SchrattbauerArbeitskräfteüberlassung – Chance oder Risiko für Problemgruppen des Arbeitsmarktes?
LexisNexis Verlag, Wien 2015 370 Seiten, kartoniert, € 65,–
SchrattbauerArbeitskräfteüberlassung – Chance oder Risiko für Problemgruppen des Arbeitsmarktes?
Hier ist ein ganz besonderes Werk anzuzeigen – und das beginnt schon bei seinem Thema! Nicht ein abstraktes Rechtsproblem, sondern eine ganz praktische Frage bestimmt den Gang der Forschung: Ob nämlich, und gegebenenfalls welchen Beitrag das bestehende Recht liefert, um Prekaritätsrisiken jener überlassenen Arbeitskräfte zu mindern, die am allgemeinen Arbeitsmarkt schlechte Chancen haben.
Dass Birgit Schrattbauer ausgehend von dieser Fragestellung das einschlägige Gesetzesrecht wie auch das anzuwendende Kollektivvertragsrecht als Einheit untersucht, ist einleuchtend und doppelt richtig: Für die sozialpolitische Wirkung einer Regelung ist es (wenn sie beachtet wird) bedeutungslos, auf welchen Rechtsquellen sie beruht. Und eine solche Vorgangsweise liegt eigentlich bei der Analyse von Rechtsfragen dieser Branche, deren einschlägiges Sondergesetz nur durch zwei Kollektivverträge ergänzt wird, stets nahe. Sie ist dennoch, das muss auch selbstkritisch gesagt werden, bisher nur rudimentär beachtet worden.
Aber damit nicht genug: Die exakte juridische Analyse wird dadurch ergänzt und wesentlich bereichert, dass Schrattbauer auch eine sozialpolitische Bewertung der erarbeiteten Ergebnisse anhand valider sozialwissenschaftlicher Daten vorlegt. So kann wissenschaftlich stringent überprüft werden, ob diese mit den deklarierten Zielen des Gesetzgebers in Übereinstimmung stehen. Die oft genug nur freihändige Einschätzung solcher Konsequenzen ist eine häufige Schwäche (arbeits-)rechtswissenschaftlicher Argumentation. Auch hier setzt das Werk einen wirklichen Maßstab!
Im rechtswissenschaftlichen Kernbereich hat Schrattbauer die Literatur mit geradezu bibliophiler Akkuratesse aufgearbeitet. In vorbildlicher Exaktheit referiert sie bisherige Argumente und ergänzt sie durch eigene Überlegungen oder stellt diese entgegen. Im dialektischen Dreischritt von exakt und respektvoll referierten bisherigen Thesen, eigenen Antithesen und abschließender, sorgfältiger Synthese gelingen Schrattbauer stets interessante, oft auch überraschende und überzeugende Schlussfolgerungen.
Das Werk beginnt mit einem einleitenden, rein juridischen Teil. Dort untersucht Schrattbauer ua die unionsrechtlichen Vorgaben und deren Bedeutung für das österreichische Recht sowie im Überblick die nationalen Regelungen; wie erwähnt neben dem AÜG auch die Überlasser-Kollektivverträge. Anschließend analysiert sie die einzelnen Prekaritätsrisken, wobei sie stets zunächst die einschlägigen Rechtsfragen klärt, ehe sie unter Verwendung sozialwissenschaftlicher Studien die praktische Bedeutung der Regelungen und die Folgen der gewonnenen Ergebnisse untersucht. Dies geschieht insb auf den, für die Branche besonders bedeutsamen Problemfeldern der Arbeitsplatzsicherheit, der Einkommenshöhe, „sonstiger“ Arbeitsbedingungen (Art der Tätigkeit, Arbeitsort, Arbeitszeit, Urlaub etc) sowie der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.
An Hand einer kleinen Auswahl von Fragen sei gezeigt, wie systematisch und umfassend Schrattbauer dabei vorgeht: Sie hinterfragt zB – zurecht kritisch –, ob die Geltung des Abschnittes I des AÜG für Landes- und Gemeindebedienstete kompetenzrechtlich überhaupt zulässig ist (S 43 f). Zu § 2 AÜG schlägt sie ein dynamisches System vor, das mögliche Konflikte zwischen den drei Grundzielen des Gesetzes dadurch (auf)löst, dass statt einer starren Reihung dieser, bei jeder diskutierten Regelung zunächst zu untersuchen ist, welches der drei Ziele sie vorrangig verfolgt; wobei jedoch das optimale Gesamtergebnis hinsichtlich sämtlicher Schutzziele mit in die Untersuchung einzufließen hat (S 41). Hier ist79mE im Rahmen der historischen Auslegung (aber nur dieser) abweichend zu berücksichtigen, dass das Ziel des Schutzes der Stammbelegschaften seinerzeit vorrangig war.
Zum Zustimmungserfordernis für jede (!) Überlassung (§ 2 Abs 2 AÜG) kommt sie zum Ergebnis, dass eine ausdrückliche einmalige Zustimmung ausreiche (S 125 ff). Ich teile diese Auffassung nicht (Schindler in
Eingehend widmet das Werk sich dem Diskriminierungsverbot des § 6a AÜG (S 232 ff) sowie allen Fragen des Entgeltanspruches einschließlich der AÜG-Bestimmung zur Geltung von Betriebspensionsregelungen des Beschäftigers (Kapitel II/5, S 247-268). Es untersucht kritisch und differenzierend die Zulässigkeit einvernehmlicher Auflösungen des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Endes eines Einsatzes (S 110 ff) und verneint deren zivilrechtliche Wirksamkeit, sofern es die wahre Absicht der Parteien ist, eine Karenzierung für die Dauer der Stehzeit zu bewirken (S 121). Diese könne sich insb aus dem wiederholten einschlägigen Verhalten der Vertragsparteien erweisen. Schrattbauer zeigt unter Verwertung einer einschlägigen sozialwissenschaftlichen Studie, dass eine solche Karenzierungspraxis auch im Zusammenhang mit längeren Krankenständen in der Branche verstärkt auftritt (S 242). Die Zulässigkeit von Urlaubsvereinbarungen während Stehzeiten verneint sie zu Recht, soweit die Initiative dazu nicht unbeeinflusst von dem/der AN ausgegangen ist (S 163 ff).
Selbstverständlich widmet sich ein eigenes Kapitel allen Fragen der Arbeitszeit einschließlich deren Lage (S 138 ff). Hier ist kritisch anzumerken, dass Schrattbauers These, wonach günstigere Regelungen der Überlasser-Kollektivverträge zum Ausmaß der Normalarbeitszeit im Verhältnis zum Beschäftiger-KollV oder – noch unerklärlicher – im Verhältnis zur gesetzlichen Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden unwirksam wären, mE unrichtig ist. Die Anordnung der „Geltung“ bestimmter Inhalte des Beschäftiger-KollV (oder betrieblicher Regelungen), wie sie wiederholt im AÜG vorgenommen wird, bewirkt keinen Fall der Kollektivvertragskollision, da der Beschäftiger-KollV nicht kraft der Regelungen des ArbVG normativ wirkt, sondern (hier) zu Folge § 10 Abs 3 AÜG. Die Rechtsgrundlage der Geltung ist stets nur das AÜG und da dieses einseitig zwingend ist, können die Überlasser-Kollektivverträge stets Günstigeres anordnen.
Nicht zuletzt überprüft Schrattbauer auch die strittige, oft beschworene „Brückenfunktion“ der Arbeitskräfteüberlassung (S 268 ff) und stellt – wenig überraschend – auch unter Verwertung deutscher Studien fest, dass weit überwiegend die Beschäftigung als überlassene Arbeitskraft nicht zur Übernahme in die Stammbelegschaft, sondern zu einer Leiharbeiter-„Karriere“ führt (S 286 f). Lediglich AN, die nach Abschluss ihrer Berufsausbildung als überlassene Arbeitskräfte beginnen, im Grunde eine neue, durchaus originelle Art der „Walz“ (Wanderjahre), werden immerhin zu 25 % übernommen (S 288). Auch in diesem kleinen Kapitel zeigt sich die vorbildliche Arbeitsweise Schrattbauers exemplarisch: Sie verwertet sozialwissenschaftliche Studien, untersucht die gesetzlichen Regelungen dahin, ob sie Übernahmen eher fördern oder behindern, nimmt in diesem Zusammenhang aber auch die Funktion von Arbeitskräfteüberlassung als Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik und den Funktionswandel in der Branche (Zunahme längerfristiger Überlassungen) in den Blick. Sie bezieht die kollektivvertraglichen Regelungen und auch die gesetzliche Bildungsförderung (Sozial- und Weiterbildungsfonds gem §§ 22a-22g AÜG) in ihre Untersuchung ein. Kurz: Statt ausufernder und oft langweiliger Debatten um einzelne Normen bietet das Kapitel ein umfassendes, buntes Bild der Situation, das sowohl die rechtswissenschaftliche Analyse wesentlich bereichert als auch durch die Verschränkung mit den gewonnenen sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen zu praxisrelevanten Schlussfolgerungen führt.
Dass dies bei jeder der vielen behandelten Fragen geschehen kann, ist Schrattbauers nüchternem und konzentriertem Stil zu danken: Sie formuliert kurz und bündig, hervorragend lesbar und kommt ohne Umwege zum Kern des Arguments. So bietet das Buch zugleich hoch konzentrierten Lesestoff und ist doch vergnüglich und nutzbringend zu lesen, auch dann, wenn man mit den Schlussfolgerungen nicht übereinstimmt.
Eine Zusammenfassung sichert die Ergebnisse und mündet dankenswerterweise in rechtspolitische Gestaltungsvorschläge. Auch das halte ich für ausgesprochen wertvoll: Eine juridische Untersuchung auf solidem sozialwissenschaftlichem Hintergrund kann und soll nicht in einem Elfenbeinturm der Analyse verbleiben.
Insgesamt also ein wirklich vorbildliches Werk, Pflichtlektüre für WissenschaftlerInnen, alle in Rechtsberufen Tätigen, aber auch für PraktikerInnen und nicht zuletzt für all jene, die an den sozialpolitischen Fragen dieser besonders heiklen Branche interessiert sind!