30Dauernde Invalidität und Prüfung der Rehabilitierbarkeit
Dauernde Invalidität und Prüfung der Rehabilitierbarkeit
Voraussetzung für die dauernde Invalidität ist die nicht zu erwartende (medizinische) Besserung des Gesundheitszustands.
Eine nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eintretende Besserung des Gesundheitszustands, die künftig berufliche Rehabilitationsmaßnahmen iS einer Umschulung zu Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Verweisungsfeldes ermöglicht, hat außer Betracht zu bleiben.
Das Sozialgericht muss von Amts wegen das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG prüfen.
Der 1965 geborene Kl hat den Beruf eines Spenglers erlernt. Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem 1.6.2009 hat er 158 Monate als Spengler gearbeitet. Vom 1.6.2009 bis 30.11.2014 bezog der Kl eine befristete Invaliditätspension. Seither geht er keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nach.
Mit Bescheid vom 9.10.2014 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Weitergewährung der bis 30.11.2014 befristet gewährten Invaliditätspension mangels dauernder Invalidität ab, stellte fest, dass ab 1.12.2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege und als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation der weitere Krankheitsverlauf zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abzuwarten sei. Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation wurden als nicht zweckmäßig festgestellt. Weiters wurde ausgesprochen, dass für die Dauer der vorübergehenden Invalidität ab dem 1.12.2014 Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der KV bestehe.
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt der Kl die Weitergewährung der Invaliditätspension ab 1.12.2014. Er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, seinen erlernten Beruf als Spengler auszuüben. [...] Nachdem bereits eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation erfolgt sei, die aus Gründen, die außerhalb seines Verantwortungsbereichs gelegen seien, nicht zielführend gewesen bzw abgebrochen worden sei, sei ihm eine neuerliche berufliche Rehabilitation nicht zumutbar. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren (ohne Bescheidwiederholung) ab. Mit Ergänzungsurteil vom 11.1.2016 ergänzte es den Urteilsspruch dahin, dass ab 1.12.2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege, weshalb als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten sei; Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig; ab 1.12.2014 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der KV. [...]
Da feststehe, dass der Kl durch medizinische Maßnahmen der Rehabilitation bis längstens Ende November 2015 umschulbar sein werde, sei im Hinblick auf den Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ eine berufliche Rehabilitation auf die Berufe des Baukaufmanns oder Arbeitsvorbereiters zweckmäßig. Der Kl sei somit nicht als invalid iSd § 254 Abs 1 ASVG anzusehen. Da er lediglich die Weitergewährung der Invaliditätspension begehrt habe, sei über das Rehabilitationsgeld nicht abzusprechen gewesen.292
In seinem Ergänzungsurteil vom 11.1.2016 ging das Erstgericht unter Hinweis auf § 71 ASGG dann davon aus, dass die als unwiderruflich anerkannt anzusehende Leistungsverpflichtung von Amts wegen in den Urteilsspruch aufzunehmen sei. [...]
Das Berufungsgericht wies die vom Kl gegen das Ergänzungsurteil gerichtete Berufung mangels Beschwer als unzulässig zurück. Im Übrigen gab es der Berufung des Kl nicht Folge. [...] Die Zumutbarkeit von Rehabilitationsmaßnahmen sei nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die bisher gewährte berufliche Rehabilitation nicht erfolgreich gewesen sei, weil dadurch die dauernde Invalidität noch nicht nachgewiesen sei. Es sei Sache des Versicherten, die Dauerhaftigkeit der Invalidität dadurch unter Beweis zu stellen, dass er den Nachweis erbringe, eine Besserung sei nicht sehr wahrscheinlich. Dieser Nachweis sei dem Kl aber nicht gelungen, stehe doch fest, dass die Invalidität insoweit behoben werden könne, also bei Vorliegen einer Umschulbarkeit eine berufliche Rehabilitation möglich sei. Zwar sei die Umschulbarkeit derzeit nicht gegeben, könne aber bei optimaler Behandlung innerhalb weniger Monate erreicht werden. Dass eine Invalidität nicht dauerhaft sei, treffe auch dann zu, wenn vorerst keine berufliche Maßnahme der Rehabilitation durchgeführt werden könne, da noch eine allfällige Besserung des Gesundheitszustands abzuwarten sei. [...]
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Kl mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Kl ist zulässig; sie ist iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[...]
2.1 Für Versicherte im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 besteht ein Anspruch auf Invaliditätspension [...] nur mehr dann, wenn Invalidität (§ 255 ASVG) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorliegt (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG idF SRÄG 2012) und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF SRÄG 2012).
2.2 Bei Ablehnung einer beantragten Leistung auf Invaliditätspension mangels Vorliegens dauernder Invalidität hat der Versicherungsträger gem § 367 Abs 4 ASVG idF BGBl I 2015/2 von Amts wegen festzustellen, ob Invalidität iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG oder iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegt und wann sie eingetreten ist; ob die Invalidität voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird; ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) und zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind und für welches Berufsfeld die versicherte Person durch diese Maßnahmen qualifiziert werden kann und ob Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 255b ASVG) besteht oder nicht.
2.3 Die – in Entsprechung dieser Grundsätze – von der Bekl auch im vorliegenden Fall in den Bescheid aufgenommenen Aussprüche über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Invaliditätspension und die Zuerkennung eines Rehabilitationsgeldes sind als Einheit anzusehen. Der Bescheid ist durch die – auch nur gegen die Abweisung der Invaliditätspension gerichtete – Klage insgesamt außer Kraft getreten, sodass die zugrunde liegenden Ansprüche in ihrer Gesamtheit Gegenstand des Sozialgerichtsverfahrens sind. [...]
3.1 Nach den Gesetzesmaterialien soll als ein Eckpfeiler der Entflechtung von vorübergehender bzw „behebbarer“ Arbeitsunfähigkeit (befristeter Invalidität/Berufsunfähigkeit) und Pension eine Invaliditäts-(Berufsunfähigkeits-)pension [...] nur mehr dann gebühren, wenn dauernde Invalidität/Berufsunfähigkeit vorliegt. Solange diese nicht gegeben sei, sind allfällige Geldleistungen während einer Arbeitsunfähigkeit von der KV und während einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme vom Arbeitsmarktservice (AMS) zu gewähren. Für die Gewährung der Invaliditätspension ist es künftig erforderlich, dass zum einen dauernde Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt (bei der eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist) und zum anderen eine berufliche Rehabilitation etwa wegen des Qualifikationsschutzes nicht zumutbar oder – insb wegen des Alters – nicht zweckmäßig ist. Logische Abfolge bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension ist zuerst die Prüfung des Vorliegens dauernder Invalidität, dann erst die Prüfung, ob eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist. Verdeutlicht wird die logische Abfolge bei Prüfung eines Anspruchs auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit durch die Umreihung der Ziffern des Abs 1 des § 254 ASVG (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24; vgl auch Födermayr in SV-Komm [139. Lfg] § 254 ASVG Rz 13 ff).
3.2 Die Arbeitsfähigkeit ist voraussichtlich dauerhaft gemindert, wenn eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist. [...] Nach stRsp muss der Versicherte unter dem Regime des SRÄG 2012 demnach nicht mehr beweisen, dass eine Besserung des Gesundheitszustands mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (eine Besserung unmöglich oder an Gewissheit grenzend unwahrscheinlich ist), sondern nur, dass sie nicht sehr wahrscheinlich ist, damit feststeht, dass Invalidität „voraussichtlich dauerhaft vorliegt“. Es genügt daher, wenn eine die Invalidität beseitigende Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit (iSd Regelbeweismaßes der ZPO) nicht zu erwarten ist. [...]
3.3 Der Kl genießt Berufsschutz als Spengler. Es müsste sich daher sein Leistungskalkül soweit bessern können, dass er in der Lage wäre, (irgend)eine seinen Berufsschutz erhaltende Tätigkeit zu verrichten. Nach dem festgestellten Sachverhalt kann er aus medizinischen Gründen aber weder die Tätigkeit eines Spenglers noch jene eines Spenglermeisters ohne Gefährdung seiner Gesundheit mehr ausüben, weil er infolge seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls Arbeiten in höhenexponierten Lagen nicht mehr erbringen kann. Hinsichtlich293des Ausschlusses dieser Arbeiten ist auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit keine medizinische Besserung zu erwarten. Auf medizinischem Weg kann somit für den Kl weder durch Krankenbehandlung noch durch medizinische Rehabilitation im bisherigen Beruf ein ausreichendes Verweisungsfeld erhalten bzw wiederhergestellt werden, weshalb eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserungsmöglichkeit nicht gegeben ist.
3.4 Der Ansicht des Berufungsgerichts, es bestehe dennoch keine dauernde, sondern nur vorübergehende Invalidität, weil feststehe, dass die Invalidität insoweit behoben werden könne, als bei Vorliegen von Umschulbarkeit eine berufliche Rehabilitation möglich sei, kann nicht gefolgt werden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist Voraussetzung für die dauernde Invalidität die nicht zu erwartende (medizinische) Besserung des Gesundheitszustands. Weiters ist in den Gesetzesmaterialien in eindeutiger Weise die Abfolge bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension dahin festgelegt, dass zuerst die Prüfung des Vorliegens dauernder Invalidität vorzunehmen ist und dann erst die Prüfung, ob eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist. [...]
Damit ist der Kl [...] als „voraussichtlich dauerhaft“ invalid iSd § 254 Abs 1 Z 1 ASVG anzusehen.
4.1 Stellt sich im sozialgerichtlichen Verfahren heraus, dass der Kl dauernd invalid ist, so muss das Sozialgericht von Amts wegen das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG prüfen, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension erfüllt sind. Danach ist weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Invaliditätspension, dass die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) [...] sind.
4.2 § 303 Abs 2 ASVG definiert Maßnahmen beruflicher Rehabilitation als solche, durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität oder Berufsunfähigkeit beseitigt oder vermieden werden kann und die geeignet sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sicherzustellen.
4.3 § 14 der Richtlinien für Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge (RRK) sieht insb Arbeitserprobung, Berufsfindung, Berufsvorbereitung (Z 1), Arbeitstraining (Z 2), Ein-, Um- und Nachschulung (Z 3) und Lehr- oder Schulausbildung (Z 4) als Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation vor. Zu den in § 14 RRK genannten Umschulungsmaßnahmen entspricht es schon der bisherigen Rsp, dass die Rehabilitation nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf anknüpft (10 ObS 26/03a;
). Im Rahmen der beruflichen Rehabilitation kann es somit grundsätzlich auch zu einer Umschulung eines überwiegend in erlernten Berufen tätig gewesenen Versicherten kommen. [...]4.4 Als zweckmäßig werden Rehabilitationsmaßnahmen dann anzusehen sein, wenn – wie sich aus der Verweisung auf § 303 Abs 3 ASVG ergibt – die Schulungs- und Wiedereingliederungsmaßnahme ausreichend und zweckmäßig ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. [...]
4.5 Während es bei der Frage der Zweckmäßigkeit um die „objektive Seite“ geht, geht es bei der Frage der Zumutbarkeit von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation kraft Verweisung auf § 303 Abs 4 ASVG um die „subjektive Seite“ (R. Müller, DRdA 2014, 381). [...]
Im vorliegenden Fall lässt sich die Frage der Zumutbarkeit auf Grund der anhand der ärztlichen Gutachten getroffenen Feststellungen bisher nur dahingehend beantworten, dass eine berufliche Rehabilitation iS einer Umschulung aus gesundheitlichen (psychischen) Gründen „derzeit“ nicht zumutbar ist, welcher Zustand bei optimaler Therapie erst zu einem (kurz) nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt (dem 19.10.2015), behebbar ist bzw gewesen wäre.
Die Frage, ob eine Leistung der PV gebührt, ist aber ganz allgemein nach den Verhältnissen an dem durch den Antrag ausgelösten Stichtag zu prüfen. [...]
Dazu fehlen bisher Feststellungen. Sollte durch eine Änderung der Anspruchsvoraussetzungen die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen sein („Stichtagsverschiebung“), wird zu beachten sein, dass die Anspruchsvoraussetzungen jedenfalls zu einem vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz liegenden Stichtag erfüllt sein müssen (10 ObS 199/02s). Eine danach eintretende Besserung des Gesundheitszustands, die künftig erst berufliche Rehabilitationsmaßnahmen iS einer Umschulung zu Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Verweisungsfelds ermöglicht, hat hingegen außer Betracht zu bleiben, dies sowohl bei Prüfung der (positiven) Anspruchsvoraussetzung der dauernden Invalidität als auch bei Beurteilung der (negativen) Anspruchsvoraussetzung der Zweckmäßigkeit bzw Zumutbarkeit beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation. [...] Von diesem Grundsatz abzugehen rechtfertigt auch nicht die Intention des Gesetzgebers des SRÄG 2012, nach der die Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes der Regelfall, die Gewährung der Invaliditätspension hingegen nur der Ausnahmefall sein soll. [...]
Wurde der Pensionsantrag vom Pensionsversicherungsträger mangels Vorliegens dauerhafter Invalidität abgelehnt und gelangt das Arbeits- und Sozialgericht [...] abweichend davon zum Ergebnis, dass auf Grund des körperlichen und geistigen Zustands vom voraussichtlich dauerhaften Vorliegen der Invalidität auszugehen ist (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG), so ist für das Beweisverfahren zur Prüfung einer beruflichen Rehabilitierbarkeit grundsätzlich auf die in der E 10 ObS 107/12a, SSV-NF 27/9 beschriebene Vorgangsweise zurückzugreifen. [...] Wenngleich diese E noch zur Rechtslage vor dem SRÄG 2012 ergangen ist (nach der in § 253e ASVG noch ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen normiert war), lässt sich daraus auch für den vorliegenden Fall ableiten, dass das Gericht die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit mit den Parteien zu erörtern und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird. [...]294
Da der Kl [...] als dauernd invalid iSd § 254 Abs 1 Z 1 ASVG zu qualifizieren ist, wird der Bekl Gelegenheit zu bieten sein, zur Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit der beruflichen Rehabilitation als weitere (negative) Anspruchsvoraussetzung (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG) Stellung zu nehmen. Dabei wird auch der Umstand in Betracht zu ziehen sein, dass der Kl bereits einmal (erfolglos) berufliche Rehabilitationsmaßnahmen absolviert hat. Sollte die Bekl davon ausgehen, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar sind, bedarf es keiner weiteren (inhaltlichen) Prüfung dieser Anspruchsvoraussetzung. Sollte die Bekl aber den Standpunkt einnehmen, (weitere) berufliche Rehabilitationsmaßnahmen seien allenfalls doch zweckmäßig und zumutbar, wird ihr vom Gericht eine angemessene Frist zur Klärung der Zumutbarkeitsfrage gem § 366 Abs 4 ASVG durch eine eigene berufskundliche Beurteilung einzuräumen sein [...]. Die im Berufsfindungsverfahren erzielten Ergebnisse sind dem Kl und dem Gericht bekannt zu geben, das das Verfahren da raufhin fortzusetzen hat. Im fortgesetzten Verfahren wird die Bekl alle geplanten Maßnahmen konkret zu bezeichnen haben, denn nur so kann der Kl zu deren Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit Stellung nehmen und das Gericht diese Fragen im Streitfall prüfen. Auch nach der Rechtslage zum SRÄG 2012 ist die Durchführung des Berufsfindungsverfahrens nicht Sache eines im Gerichtsverfahren bestellten berufskundlichen Sachverständigen. [...]
Mit dieser E hat der OGH eine weitere wesentliche Frage zum Vorliegen von Invalidität bzw dem Anspruch auf Invaliditätspension auf Basis der Rechtslage nach dem SRÄG 2012 geklärt. Dem Ergebnis ist zuzustimmen. In einer weiteren E vom selben Tag (OGH 11.11.2016, 10 ObS 107/16g) und einem Urteil vom 25.11.2016 (10 ObS 139/16p)wird diese Entscheidungslinie bestätigt. Auch die nun vorliegenden Entscheidungen zeigen – wie meistens unter dem Regime des SRÄG 2012 – die starke Verzahnung von materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen. Im Folgenden wird noch nicht auf die ab 1.1.2017 geltende Rechtslage (SVÄG 2016, BGBl I 2017/29) eingegangen.
Unbestritten gilt im vorliegenden Sachverhalt für den 1965 geborenen Kl nach dem Auslaufen der befristeten Invaliditätspension (§ 669 Abs 6 ASVG) das neue Leistungsregime des SRÄG 2012. Ebenfalls gesichert ist, dass die von der Bekl im bekämpften Bescheid aufgenommenen Aussprüche über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Invaliditätspension und die Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes als Einheit anzusehen sind. Der Bescheid ist durch die Klage außer Kraft getreten und alle zugrundeliegenden Ansprüche sind Gegenstand des Sozialgerichtsverfahrens (RIS-Justiz RS0084896). Angesichts der Verzahnung der Ansprüche auf medizinische Rehabilitation und Rehabilitationsgeld mit dem Vorliegen vorübergehender Invalidität/Berufsunfähigkeit ist – ebenso wie bei der Rechtslage nach dem BBG 2011 betreffend § 253e ASVG – davon auszugehen, dass der gesamte Bescheid außer Kraft tritt, auch wenn die Klage nur den Ausspruch über den Ausspruch über den Pensionsantrag bekämpft (vgl Sonntag, Verfahrens- und materiellrechtliche Probleme des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2012, ASoK 2013, 416). Außer Kraft getreten ist somit auch der Ausspruch, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig sind. Das Erstgericht hatte im Urteil zuerst über das Rehabilitationsgeld nicht abgesprochen, weil der Kl nur die Weitergewährung der Invaliditätspension beantragt habe; erst im Ergänzungsurteil wurde auch über das Rehabilitationsgeld abgesprochen.
Zur Frage, ob die Arbeitsfähigkeit voraussichtlich dauerhaft gemindert ist, liegt mittlerweile ebenfalls eine gesicherte und zu begrüßende Rsp vor. Versicherte müssen nicht mehr beweisen, dass eine Besserung des Gesundheitszustands mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (eine Besserung unmöglich oder an Gewissheit grenzend unwahrscheinlich ist), sondern nur, dass sie nicht sehr wahrscheinlich ist, damit feststeht, dass Invalidität „voraussichtlich dauerhaft vorliegt“. Es genügt daher der sogenannte Regelbeweis, dass eine die Invalidität beseitigende Besserung des Gesundheitszustands mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (RIS-Justiz RS0130217). Diesen Beweis hat die versicherte Person zu erbringen. Der OGH hat in seiner grundlegenden E dazu (30.7.2015, 10 ObS 40/15b) argumentiert, dass der Gesetzgeber nunmehr wieder zwischen vorübergehender und dauernder Invalidität unterscheide und grundsätzlich vom Konzept der befristeten Leistungen abgegangen sei. Nach dem Wortlaut müsse Invalidität nicht dauerhaft, sondern nur voraussichtlich dauerhaft vorliegen. Die Besserung zu erwarten, bedeute mit ihr zu rechnen bzw sie für wahrscheinlich zu halten. Gem § 256 Abs 3 ASVG idF vor dem SRÄG 2012 konnte der Ausspruch, dass die Pension zeitlich befristet zuerkannt oder weitergewährt wurde, eine Klage nicht erhoben werden. Nur gegen die Ablehnung eines Pensionsantrags oder der Weitergewährung war eine Klage zulässig. Die Judikatur zur Frage, ob dauernde Invalidität anzunehmen und die Pension somit ohne zeitliche Befristung zuzuerkennen war (§ 256 Abs 2 ASVG), ist in diesem Zusammenhang entstanden. Diese frühere sehr strenge Judikatur zur Frage, ab wann Invalidität dauernd vorliegt, wurde in der Literatur bereits unter Bezugnahme auf den Wortlaut als zu streng kritisiert (vgl Panhölzl, Rehabilitation und (un)befristete Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, DRdA 2011, 156).
Im vorliegenden Fall hatte die Bekl den Weitergewährungsantrag auf Invaliditätspension abgelehnt,295das Vorliegen von vorübergehender Invalidität festgestellt und ausgesprochen, dass als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten sei; Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation wurden als nicht zweckmäßig festgestellt. Erstgericht und Berufungsgericht gingen ebenfalls vom Vorliegen (bloß) vorübergehender Invalidität aus. Dem Kl sei der Beweis der Dauerhaftigkeit der Invalidität nicht gelungen, weil eine (spätere) Umschulbarkeit eine berufliche Rehabilitation ermögliche. Der OGH dagegen stellt Folgendes klar: Die Arbeitsfähigkeit ist voraussichtlich dauerhaft gemindert, wenn eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist. Entscheidend ist eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserung. Der Kl im vorliegenden Fall genießt Berufsschutz als Spengler; weder diese Tätigkeit noch die Tätigkeit eines Spenglermeisters kann er wegen des Ausschlusses von Arbeiten an höhenexponierten Stellen verrichten – dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht zu erwarten (weder durch Krankenbehandlung noch durch medizinische Rehabilitation). Nach der im Gesetz festgelegten Prüfreihenfolge liegt somit dauernde Invalidität vor (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG). Erst in einem zweiten Schritt ist die Prüfung vorzunehmen, ob Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG). Wenn sich das Vorliegen dauernder Invalidität wie hier erst im Sozialgerichtsverfahren herausstellt, muss das Gericht nicht nur die positive Anspruchsvoraussetzung des Vorliegens der dauernden Invalidität, sondern auch das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzungen der Z 2 prüfen (Födermayr in
Es ist somit maW zu differenzieren: Liegt erstens dauernde Invalidität vor (durch Krankenbehandlung oder medizinische Rehabilitation nicht mehr kalkülsrelevant besserbar)? Damit ist aber noch nicht darüber entschieden, auf welche Leistung Anspruch besteht. Erst in einem zweiten Schritt ist festzustellen, ob die dauernde Invalidität durch berufliche Rehabilitationsmaßnahmen, die zweckmäßig und zumutbar sein müssen, beseitigt werden kann. Bejahendenfalls besteht Anspruch auf Umschulungsgeld (§ 39 b AlVG) und Gewährung von beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation durch das AMS. Diese Maßnahmen können über das Verweisungsfeld hinausgehen. Verneinendenfalls (es gibt keine zweckmäßige und zumutbare berufliche Rehabilitation) besteht Anspruch auf dauernde Invaliditätspension.
In der vorliegenden E steht nur der erste Schritt fest: Es liegt dauernde Invalidität vor, weil eine medizinische Besserung nicht zu erwarten ist. Der zweite Schritt der beruflichen Rehabilitation kann vom OGH nicht in der Sache entschieden werden, weil dazu notwendige Feststellungen fehlen. Klargestellt wird jedoch, dass eine nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eintretende Besserung des Gesundheitszustands, die berufliche Rehabilitation überhaupt erst ermöglicht, nicht zu berücksichtigen ist. Alle Anspruchsvoraussetzungen (positive wie negative) müssen zu einem vor Schluss der Verhandlung erster Instanz liegenden Stichtag erfüllt sein (RIS-Justiz RS0084524).
Wie bereits oben festgehalten, muss das Sozialgericht alle Anspruchsvoraussetzungen prüfen. Bei der Frage, ob eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zweckmäßig ist (§ 303 Abs 3 ASVG), ist die objektive Seite angesprochen, bei der Frage der Zumutbarkeit (§ 303 Abs 4 ASVG) hingegen die subjektive Seite (Müller, Pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation in der Arbeitslosenversicherung, DRdA 2014, 379 ff). Der OGH verweist in der Entscheidungsbegründung nicht nur auf § 303 Abs 2 ASVG (Maßnahmen durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität beseitigt oder vermieden werden kann), sondern zusätzlich auf die RL des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Konkret auf § 14 RRK (Richtlinien für Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge), wonach als Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, insb Arbeitserprobung, Berufsfindung, Berufsvorbereitung (Z 1), Arbeitstraining (Z 2), Ein-, Um- und Nachschulung (Z 3) und Lehr- oder Schulausbildung (Z 4) in Betracht kommen. Es kann also auch zu einer Umschulung kommen. MA hätte es dieser Bezugnahme auf die Richtlinien nicht bedurft; bereits auf Basis der stRsp ist eine Rehabilitation über das Verweisungsfeld hinaus möglich. Eine Einschränkung dahingehend, dass Versicherten im Rahmen der beruflichen Rehabilitation nur eine Berufsausübung im Rahmen des (bisherigen) Verweisungsfeldes ermöglicht werden soll, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Rehabilitation knüpft somit nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf an (RIS-Justiz RS0113672).
Zur Frage der Zweckmäßigkeit verweist der OGH auf Müller (Pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation in der Arbeitslosenversicherung, DRdA 2014, 379), wonach die Rehabilitation jedenfalls „erfolgversprechend“ sein müsse. Müller ist jedenfalls zuzustimmen, wenn er zum Ergebnis kommt, dass eine Maßnahme beruflicher Rehabilitation, die eine Umschulung auf eine Tätigkeit vorsieht, hinsichtlich derer aber in absehbarer Zeit keine296ausreichende Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erwarten ist, daher unzweckmäßig und somit unzulässig ist (aaO 381). Zur Zumutbarkeitsfrage wurde vom Kl in der Revision darauf verwiesen, dass er schon einmal erfolglos (zum Spenglermeister) rehabilitiert wurde. Zur Frage der Zumutbarkeit ist der Begründung des OGH nicht viel mehr als die Zitierung des Gesetzeswortlauts und der Hinweis auf die erforderliche E im Einzelfall zu entnehmen.
In seiner Aufhebung hält der OGH an den Prinzipien der E 26.2.2013, 10 ObS 107/12a, fest, obwohl diese noch zu § 253e ASVG, dh zur Rechtslage vor Inkrafttreten des SRÄG 2012, gefällt wurde: Die Frage der Rehabilitierbarkeit ist mit den Parteien zu erörtern, wobei zuerst die Bekl zu den Fragen der Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit – nach einer eigenen berufskundlichen Beurteilung – Stellung zu nehmen hat. Die konkret bezeichneten Maßnahmen sind in der Folge mit dem Kl zu erörtern. In der Literatur waren zur Frage der weiteren Anwendbarkeit dieser Grundsätze unterschiedliche Auffassungen vertreten worden (vgl Sonntag, ASoK 2013, 418 oder Ivansits, ZAS 2014, 165). Während der OGH in 10 ObS 107/12a offenbar von einem durchsetzbaren Anspruch auf eine bestimmte Rehabilitationsmaßnahme ausgegangen ist (arg: Begehren auf Gewährung der konkreten Maßnahmen, S 9 letzter Absatz), ist fraglich, ob diese Rechtsauffassung weiter vertreten wird, besteht doch (Anm der Autorin: Zumindest zum Zeitpunkt dieser E) kein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation (Aufhebung § 253e ASVG). Die weitere Klärung dieser Fragen bleibt somit dem Erstgericht nicht erspart.
Eine neuerliche Änderung der Rechtslage ab 1.1.2017 ua mit einer Wiedereinführung eines Rechtsanspruchs auf berufliche Rehabilitation in § 253e ASVG (SVÄG 2016, BGBl I 2017/29) wird RechtsanwenderInnen und Betroffene vor neue Herausforderungen stellen.