31Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG besteht auch für Hilfeleistungen, die der Vermeidung erheblicher Sachschäden dienen
Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG besteht auch für Hilfeleistungen, die der Vermeidung erheblicher Sachschäden dienen
Nach § 176 Abs 1 Z 2 (Fall 4) ASVG ist auch eine Hilfeleistung zur Vermeidung erheblicher Sachschäden vom Unfallversicherungsschutz erfasst.
Der Begriff des Unglücksfalls setzt voraus, dass es sich bei einer durch einen Vorgang der Außenwelt herbeigeführten Gefahrenlage nicht bloß um Bagatellschäden, sondern um einen nicht unerheblichen tatsächlichen oder drohenden Schaden an einem wichtigen Rechtsgut handelt.
Am 21.8.2015 war der Kl als Tischler in einer Tischlerei in seiner Heimatgemeinde beschäftigt. Er entschloss sich an diesem Tag, während der um 9:00 Uhr beginnenden Vormittagspause im nahegelegenen Kaufhaus im Ort (S-Markt, ca 300 m) eine Jause zu kaufen. [...] Der Kl wählte den kürzesten Weg zum Kaufhaus.
Als er dort kurz nach 9:00 Uhr ankam, sah er direkt vor dem Kaufhaus bei einer Parkmöglichkeit zwei ineinander verkeilte Kleintransporter stehen. Es handelte sich dabei einerseits um den Kleinbus [...] und andererseits um den Ford-Kastenwagen [...] mit einem Eigengewicht von 1.729 kg. [...]
F regte an, die Heckklappe des Fahrzeugs H ein paar Millimeter anzuheben, damit das andere Fahrzeug vielleicht darunter herausrutschen und wegfahren könne. Dieser Versuch war allerdings nicht erfolgreich. Daraufhin schlug H vor, ein paar Zentimeter nach vorne zu fahren, damit sich die Fahrzeuge voneinander lösen. Dies tat er und die Verkeilung löste sich.
Dadurch geriet der Ford-Kastenwagen des M, bei dem die Handbremse nicht angezogen war, ins Rollen. M saß zu diesem Zeitpunkt nicht im Wagen, sondern befand sich in dessen Heckbereich. [...] Die im Heckbereich des Autos stehenden F und M versuchten, den Ford-Kastenwagen an der Stoßstange zu halten. Der Kl befand sich eher im vorderen Bereich des Wagens. Er sprang seitlich vor diesen und versuchte ihn zu halten. Der Ford-Kastenwagen rollte ganz langsam abschüssig nach unten. Die Vorderräder waren nicht gerade gestellt, sondern eingeschlagen. Im Zuge des Rollens fuhr das Rad auf der Seite, auf der sich der Kl befand, nach außen. Als der Kl dies bemerkte, ließ er los, damit ihm das Rad nicht über seinen Fuß fährt.
In diesem Moment kam der Ford-Kastenwagen wieder ins Laufen, weil es den beiden hinten Stehenden nicht gelang, ihn zu halten. Da das Fahrzeug schon in Bewegung und das Rad nach außen eingeschlagen war, kam der Kl, der seitlich stand, zu Fall und das Rad fuhr ihm über den Vorfuß und den Unterschenkel bis kurz vor das Knie. H sah das Unglück, sprang in den Ford-Kastenwagen des M und zog die Handbremse an. Dadurch kam das Fahrzeug zum Stillstand, war allerdings schon auf den Fuß des Kl gefahren. Als H aus dem Fahrzeug ausstieg und um das Auto herumging, sah er den Kl unter dem Rad liegen. Es gelang ihm in weiterer Folge langsam mit dem Fahrzeug zurückzufahren und den Kl zu befreien. Der Kl wurde am linken Fuß verletzt.
Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte die bekl Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Aner-297kennung des Unfalls des Kl als Arbeitsunfall ab, weil ein ursächlicher Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung fehle.
Der Kl begehrt mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage die Feststellung, dass es sich beim Unfall vom 21.8.2015 um einen Arbeitsunfall handle, und die Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]
Das Berufungsgericht gab der vom Kl gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. [...]
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Lehre zur Frage, ob auch eine Hilfeleistung zur Sicherung von Sachen, wenn sie im Unglücksfall erfolge, vom Unfallversicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG erfasst sei, kontroversiell sei und neuere höchstgerichtliche Rsp dazu nicht vorliege.
[...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Kl ist zulässig, sie ist auch iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Der Revisionswerber hält auch in der Revision an der Ansicht fest, dass sein Weg zum Kaufhaus trotz der Unterbrechung unter Unfallversicherungsschutz gem § 175 Abs 2 Z 7 ASVG gestanden sei, weil er in rein altruistischer Weise in einem Unglücksfall zur Abwehr einer Gefahr geholfen habe. Aus diesem Grund liege jedenfalls auch ein geschützter Arbeitsunfall gem § 176 Abs 1 Z 2 ASVG vor. Dazu ist auszuführen:
I. Zu § 175 Abs 1 Z 7 ASVG [richtig: § 175 Abs 2 Z 7 ASVG]:
I.1 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Weg des Kl von seiner Arbeitsstätte zum nahe gelegenen Kaufhaus im Ort zur Besorgung einer Jause während einer Arbeitspause vom Unfallversicherungsschutz gem § 175 Abs 1 Z 7 ASVG [richtig: § 175 Abs 2 Z 7 ASVG] umfasst war.
I.2 In Übereinstimmung mit der Rsp hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass bei Wegunfällen ein Unfallversicherungsschutz immer dann zu verneinen ist, wenn sich der Unfall in einer Phase des Weges ereignet, der ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen des Versicherten dient (RIS-Justiz RS0084822). Im privatwirtschaftlichen Interesse gewählte Um- und Abwege vom kürzesten Weg sind in der Regel, also mangels besonderer gegenteiliger Umstände, nicht versichert, weil in den meisten dieser Fälle eine vermeidbare Gefahrenerhöhung eintritt. Diese Rsp ist auch auf einen gem § 175 Abs 2 Z 7 ASVG geschützten Weg anzuwenden (RIS-Justiz RS0084380 [T10]).
I.3 Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf Umwegen (Abwegen) hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0084380 [T8]; 10 ObS 45/14m, SSV-NF 28/26). Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Kl durch seine Entscheidung, bei der Trennung der Kleintransporter zu helfen, den vom Schutzbereich umfassten Teil des Weges zum Kaufhaus im konkreten Fall verlassen hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass zu diesem Zeitpunkt weder ein Unglücksfall noch eine Gefahrensituation bestand. Die Gefahr entstand – wozu noch Stellung zu nehmen sein wird – erst später, als der Ford-Kastenwagen nach seiner Loslösung vom anderen Fahrzeug ins Rollen geriet. Die weitere rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Hilfeleistung des Kl nach der schon erfolgten Unterbrechung seines Weges in keinem Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit stand, sodass die versicherte Tätigkeit lediglich Gelegenheitsursache und nicht wesentlich für den Schadenseintritt war, stellt der Revisionswerber nicht in Frage.
I.4 Zutreffend sind die Vorinstanzen daher zu dem Ergebnis gelangt, dass im konkreten Fall kein Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG vorlag.
II. Zu § 176 Abs 1 Z 2 ASVG:
II.1 In § 176 ASVG werden weitere Unfälle bei bestimmten Tätigkeiten den Arbeitsunfällen gem § 175 ASVG „gleichgestellt“. Bei diesen Unfällen handelt es sich daher begrifflich um keine dem Schutzbereich des § 175 ASVG unterliegenden Arbeitsunfälle, sodass es auf die betriebliche Tätigkeit des Kl bzw die Motive für die Unterbrechung seines Weges zum Kaufhaus in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Der Versicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG gilt nämlich für gem §§ 4 ff ASVG versicherte wie für nicht versicherte Personen in gleicher Weise (Müller in SV-Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 3, 72), weil Tätigkeiten, die aus altruistischen Beweggründen im Interesse der Allgemeinheit unternommen werden (Lebensrettung, Hilfeleistung in Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr usw), ganz allgemein in den Unfallversicherungsschutz einbezogen werden sollten (AB 613 7. GP 19 zur Stammfassung des ASVG BGBl 1955/189; RIS-Justiz RS0084062).
II.2.1 § 176 ASVG hat den Schutz von Handlungen in fremdem Interesse umfassender geregelt als seine Textierung auf den ersten Blick erkennen lässt. Ihm liegen zwei weit reichende Prinzipien zugrunde, von denen das – hier allein zu behandelnde – erste lautet: Wer bei Unglücksfällen in allgemeiner Gefahr oder Not Hilfe zu holen versucht, besitzt dabei den Schutz der UV (vgl § 176 Abs 1 Z 2 ASVG; Tomandl, Der Schutzbereich der Unfallversicherung, ZAS 1975, 123 [135]; Tomandl in
II.2.2 Um dieses Prinzip rankt der Gesetzgeber die in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG normierten Beispiele. Nach dieser Bestimmung sind den Arbeitsunfällen Unfälle gleichgestellt, die sich ereignen
bei der Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr oder dem Versuch einer solchen Rettung (Fallgruppe 1),
bei Herbeiholung eines Arztes oder eines Sanitäters iSd Sanitätergesetzes oder einer Hebamme zu einer dringenden Hilfeleistung,
bei der Suche nach vermissten Personen,
bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not (Fallgruppe 4),
bei der Herbeiholung eines Seelsorgers zu einem in Lebensgefahr befindlichen Erkrankten oder Verunglückten,
bei der Blutspende oder der Organspende nach dem OTPG oder
bei angemessener Unterstützung der Amtshandlung eines Sicherheitsorgans,298
in allen diesen Fällen jedoch nur, wenn der Unglücksfall nicht durch den Retter/die Retterin vorsätzlich herbeigeführt wurde und wenn nicht nach anderen unfallversicherungs- oder unfallfürsorgerechtlichen Bestimmungen ein Leistungsanspruch besteht.
II.3.1 Geschützt ist danach im hier interessierenden Zusammenhang nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG ua, wer – ohne besondere rechtliche Verpflichtung – einen Unfall bei der Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr oder dem Versuch einer solchen Rettung (Fallgruppe 1), oder einen Unfall bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not erleidet (Fallgruppe 4).
II.3.2 Soweit für die Entscheidung relevant bezog sich die bisherige Rsp auf Fälle, in denen die Hilfeleistung nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG Menschen galt, und nicht etwa nur Tieren oder Sachen (10 ObS 58/96, SSV-NF 10/32; 10 ObS 191/97d, SSV-NF 11/79; Tomandl in
II.4.1 Die Schutzbereiche der ersten fünf in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG geregelten Fälle erfordern die Abwendung einer gegenwärtig drohenden Gefahr oder zumindest ein Dringlichkeitsmoment (10 ObS 191/97d, SSV-NF 11/79; Müller in SV-Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 75). Die Gefahrenlagen, in denen der Helfer tätig wird, dürfen noch nicht abgeschlossen sein (10 ObS 207/89, SSV-NF 3/84, RIS-Justiz RS0084038).
II.4.2 Der Schutzbereich der Fallgruppe 4 unterscheidet sich von jenem der Fallgruppe 1 dadurch, dass weder eine Lebensgefahr für Menschen vorliegen muss, noch der Versicherungsschutz auf die Abwendung von Gefahren für Menschen beschränkt ist (Müller in SV-Komm [162. Lfg] § 176 Rz 98). Die Fallgruppe 4 stellt ganz allgemein auf die Hilfeleistung in sonstigen (daher nicht bereits von der Fallgruppe 1 erfassten) Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not ab.
II.4.3 Ebenso wie nach § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG sind nach der Bestimmung des deutschen § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII ua Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten. Da diese Regelungen aus einer historisch parallelen Entwicklung entstanden sind (sie gehen beide auf § 539 Abs 1 Nr 9 Buchstabe a RVO zurück, siehe dazu Tomandl, ZAS 1975, 125 ff und ErlRV 599 BlgNR 7. GP 62 zur Stammfassung des ASVG, in der die hier interessierenden Fallgruppen 1 und 4 bereits vorhanden waren), kann für die Bestimmung des Schutzbereichs der Fallgruppe 4 auch auf die deutsche Rsp und Lehre zurückgegriffen werden.
II.4.4 Von Bedeutung für den vorliegenden Fall ist dabei der Begriff des Unglücksfalls. Ein Unglücksfall iSd § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII ist ein plötzlich auftretendes Ereignis, das erhebliche Gefahren für Sachen oder Menschen hervorzurufen droht. Es ist für den Versicherungsfall nicht erforderlich, dass der Unglücksfall bereits eingetreten ist, es genügt, dass er einzutreten droht (BSG B 2 U 8/02 R; Lilienfeld in Kasseler Kommentar zum SV-Recht § 2 SGB VII Rn 62; Schwerdtfeger in
Die Hilfeleistung muss in solchen Fällen ein positives Handeln zugunsten eines Dritten sein, wobei allerdings ein spontanes Handeln genügt. Der Versicherungsschutz eines bei einem Unglücksfall oder einer gemeinen Gefahr oder Not Hilfe Leistenden erfordert, dass dessen Tätigkeit nicht nur objektiv auf die Beseitigung des Unglücksfalls gerichtet ist, sondern er muss auch subjektiv wesentlich von der Vorstellung bestimmt gewesen sein, einen gefährlichen Zustand zu beseitigen (Kruschinsky, § 2 Rn 653 ff, 643; Schwerdtfeger, § 2 Rn 425, 433 ff; Lilienfeld, § 2 SGB VII Rn 69, jeweils mwH; vgl auch 10 ObS 207/89, SSV-NF 3/84, RISJustiz RS0084039).
II.5.1 Ein versichertes Hilfeleisten iSd § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII bei einem Unglücksfall liegt nach der Rsp des Bundessozialgerichts auch vor, wenn ein Helfer eingreift, um einen Schaden an einem anderen wichtigen Individualrechtsgut als der körperlichen Unversehrtheit zu beseitigen oder eine Gefahr für ein solches Rechtsgut abzuwenden (BSG 25.1.1973, 2 RU 55/71 = BSG 35, 140; BSG 10.10.2002, B 2 U 8/02 R; BSG 15.6.2010, B 2 U 12/09 R).
II.5.2 Diese Ansicht wird auch in der deutschen Lehre vertreten (Kruschinsky, § 2 Rn 644). Dabei wird allerdings die Einschränkung gemacht, dass Bagatellschäden vom Gesetz nicht gemeint seien, um einen Wertungswiderspruch zur letzten Alternative von § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII („einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten“) zu vermeiden (Schwerdtfeger, § 2 Rn 426). Kritisch zur dargestellten Rsp des Bundessozialgerichts äußert sich – worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat – Lilienfeld (§ 2 SGB VII Rn 65). Lilienfeld führt aus, dass es sozialpolitisch nicht gerechtfertigt sei, Sachschäden genügen zu lassen; hier sollten Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 dBGB) oder unerlaubter Handlung (§ 823 dBGB) gegen den für das Ereignis Verantwortlichen genügen. Auch Lilienfeld vertritt aber, dass dann, wenn man Sachschäden in den Versicherungsschutz einbeziehe, es um bedeutende Sachen gehen müsse.
II.5.3 Für das österreichische Recht führt Rudolf Müller (in SV-Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 98) aus, dass der Schutzbereich der Fallgruppe 4 in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG zweigeteilt sei. Er umfasse Hilfe bei Unglücksfällen (individuelle Betroffenheit) und bei allgemeiner Gefahr oder Not (Betroffenheit der Allgemeinheit). Es gehe dabei entweder um die Beseitigung von Schäden oder um die Abwehr der Gefahr drohender Schäden. Auch Rudolf Müller vertritt die Ansicht, dass die Hilfeleistung zur Sicherung von Sachen geschützt sei, wenn sie im Unglücksfall oder im Katastrophenfall erfolge. Der Begriff des Unglücksfalls durch eine299durch einen Vorgang der Außenwelt herbeigeführte Gefahrenlage (Rz 99) setze voraus, dass es sich nicht bloß um Bagatellschäden, sondern um einen nicht unerheblichen tatsächlichen oder drohenden Schaden an einem wichtigen Rechtsgut handeln muss.
II.6 Angewendet auf den vorliegenden Fall ist der Unfallversicherungsschutz gem § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG für den Kl zu bejahen.
II.6.1 Zunächst ist zu beachten, dass sich das Geschehen im vorliegenden Fall in zwei Abschnitten ereignet hat. Im ersten Abschnitt, als der Kl helfen wollte, die ineinander verkeilten Kleintransporter voneinander zu lösen, lag weder ein Unglücksfall noch eine Gefahrensituation iSd Fallgruppe 4 des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG vor. Die Hilfeleistung des Kl in diesem Abschnitt steht daher (auch) nicht unter dem Schutz der gesetzlichen UV nach dieser Bestimmung.
II.6.2 Der zweite Abschnitt des Geschehens beginnt mit der Lösung der Kleintransporter voneinander. In diesem Moment begann der Ford-Kastenwagen mit einem Gewicht von mehr als 1,7 Tonnen zu rollen, weil die Handbremse nicht angezogen war. Es ergibt sich aus der Feststellung, dass der Wagen ins Rollen geriet, hinreichend, dass dies auf einer abschüssig verlaufenden Straße geschah. Diese verlief vor dem Kaufhaus im Ort, daher im Ortsgebiet, sodass die diesbezüglich behaupteten Feststellungsmängel nicht vorliegen.
II.6.3 Gerät ein Kleintransporter auf einer abschüssigen Straße unkontrolliert ins Rollen, so besteht erhebliche Gefahr für Menschen und Sachen (insb auch den rollenden Kleintransporter selbst), wenn dies – wie hier – mitten im verbauten Ortsgebiet (nach der Beil./C und den im Verfahren verwendeten Lichtbildern aus dem Strafakt, deren Echtheit nicht bestritten wurde) geschieht. Dieses plötzlich eintretende Ereignis ist daher ein Unglücksfall iSd § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG. Auf die weitere Frage, ob nach objektiven Umständen der Eintritt eines Schadens auch wahrscheinlich war, sodass eine allgemeine Gefahr bestanden hätte, muss, da diese Situation nach dem Gesetz nur alternativ zu einem Unglücksfall vorliegen muss („oder“), nicht weiter eingegangen werden.
II.6.4 Der Kl griff spontan und aktiv in einer unmittelbaren, noch nicht beendeten Gefahrensituation mit der Absicht ein, den Ford-Kastenwagen am Wegrollen zu hindern. Er handelte zugunsten eines Dritten, weil es sich nicht um seinen Wagen handelte. Es liegt daher eine Hilfeleistung in einem Unglücksfall iSd § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG vor.
II.7.1 Dass die rettende und helfende Tätigkeit in den Fällen des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG allgemein Menschen gelten muss, bedeutet nicht, dass in allen Fällen ein Mensch gerettet werden muss; denn dieser Fall wäre, wenn tatsächliche oder vermutete Lebensgefahr besteht, unter die Fallgruppe 1 des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG zu subsumieren. Die Hilfeleistung in Fällen der Fallgruppe 4 dieser Bestimmung ist umfassender zu sehen. Sie umfasst nicht nur die Rettung eines Menschen aus einem Unglücksfall (10 ObS 138/88, SSV-NF 2/63), sondern kann, wie Rudolf Müller zutreffend ausgeführt hat, auch in einer Abwehr eines Schadens an Sachgütern anderer Menschen liegen, denn auch ein solches Hilfeleisten „gilt“ anderen Menschen.
II.7.2 Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu: Denn die Hilfeleistung des Kl galt einerseits dem Eigentümer des Ford-Kastenwagens, der zerstört zu werden drohte, andererseits allen Menschen, denen durch das Wegrollen des Fahrzeugs auf einer abschüssigen Straße im Ortsgebiet in naheliegender Weise die Gefahr eines Sach- oder Personenschadens drohen konnte. Spontanes Handeln genügt – wie ausgeführt – für den Versicherungsschutz und ist gerade in einer Situation wie der hier vorliegenden geboten, will der Helfer rasch genug eingreifen. Selbst wenn das Handeln des Kl im konkreten Fall nur der Rettung des Ford-Kastenwagens gegolten hätte, könnte ihm nicht entgegengehalten werden, lediglich zur Abwehr eines „Bagatellschadens“ gehandelt zu haben. [...]
III. Ausgehend davon liegt ein einem Arbeitsunfall gleichgestellter Unfall des Kl iSd § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG vor, weil der Kl in einem Unglücksfall Hilfe leistete und dabei einen Unfall erlitt, bei dem er verletzt wurde. [...]
Der Kl war in einer Arbeitspause auf dem Weg zu einem Nahversorger, um sich eine Jause zu kaufen, als er gebeten wurde, bei der Entkeilung zweier Kastenwägen Hilfe zu leisten. Im Revisionsverfahren war bereits unstrittig, dass der Weg des Kl von seiner Arbeitsstätte zum Kaufhaus vom Unfallversicherungsschutz gem § 175 Abs 2 Z 7 ASVG umfasst war. § 175 ASVG umschreibt in Abs 1 den Arbeitsunfall generalklauselartig und nennt in Abs 2 eine Reihe von Schutzbereichen, die mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängen. Der OGH stimmte überzeugend auch der Ansicht des Berufungsgerichtes zu, dass der Kl bei der Hilfeleistung, die letztendlich zum Unfall führte, eigenwirtschaftliche Interessen verfolgte, da er den vom Schutzbereich umfassten Teil des Weges zum Kaufhaus verlassen hatte. Umwege vom kürzesten Weg, die ein AN aus privatwirtschaftlichen Interessen wählt, sind nicht versichert, weil damit meistens eine vermeidbare Gefahrenerhöhung einhergeht. So kamen auch die Vorinstanzen zu dem Ergebnis, dass kein Arbeitsunfall nach § 175 ASVG vorlag.
§ 176 ASVG erweitert den Schutzbereich des § 175 ASVG, indem weitere Unfälle bei bestimmten Tätigkeiten den Arbeitsunfällen gleichgestellt werden (vgl Müller in
Um das Vorliegen des Unfallversicherungsschutzes nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG leichter prüfen zu können, zerlegte der OGH den Unfallhergang in zwei Teile: Der erste Abschnitt umfasst die Trennung der Kleintransporter und der zweite Abschnitt beginnt mit der Lösung der Kleintransporter voneinander, wodurch einer der beiden auf der abschüssig verlaufenden Straße ins Rollen geriet und gestoppt werden musste. Der OGH verneinte den Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG im ersten Abschnitt, da weder ein Unglücksfall noch eine Gefahrensituation bestanden habe. Er ging aber nicht auf andere Tatbestände des § 176 Abs 1 ASVG ein. In Frage käme dabei die Z 7, die einen Unfallversicherungsschutz für Personen vorsieht, die spontan für jemanden eine Tätigkeit erbringen. Dafür befasste sich der OGH mit dem zweiten Abschnitt des Unfallhergangs genauer und bejahte hier erstmals den Unfallversicherungsschutz der Z 2 für eine Hilfeleistung, die der Vermeidung erheblicher Sachschäden diente.
Bei den Tatbeständen des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG handelt es sich um typisierte Fälle von Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 1036 ABGB. Geschützt sind demnach versicherte als auch nichtversicherte Personen, die bei einer Hilfeleistung iSd Z 2 verunfallen, wobei sich dieser Unfall nicht unmittelbar im Rahmen der die UV begründenden Beschäftigung ereignen darf. Ansonsten läge ein Arbeitsunfall nach § 175 Abs 1 ASVG vor (vgl Müller in
Es muss ein Dringlichkeitsmoment vorliegen oder eine akut drohende Gefahr abgewendet werden. Die Gefahrenlagen dürfen im Zeitpunkt der Hilfeleistung noch nicht beendet sein, dh die Möglichkeit zu einer sinnvollen Hilfeleistung darf noch nicht ausgeschlossen werden können. Eine Hilfeleistung ist ein aktives Verhalten und nicht bloß ein Abwarten und Verweilen (vgl Müller in
Bei der Rettung eines Menschen oder bei dessen Versuch kommt es auf die tatsächliche oder zumindest vermutete Lebensgefahr an (vgl Müller in
Der Dringlichkeitsmoment war im konkreten Fall zum Zeitpunkt der versuchten Hilfeleistung gegeben, da der Kastenwagen zu rollen begann. Die versuchte Hilfeleistung des Kl, den Kastenwagen zu halten, ist jedenfalls als aktives Verhalten zu qualifizieren. Unabhängig von einem drohenden Sachschaden konnte der Kl – entgegen der Ansicht des OGH – zu Recht annehmen, dass durch das unkontrollierte Hinabrollen eines fahrerlosen Kastenwagens im Ortsgebiet Menschen lebensbedrohlich gefährdet sind. Es kann nicht das Ziel der Regelung sein, dass der Helfer zuerst die Strecke, die der Kastenwagen hinab zu rollen beginnt, begutachtet und sofern er keine Menschen entdeckt, die Hilfeleistung aufgrund fehlender Lebensgefahr und infolgedessen fehlenden Unfallversicherungsschutzes unterlässt. Zutreffend erkannte der OGH in Bezug auf Fall 4, dass in derartigen Situationen rasches Handeln erforderlich ist, daher würde die Erfüllung derartiger Voraussetzungen mE eine erfolgreiche Rettungsaktion vereiteln. Der Kastenwagen wurde zwar von einer anderen Person gestoppt, der Kl hat aber versucht, den Wagen anzuhalten. Da auch der Versuch unfallversichert ist, liegt eine versicherte Hilfeleistung vor. Hier hätte mE ein Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 2 Fall 1 ASVG auch bejaht werden können.
Den Schutzbereich dieses Falles unterteilt Müller zutreffend in die Hilfe bei Unglücksfällen und in die Hilfe bei allgemeiner Gefahr oder Not. Die bisherige Rsp bezog sich auf Fälle, in denen die Hilfeleistung nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG Menschen galt und nicht Tieren oder Sachen (vgl OGH 26.3.1996, 10 ObS 58/96; OGH 8.7.1997, 10 ObS 191/97d; vgl Müller in
Weder bei Unglücksfällen noch bei allgemeiner Gefahr oder Not muss daher eine Lebensgefahr für Menschen vorliegen. Der Begriff „Unglücksfall“ umfasst die individuelle Betroffenheit von Unglücksfällen, wohingegen allgemeine Gefahr oder Not die Betroffenheit der Allgemeinheit meint. Geschützt sind Hilfeleistungen zur Beseitigung von Schäden oder zur Abwehr der Gefahr drohender Schäden. Die Sicherung von Sachen, wenn sie im Unglücksfall oder im Katastrophenfall (bei allgemeiner Gefahr oder Not) erfolgt, ist davon auch umfasst.
Ein Unglücksfall liegt erst vor, wenn die drohenden oder eingetretenen Schäden nicht bloß Bagatellschäden sind, sondern wenn es sich um einen nicht unerheblichen tatsächlichen oder dro-301henden Schaden an einem wichtigen Rechtsgut handelt. Auch eine nicht unerhebliche Gesundheitsbedrohung, die noch nicht den Grad der drohenden Lebensgefahr erreicht hat, wäre darunter zu subsumieren (vgl Müller in
In Bezug auf die versuchte Hilfeleistung gilt das oben Ausgeführte. Obwohl hier – laut OGH – keine Lebensgefahr zu vermuten war, bestand trotzdem ein Unfallversicherungsschutz für die Hilfeleistung: Den Wagen zu halten, ist als die Sicherung von Sachen zu qualifizieren. Auch das Element des Unglücksfalls war gegeben, da die drohenden Schäden nicht bloß Bagatellschäden gewesen wären. Immerhin stellt das unkontrollierte Rollen eines Kastenwagens im Ortsgebiet eine erhebliche Gefahr für Menschen und Sachen dar. Somit kommt man hier zum selben Ergebnis wie der OGH.
Im gegenständlichen Urteil erfolgte keine Auseinandersetzung mit dem Tatbestand des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG. Das Vorliegen eines Unfallversicherungsschutzes nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG ist aber meiner Ansicht nach in Betracht zu ziehen. Nicht versichert ist eine bloße Gefälligkeitsleistung, die erbracht wurde, ohne dass eine unmittelbar drohende Gefahr bestanden hat (vgl OGH 20.6.1989, 10 ObS 207/89; Müller in
Der Kl hat spontan seine Hilfeleistung erbracht, ohne dafür ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen zu sein. Dass die Loslösung der Lastwägen den Unternehmen dienlich sein wird, ergibt sich aus der Vermeidung der Entstehung weiterer Schäden. Eine vertragliche Verpflichtung oder Vereinbarung wurde auch nicht getroffen. Fraglich ist jedoch, ob das Entkeilen zweier Kastenwägen eine Tätigkeit ist, die üblicherweise von einem DN im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses erfüllt wird. Als übliche Tätigkeit wird man das Entkeilen der Kastenwägen nicht einstufen können, tritt allerdings ein derartiges Problem auf, so fällt es sehr wohl in den Tätigkeitsbereich der DN, dieses wieder zu beheben. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist diese Tätigkeit sicherlich auch, um größere Schäden zu vermeiden und den anderen Pflichten wieder nachgehen zu können. Es ist zwar anzunehmen, dass der Unternehmer nicht generell die Hilfeleistung eines Außenstehenden wünscht, wenn aber seine DN schwerwiegende Folgen alleine nicht vermeiden können, kann – in Fällen wie diesen – ein diesbezüglicher Wille des Unternehmers vermutet werden.
Der OGH entschied 2015 einen Fall, in dem ein Fluggast eines Mitgliedes eines Segelflugvereins beim Schließen des Tores des Hangars durch ein sich lösendes Torsegment getroffen und schwer verletzt wurde. Laut OGH lag kein Unfallversicherungsschutz vor, da es sich beim Zuschieben der Tore nicht um eine übliche Tätigkeit der Vereinsmitglieder handle und selbst wenn sie eine derartige geringfügige Tätigkeit verrichten, werden sie dabei nicht als Beschäftigte des Vereins tätig (OGH 22.1.2015, 2 Ob 243/14w). Diese Ergebnisse kann man daher nicht auf den hier zu behandelnden Fall anwenden und damit auch nicht auf das Tatbestandselement der üblichen Tätigkeit umlegen.
Der Gesetzgeber gibt durch den Interpretationsspielraum einiger Tatbestände des § 176 Abs 1 ASVG zu erkennen, dass er Menschen, die aus altruistischen Beweggründen, unter Gefährdung302ihrer eigenen Gesundheit, in Unglücksfällen sofort Hilfe leisten, durch eine UV schützen will. Auch der OGH-E, dass er nicht nur für die Hilfeleistung lebensgefährlich bedrohter Menschen, sondern auch für die Hilfeleistung bei der Vermeidung erheblicher Sachbeschädigungen nach § 176 Abs 1 (Fall 4) ASVG den Unfallversicherungsschutz bejaht, kann man diesen Schutzgedanken entnehmen. Der Unfallversicherungsschutz bestünde sowohl nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG als auch nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG Fall 1 und 4. Der OGH umging die Frage des Unfallversicherungsschutzes nach Z 6 und kam im Endeffekt auf das gleiche Ergebnis. Hätte er jedoch den Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG bejaht, hätte er den Unfall nicht in zwei Abschnitte teilen und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG nicht prüfen müssen, da durch Z 6 der gesamte Unfallhergang vom Unfallversicherungsschutz erfasst gewesen wäre.