ThüsingMiLoG/AEntG – Mindestlohngesetz/Arbeitnehmer-Entsendegesetz – Kommentar

2. Auflage, C.H. Beck Verlag, München 2016 XIX, 520 Seiten, Leinen, € 79,–

WOLFGANGKOZAK (WIEN)

Vorliegender Kommentar zum deutschen MindestlohnG und zum Arbeitnehmer-EntsendeG erscheint in der zweiten Auflage und enthält nun auch das deutsche MilLoG, welches bereits in Österreich bei einer E des OGH eine prominente Rolle gespielt hat.

Gerade im Lichte der aktuellen Diskussion und der Vorgabe der Regierung an die Sozialpartner, im Rahmen ihrer Tarifautonomie einen flächendeckenden Mindestlohn zu regeln, ansonsten dies durch ein Mindestlohngesetz geschehen werde, ist vorliegender Band interessant. Auch die Kritik an der Komplexität des österreichischen LSD-BG (Lohn- und SozialdumpingbekämpfungsG) gegenüber der scheinbaren Einfachheit des deutschen MiLoG sowie das Zurückgreifen des OGH auf das deutsche AEntG im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung zur Anwendung von Eingriffsnormen tragen zur Notwendigkeit der Kenntnis des deutschen Meinungsstandes das ihrige bei.

So bietet Thüsing zum MiLoG als auch zum AEntG umfangreiche theoretische Einführungen, die aber für beide Gesetze insgesamt wenig schmeichelhaft ausfallen. Der Autor schließt ua in der Einleitung zum MiLoG nach Ausführungen über wirtschaftstheoretische Modelle und empirische Erfahrungen auf negative Beschäftigungseffekte eines gesetzlichen Mindestlohnes für Deutschland. Zusätzlich betont er die Schwächung der Tarifautonomie der Gewerkschaften und sieht eine Konzentrierung der Gewerkschaftslandschaft, die er jedenfalls als nachteilig empfindet. Dies alles muss jedoch vor dem Hintergrund einer Tarifabdeckung in Deutschland von einmal gerade 40 % und auch als Ergebnis der Auswirkungen der fehlenden Außenseiterwirkung der Tarifverträge gesehen werden. So sind zum Stand 1.1.2017 von 73.000 abgeschlossenen Tarifverträgen lediglich 443 nach Angabe des deutschen Bundeministeriums für Arbeit und Soziales für allgemein verbindlich erklärt worden. Das ist die niedrigste Anzahl seit 1981. Gerade die Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns hat damit daher zum einen für inländische Arbeitsverhältnisse als Untergrenze eine gewichtigere Bedeutung für Deutschland als für Österreich, zum anderen ist die Notwendigkeit einer solchen Regelung für den Bereich der Entsendung von wesentlich wichtigerer Bedeutung bei einer fehlenden Tarifabdeckung, um das Arbeitsortsprinzip (welches ja einen Vor-Ort Niveauschutz bei Entsendungen bieten soll) überhaupt verankern zu können.

Die Forderung nach Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns in Österreich mit einer ca 97 %-Abdeckung durch Kollektivverträge erscheint dann doch in einem anderen Licht, auch hinsichtlich der Wahrung des fairen Wettbewerbs hinsichtlich der Auswirkungen der Entsendungen im Rahmen der europäischen Dienstleistungsfreiheit.

Gerade in diesem Bereich erstaunt den österreichischen Juristen die Vehemenz, wie in der deutschen Literatur das Herkunftslandprinzip, das ist jenes Prinzip, welches bei Entsendungen die Arbeitsbedingungen des Herkunftsstaates aufrecht erhält und nicht auf bestimmte höhere Mindeststandards des Empfängerlandes wie Entgelt und Urlaub abstellt, verteidigt wird. So ist nach Thüsing aus europäischer Sicht der Schutz des Wettbewerbes am Standort des Empfangsstaates aufgrund des Fehlens von zwingenden Allgemeininteressen unionsrechtswidrig. Dies mag in einer idealen Welt der Fall sein, in der funktionierende Märkte auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit vorhanden sind. Dies bedingt aber nahezu ausgeglichene Steuer- und Sozialabgaben und Sozialversicherungsbedingungen. Sind diese bei einem gemeinsamen Markt nicht gegeben, sondern werden von Staaten zum Teil beibehalten oder ausgebaut, ergeben sich daraus Wettbewerbsvorteile, indem Unternehmen sich nicht in jenen Staaten etablieren, in denen sie ihre wahre wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, sondern von „Billigstaaten“ aus ihr Unternehmen ausüben.325

Gerade in sensiblen Bereichen, wie dem Baubereich, kann man mE auch von Geschäftsmodellen der Staaten selbst sprechen. Daher besteht mE nicht nur im Interesse der Nationalstaaten am Niveauschutz des Vor-Ort Marktes, der sowohl AN als auch insb die ansässigen Unternehmen betrifft, sondern liegt im Allgemeininteresse der gesamten Union an einem funktionierenden Binnenmarkt, da sonst das Hauptziel eines funktionierenden und auch akzeptierten Marktes verfehlt wird, was durchaus zur Infragestellung der Union selbst und zu Austritten von Mitgliedstaaten führen kann, wie uns die neuere Geschichte bereits gelehrt hat.

Bei den geschilderten Herausforderungen, die diese Schutzgesetze eigentlich zu bewältigen haben, ist aus österreichischer Sicht die Aufregung in der deutschen Literatur über den Ausdruck des Anglizismus im fairen Wettbewerb als geradezu beckmesserisch zu bewerten.

Dass nun auch die Union an einem funktionierenden Marktkorrektiv Interesse hat, beweist die Schaffung der Durchsetzungs-RL, die dafür Sorge tragen soll, dass Verstöße gegen verbindliche Mindeststandards im Empfangsstaat auch in den anderen Mitgliedstaaten effektiv geahndet werden können. Diskussionsansätze, dass die Entsende-RL in Zukunft nicht auf die Kompetenz der Union im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit gem Art 56 AEUV als Ausnahmeregelung von derselben, sondern auf jene der Sozialpolitik Art 153 AEUV gestützt werden sollte, finden sich hingegen im Kommentar nicht.

Zum Schluss soll noch über ein für den österreichischen Arbeitsrechtsjuristen fast unglaubliches individualrechtliches Detail berichtet werden: In Deutschland beginnt die Sittenwidrigkeitsgrenze einer Lohnvereinbarung bereits bei einer Unterzahlung von einem Drittel des sonst in der Branche üblicherweise erreichbaren Tariflohnes. Diese Rsp soll neben der Etablierung des Mindestlohnes laut Thüsing weiter bestehen. Fraglich ist, ob diese Judikatur wohl der fehlenden Außenseiterwirkung der deutschen Tarifverträge geschuldet ist. Verglichen mit der letztlich nur in der Theorie vorhandenen Sittenwidrigkeitsgrenze von Entgeltvereinbarungen nach der österreichischen Rsp und dem Schrifttum, welches eine solche eher bei 50 % des ortsüblichen Lohnes im kollektivvertragsfreien Raum angenommen wird, erscheint die deutsche Rsp wesentlich praxisnäher.

Für den kollektivvertragsfreien Raum in Österreich wäre aber eine Aufarbeitung und ein Rechtsvergleich, inwieweit die Rsp des BAG auf die österreichische Rechtslage umgelegt werden kann, ein wichtiger Beitrag für die Weiterentwicklung der Rechtslage bei der Feststellung einer rechtskonformen Entgeltuntergrenze, unabhängig von der Schaffung eines österreichweiten Mindestlohnes.

Aber zurück zum vorliegenden Kommentar: Insgesamt ist der Kommentar sehr klar und informativ abgefasst. Etwas mühsam ist die sehr klein gehaltene Schrift, die den Leser gerade auch bei der Komplexität des Themas schnell ermüden lässt. Durch die umfangreiche Wiedergabe der Diskussion und die klare Darstellung der komplexen Rechtslage ist der Band jedenfalls auch für österreichische Juristen, die noch keine allzu fundierten Kenntnisse des deutschen Arbeitsrechtes haben, ein deutlicher Gewinn und deshalb dem interessierten Publikum sehr zu empfehlen.