtschaft, angesichts des starken Wettbewerbs konkurrenzfähig zu bleiben – zulasten der AN in dieser Branche. Ein gemeinnütziger Verein in Deutschland, mobifair, setze sich für die Einhaltung der Arbeitsbedingungen ein, etwa was Arbeitszeit, Fahrzeit und Ruhezeiten betrifft. Anton Affengruber, der sein Praktikum in Dortmund absolvierte, setzt sich ua mit der sogenannten „kleinen Abschlussprüfung“ im zweiten Lehrjahr auseinander. Dass viele AG lieber Auszubildende mit einem solchen Abschluss beschäftigen, um Personalkosten zu sparen, sieht er mE zu Recht kritisch und lehnt eine „Lehre light“ für Österreich ab. Wenn es nach Christian Ringseis geht, ist auch das Saison-Kurzarbeitergeld, das in Deutschland das – auch bei uns bekannte – Problem der Winterarbeitslosigkeit vor allem in der Bauwirtschaft bekämpfen soll, kein Modell, das in Österreich etabliert werden sollte. Ebenso wenig brauche man laut Tina Meusser in Österreich einen gesetzlichen Mindestlohn, da die Kollektivvertragsabdeckung hierzulande ausreichend hoch sei. Sie schildert aber durchaus positive Auswirkungen des in Deutschland seit 1.1.2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohns von € 8,50 brutto pro Stunde.

Auffällig ist, dass in vielen Beiträgen zum Ausdruck kommt, dass die Gewerkschaften im jeweiligen Zielland aktuell einen schweren Stand haben und die Mitgliederzahlen sinken, sei es aufgrund einer gewerkschaftsskeptischen Grundhaltung in der Bevölkerung (so etwa Stefan Hölbling, der sein Praktikum in München absolvierte), aufgrund starker Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gewerkschaften (siehe dazu den Beitrag von Robert Freiinger in Bezug auf die Schweiz), aufgrund verschlechterter Beziehungen zwischen AN- und AG-Seite (siehe den Bericht von Thomas Summereder ua zur einseitigen Aufkündigung der Sozialpartnerschaft durch die AG-Verbände infolge322der Finanzkrise in Irland) oder sei es aufgrund einer gewerkschaftsfeindlichen Politik (Thomas Schauflinger zur Trade Union Bill in Großbritannien). Jürgen Schmidt stellt fest, dass Gewerkschaften von vielen Mitgliedern primär als Anbieter von Dienstleistungen (wie juristischer Beratung) angesehen werden und schlägt eine Weiterentwicklung von der Servicegewerkschaft zur Beteiligungsgewerkschaft vor.

Beteiligungsgewerkschaft vor. Insgesamt ist das Lesebuch mit den Erfahrungsberichten zur transnationalen gewerkschaftlichen Zusammenarbeit 2016 gelungen. Es bietet interessante Einblicke in die Tätigkeit von AN-VertreterInnen in anderen europäischen Ländern sowie allgemein in die Situation der Gewerkschaften und zeigt die – insb arbeitsrechtlichen – Unterschiede der Zielländer zu Österreich auf.