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„Punkteschema“ bei Zulassung von drittstaatsangehörigen Fachkräften mit Rot-Weiß-Rot-Karte aufgrund Unsachlichkeit verfassungswidrig

JOHANNESPEYRL (WIEN)
  1. Dem Gesetzgeber kommt ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, welche Personen zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen sind. Dieser Gestaltungsspielraum umfasst auch die Festlegung von Altersgrenzen.

  2. Eine Differenzierung nach dem Lebensalter wäre zusammengefasst nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn zwischen dem Lebensalter und der Ausbildung in Bezug auf die Arbeitsmarktsituation in Mangelberufen Unterschiede im Tatsächlichen bestehen würden.

  3. Die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, Personen nur bis zu einem bestimmten Alter zur Rot-Weiß-Rot-Karte zuzulassen, wurde nicht in einer dem Gleichheitssatz des RassDiskrBVG entsprechenden Weise verwirklicht.

I. Anlassverfahren und Antrag

[...]

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine (im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts) 46-jährige chinesische Staatsangehörige, absolvierte in ihrem Herkunftsstaat eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, die in Österreich mit Bescheid der Stadt Wien vom 19.2.2013 nostrifiziert wurde. [...]

1.2. Mit Schriftsatz vom 13.10.2014 beantragte die Beschwerdeführerin bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) zuständigen Behörde, dass ihr gem § 12a AuslBG eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ für eine Fachkraft im Unternehmen der Caritas der Erzdiözese Wien ausgestellt werde. [...] Mit Bescheid vom 12.2.2015 wies das Arbeitsmarktservice (AMS) den Antrag ab. [...]

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und brachte vor, dass die vom AMS vorgenommene Punkteberechnung unrichtig sei. Das AMS wies die Beschwerde mittels Beschwerdevorentscheidung vom 12.2.2015 ab. Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses führte ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch und wies die Beschwerde in einem gem § 20f AuslBG gebildeten Senat mit Erk vom 5.8.2015 als unbegründet ab:

1.3.1. Die Beschwerdeführerin verfüge mit ihrer Ausbildung weder über eine Universitätsreife noch habe sie ein Universitätsstudium an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer absolviert. Aus diesem Grund könnten in der Kategorie „Qualifikation“ nur 20 Punkte vergeben werden. Gemeinsam mit 10 Punkten für die einschlägige Beschäftigung und 15 Punkten für Sprachkenntnisse errechnete das Bundesverwaltungsgericht – wie schon die Verwaltungsbehörde – für die Beschwerdeführerin eine Summe von bloß 45 Punkten. Die Beschwerdeführerin blieb damit 5 Punkte unter der gesetzlich geforderten Mindestpunkteanzahl.

1.3.2. In der Kategorie „Alter“ seien für die Beschwerdeführerin – so das Bundesverwaltungsgericht – überhaupt keine Punkte zu vergeben, weil die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung bereits über 40 Jahre alt gewesen sei. Zur Frage der Unionsrechtskonformität der Anlage B zum AuslBG führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass ein offenkundiger Verstoß gegen Unionsrecht, insb gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) bzw die Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 2000/78/EG), iS eines „acte clair“ nicht vorliege. Soweit Zweifel bestünden, komme die Pflicht, eine Vorabentscheidung durch den EuGH zu veranlassen, allenfalls dem VwGH zu. Art 21 Abs 1 GRC verbiete zwar Diskriminierungen auf Grund des Alters. Die gesetzlich vorgesehene Ungleichbehandlung nach dem Lebensalter in Anlage B zum AuslBG sei aber „vertretbar als verhältnismäßig und entsprechend der Arbeitsmarktziele als notwendig“ anzusehen.

1.3.3. Auch die von der Beschwerdeführerin behauptete Verfassungswidrigkeit sei nicht gegeben, weil die inkriminierte Regelung sachlich zu rechtfertigen sei. Insb sei – gestützt auf eine Literaturmeinung – davon auszugehen, dass das Ziel der Regelung, auf Grund der erwarteten demographischen Entwicklung vorwiegend jüngere Arbeitskräfte anzusprechen, sachlich gerechtfertigt sei. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass ein höheres Alter durch andere Kriterien wie beispielsweise eine längere Berufserfahrung ausgeglichen werden könne.

1.4. Bei der Behandlung der gegen diese E gerichteten Beschwerde gem Art 144 B-VG sind im VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 12a Z 2 sowie der Anlage B „Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß § 12a AuslBG“ entstanden. Der VfGH hat daher am 14.3.2017 beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. [...]

III. Prüfungsbeschluss, Bedenken und Vorverfahren

1. Der VfGH legt seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss vom 14.3.2017, E1913/2015-11, wie folgt dar:308

„1. [...]

1.2. Gemäß § 12a AuslBG werden Ausländer in einem in der Fachkräfteverordnung festgelegten Mangelberuf ua dann zu einer Beschäftigung als Fachkraft zugelassen, wenn sie die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage B angeführten Kriterien erreichen. Diese beträgt nach der genannten Anlage zum AuslBG 50 Punkte. Maximal sind 75 Punkte zu erreichen. Sie sind auf die Kategorien Qualifikation (20 [Berufsausbildung im Mangelberuf], 25 [Universitätsreife] oder 30 Punkte [Studienabschluss]), ausbildungsadäquate Berufserfahrung (pro Jahr im Ausland 2 bzw im Inland 4 Punkte, höchstens aber 10 Punkte), Sprachkenntnisse (10 oder 15 Punkte) und Alter (20 Punkte bis zum 30. Lebensjahr, 15 Punkte zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr) verteilt. Für den Fall, dass die antragstellende Person das 40. Lebensjahr überschritten hat, werden ihr in der Kategorie Alter keine Punkte mehr zuerkannt. [...]

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält Art I Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. [...]

3.3. Die Differenzierung zwischen unter 40-Jährigen (15 Punkte) und über 40-Jährigen (0 Punkte) führt auf Grund dessen, dass die übrigen Punktewerte nur maximal 45 Punkte zulassen, anscheinend nur bei Berufen aus der Gruppe mit ‚abgeschlossener Berufsausbildung‘ zu dem Effekt, dass eine Person, die das 40. Lebensjahr überschritten hat, auf Grund ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Qualifikationen und ihrer Sprachkenntnisse allein nicht mehr die im Gesetz geforderte Mindestpunkteanzahl von 50 Punkten erreichen kann. Dieser Personenkreis wird damit – im Gegensatz zu jenen mit Universitätsreife bzw mit einem abgeschlossenen Studium – ab dem 40. Lebensjahr von der Erteilung einer ‚Rot-Weiß-Rot-Karte‘ ausgeschlossen.

3.4. Für diese Differenzierung vermag der Verfassungsgerichtshof vorerst weder einen besonderen Unterschied im Arbeitskräftebedarf noch sonst eine sachliche Rechtfertigung zu erkennen. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird jedoch auch zu erörtern sein, ob und ab welchem Alter ein mögliches Anliegen des Gesetzgebers, zur Vermeidung einer finanziellen Belastung auf Grund einer allenfalls unzureichenden Altersversorgung für ausländische Staatsangehörige, den Zugang zum Arbeitsmarkt auch nach Maßgabe des Alters zu beschränken, sachlich zu rechtfertigen wäre und ob unter diesem Gesichtspunkt die durch Anlage B gezogenen Grenzen als verfassungskonform beurteilt werden könnten. [...]“

3. Die Bundesregierung hat am 30.5.2017 zu G 56/2017 eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken entgegengetreten wird (in G 199/2017 hat die Bundesregierung auf diese Äußerung verwiesen). Im Wesentlichen bringt die Bundesregierung Folgendes vor: [...]

3.2.1. Anlage B zum AuslBG in der in Prüfung gezogenen Fassung verstoße nicht gegen das Sachlichkeitsgebot. Der Gesetzgeber habe einen weiten Gestaltungsspielraum, um festzulegen, wem der Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkannt werde. Ebenso liege es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum, im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Entscheidungen festzulegen, welche Personen zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen seien. [...]

3.2.3. Die Anknüpfung an das Alter diene dem Ziel, die Zuwanderung vorrangig jüngerer Fachkräfte in Mangelberufen zu ermöglichen. Nach Ansicht der Bundesregierung sei eine weitgehende Einschränkung der Zuwanderung auf jüngere und höher qualifizierte Arbeitskräfte sowohl im Hinblick auf demographische Erwägungen zur Sicherung des österreichischen Pensionssystems als auch im Hinblick auf die – vom VfGH angesprochene – Vermeidung einer finanziellen Belastung des Bundeshaushaltes auf Grund einer allenfalls unzureichenden Altersversorgung, nicht zuletzt aber auch angesichts der Altersstruktur unter den vorgemerkten Arbeitslosen, jedenfalls sachlich gerechtfertigt. [...]

IV. Erwägungen

[...]

2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des VfGH konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden. [...].

2.2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr stRsp des VfGH (siehe etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält Art I Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.3. Der VfGH stimmt der Bundesregierung darin zu, dass dem Gesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt, wem der Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkannt wird sowie welche Personen zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen sind. Dieser Gestaltungsspielraum umfasst auch die Festlegung von Altersgrenzen, nach deren Überschreitung ein Aufenthaltsrecht nicht mehr erteilt wird, weil der Gesetzgeber beispielsweise bei der Zulassung älterer AN nachteilige Folgen für den Arbeitsmarkt oder – mangels Gelegenheit309zum Erwerb einer die Armutsgrenze übersteigenden Altersversorgung – für den aus Steuermitteln zu finanzierenden Teil des Pensionsaufwandes befürchtet. [...] Der VfGH hegte jedoch das Bedenken, dass die Ausgestaltung des Punktesystems in Anlage B im Hinblick darauf unsachlich ist, dass ausschließlich die Gruppe jener, die nur über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, im Alter von mehr als 40 Jahren von der Rot-Weiß-Rot-Karte ausgeschlossen sein sollten.

2.4. Hiezu bringt die Bundesregierung vor, dass die Anknüpfung an das Alter bei der Zulassung zu einem Mangelberuf mit dem Ziel erfolge, die Zuwanderung vorrangig jüngerer Fachkräfte in Mangelberufen zu ermöglichen. Eine weitgehende Einschränkung der Zuwanderung auf jüngere und höher qualifizierte Arbeitskräfte sei sowohl im Hinblick auf demographische Erwägungen zur Sicherung des Pensionssystems als auch zur Vermeidung einer finanziellen Belastung des Bundeshaushaltes auf Grund einer allenfalls unzureichenden Altersversorgung, nicht zuletzt angesichts der Altersstruktur unter den vorgemerkten Arbeitslosen, sachlich gerechtfertigt. [...]

2.5.1. Mit der gegebenen Begründung, dass die Aussichten auf eine ohne zusätzliche Zuschüsse aus Steuermitteln (wie die Ausgleichszulage) auskommende Pensionsversorgung je nach Maßgabe eines höheren Lebensalters beim Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt sinken, übersieht die Bundesregierung nicht nur, dass die Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Karte – wie auch der Anlassfall zeigt – keineswegs mit dem erstmaligen Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt verbunden sein muss und sie legt auch nicht dar, dass es sich im Rahmen der Mangelberufe bei der Frage einer ausreichenden Altersversorgung um ein spezifisches Problem nur jener Personen handelt, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung mit Pflichtschulabschluss verfügen, sodass es sachlich gerechtfertigt wäre, nur bei dieser Gruppe eine Grenze für die Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Karte de facto mit dem 40. Lebensjahr zu ziehen. Personen, die einer der beiden anderen Gruppen angehören, können nämlich allein mit den Punkten, die sie für ihre berufliche und sprachliche Qualifikation sowie für die Dauer ihrer bisherigen Verwendung erhalten, auch im Falle eines beliebig höheren Alters, also zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Personen auch ungeachtet allfälliger höherer Verdienstmöglichkeiten keine ausreichende Altersversorgung mehr erlangen können, eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten. [...]

2.5.3. Eine Differenzierung nach dem Lebensalter wäre zusammengefasst nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn zwischen dem Lebensalter und der Ausbildung in Bezug auf die Arbeitsmarktsituation in Mangelberufen Unterschiede im Tatsächlichen bestehen würden, welche die Bundesregierung jedoch nicht darzulegen vermochte. Soweit der Gesetzgeber – wie die Bundesregierung vorbringt – die Absicht verfolgt haben sollte, Personen nur bis zu einem bestimmten Alter zur Rot-Weiß-Rot-Karte zuzulassen, hat er diese Absicht nicht in einer dem Gleichheitssatz des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, entsprechenden Weise verwirklicht.

V. Ergebnis

1. Auf Grund der Novellierung der Anlage B, welche mit 1.10.2017 in Kraft getreten ist und nur für Sachverhalte gilt, die sich nach dem 30.9.2017 ereignen, war festzustellen, dass Anlage B in der in Prüfung gezogenen Fassung verfassungswidrig war.

2. § 12a Z 2 AuslBG, der auf Grund des untrennbaren Zusammenhanges mit der in dieser Bestimmung verwiesenen Anlage B in Prüfung gezogen werden musste, hat durch die Novellierung der Anlage B ab 1.10.2017 eine Änderung seines Inhaltes erfahren. Ungeachtet dessen, dass in diesem Verfahren die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Anlage B vom VfGH nicht zu beurteilen ist, ist § 12a Z 2 AuslBG nicht als verfassungswidrig aufzuheben, sondern auszusprechen, dass die Bestimmung bis zur Neuregelung der Anlage B, dh bis 30.9.2017, verfassungswidrig war. [...]

ANMERKUNG
1.
Allgemeines

Die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ ist der wichtigste (wenn auch bei weitem nicht der einzige) Aufenthaltstitel zur Arbeitsmigration. Zu den Erteilungsvoraussetzungen gehört neben anderen Kriterien in allen „drei Säulen“ das Erreichen einer bestimmten Punkteanzahl (lediglich für AbsolventInnen österreichischer Universitäten gibt es kein Punktesystem). Bis 30.9.2017 waren die Punkteschemata für die (erkenntnisgegenständlichen) Fachkräfte in Mangelberufen (§ 41 Abs 2 Z 1 iVm § 12a und Anlage B AuslBG) und sonstige Schlüsselkräfte (§ 41 Abs 2 Z 2 iVm § 12a und Anlage B AuslBG) nahezu ident, das Punkteschema für „besonders Hochqualifizierte“ (§ 41 Abs 1 NAG iVm § 12 und Anlage A AuslBG) unterscheidet sich deutlich von den anderen beiden.

Mit dieser E hat der VfGH ausgesprochen, dass das Punkteschema der Anlage B AuslBG, das Grundlage der Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot-Karte“ für Fachkräfte in Mangelberufen war, bis 30.9.2017 verfassungswidrig war. Dieses Erk hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Praxis, da zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Erk das Punkteschema der Anlage B bereits geändert worden war (BGBl I 2017/66). Da die Verfassungswidrigkeit des § 12a Z 2 AuslBG nur iVm Anlage B gegeben war, fiel diese Verfassungswidrigkeit mit Inkrafttreten des neuen Punkteschemas am 1.10.2017 weg. Folgerichtig wurde auch bezüglich des – unverändert gebliebenen – § 12a Z 2 AuslBG nur ausgesprochen, dass dieser bis 30.9.2017 verfassungswidrig war.

Dennoch blieb das Erk nicht ohne Auswirkungen: Mit Erk vom 13.12.2017, G 281/2017, stellte der VfGH (aus den gleichen Gründen) auch die310Verfassungswidrigkeit von Anlage C AuslBG (fast ident mit Anlage B bis 30.9.2017) fest. Da Anlage C anders als Anlage B durch BGBl I 2017/66nicht geändert wurde, ist in diesem Fall Verfassungswidrigkeit auch aktuell gegeben. Der VfGH hat eine Frist bis 31.12.2018 gesetzt, nach Ablauf dieses Datums tritt Anlage C außer Kraft.

2.
Unsachlichkeit der Regelung der Punktevergabe bezüglich Alter der AntragstellerInnen

Die Meinung, dass das Punkteschema der Anlage B (sowie die de facto idente Anlage C) nicht rechtskonform sein könnte, wurde (in der politischen Diskussion) bereits öfters vorgebracht. Es trifft zu, dass mit der geringst qualifizierten Ausbildung, mit der noch Punkte erreicht werden können, ab einem Alter von 40 Jahren eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ für Fachkräfte in Mangelberufen bis 30.9.2017 nicht möglich war, da selbst bei einer maximalen Punkteanzahl in anderen Bereichen (Berufserfahrung, Sprachkenntnisse) nicht ausreichend Punkte erworben werden konnten.

Der VfGH begründet die Unsachlichkeit im Wesentlichen damit, dass eine Differenzierung nach dem Lebensalter nur dann sachlich gerechtfertigt wäre, wenn zwischen dem Lebensalter und der Ausbildung in Bezug auf die Arbeitsmarktsituation in Mangelberufen „Unterschiede im Tatsächlichen“ bestehen würden, solche wären aber im Verfahren nicht hervorgekommen. Somit widerspricht es nach Auffassung des VfGH (über den „Umweg“ des Art I RassDiskr-BVG) dem Sachlichkeitsgebot, wenn Personen, die nicht über die allgemeine Universitätsreife verfügen, ab einem Lebensalter von 40 Jahren keine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ erhalten könnten.

Nun ist zweifelsfrei zutreffend, dass für eine Differenzierung nach dem Alter eine sachliche Rechtfertigung vorhanden sein muss. Eine solche sachliche Rechtfertigung könnte aber darin liegen, dass das Kriterium „Alter“ nur einen von vier Blöcken darstellt, für die Punkte vergeben werden können (neben Qualifikation, ausbildungsadäquater Berufserfahrung und Sprachkenntnissen). Bei einem solchen Punkteschema ist mE klar, dass, wenn in einem bestimmten Bereich nur die Mindestpunktezahl erreicht wird und in einem anderen Bereich gar keine Punkte, es dazu kommen kann, dass die nötige Punkteanzahl unterschritten wird. Andernfalls wäre ja das gesamte Punkteschema per se nicht mit dem Sachlichkeitsgebot zu vereinbaren, für eine solche Auffassung bietet der VfGH aber keine Hinweise.

Der VfGH betont weiters, dass dem Gesetzgeber bezüglich Zulassung zum österreichischen Arbeitsmarkt ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme und dieser grundsätzlich auch die Festlegung von Altersgrenzen umfassen würde. Somit ist die Frage der Sachlichkeit offensichtlich eine Frage der Punktegewichtung, da der VfGH grundsätzlich akzeptiert, dass Altersgrenzen gezogen werden können. Der Gesetzgeber hat – bereits vor Erlassung des gegenständlichen Erk – das Punkteschema der Anlage B AuslBG neu gefasst: Im Wesentlichen wurde dabei das Verhältnis von Berufserfahrung und Alter etwa zu Gunsten der Berufserfahrung verschoben. Bei entsprechender Berufserfahrung ist es daher nun auch für Personen ab 40 Jahren möglich, eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ als Fachkraft in einem Mangelberuf zu erhalten. Zwar bleibt auch abzuwarten, ob sich diese Lösung als verfassungskonform herausstellt, da es nun aber möglich ist, ein höheres Alter zur Gänze (insb) durch Berufserfahrung zu „kompensieren“, sollte dieses nun mE verfassungsgesetzlich unbedenklich sein. Andernfalls wäre schlicht jedes Punkteschema, das auch das Kriterium „Alter“ einbezieht, verfassungswidrig. Ein solches Ergebnis wollte der VfGH aber ganz offensichtlich nicht (arg: Verweis auf grundsätzliche Zulässigkeit der Festlegung von Altersgrenzen).

Im Erk des BVwG, das Anlass für die Einleitung der Prüfung der Verfassungskonformität der Anlage B AuslBG war (BVwG 5.8.2015, W178 2101551-1), wird auf die Ansicht von Deutsch/Nowotny/Seitz, Ausländerbeschäftigungsgesetz (2014) § 12a Rz 304, verwiesen, wonach der Eingriff in den „verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Alters“ durch das aufgrund der demographischen Entwicklung begründbare Ziel, jüngere Arbeitskräfte anzusprechen, gerechtfertigt sei. Dieser Ansicht ist der VfGH nicht gefolgt. Auch der Meinung, dass ein höheres Alter durch andere Kriterien, wie zB eine höhere Qualifikation oder längere Berufserfahrung, wieder wettgemacht werden könne (Deutsch/Nowotny/Seitz, Ausländerbeschäftigungsgesetz) hat sich der VfGH nicht angeschlossen, sondern ausschließlich das Verhältnis von Ausbildung und Alter beleuchtet.

3.
Mögliche Europarechtswidrigkeit nicht geprüft

Erstaunlich ist, dass der VfGH sich mit der Europarechtskonformität des Punkteschemas mit keinem Wort auseinandersetzt. Offensichtlich sah er dazu keine Notwendigkeit, da Anlage B AuslBG (idF bis 30.9.2017) bereits aufgrund des (innerstaatlichen) Sachlichkeitsgebots aufgehoben wurde. Die RL 2000/78/EG verbietet grundsätzlich Diskriminierungen aufgrund des Alters; gem Art 6 RL 2000/78/EG können aber Ungleichbehandlungen wegen des Alters gerechtfertigt werden, sofern sie objektiv und verhältnismäßig sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel (insb Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt) gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Das BVwG hat in dem (in materieller Hinsicht) diesem Erk zugrundeliegenden Fall die Europarechtswidrigkeit geprüft, aber im Hinblick auf Art 6 RL 2000/78/EG verneint. Die Frage, wann eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters (die ja letztlich jedem Punkteeschema, das auf das Alter Bezug nimmt, immanent ist) europarechtlich gerechtfertigt ist, ist daher nach wie vor nicht abschließend geklärt, insb ist unklar, ob überhaupt311(auch vor Aufhebung der Anlagen B und C) ein Verstoß gegen die RL 2000/78/EG aufgrund einer verpönten Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters vorlag. Die aktuelle Fassung der Anlage B genügt mE jedenfalls den Anforderungen der RL, da wie oben ausgeführt nunmehr ein höheres Alter durch eine mehrjährige Berufserfahrung (über)kompensiert werden kann.

4.
Auch Anlage C AuslBG vom VfGH aufgehoben

Mit Erk 13.12.2017, G 381/2017, hat der VfGH auch das Punkteschema für die dritte Säule der „Rot-Weiß-Rot-Karte“ („Sonstige Schlüsselkräfte“) aufgehoben. Inhaltlich verweist der VfGH dabei auf seine Ausführungen zu hier besprochenem Erk 56/2017 („[...] Anlage C ist aus denselben Gründen verfassungswidrig, wie sie den Verfassungsgerichtshof [...] zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Anlage B bewogen haben“). Tatsächlich ist die Anlage C mit der Anlage B (in der bis 30.9.2017 geltenden Fassung) weitgehend deckungsgleich (in Anlage C sind zusätzlich Punkte für ProfisportlerInnen und ProfisporttrainerInnen vorgesehen). Lediglich hinsichtlich dieser letztgenannten Gruppe ist daher die oben angeführte Grundannahme des VfGH (die zur Aufhebung von Anlage B führte) nicht korrekt, da ProfisportlerInnen und ProfisporttrainerInnen trotz höheren Alters die erforderliche Punkteanzahl erreichen können, ohne über die allgemeine Universitätsreife zu verfügen. Mit diesem Personenkreis beschäftigt sich der VfGH nicht, allerdings dürfte die Gruppe insgesamt zu klein sein, um eine signifikante Änderung der Meinung begründen zu können.

5.
Schlussbemerkung

Während das Punkteschema für Fachkräfte in Mangelberufen durch die neu gestaltete Gewichtung nun mE verfassungskonform ist, muss der Gesetzgeber bis 31.12.2018 auch das Punkteschema der Anlage C neu gestalten, da ansonsten „sonstige Schlüsselkräfte“ ohne das Erreichen einer Mindestpunkteanzahl zugelassen werden können. Paradoxerweise könnte es dem Sachlichkeitsgebot genügen, in Anlage C AuslBG überhaupt keine Punkte für eine Qualifikation „unterhalb“ der allgemeinen Universitätsreife zu vergeben, da der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Frage der Gestaltung der Arbeitsmigration hat. Es bietet sich aber an, wie in Anlage B auch in diesem Punkteschema die möglichen Punkte für Berufserfahrung so zu erhöhen, dass eine solche ein höheres Alter ausgleichen kann.