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Entlassung kann nicht auf ein erst nach ihrem Ausspruch gesetztes Verhalten gegründet werden

CHRISTOSKARIOTIS

Die AN war seit 1998 als Zahnärztin in einem von der Bekl betriebenen Zahnambulatorium angestellt. Auf das Dienstverhältnis ist die Dienstordnung B (DO.B) für Ärzte und Dentisten283bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs anzuwenden. Die AN genießt gem § 22 DO.B erhöhten Kündigungsschutz. Sie betreibt seit 2004 auch eine private Wahlarztpraxis, deren Eröffnung der Bekl mitgeteilt und von dieser zur Kenntnis genommen wurde.

Nachdem die AN bisher „grundsätzlich gute“ Dienstbeschreibungen gehabt hatte, wurde sie im Jahr 2013 bis August 2014 aufgrund verschiedener Dienstpflichtverletzungen (zB unter den Ärzten des Ambulatoriums nicht unübliches Zuspätkommen, zwei verbale Entgleisungen) mehrmals verwarnt. Danach gab es keine Vorfälle bzw Ermahnungen mehr. Ende August 2014 wurde die AN in einem an die AG gerichteten Schreiben einer zahnärztlichen Assistentin ua auch des Vorwurfs beschuldigt, die AN habe zahnärztliche Instrumente der Bekl in ihre Ordination mitgenommen.

Die AG veranlasste weitere Erhebungen und erstattete Strafanzeige gegen die AN. Am Tag nach Kenntniserlangung des Vorwurfs wurde die AN fristlos entlassen. Die AG begründete die Entlassung damit, dass die AN ihre Dienstpflichten grob verletzt habe, weil sie sich der Mitnahme von Instrumenten in die Privatordination schuldig gemacht hat. Nach Ausspruch der Entlassung wurden im Zuge einer Hausdurchsuchung in der Privatordination der AN zahnärztliche Instrumente mit geringfügigen Wert – möglicherweise der AG gehörend – vorgefunden. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Kl die beschlagnahmten Instrumente von der Bekl in ihre Ordination gebracht hat.

Die AN nahm eine von der Staatsanwaltschaft angebotene Diversion an, weil sie die Sache schnell erledigt haben wollte.

Das Erstgericht sah in dem Verhalten der AN keinen Entlassungsgrund gem § 31 DO.B und gab dem Klagebegehren der AN auf Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses statt.

Das Berufungsgericht hingegen wies das Klagebegehren der AN ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die AN das Vertrauen der DG schon durch die Annahme des Diversionsangebots der Staatsanwaltschaft verwirkt habe, weil die Bereitschaft dazu – ungeachtet der erstgerichtlichen Feststellungen über die Motive der AN – nur bei „entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich“ sei. Darüber hinaus sei das festgestellte Gesamtverhalten der Kl von zahlreichen, wenn auch jeweils länger zurückliegenden und mit Ermahnungen geahndeten Pflichtwidrigkeiten gekennzeichnet gewesen.

Der OGH gab der Revision der AN Folge und hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf.

Der OGH begründete seine Entscheidung damit, dass die Entlassung nicht auf einen Sachverhalt gegründet werden kann, der sich erst nach ihrem Ausspruch ereignet hat. Ein erst nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses eingenommenes Verhalten des AN ist für die Berechtigung einer vorangegangenen Entlassung rechtlich bedeutungslos, weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Annahme des Diversionsangebots durch die Kl könne rückwirkend ein Anlass für einen die Entlassung rechtfertigenden Vertrauensverlust sein, aus Sicht des OGH verfehlt ist.

Nach der stRsp kann das Vertrauen des DG bei wiederholten Verfehlungen auch schrittweise verloren gehen. Ältere Vorfälle, die der DG seinerzeit noch nicht zum Anlass für eine Beendigung genommen hat bzw für die der AN lediglich verwarnt wurde, können zwar allein keine Entlassung mehr begründen, sie können aber bei späterer Wiederholung des Verhaltens im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens noch nachträglich Berücksichtigung finden. Der eigentliche Anlassfall für die Entlassung muss aber immer eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die jeder vorzeitigen Beendigung immanente objektive Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen. Fehlt es – wie im vorliegenden Fall – dem für den Entlassungsausspruch maßgeblichen Anlassfall an einem hinreichenden Gewicht, dann kann auch die Heranziehung früherer Verfehlungen die Entlassung nicht rechtfertigen.