54Berechtigter vorzeitiger Austritt führt zu keiner Scheinkarenz – Österreich bleibt Beschäftigungsstaat für die Dauer der Karenz
Berechtigter vorzeitiger Austritt führt zu keiner Scheinkarenz – Österreich bleibt Beschäftigungsstaat für die Dauer der Karenz
Aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts führt die von der Kl in Anspruch genommene Karenzzeit nach Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes nicht schon deshalb zum Entfall des Anspruchs auf pauschales Kinderbetreuungsgeld (Variante 30 + 6), weil § 24 Abs 2 KBGG die Gleichstellung mit der Beschäftigung auf den Zeitraum bis zum zweiten Geburtstag des Kindes einschränkt.
Es können die in § 24 Abs 2 KBGG enthaltenen Worte „vorübergehende Unterbrechung“ nur so verstanden werden, dass damit die Karenzzeit an sich als vorübergehende Unterbrechung einer (zuvor zumindest sechs Monate andauernden) Erwerbstätigkeit angesprochen wird und weder ein Austritt nach § 15r Z 3 MSchG noch ein vorzeitiger berechtigter Austritt wegen Dienstunfähigkeit nach § 26 Z 1 AngG die Gleichstellung der Karenz mit der tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit aufheben soll.
Dass die Kl ihre Berufstätigkeit als Krankenschwester bei ihrem vormaligen DG unmittelbar nach Ende der Anschlusskarenz nicht mehr aufnehmen konnte, steht daher dem Kriterium der „vorübergehenden Unterbrechung“ der Erwerbstätigkeit nicht entgegen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob Österreich nach der VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit im an die gesetzlich vorgesehene Karenz anschließenden Zeitraum von 1.6.2016 bis 9.11.2016 zum Export von (pauschalem) Kinderbetreuungsgeld verpflichtet ist, obwohl die in Deutschland wohnhafte Kl zum 31.10.2016 ihren berechtigten vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis zu ihrem österreichischen AG erklärt hat.
Die Kl, die ab 2010 in einem Dienstverhältnis als Krankenschwester zur Klinikum Wels Grieskirchen GmbH stand, erlitt bei der Geburt ihres Sohnes am 15.5.2014 innere Verletzungen, die zur Folge hatten, dass sie ihre vormalige Berufstätigkeit in der Notaufnahme nicht mehr ausüben kann. Sie befand sich zwei Jahre gem § 15 MSchG in Karenz. Daran anschließend vereinbarte sie mit ihrem DG Karenz nach § 29 des KollV der oberösterreichischen Ordensspitäler von 1.6.2016 bis 9.11.2016. Wegen der bei der Geburt erlittenen Verletzungen trat sie im März 2016 aus ihrem Dienstverhältnis berechtigt vorzeitig aus und zwar [...] zum 31.10.2016.
Der Vater des Kindes, der gemeinsam mit der Kl und dem Kind in Deutschland wohnt, war seit 5.5.2014 befristet bis 30.4.2017 bei einem in Linz ansässigen Unternehmen im Rahmen eines Indus-516triepraktikums fünf Stunden wöchentlich berufstätig, wofür er eine monatliche Entschädigungszahlung von 160,52 € brutto erhielt.
Die Kl beanspruchte das pauschale Kinderbetreuungsgeld („Variante 30 + 6“), das von der bekl Gebietskrankenkasse bis Ende Mai 2016 ausgezahlt wurde.
Mit Bescheid vom 4.10.2016 lehnte die Bekl die Gewährung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum der Anschlusskarenz von 1.6.2016 bis 9.11.2016 ab. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Der Vater des Kindes sei in Österreich infolge des geringfügigen Umfangs keiner Beschäftigung iSd VO (EG) 883/2004 nachgegangen. Die VO verweise auf den nationalen Beschäftigungsbegriff. Dieser werde in § 24 Abs 2 KBGG definiert und stelle nur Zeiten einer Karenzierung zum Zweck der Kindererziehung bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gleich. [...]
Die Revision ist – entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts – zulässig, weil zur Frage, ob der Zeitraum der kollektivvertraglichen Anschlusskarenz trotz eines berechtigten Austritts (§ 26 Z 1 AngG) als „Beschäftigung“ nach Art 11 Abs 3 lit a (iVm Art 1 lit a) VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren ist, keine Rsp des OGH besteht. Die Revision ist auch teilweise (hinsichtlich des Zeitraums vom 1.6.2016 bis 31.10.2016) berechtigt. [...]
1.2 Art 67 VO (EG) 883/2004 normiert eine Verpflichtung zum Export von Familienleistungen. Ob Österreich für die Erbringung von Familienleistungen (und für deren etwaigen Export in einen anderen Mitgliedstaat) zuständig ist, ist auf Grundlage der kollisionsrechtlichen Vorschriften der Art 11 ff VO (EG) 883/2004 zu beurteilen. Leistungszuständig ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nach Art 11 der VO anwendbar sind. [...]
3.1. Nach Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 ist – unabhängig vom Wohnsitz – in erster Linie jener Mitgliedstaat zuständig, in dem eine Person einer Beschäftigung nachgeht oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Beschäftigungsstaat). Kann nicht an eine Beschäftigung angeknüpft werden, so ist gem Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig.
Es stellt sich daher die Frage, ob die Kl in dem – in die Anschlusskarenz fallenden – Zeitraum von 1.6.2016 bis 31.10.2016 in Österreich einer Beschäftigung iSd Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 nachging. [...]
3.2 Nach Art 1 lit a VO (EG) 883/2004 wird der Begriff „Beschäftigung“ dahin definiert, dass da runter jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation gemeint ist, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.
Gem Art 11 Abs 2 der VO (EG) 883/2004 wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Zeiten, während derer zwar keine aktive Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, aber eine unter Art 11 Abs 2 VO zu subsumierende Leistung bezogen wird, sind daher als Ausübung einer Beschäftigung zu werten.
3.3 Als weitere Begriffsbestimmung enthält der Beschluss F1 der Verwaltungskommission vom 12.6.2009 zur Auslegung des Art 68 der VO (EG) 883/2004 die Regelung, wonach der Ausübung einer Erwerbstätigkeit etwa ein unbezahlter Urlaub zum Zweck der Kindererziehung gleichgestellt ist, solange ein solcher unbezahlter Urlaub nach nationalem Recht einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist.
Die Bestimmung des Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 stellt einen Kernbereich des unionsrechtlichen Begriffs der Beschäftigung dar. Beim Bezug von Leistungen, die unter Art 11 Abs 2 Satz 1 der VO zu subsumieren sind, ist daher unabhängig von der nationalen Systematik von der Ausübung einer Beschäftigung auszugehen.
Hievon abgesehen ist es den Mitgliedstaaten überlassen, den Beschäftigungsbegriff näher zu definieren. Jeder Staat hat in Bezug auf die Familienleistungen somit die Möglichkeit, seine Elternkarenz als gleichgestellte Situation zu bestimmen oder der Erwerbsausübung nicht gleichzustellen (10 ObS 117/14z, SSV NF 29/13).
3.4 Eine solche Definition ist für den Bereich des pauschalen und des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes in § 24 Abs 2 KBGG enthalten (RIS Justiz RS0130043). [...]
Im vorliegenden Fall ist § 24 Abs 2 KBGG in der von 1.1.2014 bis 28.2.2017 geltenden Fassung (§ 50 Abs 14 KBGG) anzuwenden [...].
Nach § 24 Abs 2 KBGG versteht man unter Erwerbstätigkeit iS dieses BG „... die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.
“
Der hier zu beurteilende Zeitraum liegt jedoch nach dem Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes. [...]
3.6 Mit 1.3.2017 trat § 24 Abs 3 KBGG idF BGBl I 53/2016 in Kraft (§ 50 Abs 15 KBGG), der sich ebenfalls mit der Frage der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellten Situation befasst. Nach dieser Regelung soll ausschließlich bei Erfüllung der nationalen Gleichstellungserfordernisse des Abs 2 zweiter Satz eine gleichgestellte Situation iSd Art 68 iVm Art 1 lit a der VO (EG) 883/2004 vorliegen, wobei diese der Ausübung einer Erwerbs-517tätigkeit gleichgestellte Situation für alle Eltern spätestens mit Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes endet. Eine Scheinkarenz löst keine österreichische Zuständigkeit aus, dasselbe gilt für Zeiten, in denen mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen kein gesetzlicher Anspruch auf österreichische Karenz besteht, etwa bei gleichzeitiger Inanspruchnahme einer in- oder ausländischen Karenzzeit durch den anderen Elternteil.
3.6.1 Nach den Gesetzesmaterialien wird mit dieser „Klarstellung“ festgeschrieben, dass ausschließlich die gesetzliche Karenz nach dem MSchG und VKG (und nach gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften) gleichstellungsfähig sei. [...]
3.7 Den Ausführungen in der außerordentlichen Revision kommt Berechtigung zu:
Eine Person in der Situation der Kl, die ihren Wohnsitz in Österreich hat, behält den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in der von ihr beantragten pauschalen Variante 30 + 6 auch nach dem zweiten Geburtstag des Kindes, während eine Person, die ihren Wohnsitz nach Deutschland (oder einem anderen Mitgliedstaat) verlegt hat, diesen Anspruch bei enger Auslegung des § 24 Abs 2 KBGG verlieren würde. Gem Art 7 der VO (EG) 883/2004 dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser VO zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Mit diesem Grundsatz ordnet der europäische Gesetzgeber an, dass der Anspruch weder dem Grunde noch der Höhe nach von einem Wohnsitz im Inland abhängig gemacht werden dürfe (Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [57. Lfg] Art 7 Rz 3).
Art 7 betrifft somit auch § 24 Abs 2 KBGG, insoweit diese Regelung als Kollisionsregelung diskriminierende Anspruchsvoraussetzungen schafft, die zum Entzug des Kinderbetreuungsgeldes wegen des Wohnorts in einem anderen Mitgliedstaat führen.
Eine zur Vermeidung einer Kollision von nationalem Recht und Unionsrecht vorzunehmende unionsrechtskonforme Auslegung des § 24 Abs 2 KBGG scheidet aus, weil eine derartige Auslegung ihre Grenzen in dessen eindeutigem Wortlaut findet.
Nach stRsp des EuGH ist das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg durch irgendein verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (RIS-Justiz RS0109951 [T3]).
Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass § 24 Abs 2 KBGG aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts so zu verstehen ist, dass die von der Kl in Anspruch genommene Karenzzeit nach Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes nicht schon deshalb zum Entfall des Anspruchs auf pauschales Kinderbetreuungsgeld führt (Variante 30 + 6), weil § 24 Abs 2 KBGG die Gleichstellung mit der Beschäftigung auf den Zeitraum bis zum zweiten Geburtstag des Kindes einschränkt.
3.8 Zu beurteilen bleibt, ob die von der Rsp in den Entscheidungen 10 ObS 117/14z und 10 ObS 135/16z aufgestellten Kriterien erfüllt sind, um – über die Definition der Erwerbstätigkeit in § 24 Abs 2 KBGG hinaus – das Vorliegen einer Beschäftigung auch nach dem Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes bejahen zu können. Während die Kriterien des Vorliegens einer Teilversicherung nach nationalem Recht und des einheitlichen Sachverhaltselements für die durchgehende Fiktion der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht in Frage stehen, ist strittig, ob eine „vorübergehende Unterbrechung“ vorliegt, obwohl die Kl ihren berechtigten vorzeitigen Austritt erklärt hat, weil sie wegen der bei der Geburt erlittenen inneren Verletzungen ihre Tätigkeit als Krankenschwester in der Notfallaufnahme nicht mehr ausüben kann. [...]
3.8.3 Bei der hier allein maßgeblichen kollisionsrechtlichen Beurteilung der Frage der Gleichstellung mit einer Beschäftigung ist § 24 Abs 2 KBGG aber vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Definition des Beschäftigungsbegriffs zu sehen und es sind aus diesem Begriff Rückschlüsse abzuleiten (Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg] Art 68, Rz 6/1). Vor diesem Hintergrund können die in § 24 Abs 2 KBGG enthaltenen Worte „vorübergehende Unterbrechung“ nur so verstanden werden, dass damit die Karenzzeit an sich als vorübergehende Unterbrechung einer (zuvor zumindest sechs Monate andauernden) Erwerbstätigkeit angesprochen wird und weder ein Austritt nach § 15r Z 3 MSchG bei Inanspruchnahme einer Karenz nach den §§ 15a, 15c, 15d oder 15q MSchG (10 ObS 51/17y) noch ein vorzeitiger berechtigter Austritt wegen bei der Geburt erlittener Verletzungen (Dienstunfähigkeit nach § 26 Z 1 AngG) die Gleichstellung der Karenz mit der tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit aufheben soll. Dass die Kl ihre Berufstätigkeit als Krankenschwester bei ihrem vormaligen DG unmittelbar nach Ende der Anschlusskarenz nicht mehr aufnehmen konnte, steht daher dem Kriterium der „vorübergehenden Unterbrechung“ der Erwerbstätigkeit nicht entgegen. [...]
Zusammenfassend ist daher Österreich für den Zeitraum 1.6.2016 bis 31.10.2016 als leistungszuständiger Staat anzusehen.
Dieses Urteil weist als viertes in einer Reihe von OGH-Urteilen zum Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) den österreichischen Gesetzgeber in seine europarechtlichen Schranken, die ausdrücklich auch für die jüngste Novelle zum KBGG (BGBl I 2016/53) gelten518
Da der zu beurteilende Zeitraum nach Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes lag, bemüht der OGH zuerst seine bisherige, mittlerweile gefestigte Rsp. In den OGH-Entscheidungen 10 ObS 117/14z vom 24.3.2015 sowie 10 ObS 135/16z vom 31.3.2017 übernahm er die von Spiegel (vgl Spiegel, Familienleistungen aus Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts in Mazal [Hrsg], Die Familie im Sozialrecht [2009] 117) aufgestellte Theorie der Fiktion durchgehender Beschäftigungsverhältnisse bei Vorliegen eines einheitlichen Sachverhaltselements.
In der Folge nimmt sich der OGH ausdrücklich der neuen mit 1.3.2017 in Kraft getretenen Rechtslage (§ 24 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53) samt Erläuterungen und dazu ergangener Literatur an, obwohl diese für den gegenständlichen Fall noch nicht anwendbar ist. Damit will er wohl klarstellen, dass die mit dieser Novelle nochmals verstärkte Verankerung der Definition einer Beschäftigung nur bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes ebenso unionsrechtswidrig ist, wie jene in § 24 Abs 2 KBGG nach alter (hier anwendbarer) Rechtslage. Dieser Verweis wird aber in der Praxis höchstwahrscheinlich nichts daran ändern, dass der erste ähnlich gelagerte Fall bei Geburten ab 1.3.2017 (neue Rechtslage), in denen sich ein Elternteil für eine längere Bezugsdauer als 24 Monate im Kinderbetreuungsgeldkonto entscheidet, wohl wieder bei Gericht enden wird. Bis auf Holzmann-Windhofer (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreungsgeldgesetz [2017] 154) ist sich die zitierte Literatur mE völlig zu Recht einig, dass die Einschränkung der Gleichstellung einer Elternkarenz (mit einer Beschäftigung) auf Zeiten einer gesetzlichen Karenz, also bis maximal zum zweiten Lebensjahr des Kindes gem § 24 Abs 3 KBGG nF unionsrechtswidrig ist (vgl Sonntag, Unions- und verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG-Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes – Kritische Untersuchung der Reaktion des Gesetzgebers auf oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Kinderbetreuungsgeld, ASoK 2017, 2; Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg] Art 68 VO (EG) 883/2004 Rz 6/1 und Burger-Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz [2017] § 24 KBGG Rz 17).
Zusammenfassend schafft § 24 Abs 2 KBGG (bzw zukünftig auch Abs 3 nF) aufgrund der Beschränkung bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes diskriminierende Anspruchsvoraussetzungen aufgrund des Wohnsitzes. Bleibt der bezugsberechtigte Elternteil nämlich im Rahmen einer Anschlusskarenz in Österreich wohnhaft, so steht ihm weiterhin das Kinderbetreuungsgeld (bzw die Ausgleichszahlung) bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu. Verlegt er seinen Wohnsitz hingegen in einen anderen EU-Mitgliedstaat, so führt dies zu einem Entzug des Kinderbetreuungsgeldes (bzw der Ausgleichszahlung). Dies widerspricht Art 7 VO (EG) 883/2004, wonach Geldleistungen nicht gekürzt oder entzogen werden dürfen, nur weil der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem zur Zahlung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen. Da aufgrund der Wortlautschranke eine richtlinienkonforme Auslegung scheitert, ist zumindest der letzte Teilsatz des § 24 Abs 2 KBGG wegen des Vorranges des Unionsrechts unangewendet zu lassen. Zumindest der Passus „nach dem MSchG oder VKG [...], bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes
“ muss jedenfalls verworfen werden, während die Worte „während der Inanspruchnahme einer Karenz
“ mE bleiben können, da diese auch als kollektivvertragliche oder freiwillige Karenzierung interpretiert werden können.
Die Nichtanwendung des § 24 Abs 2 KBGG scheint aus Sicht des OGH aber nur dann nötig zu sein, wenn ein Sachverhalt vorliegt, bei dem eine Anschlusskarenz über das zweite Lebensjahr des Kindes hinaus gegeben ist. Es wird dabei unterstellt, dass bei kürzeren Karenzvereinbarungen, die im Rahmen der Zwei-Jahres-Frist des MSchG bleiben, § 24 Abs 2 KBGG nicht diskriminierend wirkt und somit in diesen Fällen unionsrechtskonform ist und Anwendung findet.
Neu an diesem Urteil im Vergleich zur bisherigen Judikatur ist, dass der OGH zur Bestimmung der Unionsrechtswidrigkeit von Art 24 Abs 2 KBGG erstmals Art 7 VO (EG) 883/2004 bemüht. In den vorangegangenen Judikaten wurde ausschließlich auf Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 Bezug genommen. Kunz brachte in seiner Besprechung zum ersten diesbezüglichen OGH-Urteil vom 24.3.2015, 10 ObS 117/14z, auch das Gleichbehandlungsgebot gem Art 4 VO (EG) 883/2004 ins Spiel (vgl Kunz, § 24 Abs 2 KBGG und Beschäftigung iSd VO [EG] 883/2004, DRdA 2016, 40), welches vom OGH jedoch nicht aufgegriffen wurde.
Wird § 24 Abs 2 KBGG nicht zur Gänze verworfen, sondern nur im oben gezeigten Ausmaß, könnte er zur Bestimmung des österreichischen Beschäftigungsbegriffs auch bei Karenzierungen nach Ablauf des zweiten Geburtstages des Kindes heran gezogen werden. Immerhin verweist Art 1 lit a VO (EG) 883/2004 bei der Definition des Beschäftigungsbegriffs auf die Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des jeweiligen Mitgliedstaates.
Der OGH stellt jedoch in nunmehr stRsp in diesen Fällen eigene Kriterien auf, die erfüllt sein müssen, um nach österreichischem Recht vom Vorliegen einer Beschäftigung iSd Art 11 Abs 3 VO (EG) 883/2004 während einer Anschlusskarenz ausgehen zu können. Dies lässt den Schluss zu, dass er § 24 Abs 2 KBGG zur Gänze unangewendet lässt. Das ist nicht ganz abwegig, da bereits der erste Satz519dieses Absatzes aufgrund der darin vorkommenden Voraussetzung einer „in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit“ bei vielen grenzüberschreitenden Fällen im Anwendungsbereich der VO (EU) 883/2004 als klar unionsrechtswidrig bezeichnet werden kann, wenngleich dies im konkreten Fall nicht von Bedeutung ist.
Die vom OGH entwickelten Kriterien sind: a) Teilversicherung in der SV, b) einheitliches Sachverhaltselement und c) lediglich vorübergehende Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses (vgl Kunz, Kollektivvertragliche Karenz ist Beschäftigung für Familienleistungen iSd VO 883/2004, auch wenn kein Kinderbetreuungsgeldbezug mehr vorliegt, DRdA 2018, 128). Wenngleich die „durchgehende Fiktion der Ausübung der Erwerbstätigkeit“ bisher immer nur in einem Atemzug mit dem Kriterium des einheitlichen Sachverhaltselements genannt wird, sind iS dieser Rsp alle drei Kriterien notwendig, um diese Fiktion anzunehmen.
Die Teilversicherung wurde vom OGH aus der EuGH-Rsp in der Rs Borger (10.3.2011, C-516/09, ECLI:EU:C:2011:136) zur alten VO (EG) 1408/71 übernommen und weitergeführt, ohne dass dies nach österreichischem oder nach Unionsrecht (der NachfolgeVO [EG] 883/2004) mE von Nöten wäre. Eine Teilversicherung in der PV liegt im gegenständlichen Fall gem § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG jedenfalls vor. Als einheitliches Sachverhaltselement für die durchgehende Fiktion der Ausübung einer Erwerbstätigkeit wird vom Erstgericht der Zeitraum der Karenz und der Anschlusskarenz gesehen. Es könnte aber auch die maximal mögliche Dauer des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld für einen Elternteil als einheitliches Sachverhaltselement gewertet werden, welche im vorliegenden Fall gem § 5 KBGG (in der bis 28.2.2017 gültigen Fassung) 30 Monate beträgt (vgl Spiegel in Mazal [Hrsg], Die Familie im Sozialrecht 117). Die ersten beiden Kriterien nimmt der OGH hier als gegeben an, ohne sie näher zu prüfen. Nur auf das Kriterium der „lediglich vorübergehenden Unterbrechung“ geht er ein, da die Kl einen vorzeitigen berechtigten Austritt gem § 26 Z 1 AngG erklärt hatte. Es ist dies auch das einzige der drei Kriterien, welches sich unmittelbar aus § 24 Abs 2 KBGG ableiten lässt.
Die schädigende Wirkung eines Mutterschaftsaustritts gem § 15r Z 3 MSchG wurde bereits in OGH vom 10.10.2017, 10 ObS 51/17y, verneint. Darin sprach sich der OGH klar dafür aus, dass „der Austritt aus Anlass der Geburt eines Kindes ein Recht der Dienstnehmerin ist, das gemäß § 15r Z 3 MSchG bei Inanspruchnahme einer Karenz nach §§ 15, 15a, 15c, 15d oder 15q MSchG bis spätestens drei Monate vor Ende der Karenz in Anspruch genommen werden kann
“ (OGH10 ObS 51/17y, RN 4.3). Aus dem Vorwurf der damals bekl Krankenkasse, dass es sich (laut den Gesetzesmaterialien zur jüngsten KBGG-Novelle, BGBl I 2016/53) nur um eine Scheinkarenz handle, könne laut OGH nicht geschlossen werden, dass keine bloß vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit der Kl vorläge. Dieses nur etwas mehr als zwei Monate vorher ergangene Urteil greift der OGH erneut auf und erläutert nunmehr, dass die in § 24 Abs 2 KBGG enthaltenen Worte „vorübergehende Unterbrechung“ in Anlehnung an Felten (Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg] Art 68 VO (EG) 883/2004 Rz 6/1) vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Beschäftigungsdefinition zu sehen und daher die Karenzzeit selbst als vorübergehende Unterbrechung zu verstehen sei.
Hier erkennt man, dass der OGH das Kriterium der „vorübergehenden Unterbrechung“ klar an den Wortlaut des (an sich verworfenen) § 24 Abs 2 KBGG anlehnt, er also doch Teile des nicht angewendeten Paragraphen für die Bestimmung des Vorliegens einer Erwerbstätigkeit übernimmt. Dies führt dazu, dass seine Definition von Karenz als vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit sowohl in Fällen der Karenz nach dem MSchG anwendbar ist – in denen § 24 Abs 2 KBGG seine Gültigkeit behält – als auch in jenen der Anschlusskarenz.
Im Ergebnis hebe laut OGH weder ein Austritt nach § 25r Z 3 MSchG noch ein vorzeitiger berechtigter Austritt gem § 26 Z 1 AngG die vorhergehende Karenz auf. Es verliert somit auch die mit dem DG vereinbarte bzw nach KollV zustehende Anschlusskarenz durch die Wahrnehmung des Rechts auf einen vorzeitigen Austritt wegen Dienstunfähigkeit nicht den Charakter einer Beschäftigung iSd VO (EG) 883/2004. Die Karenzierung bleibt für sich alleine gesehen eine vorübergehende Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses, unabhängig davon, ob letzteres nach dem Ende der Anschlusskarenz wieder aufgenommen wird oder nicht. Konsequenterweise dürfte es aus meiner Sicht somit auch keinen Unterschied machen, ob die Beendigung durch einen vorzeitigen berechtigten Austritt oder mittels Kündigung der AN erfolgt. Erstens handelt es sich bei beiden Beendigungsarten um Rechte der AN und zweitens würde (rein innerstaatlich betrachtet) auch eine Kündigung die vorhergehende Karenz niemals aufheben. Mit diesen Argumenten kann den Erläuterungen zur Scheinkarenz in den Gesetzesmaterialien zu § 24 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53, welcher für Geburten ab 1.3.2017 Anwendung findet, klar entgegengetreten werden.520