181In der gesetzlichen Unfallversicherung besteht lediglich ein Anspruch auf die erforderliche Grundversorgung, nicht auf ein bestimmtes Hilfsmittel
In der gesetzlichen Unfallversicherung besteht lediglich ein Anspruch auf die erforderliche Grundversorgung, nicht auf ein bestimmtes Hilfsmittel
Ein Hilfsmittel iSd § 149c BSVG bzw § 202 ASVG ist dann erforderlich, wenn es geeignet ist, die Erleichterung der Folgen des Arbeitsunfalls zu erreichen. Es muss den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein, sodass keine „Überversorgung“ stattfindet. Der Versehrte hat einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel.
Am 18.6.2006 erlitt der Kl einen Arbeitsunfall, bei dem er den rechten Unterarm verlor. Nach dem Unfall wurde der Kl von der bekl Sozialversicherungsanstalt der Bauern mit einer Unterarm-303prothese sowie einer Arbeitsprothese, mit der er schwere Lasten heben konnte, ausgestattet. Je nach Aufgabenstellung musste jedoch die ganze Prothese gewechselt werden. Aufgrund der Abnutzung wurde nach einiger Zeit eine Neuversorgung notwendig. Der Kl beantragte eine teurere Prothese anderen Typs (€ 69.492,40), die ihm die Ausübung bestimmter Tätigkeiten erleichtere oder überhaupt ermögliche. Die Bekl hingegen war lediglich bereit, die Kosten für die gleiche Prothese neuester Bauart zu übernehmen (€ 26.572,09).
Als Lagerleiter und Haustechniker eines Malerbetriebs musste der Kl neben Bürotätigkeiten auch Kraftfahrzeuge lenken, die keinen speziellen Umbau für eine einhändige Bedienung aufwiesen. Nebenberuflich war er in der Landwirtschaft tätig und in seiner Freizeit beschäftigte er sich mit Modellbau und fuhr Rad.
Die Bekl lehnte die Gewährung der teureren Prothese (Michelangelo-Hand) ab, da sich dadurch keine wesentlichen Gebrauchsvorteile ergeben würden. In der dagegen eingebrachten Klage begehrte der Kl die Kostenübernahme, da das teurere Modell zu einer signifikanten Verbesserung sowohl bei der beruflichen als auch bei seinen Freizeittätigkeiten führe. Daneben ermögliche die Michelangelo-Hand ein beidhändiges und somit sichereres Lenken von Kraftfahrzeugen, minimiere das Erfordernis notwendiger Kompensationsbewegungen und verringere die Abnützung der gesunden linken Hand. Darüber hinaus biete sie neben den funktionellen auch optische Vorteile, weil sie sich besser in den Körper einpasse. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, da die Vorteile der Michelangelo-Hand überwiegen und die Anforderungen des § 149c BSVG erfüllt seien. Auch das Berufungsgericht schloss sich dieser Rechtsansicht an und gab der von der Bekl erhobenen Berufung keine Folge. Der OGH gab der Revision der Bekl Folge und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurück.
„1.1 Gemäß § 149c BSVG hat der Versehrte Anspruch auf Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit zu erleichtern. Alle diese Hilfsmittel müssen den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein. Diese Bestimmung entspricht § 202 Abs 1 ASVG, sodass auf die dazu in den Entscheidungen 10 ObS 56/16g und 10 ObS 161/16y herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden kann.
1.2 Danach hat der Versehrte Anspruch auf das erforderliche (geeignete) Hilfsmittel, um die von § 149c Abs 1 BSVG angestrebten Zwecke zu erreichen. Ein Hilfsmittel muss einerseits objektiv medizinisch erforderlich und geeignet sein, die vom Gesetzgeber in § 149c Abs 1 BSVG angestrebten Zwecke zu erfüllen. Andererseits ist die Erforderlichkeit und Eignung auch subjektiv unter Berücksichtigung der individuellen persönlichen und beruflichen Verhältnisse des Versehrten im jeweiligen konkreten Fall zu beurteilen. Das ‚erforderliche‘ Hilfsmittel muss daher seinen persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst sein, es darf insofern keine ‚Überversorgung‘ stattfinden.
2.1 Der Umstand, dass die Gewährung von Hilfsmitteln im Unfallversicherungsrecht ‚höherwertiger‘ geregelt ist als im Krankenversicherungsrecht, ändert jedoch nichts daran, dass auch die Unfallversicherungsträger – schon verfassungsrechtlich – in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden sind (‚Ökonomiegebot‘).
2.2 […] Der Versehrte hat daher einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung gemäß § 149c Abs 1 BSVG, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Die Entscheidung, welches konkrete Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist, um die Ziele des § 149c Abs 1 BSVG zu erreichen, trifft der Unfallversicherungsträger. Wünscht der Versehrte eine nicht erforderliche, höhere Kosten bedingende Ausführung, die in seinen persönlichen oder beruflichen Verhältnissen keine Begründung findet, so hat er die Mehrkosten selbst zu tragen (10 ObS 56/16g; 10 ObS 161/16y, jeweils mwH; RIS-Justiz RS0131107). Ein Anspruch auf die jeweils dem letzten Stand der Technik entsprechende Prothese ist aus dem Unfallversicherungsrecht nicht abzuleiten (10 ObS 161/16y). Stehen mehrere geeignete Hilfsmittel im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG zur Verfügung, hat die Beklagte eine Entscheidung nach ihrem Ermessen zu treffen und dabei die dargestellten Gebarungsgrundsätze zu beachten.
3.2 Die Beklagte hat im vorliegenden Fall vorgebracht, dass dem Kläger die Fortsetzung seines beruflichen, aber auch privaten Lebens nach seinem Arbeitsunfall bereits mit der bisherigen prothetischen Versorgung möglich war. Der Kläger stellt dazu auch in der Revisionsbeantwortung nicht in Frage, dass er bereits bisher seinen Beruf, seine landwirtschaftliche Tätigkeit und auch seine Freizeitaktivitäten – wenn auch in allen Fällen mit Einschränkungen – nach seinem Arbeitsunfall mit der bisherigen prothetischen Versorgung weiterhin ausgeübt hat. Der Kläger hat (lediglich) vor-304gebracht, dass die Verwendung einer Michelangelo-Hand alle diese Aktivitäten ‚signifikant‘ verbessere. Daraus folgt jedoch nach den dargestellten Grundsätzen noch nicht, dass die von der Beklagten angebotene SensorHand Speed kein geeignetes Hilfsmittel im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG wäre.
4.1 Im fortzusetzenden Verfahren werden daher Feststellungen zu treffen sein, die abschließend beurteilen lassen, ob die von der Beklagten angebotene prothetische Versorgung mit einer SensorHand Speed und einer Arbeitsprothese (weiterhin) geeignet und erforderlich im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG sind, und ob diese prothetische Versorgung den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers (weiterhin) entspricht.
4.2 Der Kläger hat dazu insbesondere vorgebracht, dass die linke, gesunde Hand, insbesondere das Handgelenk, durch die seit dem Arbeitsunfall bestehende Überbeanspruchung zusehends abgenützt werde und sich daraus bereits Beschwerden im linken Handgelenk, im linken Ellenbogen und im linken Schultergelenk ergeben hätten, wegen derer der Kläger bereits in Behandlung (Kur) gewesen sei. Bei weiterer Überlastung – die durch die Michelangelo-Hand vermieden werden könnte – würde es hier zu weiteren Einschränkungen kommen, sodass dem Kläger verschiedene Tätigkeiten nicht mehr möglich wären. Die Beklagte hat das bestritten und die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Orthopädie/Prothetik beantragt. […]
Sollten sich im fortgesetzten Verfahren die vom Kläger behaupteten Beschwerden herausstellen, so werden weiters Feststellungen zu treffen sein, ob die Versorgung mit einer Michelangelo-Hand im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG erforderlich ist, um diese behaupteten Beschwerden und Einschränkungen im Zusammenhang mit einer Überbeanspruchung des linken Handgelenks zu vermeiden.
4.3 Der Kläger hat weiters vorgebracht, dass durch die Verwendung der Michelangelo-Hand das beruflich erforderliche Lenken von Kraftfahrzeugen sicherer geworden sei, weil er damit beidhändig lenken und nicht nur die Prothese auf das Lenkrad legen könne. Die dazu vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sind unklar: Denn einerseits stellt das Erstgericht fest, dass der Kläger beruflich Kraftfahrzeuge lenkt und dabei Fahrzeuge des Arbeitgebers benützt, die keinen speziellen Umbau für eine einhändige Bedienung aufweisen (Ersturteil S 3), andererseits stellt es fest, dass es dem Kläger mit der Michelangelo-Hand ‚im Gegensatz zur jetzigen Prothese auch möglich zu lenken [ist], weil diese über ein bewegliches Handgelenk verfügt‘.
Im fortzusetzenden Verfahren werden daher Feststellungen darüber zu treffen sein, ob dem Kläger das Lenken von Kraftfahrzeugen (oder eines Gabelstaplers) mit der von der Beklagten angebotenen prothetischen Folgeversorgung mit einer SensorHand Speed (im Fall des Klägers ohne drehbares Handgelenk) möglich und auch nach den Anforderungen der Straßenverkehrsordnung bzw der Sicherheit auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers zulässig ist.“
Dem gegenständlichen Verfahren lag die Frage der Kostenübernahme eines Hilfsmittels aus der gesetzlichen UV zugrunde. § 149c BSVG bzw § 202 ASVG beinhaltet sowohl eine objektive, als auch eine subjektive Komponente: Einerseits muss das Hilfsmittel erforderlich sein, um die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern. Anderseits ist das Hilfsmittel den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten anzupassen.
Im konkreten Fall hatte der Kl durch einen Arbeitsunfall seinen rechten Unterarm verloren. Der bekl Sozialversicherungsträger versorgte ihn mit einer Unterarm- sowie einer Arbeitsprothese. Als wegen Abnutzung eine Neuversorgung notwendig war, wurde vom Kl nicht bestritten, dass er bereits bisher seinen Beruf, seine landwirtschaftliche Tätigkeit und auch seine Freizeitaktivitäten – wenn auch in allen Fällen mit Einschränkungen – nach seinem Arbeitsunfall mit der bisherigen prothetischen Versorgung weiterhin ausgeübt hat. Allerdings hatte die Verwendung der teureren und besseren Prothese diese Aktivitäten signifikant verbessert.
In seiner rechtlichen Begründung stellt der OGH zunächst klar, dass die Gewährung von Hilfsmitteln im Unfallversicherungsrecht zwar „höherwertiger“ geregelt ist als im Krankenversicherungsrecht. Das ändert aber nichts daran, dass der Unfallversicherungsträger in seiner gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden ist („Ökonomiegebot“). Der Versicherte hat nur einen Grundanspruch auf die geeignete Versorgung, über das konkrete Hilfsmittel entscheidet der Unfallversicherungsträger. Stehen mehrere geeignete Hilfsmittel zur Verfügung, hat der Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Ökonomiegebots zu entscheiden.
Im erstinstanzlichen Verfahren brachte der Kl ua vor, dass die linke, gesunde Hand bzw das Handgelenk durch die bestehende Überbeanspruchung zusehends abgenützt werde und weitere Beschwerden entstehen. Die Überlastung könne durch die Nutzung der Michel-305angelo-Hand vermieden werden. Aus den bisher getroffenen Feststellungen, wonach mit der Michelangelo-Hand Ausgleichsbewegungen vorgenommen werden können und weniger Kompensationsbewegungen der Schulter und des Ellenbogens erforderlich seien, konnte die Frage, ob dem Kl durch die Nutzung der günstigeren Prothese die behaupteten Beschwerden tatsächlich entstehen, nicht beantwortet werden. Um endgültig klären zu können, ob die Versorgung mit einer Michelangelo-Hand tatsächlich erforderlich iSd § 149c Abs 1 BSVG ist, sind daher weitere Feststellungen, insb durch Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Orthopädie/Prothetik notwendig.
Der Kl brachte weiters vor, dass durch die Verwendung der Michelangelo-Hand das beruflich erforderliche Lenken von Kfz sicherer geworden sei, weil er damit beidhändig lenken und nicht nur die Prothese auf das Lenkrad legen könne. Die dazu vom Erstgericht getroffenen Feststellungen waren unklar, weshalb im fortzusetzenden Verfahren weitere Feststellungen darüber, ob dem Kl das Lenken von Kfz (oder eines Gabelstaplers) mit der von der Bekl angebotenen prothetischen Folgeversorgung möglich und auch nach den Anforderungen der StVO bzw der Sicherheit auf dem Betriebsgelände eines DG zulässig ist, zu treffen werden sein.