LiDer Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2016 257 Seiten, € 79,90

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)

Bei der vorliegenden, bei Duncker und Humblot im Rahmen der „Schriften zum Bürgerlichen Recht“ veröffentlichten Monographie handelt es sich um die 2015 von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-München als Dissertation angenommene Arbeit von Xianbei Li. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, ob es aufgrund des Drittbezugs des Leiharbeitsverhältnisses eine spezifische Schutzbedürftigkeit von Leih-AN vor dem rechtlichen Zugriff des Entleihers gibt und ob der allenfalls erforderliche Schutz im deutschen Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (dAÜG) angemessen umgesetzt ist.

Nach deutschem Recht unterliegt die AN-Überlassung gem § 1 Abs 1 dAÜG prinzipiell einer Erlaubnispflicht. Erfolgt die Überlassung ohne die erforderliche Erlaubnis (illegale oder unerlaubte Überlassung), so hat dies zur Folge, dass Überlassungs- und Leiharbeitsvertrag unwirksam sind und stattdessen ein Arbeitsver-80hältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitskraft fingiert wird (§ 10 Abs 1 dAÜG). Aus dieser grundsätzlichen Unterscheidung zwischen erlaubter und unerlaubter AN-Überlassung folgen für die gewählte Thematik auch zwei sehr unterschiedliche Untersuchungsfelder: Im Falle einer erlaubten Überlassung steht die Frage im Mittelpunkt, ob das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitskraft und Entleiher zu Schutzlücken im Vergleich zu regulären Beschäftigungsverhältnissen führt. Dieses Problem kann sich bei illegaler Überlassung, deren Rechtsfolge ja gerade im Ex-lege-Eintritt eines regulären Arbeitsverhältnisses zum Entleiher liegt, nicht stellen; hier geht die Autorin vielmehr der Frage nach, ob die Leiharbeitskraft das Eintreten dieser Rechtsfolge verhindern kann, wenn das gesetzlich fingierte Arbeitsverhältnis ausnahmsweise nicht in ihrem Interesse liegt.

Die Arbeit gliedert sich – von einer kurzen Einführung und einer Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende der Untersuchung abgesehen – in drei große Blöcke. Zunächst legt Li die Grundlagen des deutschen Rechts der AN-Überlassung dar, soweit sie für die gewählten Forschungsfragen von Bedeutung sind. Dabei widmet sie sich insb den Rechtsbeziehungen der drei an der AN-Überlassung beteiligten Parteien zueinander, und zwar jeweils für die Variante einer erlaubten sowie einer unerlaubten Überlassung. Was ersteren Fall betrifft, so erfolgt bereits hier eine grundlegende Weichenstellung für die weitere Untersuchung dahingehend, dass sich Li in der Frage der rechtsdogmatischen Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses zwischen Entleiher und Leih-AN der überwiegenden Meinung im deutschen Schrifttum anschließt, wonach es sich hierbei um einen echten Vertrag zugunsten Dritter handle, aus dem sich ein unmittelbares Forderungsrecht des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leih-AN ableitet.

In den weiteren beiden Hauptteilen geht Li dann für erlaubte und illegale Überlassung getrennt ihrer Forschungsfrage nach. Im Abschnitt zur legalen AN-Überlassung stehen zum einen Haftungsprobleme im Verhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitskraft im Mittelpunkt; des weiteren thematisiert die Autorin die Schutzbedürftigkeit des Leih-AN bei Annahmeverzug des Entleihers, den Schutz von Diensterfindungen von Leih-AN im Zuge der Überlassung sowie die Frage, inwieweit diese vor Diskriminierung durch den Entleiher bzw vor Mobbing im Entleiherbetrieb geschützt sind. Li kommt im Wesentlichen zum Ergebnis, dass auf der Grundlage der dogmatischen Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses als echter Vertrag zugunsten Dritter in all diesen Bereichen im Vergleich zu regulären Arbeitsverhältnissen keine besondere Schutzbedürftigkeit von Leih-AN gegenüber dem Entleiher besteht. Gerade im Bereich des Diskriminierungsrechtes erscheint dieses Ergebnis aber doch ein wenig oberflächlich – das Problem einer diskriminierenden Beendigung der Überlassung etwa wird an keiner Stelle thematisiert; ob die Anordnung in § 6 Abs 2 AGG, wonach der Entleiher für die Dauer der Überlassung als AG iSd Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu behandeln ist, hier einen effizienten Schutz der Leiharbeitskraft bewirken kann, erscheint zumindest hinterfragenswert.

Im letzten Hauptteil der Arbeit widmet sich Li der Schutzbedürftigkeit des Leih-AN bei der illegalen Überlassung. Der größte Teil dieses Abschnitts ist der Frage gewidmet, ob der Leih-AN das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses abwenden kann, wenn diese Rechtsfolge dem subjektiven Willen des AN im Einzelfall entgegensteht. Dies könnte einerseits dann der Fall sein, wenn sich der AN aus autonomen Gründen gegen ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher entschieden hat; als Beispiel führt Li hochqualifizierte Fachkräfte an, für die gerade der wechselnde Einsatz bei verschiedenen Unternehmen attraktiv ist. Andererseits könnte in Ausnahmefällen das fingierte Arbeitsverhältnis objektiv nicht mit Vorteilen für die illegal überlassene Arbeitskraft verbunden sein; so könnte der Verbleib beim Verleiher zB dann vorteilhafter sein, wenn der Entleiher zahlungsunfähig ist oder sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befindet. Im Hinblick auf derartige Fälle prüft Li die Vereinbarkeit der Fiktion des § 10 Abs 1 dAÜG mit der in Deutschland grundrechtlich geschützten Freiheit des Arbeitsvertragsschlusses (Art 12 Abs 1 Grundgesetz [GG]). Dabei kommt sie kurz gefasst zum Ergebnis, dass jedenfalls ein Grundrechtseingriff vorliegt, der nur durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 10 dAÜG dahingehend gerechtfertigt werden kann, dass der Leiharbeitskraft im Fall des Entstehens eines Ex-lege-Arbeitsverhältnisses ein außerordentliches Lösungsrecht zugestanden werden muss, auch wenn dieses gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Eine Stütze für ihre These findet Li in den Argumenten, die in Deutschland zur Entwicklung eines allgemeinen Widerspruchsrechts des AN beim Betriebsübergang vor dessen gesetzlicher Verankerung im Wege der verfassungskonformen Auslegung vorgebracht worden sind. Im Unterschied zum Betriebsübergangsrecht führt ein Widerspruchsrecht bei der Fiktion nach § 10 Abs 1 dAÜG aber nicht zum gewünschten Erfolg, da aufgrund der ausdrücklich angeordneten Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages auch mit der Verhinderung des Eintritts des Ex-lege-Arbeitsvertrages kein Verbleib beim Überlasser bewirkt werden kann. Aus diesem Grund plädiert Li für ein außerordentliches Kündigungsrecht (iS eines vorzeitigen Austritts nach österreichischer Diktion) und kommt für diese Lösung zum Ergebnis, dass damit auch keine Nachteile für die Leiharbeitskraft verbunden sind, so etwa in Hinblick auf einen allenfalls bestehenden Anspruch auf rückständiges, weil vom Verleiher noch nicht vollständig bezahltes Entgelt, das der AN dann vom Entleiher einfordern könne. Gerade in dem von Li als Praxisbeispiel angeführten Fall eines wirtschaftlich angeschlagenen Entleiherbetriebs wird diese Tatsache den Leih-AN aber wahrscheinlich nicht besonders beruhigen.

Von über das gewählte Thema hinausgehender Bedeutung sind die Ausführungen der Autorin zur Frage, inwiefern ein Schutz des AN „vor zuviel Schutz“ geboten erscheint (S 183 ff). Sie bringt damit eine Diskussion im deutschen Schrifttum zur Auslegung des Günstigkeitsprinzips im kollektiven Arbeitsrecht zur Sprache, bei der Argumente gegen eine objektivierende Interpretation und zugunsten einer subjektiven Auslegung vorgebracht werden: Ob eine Abweichung von tarifvertraglichen Bestimmungen günstiger für den AN sei und damit der an sich verbindlichen kollektiven Regelung vorgehe, solle nicht nach objektiven Kriterien geprüft werden; dem AN solle vielmehr selbst das81Urteil überlassen werden, welche Arbeitsbedingungen er in seiner Situation für günstiger halte. Grenzen der Selbstbestimmung seien nur dort erreicht, wo zwingender AN-Schutz zum Schutz absoluter Rechtsgüter des AN (zB Gefahrenschutz) oder zum Schutz Dritter (zB Mutterschaftsschutz) erforderlich sei. Der mühsam erkämpfte kollektive Schutz der Arbeitnehmerschaft würde aber – insb in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit – weitgehend seine Wirksamkeit verlieren, wenn die individuelle über die kollektive Privatautonomie gestellt wird und – wie von der Autorin angeregt – im Zweifel immer der individuell geäußerte Wille entscheidend sein soll, auch wenn „eine selbstbestimmte Willensbildung zu einem objektiv nachteiligen Ergebnis [führt], [...] solange dieses Ergebnis subjektiv als vorteilhaft empfunden wird“ (S 189).