Ein „Vorspiel“ nur? Die Verschiebung der Arbeiterkammerwahlen 1931
Ein „Vorspiel“ nur? Die Verschiebung der Arbeiterkammerwahlen 1931
„Aufgrund der Massenarbeitslosigkeit wurden die 1931 fälligen Arbeiterkammerwahlen verschoben – die Arbeitslosen waren nicht wahlberechtigt – und die Tätigkeitsdauer der 1926 gewählten Mandatare am 15. Juli 1931 im Verordnungsweg verlängert
“, schreiben Josef Weidenholzer und Brigitte Kepplinger in ihrer, in der Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum der Arbeiterkammern veröffentlichten kleinen „Geschichte der Arbeiterkammern 1920 bis 1992“.* Diese in der Bezeichnung der Rechtsnorm,* vor allem aber in der Begründung der Wahlverschiebung falsche Information wird seither immer wieder in Vorträgen und Anfragebeantwortungen tradiert, wenn es um die Frage geht, warum es in der Ersten Republik nach den AK-Wahlen 1921 und 1926 zu keinem weiteren Wahlgang kam.*
Das am 26.2.1920 von der konstituierenden Nationalversammlung einstimmig beschlossene AKG* sah zwei „Sektionen“ in der Kammer, nämlich eine für ArbeiterInnen und eine für Angestellte, vor. Noch unter Ferdinand Hanusch kam es zur gesetzlichen Einrichtung von zwei weiteren Sektionen für die ArbeiterInnen und Angestellten in den Verkehrsunternehmungen (Eisenbahnen, Schifffahrt, Straßenbahnen sowie Post und Telegraph).* Kurz darauf wurde zur Klarstellung des Aufgabenbereichs der AK eine Gleichstellung mit den Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie gesetzlich normiert, wobei dem BM für soziale Verwaltung (BMfSV) „nach gepflogenem Einvernehmen“ mit der AK das Recht gegeben wurde, per Verordnung jene Angelegenheiten zu bezeichnen, bei welcher eine Mitwirkung der AK zu unterbleiben hat.* Durch die Arbeiterkammer-Wahlordnung (AKWO)* und die daraufhin vom BMfSV als Aufsichtsbehörde erlassene „Instruktion“* wurden die entsprechenden Bestimmungen für die Durchführung der AK-Wahlen des Jahres 1921 geschaffen.* Dennoch kam es bei den AK-Wahlen 1921, die den Freien Gewerkschaften einen fulminanten Erfolg und die Mehrheit in allen sieben* Arbeiterkammern brachten, zu einer Reihe von Unregelmäßigkeiten. Zum einen gab es AG, die nicht alle AN als wahlberechtigt meldeten, zum anderen versuchten Mitglieder von Zweigwahlkommissionen um die ihr nahestehende Liste zu favorisieren, AN vom Wahlrecht auszuschließen oder sie zu einer öffentlichen, nicht geheimen Stimmabgabe zu motivieren.*
Im Herbst des Jahres 1925 begannen die Vorbereitungen für die Durchführung der AK-Wahlen 1926. Dies wurde im September 1925 von der Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften zum Anlass genommen, vom BMfSV Änderungen der AKWO zu verlangen, um eine geheime Wahl zu gewährleisten. In den darauffolgenden Besprechungen aller Gewerkschaften und der AK gab das BMfSV den Einwänden der Freien Gewerkschaften und der AK weitgehend Recht. So etwa wurden den Forderungen der Christlichen Gewerkschaften nach Abhaltung der Wahlen an arbeitsfreien Tagen und einem Verbot von Betriebswahllokalen eine Absage erteilt. Eine kurzgefasste VO normierte die Verpflichtung zur „geheimen Wahl“,* im Übrigen wurde die „Instruktion“ zur AKWO geringfügig überarbeitet.*
Anlässlich der Konstituierung und Beratungen der Wiener Hauptwahlkommission für die AK-Wahl 1926 wurde festgestellt, dass auf Grund bisher164erlassener Rechtsvorschriften einige Bestimmungen des AKG 1920 angepasst werden sollten.* Viel wichtiger war jedoch die Tatsache, dass nach den bisherigen Vorschriften des AKG nun infolge der bereits eine längere Zeit andauernden Arbeitslosigkeit zahlreiche ArbeiterInnen und Angestellte vom passiven und aktiven Wahlrecht ausgeschlossen waren. Der Vorstand der AK Wien ersuchte nun den sozialdemokratischen Parlamentsklub, einen entsprechenden Initiativantrag auf Änderung des AKG 1920 einzubringen, was denn auch am 14.1.1926 geschah. Die angepeilte Novellierung des AKG 1920 sah neben den genannten formalen Anpassungen an die seit 1920 erlassenen Rechtsvorschriften (ua Angestelltengesetz, Wahlordnung zum NR etc) vor, die an ein Beschäftigungsverhältnis gebundene Wahlberechtigung zum passiven Wahlrecht von mindestens zwei Monaten vor dem Tag der Wahlausschreibung auf den Zeitraum von einem Jahr zu erstrecken.* Durfte man bisher das aktive Wahlrecht dann ausüben, wenn man am Tag der Ausschreibung der Wahl durch „mindestens drei Jahre in Österreich als Arbeiter oder Angestellter“ beschäftigt war, so wurde nun vorgeschlagen, dass man in den fünf der Wahlausschreibung vorangegangenen Jahren durch mindestens zwei Jahre hindurch eine Beschäftigung haben sollte. Weiters sollte der Vollversammlung der AK per einstimmigem Beschluss das Recht gegeben werden, die Ausschreibung von Neuwahlen nach Ablauf der Mandatsperiode über sechs Monate mit Genehmigung des BMfSV zu verlängern. Damit sollte die AK das Recht erhalten, nach der jeweiligen Beschäftigungslage flexibel den Wahltermin zu bestimmen, was für die in der Baubranche beschäftigten AN sowie SaisonarbeiterInnen von Relevanz war. Wie sich jedoch alsbald zeigte und wohl auch angesichts der bürgerlich-(deutsch-)nationalen Mehrheit in Regierung und NR nicht anders zu erwarten war, erweckte der Novellierungsvorschlag, wie Edmund Palla, Erster Sekretär (heute: Direktor) der AK Wien berichtete „eine Reihe von bedenklichen Abänderungsvorschlägen
“ der übrigen Parteien, sodass davon vorläufig Abstand genommen wurde.* Somit wurde der vom AK-Präsidenten und NR-Abgeordneten, Franz Domes, im NR eingebrachte Novellierungsvorschlag zwar dem Ausschuss für soziale Verwaltung zugewiesen, jedoch nie behandelt.*
Nachdem jedoch in Verhandlungen mit der Aufsichtsbehörde eine Verlegung der Wahl auf einen nach dem Beschäftigtenstand günstigen Zeitpunkt erreicht werden konnte, beschloss der Vorstand der AK Wien, sich damit zufrieden zu geben und den Tag der Wahlausschreibung mit 27.3.1926 und die Wahl auf Samstag, den 26.6. und Sonntag, den 27.6. festzusetzen.* Späterhin wurde in der Hauptwahlkommission beschlossen, dass Zweigwahlkommissionen, in deren Bereichen sich Betriebe befanden, die bereits am Freitag, den 24.6. schließen, einen Antrag auf Wahldurchführung auch am Freitag stellen können.* Nahezu einen Monat nach der erfolgten Wahlausschreibung verlangte die kommunistische Fraktion in der AK einen Initiativantrag der Sozialdemokratie zur Änderung der AKWO, der jedoch vom Vorstand der AK infolge der bereits ausgeschriebenen Wahl und der angelaufenen Wahlvorbereitung nicht an die Parlamentsfraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) weitergeleitet wurde, zumal es klar war, dass es zu einer parlamentarischen Erledigung vor der im Juni stattfindenden Wahl nicht mehr kommen konnte.*
Das Wahlergebnis der AK-Wahlen 1926 bestätigte die überwiegende Dominanz der Freien Gewerkschaften in der AK, brachte jedoch den christlichen Gewerkschaften geringfügige Stimmen- und Mandatsgewinne. In der am 17.7.1926 abgehaltenen konstituierenden Vollversammlung* der Wiener AK bekannten sich die christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften zur Institution Arbeiterkammer, forderten aber eine „Entpolitisierung“. Wenn diese Forderung auch aus Sicht der Minderheitsfraktionen angesichts der überwältigenden Mandatsmehrheit der freien Gewerkschaften durchaus verständlich erscheint, so stellte die Forderung nach einer Änderung des AKG angesichts der bürgerlichen Regierungsmehrheit eine für die Zukunft durchaus bedenkliche Aussage dar. Denn „Entpolitisierung“ hieß in der politischen Praxis „Umpolitisierung“, wie sie Carl Vaugoin als Heeresminister im Bundesheer seit 1920 mit Erfolg durchgeführt hatte.
Die vor den Wahlen 1926 von den freien Gewerkschaften gewünschte und letztlich gestoppte Novellierung des AKG erhielt bald eine neue Dynamik, die in den folgenden Jahren die AK in Bann halten und in die Defensive drängen sollte. Im Gegensatz zu den christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften, welchen es um die Stärkung ihrer Minderheitsrechte in den Arbeiterkammern ging, verfolgte der „harte Kern“ der Christlichsozialen Partei um Ignaz Seipel, Carl Vaugoin und Richard Schmitz, denen die faschistische Heimwehr zumindest zeitweise gleichsam als „Prätorianergarde“ beiseite stand,* ab 1927 einen offensiv gegen die Sozialdemokratie, mithin gegen den „Austromarxismus“ gerichteten Kurs, der der Christlichsozialen Partei die Suprematie im Staate sichern sollte. Flankiert von den sich am italienischen Faschismus anlehnenden Heimwehrbewegungen,165nahezu monatlichen Putschgerüchten, und der sich mit Unterstützung vom Generaldirektor der Alpine Montangesellschaft, Anton Apold, bildenden unabhängigen („gelben“) Gewerkschaften* sowie im Einklang mit den vehement einem „Abbau sozialer Lasten“ fordernden Handelskammern und Industriellen versuchten die von Vertretern der christlichsozialen Partei und den (deutsch-)nationalen Parteien (Landbund und Großdeutsche Volkspartei) in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung gebildeten Regierungen* mittels gesetzlicher Regelungen die „Hochburgen“ sozialdemokratischen Einflusses zu erschüttern. So sollten durch Änderungen im Versammlungsrecht, im kollektiven Arbeitsrecht sowie durch gesetzliche Eingriffe in das Arbeitsvertragsrecht der Bediensteten die von sozialdemokratischen bzw freigewerkschaftlichen Funktionären besetzten Institutionen und Organisationen politisch marginalisiert werden:* Nach dem Bundesverfassungsgesetz 1929 sollte der Bundesrat aus einem Länderrat und einem „Ständerat“ bestehen.* Das sogenannte „Anti-Terrorgesetz“ stellte einen Angriff auf die Kollektivverträge dar und sollte die Stellung der freigewerkschaftlichen Betriebsratskörperschaften schwächen.*) Durch eine Bundesbahngesetznovelle sollte die Mitbestimmung der überwiegend von den Freien Gewerkschaften besetzten Personalvertretung der Bundesbahn radikal eingeschränkt werden.* Im „Budgetsanierungsgesetz“ 1931 waren, abgesehen von einschneidenden Kürzungen der Beamtengehälter, auch Eingriffe in das Kollektivvertragsrecht und das individuelle Arbeitsrecht der Kammerbediensteten vorgesehen.* Viele dieser vorgesehenen Gesetzesnormen konnten durch intensive parlamentarische Verhandlungen von der SDAP – nicht zuletzt durch instruktive, oft mit allen Gewerkschaftsfraktionen einvernehmlich beschlossenen „Gutachten“ der AK – abgeschwächt und zum Teil verhindert werden.
Im Frühjahr 1929 wurde den Arbeiterkammern bekannt, dass im BMfSV an einer Novellierung des AKG gearbeitet wurde. Nachdem es in den vergangenen Jahren in Fragen der Kammerzugehörigkeit immer wieder zu Unklarheiten kam, begrüßte die Kammerleitung eine entsprechende Klärung der Rechtslage, behielt sich allerdings eine Stellungnahme zu den übrigen Vorschlägen des Ministeriums vor.* Und diese hatten es in sich: Es ging um eine empfindliche Einschränkung des Geltungs- und Wirkungskreises der AK und um Änderungen im Wahlrecht. Für letztere hatte die Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften, BM Josef Resch, im Juli 1929 Vorschläge unterbreitet. Diese Forderungen beinhalteten ua die Erstellung von Wählerverzeichnissen durch die Krankenkassen, die Ausfolgung der Wählerlisten an die Berufungsinstanzen bei den Hauptwahlkommissionen, Vorschläge zur Möglichkeit einer Wahlanfechtung, Wahlkommissionen bei einer Wählerzahl von 20, Wegfall von Wohnsitzstimmen und die Möglichkeit von Listenkoppelung.* In weiterer Folge kam es zu Verhandlungen zwischen VertreterInnen aller Gewerkschaften mit BeamtInnen des BMfSV, wobei es aber vor allem um die Neufassung der AKWO ging. Im Sommer 1930 überraschte das BMfSV die Gewerkschaften und die gesetzlichen Interessenvertretungen jedoch mit dem Begutachtungsentwurf einer AKG-Novelle und einer neugefassten AKWO offenbar mit der Absicht, die kommenden AK-Wahlen 1931 bereits mit den neuen Normen durchführen zu können: AK-Präsident Karl Weigl sah darin „das Bestreben des Ministeriums, den Geltungsbereich und den Wirkungskreis der Kammern empfindlich einzuschränken und zwar in solchem Maße, dass folglich von einer Beseitigung wichtiger Rechtsgüter der Arbeiter und Angestellten gesprochen werden kann“.*
In wenigen Punkten zusammengefasst, besagte die AKG-Novelle Folgendes:
Ausschluss zahlreicher AN-Gruppen aus der AK-Zugehörigkeit (vom zahntechnischen Hilfspersonal über die Bediensteten aller Anstalts-, Heil- und Pflegeanstalten, Fonds und Vereine bis hin zu jenen der Bundestheater; Ausschluss aller pragmatisierten oder in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis stehenden Angestellten des Bundes, mithin auch der bisher kammerzugehörigen pragmatisierten Postbediensteten).
Einschränkungen des Begutachtungsrechts von Bundesgesetzen und insb von Landesgesetzen.
Zusammenlegung der beiden bestehenden Sektionen der Angestellten und ArbeiterInnen im Verkehrsbereich zu einer Sektion.
Einschränkung der Rechte des Präsidenten.
Die AKWO sah eine Verkomplizierung der Wählererfassung durch AG und Krankenkassen und die Einführung einer neuen wahlbehördlichen Mittelinstanz und Beseitigung der Wohnsitzstimmen vor.166
Waren für die Arbeiterkammern und die freien Gewerkschaften die Entwürfe zum AKG und zur AKWO gänzlich inakzeptabel, so wurden sie auch von den christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften entschieden abgelehnt. Die christlichen Gewerkschaften* verlangen etwa eine Erweiterung der Kammerzugehörigkeit auf die Angestellten von Lagerhäusern und Genossenschaften, auf das Hauspersonal und Bediensteten der Unterrichts-, Erziehungs- und Wohlfahrtseinrichtungen. Forderungen, die zum Teil auch von den freien Gewerkschaften vertreten wurden. Desgleichen sollte die Mitbestimmungsmöglichkeit der Minderheiten in der AK bedeutend gestärkt und eine Kandidatur „gelber Gewerkschaften“ hintangehalten werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wandte sich gegen die „beabsichtigte Einschränkung bzw. Beseitigung des Begutachtungsrechtes der Arbeiterkammern hinsichtlich der Landesgesetze und VO der Landesregierungen
“.* Abgesehen von der Zuerkennung des aktiven Wahlrechtes für deutsche Reichsangehörige und der Forderung nach mehr Einfluss in der AK verlange er die gleichzeitige Abhaltung von AK-Wahlen, Personalvertretungswahlen der Verkehrsbetriebe und der Sozialversicherungswahlen in einem sogenannten „sozialen Wahljahr“. Die Industriellen und die Handelskammern sahen in der im ersten Entwurf der AKG-Novellierung vorgenommenen Abgrenzung von ArbeiterInnen und Angestellten ein für die dienstrechtliche Stellung und Qualifikation der AN problematisches Präjudiz und plädierten aus diesem Grund für die Beibehaltung der beiden Sektionen im Verkehrsbereich. Die Handelskammer (HK) beantragte zudem, den AG die Verzeichnispflicht der Wahlberechtigten vollkommen zu erlassen. Darüber hinaus sollte das aktive Wahlrecht auf das 20. Lebensjahr und das passive auf das 30. Lebensjahr hinaufgesetzt werden. Im Übrigen waren sie für die Beibehaltung einer dreijährigen Beschäftigungsdauer für die Erlangung des passiven Wahlrechts. Der Hauptverband der Arbeiterkrankenkassen wehrte sich gegen die Verpflichtung, Listen der AK-Wahlberechtigten zu erstellen, da dies die personelle Kapazität der Krankenkassen übersteigen und für die AK mit erheblichen Kosten verbunden wäre.* Dieser Argumentation schlossen sich auch die Arbeiterkammern an, die befürchteten, durch die dadurch erhöhten Wahlkosten die AN mit einer Erhöhung der AK-Umlage zu belasten und vermuteten: „Vielleicht soll auf diese Weise den Arbeitern und Angestellten der Geschmack an den Kammern verdorben werden.
“*
Davon unbeeinflusst beschloss der Ministerrat die Neufassung des AKG, ohne auf die Kritik der Gewerkschaften und der AK einzugehen. Vielmehr verschärfte er die Fassung des Begutachtungsentwurfes:*
Den EisenbahnerInnen der Bundesbahn sowie der Haupt- und Lokalbahnen wurde die AK-Zugehörigkeit abgesprochen, eine Sektion für Verkehrsbedienstete hatte gänzlich zu entfallen.
Das auf „
Gesetzesentwürfe, die die Interessen der gewerblichen und industriellen Produktion oder des Handels oder Fragen des Arbeitsrechtes, des Arbeiter- und Angestelltenschutzes und der Sozialversicherung der Kammerzugehörigen
“ rigoros beschränkte Begutachtungsrecht auf Bundesebene wurde auf Länderebene „hinsichtlich besonders wichtiger Verordnungen in Angelegenheiten der mittleren Bundesverwaltung
“ reduziert.
Damit wurde jegliche Einflussnahme der AK-Länderkammern auf ihre Landesgesetzgebung gesetzlich untersagt, die AK an Kopf und Gliedern amputiert.
Am 6.3.1931 wurde das AKG als Vorlage der Bundesregierung in den NR eingebracht, der es am 13.3.1931 dem Ausschuss für soziale Verwaltung zur Behandlung zuwies.* Bemerkenswert ist nun, dass am Tag der Einbringung des AKG in den NR der Heimatblock-Abgeordnete, Odilio Neustädter-Stürmer, einen Antrag auf Errichtung von Lehrerkammern und in weiterer Folge Ende März 1931 großdeutsche Abgeordnete Anträge auf eine Fülle von Kammern (Beamten-, Apotheker-, Tierärzte-, Musiker-, Schriftstellerkammer etc) stellten.* In der Folge wurden weder das AKG noch die anderen „Kammer-Errichtungsanträge“ in den zugewiesenen Ausschüssen behandelt. Es darf wohl mit Recht vermutet werden, dass diese ominösen Anträge der Großdeutschen Volkspartei eine Reaktion auf die Ausschaltung der EisenbahnerInnen aus dem Geltungsbereich der AK waren, zumal die Deutsche Verkehrsgewerkschaft heftig dagegen protestierte* und wohl ihre Abgeordneten mobilisierte. Desgleichen haben wohl auch die christlichen Gewerkschaften in ihrem Abgeordnetenclub interveniert und die SozialdemokratInnen möglicherweise Obstruktion angekündigt.*
Vom Präsidium der AK Wien wurden in der Folge Verhandlungen sowohl mit den Gewerkschaftsfraktionen als auch mit dem BMfSV geführt. Ziel war, den „absolut unannehmbaren Entwurf der Kammergesetznovelle, die den Kreis der Kammerzugehörigkeit und den sachlichen Wirkungskreis in ganz unverständlicher Weise einschränken wollte, auszuschalten.
“* Eine Reform sollte sich167nur auf die AKWO beschränken. Nachdem sich jedoch die Verhandlungen hinzogen, somit die Durchführung einer Wahl im Jahre 1931 immer unwahrscheinlicher wurde, formulierten die BeamtInnen des BMfSV einen Antrag auf Verschiebung der AK-Wahl. Dieser sollte jedoch nicht von der Regierung, sondern von Vertretern der Christlichsozialen Partei im NR gestellt werden, was denn auch geschah.* Die Antragsteller begründeten die Verlängerung der Tätigkeitsdauer der AK mit dem bisherigen Nichtzustandekommen einer Novellierung des AKG. Diese sei aber notwendig, da die AK-Wahlen 1926 gezeigt hätten, „dass die Vorschriften des geltenden Arbeiterkammergesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Wahlordnung in mehrfacher Beziehung mangelhaft sind und insbesondere eine zuverlässige Feststellung des Wahlergebnisses nicht gewährleisten
“. Nachdem die Abhaltung von Wahlen mit neuen Rechtsvorschriften im laufenden Jahr nicht mehr möglich sei, plädierte der christlichsoziale Abgeordnete, Franz Spalowsky, für eine Verschiebung der Wahlen um ein Jahr. Versuche der Kammerleitung, die Wahlen auf Grund der alten AKWO doch noch durchzuführen, schlugen fehl. Somit blieb den SozialdemokratInnen im Ausschuss für Soziale Verwaltung nicht anderes übrig, als dem Antrag der Christlichsozialen Partei zuzustimmen. Sie unterstützten die Bemerkung des Bundesministers, der die Abhaltung von „Sozialwahlen“ (Zusammenlegung der Wahlen in die Sozialversicherungsinstitute und der AK) ventilierte, stellten jedoch den Antrag, die AK-Wahlen nicht um ein Jahr, sondern vielmehr um zwei Jahre bis 1.10.1933 zu verschieben. Antragsteller NRAbg und AK-Mitglied (heute „Kammerrat“) Viktor Stein* wollte damit offenbar Zeit gewinnen, um zu verhindern, dass der in Diskussion befindliche Regierungsentwurf zur AKG-Novellierung von den Regierungsparteien rasch im NR beschlossen wird. Sowohl Ausschuss als auch das Plenum des NR beschlossen iSd Antrages Stein einstimmig.*
In der Folge wurden im BMfSV Überlegungen angestellt, wie die Wahlen in die Sozialversicherungsinstitute mit der AK-Wahlen gemeinsam durchgeführt werden könnten. Die AK stellte sich – da sich bald erhebliche Schwierigkeiten zeigten – auf den Standpunkt, die (Ur-)Wahlen in den Sozialversicherungsinstituten in Zukunft ganz entfallen zu lassen und die Besetzung deren Gremien durch die Vollversammlungen der AK (wie etwa bei den LaienrichterInnen) vorzunehmen. Nachdem jedoch bereits 1932 Urwahlen in den Sozialversicherungsinstituten stattzufinden hatten, beschloss der NR auf Antrag der Bundesregierung Ende des Jahres 1931, die Sozialversicherungswahlen bis auf Weiteres auszusetzen und die Funktionsdauer der SozialversicherungsfunktionärInnen zu verlängern.* Damit sollte – wie es in der Begründung hieß – jedoch kein Präjudiz für die „Schaffung eines Sozialjahres
“ geschaffen werden, da dies davon abhänge „welche Gestalt das neue Arbeiterkammergesetz haben wird
“.* Im Laufe des Jahres 1932 kam es zu keiner politischen Einigung über eine Neufassung des AKG und der AKWO. Weder in den Medien noch in den Vollversammlungen der AK Wien wurde über diese Causa berichtet.
Wie gezeigt werden konnte, ging es den bürgerlich-( deutsch-)nationalen Regierungen ab 1927 um eine weitgehende Entmachtung der AK im Rahmen einer generellen Zurückdrängung des sozialdemokratischen Einflusses und mithin der Freien Gewerkschaften sowie der von ihnen dominierten AK. Die den bürgerlich-(deutsch-)nationalen Parteien nahestehenden Gewerkschaften (christliche Gewerkschaften, Deutscher Gewerkschaftsbund für Österreich) versuchten zwar ihre Minderheitenrechte deutlich zu stärken, wandten sich aber gegen eine Ausschaltung der AK, in welcher sie – trotz aller politischen Differenzen – eine für die Interessenvertretung der AN zentrale Institution sahen. Die Verschiebung der AK-Wahlen 1931 auf Oktober 1933 bot jedoch dem nach erfolgter Ausschaltung des NR im März 1933 autoritär regierenden Regime Dollfuss* die Möglichkeit, mit Hilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes (KWEG) nach einer kurzen weiteren Verlängerung der Tätigkeitsdauer der AK bis 31.12.1933,* die Selbstverwaltung der AK Ende des Jahres 1933 zu zerstören,*) somit die Freien Gewerkschaften aus der AK auszuschließen und die AK Verwaltungskommissionen zu unterstellen.168