35Kostenübernahme von Hilfsmitteln in der KV nur für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, die im Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt werden
Kostenübernahme von Hilfsmitteln in der KV nur für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, die im Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt werden
Hilfsmittel sind nur dann von den Gebietskrankenkassen als Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zur Verfügung zu stellen, wenn sie im Anschluss an eine Krankenbehandlung gewährt werden, wobei ein unmittelbarer zeitlicher Konnex zwischen Krankenbehandlung und der Rehabilitationsmaßnahme bestehen muss. Nur in diesen Fällen sind die Kosten von der Gebietskrankenkasse (GKK) zu übernehmen.
Ohne diese Voraussetzung können Hilfsmittel nach § 154 ASVG als „Hilfe bei körperlichen Gebrechen“ gewährt werden. In diesem Fall gebührt nur ein Kostenzuschuss.
§ 154a Abs 1 ASVG verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.
Der Kl erlitt im Jahr 1986 einen Motorradunfall, bei dem er ein Bein verlor. Zuletzt erhielt der Kl vor 15 Jahren eine (nunmehr veraltete) Oberschenkelprothese. Mit dieser ist das Steigen von Stiegen aufwärts nicht möglich, abwärts bringt das Stiegensteigen eine erhebliche Mehrbelastung und große Anstrengung mit sich. Dabei wird insb das bestehende Bein samt Gelenken stark belastet. Darüber hinaus besteht mit der derzeitigen Prothese ein erhebliches Sturzrisiko, das sich bereits mehrmals verwirklicht hat. Aufgrund der körperlichen Mehrbelastung durch die gestreckte Prothese treten beim Kl zudem erhebliche Abnützungserscheinungen auf. Da die Prothese nicht wasserfest ist, kann man damit nicht duschen. Der Kl übt zwei Berufe aus und ist regelmäßig im Ausland tätig.
Dem Kl wurde am 20.10.2015 eine Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk ärztlich verordnet. Durch diese Prothese kann sein bereits vorgeschädigter Körper entlastet, der Bewegungsapparat geschont, das Auftreten (weiterer) gesundheitlicher Schäden hintangehalten und die bestehende (erhöhte) Sturzgefahr verringert werden. Der Kl kann mit dieser Prothese weitere Strecken mit wesentlich weniger Ermüdungserscheinungen zurücklegen und schiefe Ebenen sowie Treppen überwinden. Die Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk erlaubt „entspannteres“ Stehen auf abschüssigem Gelände. Mit ihr wird eine symmetrische Schrittlänge mit natürlichem Gangbild sowie die Möglichkeit der Abwinkelung des Kniegelenks erreicht. Dadurch wird die Stoßbelastung beim Auftreten reduziert. Ein vollflächiger Fußkontakt ist daher möglich und reduziert die Gefahr des Wegrutschens. Die Prothese ist wasserfest. Der Preis für eine derartige Prothese beträgt 82.265,32 €.
Mit Schreiben vom 14.3.2016 teilte die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) der Bekl mit, dass – auch von ihr – die Kosten für die beantragte Prothese mit Genium X3 Kniegelenk nicht übernommen würde. Alternativ (vorbehaltlich einer Ganganalyse) biete sie dem Kl jedoch eine Neuversorgung mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg Kniegelenk an. Auch durch diese Prothese kann der bereits vorgeschädigte Körper des Kl entlastet, der Bewegungsapparat geschont, das Auftreten (weiterer) gesundheitlicher Schäden hintangehalten und die bestehende (erhöhte) Sturzgefahr verringert werden. Der Kl wurde von der Bekl auf diese von der PVA angebotene Möglichkeit hingewiesen, bestand jedoch gegenüber der Bekl auf Ausstellung eines Bescheids.
Mit Bescheid vom 12.7.2016 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Kostenübernahme für eine Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk ab. Eine Versorgung mit einem solchen Hilfsmittel iSd § 154 ASVG stelle – infolge des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs mit der Krankenbehandlung – keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation iSd § 154a ASVG dar. [...]
Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kl die Übernahme der Kosten für die Anschaffung einer Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk in vollem Umfang, hilfsweise im gesetzlichen Umfang durch die Bekl. Die Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk sei ihm ärztlich verordnet worden, sie sei notwendig und zweckmäßig. Die im Gesetz genannte Voraussetzung des zeitlich unmittelbaren Anschlusses an die Heilbehandlung sei verfassungswidrig und unsachlich. Sie würde bedeuten, dass die Bekl für den Kl lediglich die Kosten von Prothesen im technischen Stand von 1986 zu übernehmen hätte, während ein zu einem späteren Zeitpunkt verunfallter Versicherter wesentlich modernere Prothesen erhielte. Die Wortfolge „im Anschluss an die347Krankenbehandlung“ in § 154a Abs 1 ASVG sei lediglich einschränkend als Verbot der gleichzeitigen Gewährung von Krankenbehandlung und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zu verstehen. [...]
Das Erstgericht sprach aus, dass die Bekl schuldig sei, die Kosten für die Anschaffung einer Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk durch den Kl im satzungsgemäßen Umfang zu übernehmen und wies das Mehrbegehren ab [...]. Es fehle am entsprechenden zeitlichen Konnex zwischen Krankenbehandlung und Rehabilitation. Das Begehren des Kl sei daher als Kostenübernahmebegehren iSd § 154 ASVG anzusehen. [...]
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Gegenstand des Berufungsverfahrens sei nur mehr die Frage der Anwendbarkeit des § 154a ASVG. [...] § 154a ASVG intendiere die unmittelbar nach der Krankenbehandlung folgende medizinische Rehabilitation, nicht jedoch eine fortlaufende medizinische Rehabilitation. Es sei insofern von einer „zeitlichen Befristung“ der Rehabilitationsmaßnahmen auszugehen. Eine Ersatzbeschaffung iS einer fortlaufenden Versorgung (§ 154 Abs 2 Z 2 ASVG) liege nicht vor, weil es sich bei der Oberschenkelprothese mit Genium X3 Kniegelenk um eine wesentlich höherwertige Versorgung handle. Für die vom Kl begehrte prothetische Versorgung komme daher nur ein Kostenzuschuss in Betracht.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil die bisher einzige E des OGH zur Notwendigkeit eines zeitlichen Zusammenhangs einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in der Lehre nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kl gegen dieses Urteil erhobene und von der Bekl beantwortete Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
1.1 Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der vorliegende Sachverhalt mit dem zu 10 ObS 168/12x, SSV-NF 27/11, entschiedenen vergleichbar ist. Der OGH hat im damaligen Fall den Anspruch der Kl gem § 154a ASVG vor allem mit dem Argument verneint, dass zwischen der Krankenbehandlung und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation ein entsprechender zeitlicher Konnex bestehen muss (RIS-Justiz RS0128669), an dem es fehle. Der erforderliche zeitliche Konnex liegt auch im nunmehr zu beurteilenden Sachverhalt nicht vor.
1.2 In der E 10 ObS 168/12x heißt es auszugsweise:
„3.1 Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass die Krankenversicherungsträger nach § 154a Abs 1 ASVG, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern, ‚im Anschluss an die Krankenbehandlung‘ nach pflichtgemäßem Ermessen und nach Maßgabe des § 133 Abs 2 ASVG medizinische Maßnahmen der Rehabilitation gewähren, und zwar mit dem Ziel, den Gesundheitszustand der Versicherten und ihrer Angehörigen soweit wiederherzustellen, dass sie in der Lage sind, in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd und ohne Betreuung und Hilfe einzunehmen.3.2 Die medizinische Rehabilitation ist somit im Anschluss an eine Krankenbehandlung zur Sicherung ihres Erfolgs oder zur Folgenerleichterung derart zu gewähren, dass der Versicherte durch Verbesserung seines Gesundheitszustands in die Lage versetzt wird, einen angemessenen Platz in der Gemeinschaft möglichst dauernd und ohne Betreuung und Hilfe einzunehmen. Die zeitliche Aneinanderreihung von Krankenbehandlung und medizinischer Rehabilitation wurde für nötig erachtet, um Leistungsvoraussetzungen zu schaffen und ein Unterlaufen der Vorschriften über den Arzneimittel-Erstattungskodex, Kostenbeteiligungen und kassenfreien Raum im Kurativbereich zu verhindern. Es muss also die Krankenbehandlung abgeschlossen sein, ehe die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation beginnen. Andererseits muss aber zwischen der Krankenbehandlung und der Rehabilitation ein entsprechender zeitlicher Konnex bestehen (vgl Binder in Tomandl, SV-System 21. ErgLfg 264/47 mwN). Die medizinische Rehabilitation schließt optimalerweise an die akutmedizinische Versorgung an und steht mit dieser im ursächlichen zeitlichen Zusammenhang. Die Gewährung von ärztlicher Hilfe, Heilmittel, Heilbehelf als Rehabilitationsmaßnahme kommt daher nur im unmittelbaren Anschluss an eine Krankenbehandlung in Betracht (vgl in diesem Sinne auch die Bestimmung des § 154a Abs 2 Z 3 ASVG; Kindermann, Kann die medizinische Rehabilitation eine Pflichtleistung der Krankenversicherung werden? SozSi 1992, 547 f).“
2.1 Die E 10 ObS 168/12x fand in der Literatur weit überwiegend – wenn auch teilweise nicht näher begründete – Zustimmung (ausführlich Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRdA 2015, 476 [487]; Felten in Tomandl, SV-System [29. ErgLfg] 2.2.3.5, 245; Windisch-Graetz in SV-Komm [156. Lfg] § 154 Rz 11; Schober in Sonntag, ASVG8 § 154a Rz 1; Poperl, ASVG 2. Teil [54. Lfg], §§ 154 bis 155 Rz 15). Kritik an dieser E übte lediglich Weißensteiner (C-Leg-Kniegelenksprothese als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation? DRdA 2013/52, 517 [519 ff]); damit hat sich bereits das Berufungsgericht auseinandergesetzt.
2.2Weißensteiner greift die Gedanken der auch in der E 10 ObS 168/12x zitierten Autoren Binder und Kindermann (siehe oben) auf, dass neben der gesetzlichen Konzeption eine gesundheitspolitische Sicht bereits ein begleitendes Einsetzen der Rehabilitation fordere. § 154a ASVG sei daher „nicht zu eng“ zu deuten. Die Wortfolge in § 154a Abs 1 ASVG „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ dürfe daher nicht als „unmittelbarer“ Anschluss an die Krankenbehandlung interpretiert werden. Dies würde Versicherte von medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen aus der Krankenversicherung ausschließen, die noch länger berufstätig sein wollten und könnten.
2.3 Der OGH sieht sich durch diese Kritik nicht veranlasst, von den in der E 10 ObS 168/12x348dargelegten Grundsätzen abzugehen. Schon nach dem Wortlaut des § 154a Abs 1 ASVG sind medizinische Maßnahmen der Rehabilitation ausdrücklich „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ vorgesehen (Burger/Ivansits, Medizinische und berufliche Rehabilitation in der Sozialversicherung, DRdA 2013, 106 [111]). Die durch § 154a Abs 1 ASVG normierte zeitliche Nachordnung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation zur Krankenbehandlung kommt auch in § 116 ASVG zum Ausdruck, wo nach der Krankenbehandlung (§ 116 Abs 1 Z 2 ASVG) medizinische Maßnahmen der Rehabilitation als – weitere – Aufgabe der KV seit der mit der 50. Novelle zum ASVG, BGBl 1991/676, neu geschaffenen Z 4 in § 116 Abs 1 ASVG genannt werden (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 26 f).
2.4 Dass ein entsprechender zeitlicher Konnex zwischen der Krankenbehandlung und den medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV erforderlich ist, ergibt sich auch daraus, dass es sich bei beidem gem § 116 ASVG um eine Aufgabe der KV handelt. Aus dem ausdrücklichen Verweis in § 154a Abs 1 ASVG auf § 133 Abs 2 ASVG ergibt sich, dass medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV ebenso wie die Krankenbehandlung zwar ausreichend und zweckmäßig sein müssen, jedoch das Maß des Notwendigen nicht übersteigen dürfen. Nur im Rahmen einer im zeitlichen Zusammenhang mit der Krankenbehandlung stehenden medizinischen Rehabilitation aus der KV ist der Krankenversicherungsträger in der Lage, die ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben in der KV zur Erreichung der dargestellten Ziele zu erreichen und die Folgen der Krankheit möglichst vollständig zu beseitigen.
2.5 Auch nach dem historisch gewachsenen Verständnis, das in Österreich explizit im Rehabilitationsbegriff der KV in § 154a ASVG zum Ausdruck kommt, schließt Rehabilitation im ursächlichen und zeitlichen Zusammenhang an die sogenannte „Akutversorgung“ an (Bergauer in SV-Komm [189. Lfg] § 302 ASVG Rz 3). Dies zeigt sich auch in der unterschiedlichen Funktion, die die Krankenbehandlung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der KV unterscheidet (vgl näher Felten in Tomandl, SV-System 244; Felten/Mosler, DRdA 2015, 487 f; Burger/Ivansits, DRdA 2013, 111): Ziel der Krankenbehandlung ist es (nach § 133 Abs 2 ASVG), die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern (10 ObS 160/06m, SSV-NF 21/12). Aufgabe der medizinischen Rehabilitation in der KV ist hingegen die Wiederherstellung des Gesundheitszustands der Versicherten bzw ihrer Angehörigen in einem solchen Maß, dass sie in die Lage versetzt werden, den ihnen angemessenen Platz in der Gemeinschaft möglichst dauernd und ohne Betreuung und Hilfe einzunehmen (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 27).
2.6Weißensteiner weist selbst darauf hin, dass die bereits vor der 50. ASVG-Novelle bestehende Zuständigkeit der Pensionsversicherungsträger für Rehabilitationsmaßnahmen (§§ 300 ff ASVG) durch die Einführung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der KV unberührt blieben (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 28). Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in der PV werden gem § 302 Abs 2 Satz 1 ASVG gewährt, wenn und soweit sie nicht aus einer gesetzlichen KV gewährt werden. Anders als § 154a Abs 1 ASVG verlangt § 300 Abs 1 ASVG auch nach den Änderungen dieser Bestimmung mit dem BBG 2011, BGBl I 2010/111, kein direktes Anschließen von Rehabilitationsmaßnahmen an eine Krankenbehandlung (Bergauer in SV-Komm [189. Lfg] § 302 ASVG Rz 13).
2.7 Auch im vorliegenden Fall hat die PVA eine Versorgung des Kl mit einer C-Leg-Prothese, die ebenfalls zur Besserung dessen Gesamtsituation geeignet ist, als Rehabilitationsmaßnahme angeboten. Das von Weißensteiner ins Treffen geführte Argument, es bestehe ein Rechtsschutzdefizit, weil die Pensionsversicherungsträger über Anträge auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nicht mit Bescheid zu entscheiden haben (10 ObS 78/16t mwH), ist durchaus beachtlich. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Gerichte, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, sondern der Gesetzgebung (RIS-Justiz RS0008880).
2.8 Zu Unrecht beruft sich Weißensteiner für ihren Standpunkt auf die E 10 ObS 7/05k, SSV-NF 19/34. Die Versorgung des damaligen Kl mit einer C-Leg-Kniegelenksprothese erfolgte bereits 14 Tage nach der Operation, sodass kein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. Die Rechtsansicht der damals entscheidenden Vorinstanzen, dass dieser Anspruch des Kl zu Recht bestehe, wurde in der Revision nicht in Frage gestellt (es ging nur um die Frage der Rechtswegszulässigkeit), sodass sie vom OGH nicht zu prüfen war.
2.9 Auf die im Einzelnen schwierig zu beantwortende Frage, ab wann eine Krankenbehandlung beendet ist und eine Rehabilitationsmaßnahme beginnt (vgl wiederum Felten/Mosler, DRdA 2015, 487 f; Bergauer in SV-Komm § 302 ASVG Rz 3, 12; Burger/Ivansits, DRdA 2013, 111; unterscheidend nach dem Vorliegen von Krankheit oder Gebrechen, Windisch-Graetz, Das neue Pensionsrecht zum 1.1.2014 – Auswirkungen auf das Dienstverhältnis, ZAS 2014/17, 99 [100] mH auf 10 ObS 70/11h, SSV-NF 25/86), braucht im vorliegenden Fall nicht näher eingegangen werden, weil zwischen den Parteien nicht strittig ist, dass die Krankenbehandlung des Kl nach seinem 1986 erlittenen Unfall abgeschlossen ist. [...]
3.1 Der Revisionswerber argumentiert, dass die Regelung des § 154a Abs 1 ASVG gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstoße. Ihm seien bei Annahme eines zeitlich unmittelbaren Konnexes zwischen Krankenbehandlung und Rehabilitationsmaßnahmen nur Kosten für Prothesen „am medizinischen Stand von 1986“ zu ersetzen, während Versicherte, die einen Unfall „nunmehr“ erleiden, wesentlich modernere und teurere Prothesen erhalten würden.
3.2 Eine Regelung ist nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn ihr Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird (RIS-Justiz RS0053882). Dem Gesetzgeber steht verfassungs-349rechtlich insoweit ein Gestaltungsspielraum zu, als er in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist. Gerade im Sozialversicherungsrecht ist eine durchschnittliche Betrachtungsweise erforderlich, die auf den Regelfall abstellt und damit Härten in Einzelfällen nicht ausschließen kann (RIS-Justiz RS0053889).
3.3 Vor diesem Hintergrund ist die vom Revisionswerber vermeinte Verfassungswidrigkeit des § 154a Abs 1 ASVG nicht ersichtlich. Alle von dieser Norm erfassten Versicherten werden schon deshalb gleichbehandelt, weil ihnen medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV immer nur im (unmittelbaren) Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt werden. Darüber hinaus steht – wie ausgeführt – allen Versicherten iSd § 300 ASVG (vgl zum weiten Begriff der Versicherten nach dieser Bestimmung Bergauer in SV-Komm [189. Lfg] § 300 ASVG Rz 3, 4) die Möglichkeit offen, medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aus der PV (§ 302 ASVG) in Anspruch zu nehmen.
4. Nach den Feststellungen stellt die vom Revisionswerber begehrte Prothese eine wesentlich höherwertige Versorgung dar, als er sie bis jetzt erhalten hat. Dem darauf beruhenden Argument des Berufungsgerichts, dass schon deshalb keine bloße „Ersatzbeschaffung“ iSd § 154a Abs 2 Z 2 ASVG vorliege, tritt der Kl in seiner Revision lediglich mit der Behauptung des Gegenteils entgegen, womit er jedoch keine Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts aufzeigt.
5. Da im vorliegenden Fall der gem § 154a Abs 1 ASVG erforderliche zeitliche Konnex zwischen Krankenbehandlung und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV fehlt, war die Bekl nicht verpflichtet, ein Rehabilitationsverfahren bezüglich des Kl einzuleiten. Mangels gesetzlicher Grundlage kann sich eine solche Verpflichtung auch nicht aus (zwingenden) Richtlinien des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger ergeben. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Der Kl verlor durch einen im Jahr 1986 erlittenen Motorradunfall (Freizeitunfall) ein Bein. Damals und zuletzt vor 15 Jahren erhielt er von der Gebietskrankenkasse (GKK) eine Oberschenkelprothese, die aber heute nicht mehr dem medizinischen Stand entspricht und zu gesundheitlicher Schäden geführt hat, die eine moderne Prothese verhindern hätte können. Ihm wurde daher ärztlich ein hochwertiges Genium X3-Kniegelenk verordnet, das ihm jedoch weder von der PVA noch von der GKK als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation gewährt wurde; beide Versicherungsträger boten ihm ein C-Leg-Kniegelenk an, das – so die Begründung – die Nachteile der alten Prothese gleichermaßen ausgleichen könne, aber deutlich kostengünstiger sei.
Im vom Kl beantragten Bescheid lehnte die GKK die Leistung als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation iSd § 154a ASVG ab und ordnet sie der Hilfe bei körperlichen Gebrechen nach § 154 ASVG zu, allerdings mit der Folge, dass nicht die vollen Kosten der Prothese ersetzt werden (rund € 82.000,–) und der Kl nur einen Kostenzuschuss von € 3.100,– (satzungsgemäß das 20-fache der Höchstbeitragsgrundlage im Jahr 2015) erhält. Gegen den Bescheid wurde Klage beim Arbeits- und Sozialgericht (ASG) erhoben, das – wie in weiterer Folge auch das OLG und der OGH – die Anwendbarkeit des § 154 mit der Begründung verneinte, dass der in § 154a Abs 1 ASVG normierte zeitliche Konnex zwischen der Krankenbehandlung und den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation (nach nunmehr 30 Jahren) nicht mehr vorliegen würde.
In der Frage, ob die in der Klage begehrte Leistung als Hilfsmittel iSd § 154a ASVG mit voller Kostenübernahme durch die KV zu gebühren hat, sind mehrere rechtliche Aspekte zu berücksichtigen, auf die näher eingegangen werden soll.
Ein Nebenaspekt betrifft die Frage, ob die GKK einen Bescheid erlassen musste, obwohl es sich bei Leistungen nach § 154a ausdrücklich um keine Pflichtleistungen, sondern um Pflichtaufgaben handelt. Sie ist vor allem im Hinblick darauf, dass die medizinische Rehabilitation sowohl in der KV als auch in der PV eine Pflichtaufgabe ist, virulent geworden, weil die Rsp bezüglich der Rechtswegzulässigkeit in den beiden Versicherungszweigen unterschiedliche Maßstäbe angelegt hat. Obwohl mittlerweile verfahrensrechtlich ausjudiziert, ist das Problem aus rechtspolitischer Sicht nach wie vor nicht befriedigend gelöst. Darauf weist zu Recht Weißensteiner (C-Leg-Kniegelenksprothese als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation? DRdA 2013/52, 517 [519 ff]) hin, die in der divergenten Behandlung von Hilfsmitteln der medizinischen Rehabilitation in der KV und PV ein Rechtsschutzdefizit ortet; auch Panhölzl (Weiterhin keine Bescheidpflicht bei pflichtgemäßem Ermessen in der PV, DRdA 2016, 349 f) macht auf diesen Widerspruch aufmerksam.
Die Rsp beruft sich auf den Wortlaut des § 367 Abs 1 ASVG („Leistungen der Krankenversicherung“), der für die KV keinen Unterschied zwischen freiwilligen Leistungen und Pflichtleistungen macht, und lässt auf Leistungen nach § 154a ASVG, obwohl kein individueller Rechtsanspruch besteht, die Überprüfung der gesetzmäßigen Ermessensausübung vor Gericht zu (siehe OGH 9.2.2010, 10 ObS 68/09m; OGH 19.1.2016, 10 ObS 119/15w). Bei medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der PV (§ 301 Abs 1 ASVG) hingegen besteht eine Bescheidpflicht nach § 367 Abs 1 ASVG ausdrücklich350nur für medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in den Fällen des §§ 253f und 270b ASVG, also bei bescheidmäßig festgestellter vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit. So positiv dieses Ergebnis für Krankenversicherte auch ist, ist unerfindlich, warum das „pflichtgemäße Ermessen“, das der Gesetzgeber ausdrücklich in den §§ 301 Abs 1 und 154a Abs 1 ASVG verlangt hat und an sich bestens geeignet wäre, die sich aus den beiden Bestimmungen ergebenden Leistungen gegenüber freiwilligen Leistungen durch die bescheidförmige Erledigung nach einer gerichtlichen Prüfung der Ermessensausübung zu privilegieren, bisher keine Auslegungsrelevanz erlangt hat. Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber diese unsachliche Differenzierung bis heute (in § 301 Abs 1 ASVG) nicht saniert, obwohl das Erfordernis der verfahrensmäßigen Nachprüfung des Ermessens in der PV sicher nicht geringer ist als in der KV.
Der OGH weist in der E auf die Möglichkeit des Kl hin, sein Begehren nicht auf § 154a (medizinische Rehabilitation in der KV), sondern auf § 302 (medizinische Rehabilitation in der PV) zu stützen. § 302 ASVG sieht im Unterschied zu § 154a ASVG von einer medizinischen Rehabilitation „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ ab. Wendet sich der Kl aber nach der Absage der Kostenübernahme durch den Krankenversicherungsträger an die PVA (§ 302 Abs 2 ASVG), muss diese im Ablehnungsfall keinen Bescheid erlassen, anhand dessen im gerichtlichen Verfahren eine Ermessensprüfung stattfinden müsste.
Die PVA hält das Genium X3-Kniegelenk für entbehrlich, zumal auch mit dem kostengünstigeren C-Leg-Kniegelenk das Auslangen gefunden werden könne. Hätte sich die GKK unter Berufung auf das „Ökonomiegebot“ des § 133 Abs 2 ASVG im Bescheid und vor Gericht auf dieses Argument konzentriert, wäre das Verfahren möglicherweise negativ für die Kasse ausgegangen. Anscheinend rechnete die GKK fest damit, dass die Gerichte in Anbetracht der Vorjudikatur die Anschlussfähigkeit der in Frage stehenden Maßnahme der medizinischen Rehabilitation an die Krankenbehandlung verneinen würden, womit die Rechtsfrage endgültig und auch für künftige Fälle geklärt werden könnte. Diese Rechnung ist aufgegangen.
In der Klage wird zwar behauptet, dass das Hilfsmittel notwendig und zweckmäßig ist. Das Berufungsgericht erklärt indes nur mehr die Frage der Anwendbarkeit des § 154a Abs 1 ASVG zum Gegenstand des Verfahrens, schließlich hält auch der OGH das Genium X3-Gelenk für eine „wesentlich höherwertige Versorgung“ als das C-Leg (siehe Pkt 4. der E). In diese Richtung äußerte sich übrigens auch das BVerwG (29.10.2014, W 166 2002867-1), das in einer das HVG (Heeresversorgungsgesetz) betreffenden Rechtssache von einer „massiven Verbesserung“ (wasserfest, computergesteuert etc) spricht. Nach § 15 Abs 2 HVG ist die orthopädische Versorgung nach Maßgabe des § 32 KOVG (Kriegsopferversorgungsgesetz) bzw der auf dieser Grundlage ergangenen VO zu vollziehen, die bestimmt, dass die orthopädische Versorgung „in einer der jeweiligen technischwissenschaftlichen Entwicklung“ angepassten Ausführung beizustellen ist. Rechtspolitisch gesehen sollte dieser Gedanke auch in der SV übernommen werden. Die Aussagen in Pkt 2.4. der E, wonach eine zuverlässige Prüfung nach § 133 Abs 2 ASVG „nur im Rahmen einer im zeitlichen Zusammenhang mit der Krankenbehandlung stehenden medizinischen Rehabilitation“ möglich sein soll, können nicht überzeugen. Warum dies im vorliegenden Fall nicht möglich sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
Die vorliegende E hat beträchtliche sozialpolitische Brisanz. Immerhin wird – definitiv – die Kostenübernahme von Hilfsmitteln der medizinischen Rehabilitation, die nicht im Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt werden, in einen Kostenzuschuss im Ausmaß von weniger als 4 % des Gerätepreises umgewandelt. Dem OGH wären aber durchaus auch Spielräume für eine weniger strenge Gesetzesauslegung zur Verfügung gestanden.
Um diese Möglichkeiten aufzuzeigen, soll noch vor den für die E wesentlichen juristischen Erwägungen ihre politische Dimension beleuchtet werden. Sozialpolitisch gesehen sollten in einem solidarischen, vom Bedarfsprinzip beherrschten und medizinisch-technisch hochentwickelten Gesundheitssystem (wie jenem in Österreich) den Versicherten alle Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Wiederherstellung des Gesundheitszustandes notwendig sind. Das gilt nicht nur für die Erstversorgung mit Hilfsmitteln, sondern gerade auch dann, wenn anstelle von in der Vergangenheit zuerkannten Prothesen leistungsfähigere Geräte entwickelt werden.
Diese Thesen dürften auf breite Zustimmung stoßen. Dennoch weicht die E davon ab. Der OGH hat sich für einen anderen Weg entschieden. Nach § 154a ASVG müssen Hilfsmittel, um als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation anerkannt zu werden, im Anschluss an eine Krankenbehandlung gewährt werden. Der OGH interpretiert diese Bestimmung wörtlich dahingehend, dass ein entsprechender zeitlicher Konnex zwischen Krankenbehandlung und der Maßnahme der Rehabilitation vorliegen muss. Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nicht nur deshalb abgelehnt werden darf, weil es für diese Zwecke ungeeignet oder ineffizient ist, sondern auch dann, wenn es an einem zeitlichen Konnex zur Krankenbehandlung fehlt. Der OGH begründet diese Ansicht mit dem Unterlaufen von Vorschriften des Erstattungskodex (EKO), Kostenbeteiligungen etc (siehe OGH 26.2.2013, 10 ObS 168/12x). Wenngleich „optimalerweise“ die medizinische Rehabilitation an die akutmedizinische Versorgung anschließt und mit ihr in einem ursächlichen zeitlichen Zusammenhang steht,351räumt der OGH unter Beachtung zeitgemäßer rehabilitationsmedizinischer Anforderungen ein, dass medizinische Rehabilitation oft nicht unmittelbar nach einer Krankenbehandlung, sondern mitunter später (siehe auch OGH10 ObS 7/05k SSV-NF 19734, wo die Versorgung 14 Tage nach einer OP einsetzte) oder auch früher, vielfach sogar zugleich mit der Krankenbehandlung indiziert ist. Je länger die Krankenbehandlung abgeschlossen ist, desto weniger liegt der vom Gesetz geforderte zeitliche Konnex vor; „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ kann folglich nach Ansicht des OGH nur kurze Zeiträume, keinesfalls aber Zeiträume von 15 oder 30 Jahren erfassen. Wie kurz sie sein müssen, um noch unter „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ zu fallen, ist auch nach dieser E offen.
Vorauszuschicken ist, dass es in der vorliegenden Rechtssache nicht um die Abgrenzung der medizinischen Rehabilitation von der Krankenbehandlung geht (dazu siehe OGH 18.2.2003, 10 ObS 258/02t), vielmehr steht völlig außer Streit, dass die Krankenbehandlung schon längst (nämlich bereits vor 30 Jahren) abgeschlossen wurde. Damals wurde im Anschluss an die Krankenbehandlung ein Hilfsmittel für Zwecke der medizinischen Rehabilitation gewährt. Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil es sich nicht um die Neuzuerkennung einer Leistung, sondern um die Verbesserung eines ohnehin „rechtzeitig“ gewährten Hilfsmittels handelt. Diese beiden Sachverhalte sollen im Folgenden unterschieden werden.
Im Ergebnis wertet die E ein höherwertiges, ursprünglich als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation qualifiziertes Hilfsmittel als Hilfe bei körperlichen Gebrechen ab, sodass statt der Kostenübernahme nur ein geringer Kostenzuschuss zu gewähren ist. Dieses Ergebnis ist aber weder sozialpolitisch konsequent noch rechtlich zwingend geboten: § 154a ASVG schließt keineswegs aus, dass der zeitliche Konnex auch ein längerer, in Einzelfällen sogar ein sehr langer sein kann, wenn das Hilfsmittel der medizinischen Rehabilitation im Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt wurde und Versicherte weiterhin – in verbesserter Ausführung – darauf angewiesen sind. Da das damals im Rahmen der medizinischen Rehabilitation gewährte Hilfsmittel durch ein höherwertiges ersetzt wird, kann es sich um keine Ersatzbeschaffung (bei Verlust oder Untauglichkeit des Hilfsmittels) handeln.
Für diese Ansicht liefert § 154a Abs 1 ASVG in den Zielbestimmungen für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wesentliche Anhaltspunkte für eine systematische Interpretation. Nach diesen Bestimmungen sind Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zu gewähren, um „den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern und die Folgen der Krankheit zu erleichtern“. Würde man nur auf ein kurzfristiges Ziel, also unmittelbar auf den Moment „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ abstellen, könnten spätere Fortschritte in der Prothetik nicht berücksichtigt werden, weil das ohnehin immer zum Verlust der Kostenübernahme durch die Krankenkasse führen würde. Daher verfolgt diese Regelung nicht nur ein kurzfristiges Ziel, sondern zielt auf Nachhaltigkeit ab, dh auf langfristige Erfolgssicherung und Folgenerleichterung, die durch ein leistungsfähigeres Produkt besser gewährleistet werden können als durch alte Methoden. Mit anderen Worten: Solange das Hilfsmittel dem bisherigen Versorgungszweck dient, werden weiterhin die Kosten der medizinischen Rehabilitation übernommen. Betrachtet man die in der E angeführten Nachteile der alten Prothese und die mit einer neuen verbundenen Vorteile für den Gesundheitszustand des Kl, wird ersichtlich, dass medizinische Rehabilitation nicht nur eine vor 15 oder 30 Jahren mit den damaligen Mitteln zuerkannte Prothese, die damals dieser Zielbestimmung entsprach, umfasst, sondern auch später entwickelte Prothesen einbeziehen muss.
Wenn nun das Gesetz fordert, dass eine Maßnahme, um als Hilfsmittel iSd § 154a ASVG anerkannt zu werden, nur „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ zu gewähren ist, kann diese Bestimmung nicht so verstanden werden, dass sie die gesetzlichen Zielbestimmungen für eine nachhaltige Erfolgssicherung einer bereits abgeschlossenen Krankenbehandlung außer Kraft setzt. Das wäre ohne Zweifel der Fall, wenn medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation zeitliche Grenzen gesetzt würden und sie gleichsam bis zum nächsten Innovationsschub befristet zuerkannt werden, danach aber aus formalen Gründen als rehabilitative Maßnahmen ausscheiden, obwohl sie unverändert den gleichen Zwecken dienen. Gerade das wollten die Bestimmungen verhindern. Sinnvollerweise sollten daher jedenfalls Hilfsmittel immer dann der medizinischen Rehabilitation zugeschrieben werden, wenn sie ursprünglich im Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt wurden und es sich dabei um spätere Verbesserungen (in der prothetischen Versorgung) handelt. Damit wäre zumindest für die Fälle einer „fortlaufenden medizinischen Rehabilitation“ den gesetzlichen Anforderungen entsprochen. Eine solche Auslegung würde nicht nur mit den Zielbestimmungen des § 154a Abs 1 ASVG („nachhaltige Erfolgssicherung“) im Einklang stehen, sondern auch dem Gerechtigkeitsargument, warum jemand, der vor 30 Jahren einen Motorradunfall erlitten hat, im Vergleich zu Versicherten, denen das erst vor kurzem passiert ist, benachteiligt werden soll, beipflichten.
Daraus folgt, dass „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ teleologisch reduziert nur auf Fälle der Erstversorgung und nicht mehr auf eine verbesserte Nachversorgung anzuwenden ist. Lehnt man jedoch diesen Passus generell ab, weil er stets ein finanzielles Hindernis für die Inanspruchnahme von Hilfsmitteln darstellt, wäre es nur zu konsequent, diese Bestimmung zu streichen, denn es sind vor allem behinderte und zumeist auch einkommensschwache Personen betroffen, die durch den geringen Kostenzuschuss vom medizinisch-technischen Fortschritt ausgeschlossen werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang noch der Blick auf die Praxis der Versicherungsträger. Schon vor 15 Jahren hat der Kl 15 Jahre nach seinem Unfall eine neue Oberschenkelprothese erhalten, damals allerdings anstandslos und ohne Prüfung,352ob das Hilfsmittel „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ gewährt wurde. Vergleicht man das Ergebnis der E mit dieser Praxis, kann darin ein „Paradigmenwechsel“ zu Lasten der Versicherten gesehen werden.
Nach wie vor ist in der unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Behandlung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation in der KV und PV ein vom Gesetzgeber noch nicht behobenes Rechtsschutzdefizit zu sehen. Die Überprüfbarkeit der Ermessensausübung vor dem ASG ist derzeit nur für Leistungen aus der KV zulässig.
Die vom OGH vorgenommene Auslegung von „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ führt insb dann, wenn das Hilfsmittel ursprünglich gleich nach der Krankenbehandlung in Anspruch genommen wurde, zu unsachlichen und legalistischen Ergebnissen. Mit Berufung auf die Zielbestimmungen des § 154a ASVG, auf rechtspolitische Überlegungen und auf den „gesunden Menschenverstand“ sollte die wörtliche Auslegung der Gesetzesbestimmung überdacht und durch eine systematische Auslegung ersetzt werden. Auf dieser Grundlage sind im Rahmen der medizinischen Rehabilitation lebenszeitlich alle Prothesen zu gewähren und deren Kosten zu übernehmen, sofern sie nur früher „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ gewährt wurden, für den Leistungswerber aus rehabilitativen Gründen weiterhin erforderlich und verbesserte Versionen veralteter und leistungsschwächerer Prothesen sind.
In Anbetracht der strengen Rsp sollte auch eine grundlegende Revision der Rechtsgrundlagen erwogen werden. Es ist „Zwei-Klassen-Medizin“, wenn sich in der KV versicherte Personen für sich und für Angehörige keine zeitgemäße prothetische Versorgung leisten können. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber gefordert, das für behinderte Menschen besonders notwendige Bedarfsprinzip zu beachten. Die Kostentragung bei Hilfsmitteln sollte daher nach finalen Gesichtspunkten – unabhängig davon, ob es sich um medizinische Rehabilitation oder Hilfe bei körperlichen Gebrechen handelt und welcher Versicherungsträger zuständig ist – ausgestaltet werden.