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Anspruch auf bezahlte halbstündige Mittagspause aufgrund betrieblicher Übung

MARTINACHLESTIL

Die kl AN ist seit 1988 bei der bekl AG (bzw ihrer Rechtsvorgängerin) beschäftigt und seit 1998 im Zustelldienst tätig. Sie unterliegt der Dienstordnung (DO) der bekl AG, die seit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes (PTSG) zum 1.5.1996 als KollV gilt. Die bekl AG unterliegt gem § 15 Abs 2 PTSG nicht den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG).

Bei der bekl AG wurde seit 1997 mit einem Personalkapazitäts- bzw Tätigkeitsbemessungsmodell gearbeitet: Zur gleichmäßigen Auslastung der Mitarbeiter wurden die Zustellmengen pro Zustellrajon erhoben und die Rajone einmal jährlich angepasst, vergrößert oder verkleinert. Die Sendungsmengen wurden durchschnittlich so verteilt und berücksichtigt, dass sich im Durchschnitt eine 40-Stunden-Woche ergab. Es war üblich, dass ein Zusteller, wenn er mit der Arbeit fertig war, heimgehen konnte, und wenn er länger brauchte, länger arbeitete. Man ging davon aus, dass sich über das Jahr verteilt durchschnittlich 40 Stunden pro Woche an Arbeitszeit ergaben.

Ein nicht näher bestimmbarer Teil der Zusteller konsumierte in der Dienstzeit zwar nicht angeordnet, aber mit Wissen und Duldung der Vorgesetzten eine halbstündige Pause entweder nach dem Sortieren der Post im Aufenthaltsraum, an einem auswärtigen Postamt oder sonst auswärts. Es gab aber auch eine nicht näher feststellbare Zahl von Zustellern, die keine Pause machten, um möglichst schnell mit ihrer Arbeit fertig zu sein. Es wurde nicht überprüft, ob Pausen gemacht wurden. Die Dienstzeit war von 6:00 Uhr bis 14:00 Uhr, individuelle Arbeitszeitaufzeichnungen betreffend einzelner Mitarbeiter gab es nicht. Die kl AN machte regelmäßig eine Pause.

Seit 1.1.2013 gilt bei der bekl AG eine BV zur Arbeitszeitflexibilisierung. Das Gleitzeitmodell in der Briefzustellung wurde vom Großteil der betroffenen Belegschaft angenommen, die kl AN akzeptierte den Wechsel nicht. Ihre Dienstzeit ist im neuen System mit einer fixen Dienstzeit von 6:10 Uhr (Kommen) bis 14:40 Uhr (Gehen) ausgewiesen, die Ruhepause von 30 Minuten wurde nicht mehr auf die Dienstzeit angerechnet und nicht mehr ausbezahlt.

Mit vorliegender Klage begehrt die AN die Feststellung, dass ihr eine halbstündige Mittagspause unter Anrechnung auf die Dienstzeit weiterhin zustehe. Sie stützt ihren Anspruch ua auf eine betriebliche Übung, die auch nach dem durch § 18 PTSG angeordneten Übergang des Arbeitsverhältnisses (Anmerkung der Bearbeiterin: Überleitung der bisher bei der Post- und Telegraphenverwaltung beschäftigten Vertragsbediensteten in ein Dienstverhältnis zur Post und Telekom Austria AG) ohne jeglichen Vorbehalt weiter praktiziert worden sei.

Dem Feststellungsbegehren wurde stattgegeben. Für das Entstehen eines vertraglichen Anspruchs aufgrund einer Betriebsübung ist entscheidend, welchen Eindruck die AN bei sorgfältiger Überlegung von dem schlüssigen Erklärungsverhalten des AG haben durften. Hierbei darf der Kollektivbezug der Verpflichtung des AG, dem zu unterstellen ist, dass er die betroffenen AN bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen auch gleich behandeln wollte, nicht übersehen werden. Es ist daher nur objektiv zu prüfen, ob die AN auf die Verbindlichkeit der Vergünstigung vertrauen durften. Ob jeder einzelne AN darauf vertraut hat, ist nicht zu prüfen.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die bekl AG hier aufgrund ihres eigenen schlüssigen Erklärungsverhaltens gegenüber der kl AN, nämlich einer jahrelangen vorbehaltlosen Duldung einer Pausenkonsumation in der Arbeitszeit, einen Anspruch der AN auf Gewährung einer halbstündigen bezahlten Pause in der Arbeitszeit durch betriebliche Übung begründet hatte, ist vom OGH nicht weiter zu beanstanden. Die außerordentliche Revision der bekl AG war vom OGH mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.274