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Hilfsmittel in der Unfallversicherung

FLORIANHÖRMANN (WIEN)
  1. Ein Hilfsmittel iSd § 202 ASVG ist erforderlich, wenn es iSd § 189 Abs 1 ASVG geeignet ist, den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck (hier: Erleichterung der Folgen des Arbeitsunfalls) zu erreichen. Maßstab ist die höchstmögliche Versorgungsqualität. Jedoch muss ein Hilfsmittel den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein, sodass es zu keiner Überversorgung kommen darf.

  2. Der Versehrte hat einen Grundanspruch auf die erforderliche Versorgung gem § 202 Abs 1 ASVG, aber keinen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Die Entscheidung, welches Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist, trifft der Unfallversicherungsträger im Rahmen des ihm gem § 193 ASVG eingeräumten freien Ermessens.

Der Kl erlitt [...] als Hilfsarbeiter in einem Sägewerk einen Arbeitsunfall, als er mit der linken Hand in das Sägeblatt einer Kappsäge geriet. Er erlitt dadurch eine traumatische Amputation der linken Hand im Bereich der Mittelhandknochen. Die Folgen dieses Arbeitsunfalls bedingen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 55 vH. [...]

Der Kl beantragte [...] bei der Bekl die Übernahme der Kosten im Ausmaß von 14.561,98 € für eine Silikonteilhandprothese zur Versorgung der Folgen des Arbeitsunfalls [...]. Diesen Antrag lehnte die Bekl mit Bescheid [...] ab [...]. Diesen Bescheid bekämpft der Kl mit dem Begehren, die Bekl sei schuldig, ihm „die vorgeschlagene Versorgung [...] zu ersetzen“. [...] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...] Das Berufungsgericht [...] bestätigte das Ersturteil. [...]

Dazu ist auszuführen:

1.1 Gem § 202 Abs 1 ASVG hat der Versehrte Anspruch auf Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit zu erleichtern. Alle diese Hilfsmittel müssen den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein. [...]

1.3 Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass es sich bei der vom Kl begehrten Silikonteilhandprothese um ein Körperersatzstück iSd § 202 Abs 1272ASVG und daher um ein Hilfsmittel iS dieser Bestimmung handelt. [...]

2.3 Teil der Unfallheilbehandlung ist gem § 172 Abs 2 ASVG die medizinische Rehabilitation. Die medizinischen Rehabilitationsleistungen der UV sind vom Gesetzgeber als Pflichtleistungen, somit mit individuellem Rechtsanspruch und Bescheidrecht des Versicherten konzipiert (10 ObS 68/09m, SSV-NF 24/7; RIS-Justiz RS0124197).

2.4 Nach seinem Wortlaut räumt § 202 Abs 1 ASVG dem Versehrten einen Rechtsanspruch auf Hilfsmittel im Anschluss an die Unfallheilbehandlung ein. Allerdings hat § 202 Abs 1 ASVG seine heutige Gestalt seit der Stammfassung des ASVG, BGBl 1955/189. Mit der 32. ASVG-Novelle, BGBl 1976/704, wurde der wesentliche Inhalt des § 202 ASVG in die neu geschaffene Bestimmung des § 302 Abs 1 Z 2 ASVG übernommen. Danach sollte (ua) die Gewährung von Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln Teil der mit der 32. ASVG-Novelle neu geschaffenen medizinischen Rehabilitation in der PV sein. In erster Linie sollten diese Leistungen seither von den Pensionsversicherungsträgern im Rahmen der medizinischen Rehabilitation erbracht werden, weshalb der Anspruch auf diese Hilfsmittel in § 154 ASVG seit der 32. ASVG-Novelle ua insoweit ausgeschlossen wird, als eine Leistungsverpflichtung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation gegeben ist (ErläutRV 181 BlgNR 14. GP 70).

2.5 Daraus folgt, dass die Gewährung von Hilfsmitteln iSd § 202 Abs 1 ASVG zur medizinischen Rehabilitation in der UV gehören (Bergauer in SV-Komm [98. Lfg] § 202 ASVG Rz 2; Tarmann-Prentner in

Sonntag
, ASVG7 § 172 Rz 7) und damit gem § 172 Abs 2 ASVG auch Teil der Unfallheilbehandlung ist. Im Anwendungsbereich des § 202 ASVG ist die Unterscheidung, ob ein Behelf dem Heilungszweck dient (Heilbehelf), oder ob er erst nach Abschluss des Heilungsprozesses zum Einsatz kommt (Hilfsmittel), anders als in der KV (vgl zu den §§ 137 Abs 1, 154 Abs 1 ASVG; RIS-Justiz RS0109537) nicht so streng zu ziehen (RIS-Justiz RS0106160).

3.1 [...] Während [...] die Krankenbehandlung zwar ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf (§ 133 Abs 2 ASVG; RIS-Justiz RS0083817), zielt die Unfallheilbehandlung darauf ab, mit „allen geeigneten Mitteln“ (§ 189 Abs 1 Satz 1 ASVG) im weitestgehenden Umfang den vor dem Eintritt des Versicherungsfalls bestehenden Gesundheitszustand wiederherzustellen (10 ObS 230/93, SSV-NF 9/2; Windisch-Graetz in SV-Komm [32. Lfg] § 189 ASVG Rz 3).

3.2 Da die Versorgung mit Hilfsmitteln iSd § 202 Abs 1 ASVG wie ausgeführt Teil der Unfallheilbehandlung ist, ist ein Hilfsmittel daher nur dann erforderlich iS dieser Bestimmung, wenn es geeignet ist (§ 189 Abs 1 ASVG), den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck (hier: die Erleichterung der Folgen des Arbeitsunfalls, § 202 Abs 1 Satz 1 zweiter Fall ASVG) zu erreichen. Dabei bildet – was die Bekl in ihrer Revision selbst zugesteht – in der UV die höchstmögliche Versorgungsqualität den Maßstab insb auch bei individuell anzupassenden Hilfsmitteln (so zur insofern vergleichbaren deutschen Rechtslage Wirthi in

Lauterbach
, UV SGB VII, Band 34 § 31 Rn 20).

4.1 Allerdings muss, worauf die Revisionswerberin zutreffend hinweist, ein Hilfsmittel gem § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein.

4.2 Zur Auslegung dieser Bestimmung ist zunächst von Bedeutung, dass die Gewährung von Hilfsmitteln gem § 202 Abs 1 ASVG wie ausgeführt zur medizinischen Rehabilitation in der UV gehört. Ziel aller Rehabilitationsmaßnahmen ist einerseits die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit versehrter Personen. Sie sollen dadurch wieder in die Lage versetzt werden, im beruflichen und wirtschaftlichen Leben und in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd einnehmen zu können (§ 172 Abs 2 ASVG). Es geht aber andererseits auch bei der Rehabilitation in der UV nicht nur um die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit. Das ASVG will vielmehr versehrten Personen ermöglichen, ein aktives Leben zu führen, das ihnen einen Wert in der Gemeinschaft verschafft und ihnen das Gefühl gibt, nützlich in den sie umgebenden Lebenskreis eingegliedert zu sein (Wiederherstellung der Gemeinschaftsfähigkeit, Tomandl, SV-System 2.3.3.1.C).

4.3 Hilfsmittel iSd § 202 Abs 1 ASVG müssen daher nicht nur erforderlich und geeignet sein, die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit des Versehrten wiederherzustellen, sondern sie müssen auch in einer den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepassten Weise der Wiederherstellung seiner Gemeinschaftsfähigkeit dienen. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher nicht nur dem Umstand Bedeutung zugemessen, dass die vom Kl begehrte Silikonteilhandprothese diesem einen – wenn auch – abgeschwächten Zangengriff zwischen Daumen- und Mittelfingerprothesenteil der linken Hand ermöglicht (Funktionalität der Versorgung), sondern auch berücksichtigt, dass die Prothese das optische Erscheinungsbild und damit die psychische Gesamtsituation des Kl ganz wesentlich verbessert. Denn dieser Umstand ermöglicht dem Kl nicht nur eine bessere Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, sondern – insofern nicht strittig – auch in den sozialen Alltag. [...]

5.1 Es trifft nicht zu, dass das Leistungsrecht der UV frei von einem „Ökonomiegebot“ wäre [...]. Vielmehr sind die Sozialversicherungsträger – daher auch die Unfallversicherungsträger – schon verfassungsrechtlich in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden (Korinek/Leitl-Staudinger in

Tomandl
, SV-System 4.2.4; 10 ObS 243/99d, SSV-NF 13/119; 10 ObS 128/12i, SSV-NF 26/68). Daran ändert der dargestellte Umstand, dass die Gewährung von Hilfsmitteln im Unfallversicherungsrecht „höherwertiger“ geregelt ist als im Krankenversicherungsrecht, nichts.

5.2 Auch vor diesem Hintergrund ist § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG auszulegen. Der Versehrte hat zwar Anspruch auf das erforderliche (geeignete) Hilfsmittel, um die von § 202 Abs 1 angestrebten Zwecke zu erreichen. Dieses Hilfsmittel muss273jedoch seinen persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst sein, sodass insofern keine „Überversorgung“ stattfinden darf. Ein Hilfsmittel muss daher einerseits objektiv medizinisch erforderlich und geeignet sein, die vom Gesetzgeber in § 202 Abs 1 ASVG angestrebten Zwecke zu erfüllen. Andererseits ist die Erforderlichkeit und Eignung auch subjektiv unter Berücksichtigung der individuellen persönlichen und beruflichen Verhältnisse des Versicherten im jeweiligen konkreten Fall zu beurteilen.

6.1 In diesem Zusammenhang ist die Bestimmung des § 193 ASVG zu beachten, die die Durchführung der Unfallheilbehandlung regelt. Danach liegt es im freien Ermessen des Unfallversicherungsträgers, die Unfallheilbehandlung unmittelbar durch dazu bestimmte Einrichtungen oder Ärzte zu gewähren oder einen Krankenversicherungsträger mit ihrer Durchführung gegen Kostenersatz zu betrauen; die E des Unfallversicherungsträgers kann nicht durch Klage beim Arbeits- und Sozialgericht angefochten werden (10 ObS 252/94; RIS-Justiz RS0084261).

6.2 Daher hat der Versehrte zwar auch in dem der Unfallheilbehandlung zugehörigen Bereich des § 202 Abs 1 ASVG einen Anspruch auf Versorgung durch Sachleistung. Diese erfolgt allerdings primär in der vom Unfallversicherungsträger gewählten Form (Bergauer in SV-Komm § 202 ASVG Rz 8), wobei der Unfallversicherungsträger die dargestellten Gebarungsgrundsätze zu beachten hat (zum praktischen Ablauf vgl Bergauer in SV-Komm § 202 Rz 8). Der Versehrte hat daher einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung gem § 202 Abs 1 ASVG, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel (ebenso zur vergleichbaren deutschen Rechtslage gem §§ 26 Abs 5, 31 SGB VII Wirthi in

Lauterbach
, § 31 SGB VII Rn 16; Krasney in
Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky
, Gesetzliche UV (SGB VII) – Kommentar [25. Lfg] § 31 Rn 11a). Die E, welches Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist, trifft vielmehr der Unfallversicherungsträger im Rahmen des ihm gem § 193 ASVG eingeräumten freien Ermessens. Wünscht der Versehrte eine nicht erforderliche, höhere Kosten bedingende Ausführung, die in seinen persönlichen oder beruflichen Verhältnissen keine Begründung findet, so hat er die Mehrkosten zu tragen (Bergauer in SV-Komm, § 202 ASVG Rz 8 aE).

7.1 Damit erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig. [...] Es fehlen [...] Feststellungen, aus denen sich beurteilen lässt, ob dieses Hilfsmittel (Körperersatzstück) den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Kl iSd § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG angepasst ist. [...]

Es war daher der Revision Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen E an das Erstgericht zurückzuverweisen.

ANMERKUNG
1.
Einleitung

In der vorliegenden E (OGH10 ObS 56/16gARD 6523/10/2016 [Lindmayr] = DRdA-infas 2017, 36 [Weißensteiner]) untersucht der OGH, ob nach einem Arbeitsunfall Kostenersatz für eine Silikonteilhandprothese als Hilfsmittel iSd § 202 ASVG zusteht. Der OGH beschäftigt sich dabei erstmals umfassend mit der Auslegung des § 202 Abs 1 ASVG, insb mit den Grenzen des Anspruchs auf Hilfsmittel in der UV. Die Qualifikation der vom Kl begehrten Silikonteilhandprothese als Hilfsmittel ist im Revisionsverfahren unstrittig. Der Schwerpunkt der E liegt auf der Frage, ob die begehrte Silikonteilhandprothese erforderlich ist, um die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern sowie darauf, ob die Prothese den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst ist. Für die Rechtsdurchsetzung ist zudem die Ausführung des OGH relevant, es bestehe nur ein Grundanspruch auf die erforderliche Versorgung gem § 202 Abs 1 ASVG, jedoch kein Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel.

2.
Hilfsmittel als Teil der medizinischen Rehabilitation und der Unfallheilbehandlung

Zunächst ist auf die Einordnung der Hilfsmittel in das System der UV einzugehen. Diese spielt nämlich bei der Interpretation des OGH des § 202 Abs 1 ASVG, die sich primär auf systematische Gesichtspunkte stützt, eine wichtige Rolle. Nach dem OGH sind Hilfsmittel Teil der medizinischen Rehabilitation in der UV und somit auch Teil der Unfallheilbehandlung. Unter dieser Prämisse überträgt der OGH das Ziel der Unfallheilbehandlung, die durch den Versicherungsfall verursachte Gesundheitsstörung „mit allen geeigneten Mitteln“ zu beseitigen (§ 189 Abs 1 ASVG) sowie das Ziel der Rehabilitation, Erwerbsfähigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit des Versehrten wiederherzustellen (§ 172 Abs 2 ASVG), auf die Beistellung von Hilfsmitteln nach § 202 ASVG. Dies bewirkt – wie noch näher dargestellt wird – eine Ausweitung des Anspruchs auf Hilfsmittel iSd § 202 ASVG, insb in qualitativer Hinsicht. Auch die Ansicht des OGH, es bestehe kein Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel, setzt die Zuordnung von Hilfsmitteln zur Unfallheilbehandlung voraus. Der OGH stützt diese Ansicht nämlich auf das dem Unfallversicherungsträger gem § 193 ASVG bei der Durchführung der Unfallheilbehandlung eingeräumte Ermessen. Es ist daher zuerst zu untersuchen, ob Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation in der UV und zur Unfallheilbehandlung gehören.

Der OGH begründet die Zuordnung von Hilfsmitteln zur medizinischen Rehabilitation und der Unfallheilbehandlung wie folgt: Hilfsmittel würden zur medizinischen Rehabilitation in der UV gehören, weil bei der Schaffung der medizinischen Rehabilitation in der PV der Text des § 202 Abs 1 ASVG im Wesentlichen in § 302 Abs 1 Z 2 ASVG übernommen worden sei und Hilfsmittel in der PV als Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation gelten (gestützt auf Bergauer in SV-Komm [98. Lfg] § 202 ASVG Rz 2; Tarmann-Prentner in

Sonntag
[Hrsg], ASVG7 § 172 Rz 7). Hilfsmittel würden als Teil der medizinischen Rehabilitation zudem zur Unfallheilbehandlung gehören, weil die medizi-274nische Rehabilitation gem § 172 Abs 2 ASVG zur Unfallheilbehandlung zähle.

ME ist dieser Einordnung von Hilfsmitteln in das System der UV – und somit der Prämisse, auf der die Interpretation des OGH des § 202 Abs 1 ASVG aufbaut – zuzustimmen. Zwar spricht dagegen, dass § 173 Z 1 ASVG die Unfallheilbehandlung und die Beistellung von Hilfsmitteln als voneinander verschiedene Leistungen ausweist (so auch OGH 31.1.1995, 10 ObS 230/93). Es überwiegen jedoch die Argumente des OGH für eine Zuordnung der Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation in der UV und der Unfallheilbehandlung. Für die Zuordnung von Hilfsmitteln zur Unfallheilbehandlung spricht auch, dass die Unfallheilbehandlung gem der deklarativen Aufzählung des § 189 Abs 2 ASVG Heilbehelfe erfasst und die Unterscheidung zwischen Heilbehelf und Hilfsmittel in der UV nicht so streng zu ziehen ist (RIS-Justiz RS0106160).

3.
Erforderlichkeit von Hilfsmitteln

Gem § 202 Abs 1 ASVG hat der Versehrte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit zu erleichtern. Erforderlichkeit bedeutet im Begriffskern, dass die Hilfsmittel notwendig sein müssen, um die genannten Ziele zu erreichen.

Der OGH legt dem Begriff der Erforderlichkeit – gestützt auf die Zuordnung der Hilfsmittel zur Unfallheilbehandlung – aber ein weiteres Verständnis zugrunde: Nach § 189 Abs 1 ASVG hat die Unfallheilbehandlung zum Ziel, die durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit verursachte Gesundheitsstörung „mit allen geeigneten Mitteln“ zu beseitigen. Daher sei ein Hilfsmittel iSd § 202 Abs 1 ASVG erforderlich, um die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern, wenn es geeignet iSd § 189 Abs 1 ASVG sei, diesen Zweck zu erreichen. Maßstab sei die höchstmögliche Versorgungsqualität.

Dem OGH ist in dieser Interpretation des Begriffs der Erforderlichkeit beizupflichten. Da Hilfsmittel – wie unter Pkt 2. bejaht – zur Unfallheilbehandlung gehören, gilt auch für Hilfsmittel das Ziel der Unfallheilbehandlung, den vor Eintritt des Versicherungsfalls gegebenen Gesundheitszustand in weitestgehendem Umfang wiederherzustellen (§ 189 Abs 1 ASVG: „mit allen geeigneten Mitteln“; vgl OGH10 ObS 230/93 SSV-NF 9/2). In systematischer Interpretation ist der Begriff der Erforderlichkeit von Hilfsmitteln folglich iSv geeignet gem § 189 Abs 1 ASVG zu verstehen. Die Zuordnung von Hilfsmitteln zur Unfallheilbehandlung spricht nämlich gegen eine engere Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit, die mit der umfassenden Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers bei der Unfallheilbehandlung in Widerspruch stünde (vgl F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 [1991] 443). Der Maßstab der höchstmöglichen Versorgungsqualität ergibt sich durch die Vorgabe, alle geeigneten Mittel aufzuwenden. Allerdings hat der OGH dies in der jüngsten E 10 ObS 161/16y vom 24.1.2017 – betreffend eine Prothese mit Genium-Kniegelenk – dahingehend eingeschränkt, dass sich aus dem Unfallversicherungsrecht kein Anspruch auf die jeweils dem letzten Stand der Technik entsprechende Prothese ableiten lasse. Im vorliegenden Fall ist die Silikonteilhandprothese erforderlich iSv geeignet, die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern.

4.
Angepasstheit an die persönlichen und beruflichen Verhaltnisse des Versehrten

Der weit gefasste Anspruch auf erforderliche Hilfsmittel ist dadurch begrenzt, dass diese nach § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein müssen.

Was unter der Angepasstheit von Hilfsmitteln zu verstehen ist, wird klarer, wenn man das Kriterium der Angepasstheit mit dem Kriterium der Erforderlichkeit und den in § 202 Abs 1 ASVG formulierten Zielen in Beziehung setzt. Hilfsmittel müssen nicht nur erforderlich sein, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen des Versicherungsfalls zu erleichtern. Hilfsmittel müssen auch in einer den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepassten Weise erforderlich sein, diese Ziele zu erreichen. IdS unterscheidet der OGH zwischen der objektiven medizinischen Erforderlichkeit und der subjektiven Erforderlichkeit von Hilfsmitteln, die in den konkreten persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten begründet sein muss.

Aus der Zuordnung von Hilfsmitteln zur medizinischen Rehabilitation in der UV schließt der OGH zu Recht, dass bei der Auslegung der Angepasstheit von Hilfsmitteln das Ziel der Rehabilitation zu berücksichtigen sei, sowohl die Erwerbsfähigkeit als auch die Gemeinschaftsfähigkeit des Versehrten wiederherzustellen. Bezogen auf die Silikonteilhandprothese bedeutet dies: Es ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Prothese dem Kl einen abgeschwächten Zangengriff ermöglicht und somit dessen Erwerbsfähigkeit verbessert. Andererseits sind auch die positiven Auswirkungen der Optik der Prothese auf die Psyche des Kl und somit dessen Gemeinschaftsfähigkeit zu beachten.

Trotz des weit gefassten Anspruchs auf erforderliche Hilfsmittel darf es aber zu keiner Überversorgung des Versehrten kommen. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass nur ein Anspruch auf die den persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepassten Hilfsmittel besteht. Der OGH weist in diesem Zusammenhang auf die verfassungsrechtliche Bindung der Unfallversicherungsträger in ihrer Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit hin (vgl auch Korinek/Leitl-Staudinger in

Tomandl
, SV-System 4.2.4.). Das Leistungsrecht der UV ist also nicht frei von einem „Ökonomiegebot“ (aA Bergauer in SV-Komm § 202 ASVG Rz 5).

In der vorliegenden E fehlen die Feststellungen zur Angepasstheit der Silikonteilhandprothese an die persönlichen und beruflichen Verhältnisse des Kl, weshalb der OGH die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen E an275das Erstgericht zurückverweist. Im Allgemeinen ist betreffend die beruflichen Verhältnisse insb relevant, welche berufliche Tätigkeit der Versehrte vor dem Versicherungsfall ausgeübt hat sowie welche berufliche Tätigkeit er nach dem Versicherungsfall ausüben möchte und kann. Betreffend die persönlichen Verhältnisse kann bspw relevant sein, dass der Versehrte vor dem Versicherungsfall regelmäßig Sport betrieben hat und dies durch eine bestimmte Prothese weiterhin tun könnte (vgl OGH 24.1.2017, 10 ObS 161/16y).

5.
Grundanspruch, jedoch kein Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel

In der KV und der PV sind Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewähren (§ 154a Abs 1, § 301 Abs 1 ASVG). Im Gegensatz dazu räumt § 202 Abs 1 ASVG in der UV dem Versehrten ausdrücklich einen Rechtsanspruch auf Versorgung mit den erforderlichen Hilfsmitteln ein.

Der OGH schränkt diesen Rechtsanspruch in der vorliegenden E jedoch ein: Der Versehrte habe zwar einen Grundanspruch auf die erforderliche Versorgung gem § 202 Abs 1 ASVG. Allerdings entscheide der Unfallversicherungsträger nach freiem Ermessen, welches Hilfsmittel geeignet sei. Der Versehrte habe keinen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Dies hätte mE zur Folge, dass die gerichtliche Kontrolle betreffend die Auswahl des erforderlichen Hilfsmittels auf den fehlerfreien Gebrauch des Ermessens beschränkt wäre (vgl OGH10 ObS 258/02tDRdA 2004, 263 [Naderhirn] = ZAS 2004, 183 [Haslinger]). Zur Begründung stützt sich der OGH auf die Bestimmung des § 193 ASVG über die Durchführung der Unfallheilbehandlung und verweist auf die deutsche Rechtslage gem § 26 Abs 5 und § 31 SGB VII. Zudem zitiert der OGH Bergauer, nach dem der Versehrte Hilfsmittel als Sachleistung primär in der vom Unfallversicherungsträger gewählten Form erhalte (Bergauer in SV-Komm § 202 ASVG Rz 8).

Diese Argumentation überzeugt nicht. Die vom OGH vertretene Ansicht gilt mE nur für die deutsche Rechtslage und lässt sich nicht ohne weiteres auf die österreichische Rechtslage übertragen. Die deutsche Bestimmung des § 26 Abs 5 SGB VII gesteht den Unfallversicherungsträgern nämlich ausdrücklich Ermessen betreffend Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung zu sowie betreffend die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen. Die Auswahl des geeigneten Hilfsmittels ist eine Entscheidung über Art und Umfang der Heilbehandlung, die gem § 26 Abs 5 SGB VII nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen ist. Die österreichische Bestimmung des § 193 ASVG sieht dagegen gerade kein Ermessen betreffend Art und Umfang der Unfallheilbehandlung vor. Der Unfallversicherungsträger kann lediglich nach freiem Ermessen entscheiden, die Unfallheilbehandlung entweder unmittelbar durch dazu bestimmte Einrichtungen oder Ärzte zu gewähren oder einen Krankenversicherungsträger mit der Durchführung gegen Kostenersatz zu betrauen. Daraus lässt sich nicht ableiten, es liege im Auswahlermessen des Unfallversicherungsträgers, welches Hilfsmittel erforderlich sei und es bestehe kein Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Auch aus dem Zitat von Bergauer ist nichts für die Ansicht des OGH zu gewinnen. Das Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen. Bergauer vertritt im Gegenteil ausdrücklich, dass die Auswahl von Hilfsmitteln in der UV nach dem Wortlaut des § 202 Abs 1 ASVG nicht im Ermessen des Unfallversicherungsträgers liegt (Bergauer in SV-Komm § 202 ASVG Rz 5).

6.
Resümee

Der E des OGH ist großteils zuzustimmen. Ein Hilfsmittel iSd § 202 ASVG ist erforderlich, um die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern, wenn es geeignet iSd § 189 Abs 1 ASVG ist, diesen Zweck zu erreichen. Ein Hilfsmittel muss jedoch den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein, sodass es zu keiner Überversorgung kommen darf. Zu berücksichtigen ist dabei auch das Ziel der Rehabilitation, Erwerbsfähigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit des Versehrten wiederherzustellen.

ME nicht zu folgen ist dem OGH jedoch darin, dass nur ein Grundanspruch auf die erforderliche Versorgung gem § 202 Abs 1 ASVG bestehe und die Auswahl des Hilfsmittels im Ermessen des Unfallversicherungsträgers liege. Dies lässt sich aus § 193 ASVG nicht ableiten.276