Lohndumping – Zahlen, Daten, Fakten
Lohndumping – Zahlen, Daten, Fakten
Das Lohngefälle zu den neuen Mitgliedstaaten spielt in Österreich auf Grund der geographisch exponierten Lage eine besondere Rolle. So etwa beträgt die Länge der gemeinsamen Grenze zu den 2004 der EU beigetretenen Ländern (EU-10) 1.256 km; rund 60 % der österreichischen Bevölkerung leben in grenznahen Bereichen innerhalb von weniger als 100 km Entfernung zu dieser Grenze. Dies ist eine besonders attraktive Ausgangsposition für kurzfristige grenzüberschreitende Beschäftigung in Österreich oder die Beschäftigung in Form von Tages- oder Wochenpendeln. Die Unterscheidung zwischen einer Tätigkeit in Österreich mit Lebensmittelpunkt in Österreich oder einer Tätigkeit mit Wohnort im Ausland spielt beim Lohngefälle eine wesentliche Rolle. Für Personen, die ihre Ausgaben für Wohnung, Lebensmittel etc hauptsächlich im Inland tätigen, ist der Vergleich des Lohnniveaus nach Kaufkraftparitäten treffend. Die Umrechnung nach Kaufkraftparitäten stellt nämlich klar, wie viele Güter sich eine Person in einem Land im Vergleich zu einer Person, die ihre Ausgaben in einem anderen Land tätigt, leisten kann. Für PendlerInnen oder im Fall kurzfristiger Entsendung ist jedoch der Vergleich zu den Wechselkursen aussagekräftiger, da das Einkommen in einem Land erworben wird, die Ausgaben jedoch typischerweise in einem anderen Land getätigt werden.
Wie verhält es sich nun mit den durchschnittlichen Bruttomonatsverdiensten von ArbeiterInnen im Vergleich?* 2014 lag dieser in Österreich im Bau/Baunebengewerbe bei € 2.542,-. In Eurobeträgen bzw in Prozent des österreichischen Verdienstes sind die jeweiligen Zahlen für Ungarn 535 (21), Slowenien 1.135 (44,6), Slowakei 744 (29,3), die Tschechische Republik 749 (29,5), Polen 732 (28,8), Rumänien 336 (13,2) und Bulgarien 334 (13,1).
Im Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie betrug der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst 2014 von ArbeiterInnen in Österreich € 1.542,-. Die Vergleichswerte dazu in Ungarn 522 (33,9), Slowenien 879 (57), Slowakei 511 (33,1), Tschechische Republik 484 (31,4), Polen 520 (33,7), Rumänien 245 (15,9) und Bulgarien 243 (15,8).
Im Wirtschaftszweig Verkehr und Lagerei betrug 2014 der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in Österreich € 2.531,-. Die Vergleichswerte betragen in Ungarn 641 (25,3), Slowenien 1.197 (47,3),318Slowakei 693 (27,4), Tschechische Republik 734 (29), Polen 748 (29,6), Rumänien 432 (17,1) und Bulgarien 331 (13,1).
Damit dürften es in den letzten 20 Jahren zu einer Verringerung des Lohngefälles gekommen sein, denn 1998 lagen die durchschnittlichen Löhne in Ungarn bei 13 %, in Slowenien bei 40 %, in der Slowakei bei 12 % und in der Tschechischen Republik und in Polen bei 15 % des österreichischen Niveaus.* Das verbleibende Lohngefälle ist aber trotzdem noch beachtlich.
Es gibt zwei Datenquellen für die Zahl grenzüberschreitender Entsendungen und Überlassungen. Einerseits die Entsendebescheinigungen A 1* (früher E 101) und andererseits die Meldungen gem § 19 LSD-BG (früher § 7b Abs 3 AVRAG und § 17 Abs 2 AÜG) an die Zentrale Koordinationsstelle.*
Auf europäischer Ebene dienen die Entsendebescheinigungen A 1 als Datenquelle.* Demnach ist Österreich hinter Deutschland, Frankreich und Belgien das viertwichtigste Empfängerland für Entsendungen. Berücksichtigt man die Größenverhältnisse und den Umstand, dass die Entsendungen nach Belgien zu 68 % aus den „alten“ Mitgliedstaaten (EU-15) erfolgen und in Österreich nur zu 38 %, so kann mit guten Gründen argumentiert werden, dass Österreich in Europa am stärksten durch Lohndumping auf Grund des Lohngefälles bedroht ist. Die Entwicklung dazu ist auch sehr dynamisch. Zwischen 2010 und 2015 stiegen die eingehenden Entsendungen in Österreich um 82 %. Diese dynamische Entwicklung ist auch den Zentralen Koordinationsstellen-Meldungen zu entnehmen. Lagen die Entsendemeldungen (Meldungen auf „Betriebsebene“) etwa 2011 noch bei knapp über 23.100 (Entsendungen ieS und grenzüberschreitende Überlassungen), so stieg diese Zahl 2016 auf knapp 81.400. Erfasst waren damit zuletzt 192.581 AN (166.489 Entsendungen und 26.092 Überlassungen). Auf eine Entsendemeldung entfallen also durchschnittlich 2,37 grenzüberscheitend entsandte oder überlassene AN.
In den ersten Monaten des Jahres 2017 ist die Zahl der Entsendemeldungen sprunghaft angestiegen.* Dies liegt aber nur zum Teil an der Erhöhung der tatsächlichen Entsendungen. Ein beträchtlicher Teil des Anstiegs ist darauf zurückzuführen, dass die Bus- und Transportunternehmen der benachbarten EU-Länder erst anlässlich des Inkrafttretens des LSD-BG im Jänner 2017 bemerkten, dass auch bei grenzüberschreitendem Einsatz von KraftfahrerInnen eine Entsendemeldung erforderlich ist. Der mit den vielen Einzelmeldungen für kurzfristige Tätigkeiten verbundene Aufwand war auch der Hintergrund der Novelle des LSD-BG im Frühjahr 2017,* die zu Vereinfachungen bei Meldungen im Transportbereich führte.
Die Dauer der Entsendungen liegt auf Basis der Angaben in der Entsendemeldung bei einem durchschnittlichen Wert bei knapp 80 Tagen, der Median bei 32.* Der große Unterschied zwischen Durchschnitt und Median ergibt sich auf Grund einer relativ hohen Anzahl sehr kurzer Entsendungen von wenigen oder auch nur einem Tag.
Wenig verwunderlich ist, dass seit Mai 2011 die Entsendungen iwS aus dem EU-10-Raum stark zugenommen haben (zuletzt 54 %), während gleichzeitig der Anteil der Entsendungen aus Deutschland relativ rückläufig war (zuletzt ca 36 %). Entsendungen aus den übrigen Staaten haben mit ca 10 % eine geringere Bedeutung. Die Hauptentsendeländer innerhalb der EU-10 sind Ungarn, Slowenien und die Slowakei.
Die Beschäftigung der entsandten oder grenzüberschreitend überlassenen AN bestand zuletzt* zu ca 60 % aus Bautätigkeiten, zu 12 % als MetallarbeiterInnen, MechanikerInnen und verwandte Tätigkeiten sowie technische Fachkräfte, zu 10 % Anlagen- und MaschinenbedienerInnen sowie MontiererInnen, zu 5,3 % aus Hilfstätigkeiten, zu 4,5 % aus Dienstleistungstätigkeiten und zu ca 8 % aus sonstigen Tätigkeiten.
Der Verkehrsbereich ist bei diesen Zahlen auf Grund der Tatsache, dass die Meldevorschriften in der Praxis bis Ende 2016 weitgehend nicht berücksichtigt wurden, zweifellos stark unterrepräsentiert. Studien ergeben jedoch, dass die internationalen Transportleistungen der österreichischen LKWs seit Jahren im Sinken begriffen sind, während gleichzeitig der Anteil von Transportunternehmen aus den neuen Mitgliedstaaten von 30 % im Jahre 2007 auf knapp 60 % im Jahr 2013 gestiegen ist.* Es wird davon ausgegangen, dass im319Jahr 2014 jeder zweite Schwertransporter in Tochterfirmen österreichischer Unternehmen im Ausland und nicht mehr bei der österreichischen Muttergesellschaft registriert war.*
Seit dem Inkrafttreten des LSD-BG am 1.5.2011 bis 31.5.2017 ergingen 997 rechtkräftige Entscheidungen wegen Unterentlohnung, wovon 2.742 AN betroffen waren. 291 Entscheidungen ergingen in Niederösterreich, 210 in Wien und 160 in der Steiermark, womit 2/3 der Strafen auf diese drei Bundesländer entfielen.
Seitens der Herkunftsländer betrafen 459 bzw 46 % der Entscheidungen österreichische Unternehmen, 179 (18 %) ungarische, 105 (10,5 %) slowenische, 57 (5,7 %) slowakische, 40 (4 %) deutsche, 38 (3,8 %) tschechische und 34 (3,4 %) polnische Unternehmen.
Betrachtet man die Verteilung nach Wirtschaftsklassen, so entfallen 469 rechtkräftige Entscheidungen oder 47 % auf den Hochbau sowie vorbereitende Baustellenarbeiten, Bauinstallation und sonstiges Ausbaugewerbe. 139 oder 13,9 % der rechtskräftigen Entscheidungen betreffen Gastronomie und Beherbergung, 79 (7,9 %) den Handel,* 41 (4,1 %) die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, Metallerzeugnissen, Gummi- und Kunststoffwaren, Möbeln und diverser anderer Produkte, 40 (4 %) den Landverkehr und Transport in Rohrfernleitungen, 39 (3,9 %) die Gebäudebetreuung sowie den Garten- und Landschaftsbau und 25 (2,5 %) die Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften. Die restlichen 16,7 % der rechtskräftigen Entscheidungen verteilen sich auf 26 verschiedene Wirtschaftsklassen oder sind als unbekannt eingeordnet.
Wegen Nichtbereithaltung der Unterlagen wurden 1.360 Entscheidungen gegen ausländische AG und 681 gegen inländische AG rechtskräftig. Wegen Vereitelung der Kontrolle der Finanzpolizei ergingen 270 rechtskräftige Entscheidungen. 30 rechtskräftige Entscheidungen liegen in Bezug auf Untersagung der Dienstleistung (§ 31 LSD-BG bzw § 7k AVRAG) vor.
Um nähere Informationen über das Ausmaß der Unterentlohnung zu bekommen, untersuchten Lisa Danzer, Andreas Riesenfelder und Petra Wetzel von L&R Sozialforschung im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien 80 rechtskräftige Entscheidungen, welche sich auf 184 AN beziehen. Die Entscheidungen betreffen je zur Hälfte inländische und ausländische Unternehmen und erfassen Beschäftigungsverhältnisse von 2011 bis 2016, also seit Beginn der behördlichen Lohnkontrolle.
Das durchschnittliche Ausmaß der Unterentlohnung lag entsprechend dieser Untersuchung bei 38 %. Der kollektivvertraglich* vorgeschriebene Grundlohn bzw das Entgelt wurde also durchschnittlich um fast 40 % unterschritten, bei in- und ausländischen Unternehmen auf einem vergleichbaren Niveau. Der Median liegt bei 26 %, die Hälfte der AN war somit mit einer Unterentlohnung bis 26 % konfrontiert und die andere Hälfte mit einer Unterentlohnung über diesem Wert. Der deutliche Unterschied zwischen Durchschnitt und Median ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Unterentlohnung bei 22 % der inländischen Betriebe bei 100 % lag, es also zu keiner Lohnzahlung kam. Durchschnittlich wurde Beschäftigten inländischer Betriebe € 1.720,- vorenthalten, in Auslandsfällen waren es im Durchschnitt € 870,-. Pro Unternehmen beläuft sich die Summe auf € 3.100,- (Inlandsfälle) bzw € 2.400,- (Auslandsfälle).
Die Summe der verhängten Strafe pro AN beläuft sich auf € 1.915,- bei inländischen AG und € 2.450,- bei ausländischen AG. Gemessen am maximalen Strafrahmen pro AN wurden im Durchschnitt Strafen von etwa 15 % verhängt*. Bemerkenswert ist, dass bei 20 % der Entscheidungen die Strafe unterhalb des Ausmaßes der Unterentlohnung lag! Bei inländischen Betrieben trifft dies sogar bei 32 % der Entscheidungen zu. In Anbetracht des Umstandes, dass selbst bei festgestellter Unterentlohnung und trotz entsprechender Information der betroffenen AN* der Differenzbetrag praktisch nie zivilrechtlich eingefordert wird und des Umstandes, dass unlautere Unternehmen damit kalkulieren können, nur selten kontrolliert zu werden, ist die abschreckende Wirkung dieser – in Relation zum ökonomischen Vorteil – geringen Strafen in Frage zu stellen.320