Lutz/Risak (Hrsg)Arbeit in der Gig-Economy – Rechtsfragen neuer Arbeitsformen in Crowd und Cloud
Verlag des ÖGB, Wien 2017 376 Seiten, kartoniert, € 34,90 bzw frei abrufbar im Internet unter www.gig-economy.at
Lutz/Risak (Hrsg)Arbeit in der Gig-Economy – Rechtsfragen neuer Arbeitsformen in Crowd und Cloud
In den vergangenen Jahren ist ein intensiver Diskurs in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt entstanden. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen das Entstehen bisher nie dagewesener Formen der Arbeitserbringung, die vom bekannten Normalarbeitsverhältnis abweichen und tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitsorganisation bewirken.
Zu den jüngeren Entwicklungen aufgrund der Digitalisierung zählt die Organisation von Arbeit über sogenannte Internet-Plattformen („Crowdwork“), die mittlerweile auch in Österreich fester Bestandteil der Arbeits- und Lebenswelt geworden ist. Im Sammelwerk „Arbeit in der Gig-Economy – Rechtsfragen neuer Arbeitsformen in Crowd und Cloud“ greifen namhafte AutorInnen in insgesamt vierzehn Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven damit erstmals einen Themenkomplex auf, der aktueller nicht sein könnte.
„Gig-Economy und Crowdwork – was ist das?“ Dieser Frage geht Risak umfassend im ersten Beitrag des Buches nach: Nach der Definition Risaks handelt es sich bei Crowdwork um Tätigkeiten (Gigs), die ursprünglich durch einzelne VertragspartnerInnen – in der Regel AN – erbracht wurden, in der Form „ausgelagert“ (outgesourct) werden, dass sie einer größeren Anzahl von Personen (der Crowd) über eine internetbasierte Plattform angeboten und von diesen dann abgearbeitet werden. Risak beschreibt in diesem Kapitel (nach einem kurzen historischen Abriss) neun vom Normalarbeitsverhältnis abweichende und mit der Digitalisierung einhergehende Formen der Arbeitserbringung. In der Folge setzt er sich zuerst mit dem Modell des plattformbasierten Crowdwork bzw Crowdsourcing auseinander, skizziert die Funktionsweise und Formen von Crowdwork, unterscheidet die Erscheinungsformen von Crowdsourcing und erörtert abschließend Vor- und Nachteile des Arbeitens in der Gig-Economy.
Ausgehend davon, dass es fundierter Erkenntnisse über die tatsächlichen Auswirkungen von Crowdwork für Österreich bedarf, um Regelungsvorschläge entwickeln zu können, setzen sich Heiling und Kuba im darauffolgenden Beitrag mit der „Ökonomie der Plattform – Strukturelle und empirische Befunde über die Plattformbranche und ihre PlayerInnen
“ auseinander: Die AutorInnen erörtern erstmals empirische Befunde und Daten zum Thema Crowdwork und werfen einen Blick auf die wirtschaftliche Performance und die Ausbreitung sowie Beschaffenheit der „Plattformbranche“, unter Bezugnahme auf Datenmaterial einerseits zu Europa und einzelner europäischer Staaten und andererseits auch zu Österreich.
Daran anknüpfend widmet sich Risak den „(Arbeits-)Rechtlichen Aspekten der Gig-Economy“, geht auf die möglichen Vertragsverhältnisse ein, die dem Crowdsourcing von Arbeit zugrunde liegen und erörtert anschließend detailliert das Vertragsverhältnis zwischen den CrowdworkerInnen und der Crowdsourcing-Plattform. Zuzustimmen ist dem Autor dahingehend, dass das bisher in der Gig-Economy gültige Postulat, sämtliche LeistungserbringerInnen (CrowdworkerInnen) würden selbstständig agieren, zu kurz greift.
Die Betrachtungsweise, dass eben nicht alle CrowdworkerInnen selbstständig agieren, stellt den Gesetzgeber – sollte sich dieser zur Schaffung eines vielfach geforderten „Crowdworkgesetzes“ entschließen – vor beachtliche Herausforderungen. Freilich wäre auch eine europäische Lösung durch eine europäische Crowdwork-Richtlinie sinnvoll und denkbar. Weiterführend dazu sei auch auf das Werk „Crowdwork – A Comparative Law Perspective“ von Waas/Liebman/Lyubarsky/Kezuka (Hrsg) verwiesen, das vor kurzem im Bund Verlag erschienen ist und das Phänomen „Crowdwork“ aus einem internationalen Blickwinkel betrachtet.
Einen praxisnahen Zugang wählte Lutz in einer ausführlichen Aufarbeitung des Themas „Virtuelles Crowdwork: Clickworker – Arbeitsrechtliche Qualifikation der Arbeit auf clickworker.de“. Lutz unternimmt den Versuch der Darstellung und rechtlichen Einordnung der „Microtasking-Plattform“ Clickworker. Die Autorin bewertet dabei die dreipersonalen Vertragsbeziehungen und untersucht außerdem die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für ClickworkerInnen im Hinblick auf etwaige sittenwidrige Bestimmungen.
Auch die Beiträge von Balla, Warter und Dullinger analysieren umfassend und gut verständlich die Geschäftsmodelle des Transportdienstleisters „Uber“, der Plattform „Book a Tiger“, die haushaltsnahe85Dienstleistungen vermittelt und des Essenszustellers „Foodora“. Ebenso lesenswert sind auch die Beiträge von Schneller („Betriebsrat und Mitbestimmung in der Plattform-Ökonomie“), Goricnik/Riesenecker-Caba („Datenschutz in der Gig-Economy“), Bruckner/Krammer („Sozialversicherung in der Gig-Economy“), Kozak („Crowdwork mit Auslandsbezug“), Müller („Gewerkschaftliche Organisationsstrategien und alternative Kampfmaßnahmen“) und Majoros („Rechtsprobleme alternativer Organisationsstrategien“), die in ihren Ausführungen vielfach rechtswissenschaftliches Neuland betreten und daher allen interessierten LeserInnen wärmstens empfohlen werden können.
Das Buch endet mit der zentralen Frage: „Gute Arbeitsbedingungen in der Gig-Economy – Was tun?“ Diese Frage ist aus mehreren Gründen berechtigt: Ein Dilemma zeigt sich darin, dass einerseits (falls die Entwicklungen in diesen neuen Arbeitswelten weiterhin in diesem rasanten Tempo voranschreiten) die reale Gefahr einer Prekarisierung der Arbeitsbedingungen besteht, sich jedoch andererseits auch ein Trend zur Individualisierung der Gesellschaft bis hin zu dem Manifest der „digitalen Bohème“ zeigt, wo gerade die Absicht des „unabhängigen Arbeitens“ jenseits der traditionellen Arbeits- und Präsenzkultur verbunden mit dem Wunsch nach selbstbestimmtem Arbeiten für viele im Vordergrund steht. Aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation in Österreich sind AN noch nicht gezwungen, sich auf derart prekäre Arbeitsverhältnisse einzulassen. Damit bestünde derzeit kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf, weil es sich bei den CrowdworkerInnen vielfach um Personen handelt, die sich lediglich in ihrer Freizeit oder als Nebenerwerb ein zusätzliches Einkommen verdienen möchten. Zu befürchten ist aber, dass zukünftig immer mehr Unternehmen die Vorteile der Plattformökonomie für sich nutzen könnten. Insb der zunehmende Rückgriff auf einen kostengünstigen Pool an kurzfristig verfügbaren Arbeitskräften, die einem immer stärker werdenden Kostendruck (speziell im internationalen Vergleich) unterliegen und bisher schlecht durch arbeitsrechtliche Bestimmungen geschützt sind, ist wohl nur mehr eine Frage der Zeit. Es bleibt daher abzuwarten, welchen Platz bestehende Instrumente der sozialen Absicherung, des AN-Schutzes und der kollektiven Interessenvertretung innerhalb dieser Entwicklungen zukünftig einnehmen werden.
Zusammengefasst wäre die bereits von Warter (Crowdwork [2016]) vorgeschlagene Novellierung bzw die Einbeziehung von CrowdworkerInnen in das Heimarbeitergesetz ein gangbarer und praktikabler Ansatz, um die Arbeitsbedingungen (zumindest für virtuelle CrowdworkerInnen) zu verbessern. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht somit mE insb in Bezug auf die (virtuelle) kollektive Interessensvertretung bei Crowdwork sowie auf die Einbeziehung von CrowdworkerInnen in Hinblick auf eine sozialversicherungsrechtliche Gesamtlösung.
Abschließend lässt sich somit festhalten, dass es sich bei dem vorliegenden Buch wohl um das umfassendste österreichische arbeits- und sozialrechtliche Werk handelt, das interessante und praxisrelevante Facetten zu den verschiedenen Bereichen neuer Arbeitsformen in Crowd und Cloud beleuchtet. Das vorliegende Buch ist in gebundener Fassung käuflich zu erwerben und überdies online (www.gig-economy.at) kostenlos abrufbar. Unmittelbar ins Auge sticht dabei die optisch futuristisch anmutende Aufbereitung des Buches: Markante Informationen werden anhand von Graphen oder Tabellen gut leserlich und einprägsam konzipiert dargestellt und die einzelnen Beiträge zur guten Gesamtübersicht farblich voneinander abgegrenzt. Insgesamt sind alle Beiträge gut verständlich und leicht lesbar, ohne jedoch die wissenschaftliche Tiefe vermissen zu lassen. Insb die freie Verfügbarkeit des Werkes im Internet ist ein gelungener erster Schritt hin zu einem öffentlichen Diskurs dieses Themas. Die Lektüre dieses Werkes ist damit all jenen wärmstens zu empfehlen, die sich sowohl aus PraktikerInnen- als auch aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Thema Arbeit 4.0 und Crowdwork auseinandersetzen möchten.