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Insolvenzeröffnung bewirkt Unterbrechung des Verfahrens

MARGITMADER

Durch die Eröffnung des Sanierungsverfahrens über das Vermögen der Bekl wurde das Verfahren ex lege unterbrochen (§ 7 Abs 1 IO). Ein nach Eintritt der Unterbrechung nach § 7 Abs 1 IO in Unkenntnis der Insolvenzeröffnung gefälltes Urteil ist nichtig iSd § 477 Abs 1 Z 5 ZPO.

SACHVERHALT

Der Kl machte seine offenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mittels Klage geltend.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Über Berufung der Bekl legte das Erstgericht am 26.9.2016 den Akt dem Berufungsgericht zur Entscheidung vor. Mit Beschluss vom 5.12.2016 wurde über das Vermögen der Bekl das Sanierungsverfahren eröffnet. In Unkenntnis der Insolvenzeröffnung gab das Berufungsgericht der Berufung mit Urteil vom 20.12.2016 nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Masseverwalter beantragte am 10.3.2017 beim Erstgericht die Berichtigung der Parteienbezeichnung der Bekl, die Fortsetzung des Verfahrens nach Anmeldung der klagsgegenständlichen Forderung im Insolvenzverfahren und Bestreitung durch den Masseverwalter, die Zustellung der Berufungsentscheidung an den Masseverwalter und Erlassung einer neuen Berufungsentscheidung, weil die nach Insolvenzeröffnung ergangene Berufungsentscheidung nichtig sei. Im selben Schriftsatz erhob der Masseverwalter Revision, weil davon ausgegangen werden könne, dass die ergehende Berufungsentscheidung inhaltlich ident mit der bereits nichtig ergangenen sein werde.

Das Erstgericht stellte am 28.3.2017 über Auftrag des Berufungsgerichts vom 23.3.2017 die Berufungsentscheidung dem Masseverwalter zu. Dort langte sie am 29.3.2017 ein. Der Kl erstattete rechtzeitig eine Revisionsbeantwortung, in der er sein Leistungsbegehren in ein Feststellungsbegehren änderte.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Revision des Masseverwalters war zulässig, weil diese auch schon vor der Zustellung des damit angefochtenen Urteils erhoben werden kann. Das in Revision gezogene Berufungsurteil war als nichtig aufzuheben. Dem Gericht zweiter Instanz war daher die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Bekl aufzutragen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

1. Die Revision des Masseverwalters ist wirksam erhoben, weil diese auch schon vor dem Zeitpunkt der Zustellung des damit angefochtenen Urteils erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0041748).

2. Durch die Eröffnung des Sanierungsverfahrens über das Vermögen der vormaligen Beklagten wurde das Verfahren ex lege unterbrochen (§ 7 Abs 1 IO). Der für die Beseitigung der Unterbrechungswirkung weiter erforderliche Aufnahmebeschluss des Gerichts muss nicht als solcher bezeichnet werden (RIS-Justiz RS0037193). Auch hier muss aber durch die das Verfahren vorantreibende Verfügung der Entscheidungswille des Gerichts, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen, deutlich erkennbar sein. Nach der jüngeren Rechtsprechung ist das Verfahren etwa auch mit der Zustellung einer Gleichschrift des Fortsetzungsantrags – mit dem Datum der Zustellverfügung (RIS-Justiz RS0037128 [T14]; RS0036654 [T3]) – durch das Erstgericht iSd § 165 Abs 2 ZPO aufgenommen (9 ObA 61/15h mwN; ggt 3 Ob 238/12i). Der Aufnahmewille des für den Aufnahmebeschluss funktionell zuständigen Berufungsgerichts (§ 165 Abs 1 ZPO) manifestiert sich hier in dem an das Erstgericht ergangenen Auftrag, die Berufungs-286entscheidung dem Masseverwalter zuzustellen. Dass der Fortsetzungsantrag des Masseverwalters bei dem für den Aufnahmebeschluss funktionell unzuständigen Erstgericht gestellt und die Zustellung letztlich auch von diesem Gericht vorgenommen wurde, schadet nicht (vgl 1 Ob 59/02m; 2 Ob 134/07f; Gitschthaler in

Rechberger
4, §§ 164–166 ZPO Rz 4). Das zunächst ex lege unterbrochene Berufungsverfahren gilt daher als aufgenommen.

3. Bei Aufnahme eines durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Verfahrens sind die hierfür erforderlichen Änderungen des Klagebegehrens ohne Rücksicht auf die Art des Verfahrens und die sonst für Klageänderungen gegebenen Voraussetzungen zulässig (RIS-Justiz RS0039309). Der Kläger hat sein Leistungsbegehren in ein entsprechendes Feststellungsbegehren geändert (§ 110 IO; RIS-Justiz RS0065967). Die Bezeichnung der Beklagten war wie im Spruch ersichtlich richtigzustellen (RIS-Justiz RS0039713).

4. Damit kann die Revision des Masseverwalters behandelt werden. Aus Anlass dieses Rechtsmittels ist das in Revision gezogene Berufungsurteil als nichtig aufzuheben.

Wie bereits ausgeführt, wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten das Verfahren – im Stadium des Berufungsverfahrens – ex lege am 5.12.2016 (§ 7 Abs 1 IO) unterbrochen. Das Berufungsurteil hätte daher nach diesem Zeitpunkt nicht gefällt werden dürfen. Ein nach Eintritt der Unterbrechung nach § 7 Abs 1 IO gefälltes Urteil leidet an der Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (9 ObA 9/15m mwN). Der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners ist ebenso wie der Mangel der Prozessfähigkeit gemäß § 6 Abs 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0035434 [T5]). Eine solche Nichtigkeit kann zwar nachträglich dadurch saniert werden, dass der Masseverwalter in das Verfahren eintritt und die bisherige Prozessführung genehmigt (1 Ob 199/06f; 10 Ob 99/11y). Im vorliegenden Fall weist der Masseverwalter aber gerade auf die Nichtigkeit der in Unkenntnis der Eröffnung des Sanierungsverfahrens ergangenen Berufungsentscheidung hin. Die dem Berufungsurteil anhaftende Nichtigkeit ist somit nicht geheilt, sondern vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmen.

Dem Gericht zweiter Instanz ist die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Obersten Gerichtshof im derzeitigen Verfahrensstadium verwehrt.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 7 Abs 1 IO werden alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten – mit Ausnahme jener, die in § 6 Abs 3 IO genannt werden –, in denen der Schuldner Kl oder Bekl ist, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen. Auf Streitgenossen wirkt die Unterbrechung nur dann, wenn sie mit dem Schuldner eine einheitliche Streitpartei bilden (§ 14 ZPO).

Nach § 7 Abs 2 IO kann das Verfahren vom Insolvenzverwalter, den Streitgenossen des Schuldners und vom Gegner wiederaufgenommen werden.

Im Anlassfall wurde das Verfahren – im Stadium des Berufungsverfahrens – durch die Eröffnung des Sanierungsverfahrens über das Vermögen der Bekl ex lege am 5.12.2016 unterbrochen (§ 7 Abs 1 IO).

Das Berufungsurteil hätte folglich mangels Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners nach diesem Zeitpunkt nicht mehr gefällt werden dürfen. Ein nach Eintritt der Unterbrechung nach § 7 Abs 1 IO gefälltes Urteil ist nichtig iSd § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (OGH 20.3.2015, 9 ObA 9/15m mwN). Der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners ist ebenso wie der Mangel der Prozessfähigkeit gem § 6 Abs 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0035434 [T5]). Eine solche Nichtigkeit kann zwar nachträglich dadurch saniert werden, dass der Masseverwalter in das Verfahren eintritt und die bisherige Prozessführung genehmigt (OGH 28.11.2006, 1 Ob 199/06f; OGH 14.2.2012, 10 Ob 99/11y). Im vorliegenden Fall weist der Masseverwalter aber gerade auf die Nichtigkeit der in Unkenntnis der Eröffnung des Sanierungsverfahrens ergangenen Berufungsentscheidung hin. Die dem Berufungsurteil anhaftende Nichtigkeit ist somit nicht geheilt.

Die Fortsetzung des Verfahrens muss von einer der in § 7 Abs 2 IO genannten Verfahrensparteien beantragt werden. Für die Beseitigung der Unterbrechungswirkung der Insolvenzeröffnung ist ein Aufnahmebeschluss des Gerichts erforderlich. Dieser muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden (RIS-Justiz RS0037193). Es muss aber der Entscheidungswille des Gerichts, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen, deutlich erkennbar sein.

Bei Aufnahme eines durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Verfahrens sind die hierfür erforderlichen Änderungen des Klagebegehrens ohne Rücksicht auf die Art des Verfahrens und die sonst für Klageänderungen gegebenen Voraussetzungen zulässig (RIS-Justiz RS0039309). Im vorliegenden Fall hat der Kl sein Leistungsbegehren in ein entsprechendes Feststellungsbegehren geändert (§ 110 IO; RIS-Justiz RS0065967). Die Bezeichnung der Bekl war daher richtigzustellen (RIS-Justiz RS0039713).287Im Anlassfall ist die Revision des Masseverwalters wirksam erhoben, weil diese auch schon vor dem Zeitpunkt der Zustellung des damit angefochtenen Urteils erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0041748). Das in Revision gezogene Berufungsurteil ist als nichtig aufzuheben. Dem Gericht zweiter Instanz war daher die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Bekl aufzutragen.