Zum langen, dornenvollen Kampf um den 8-Stunden-Tag bis 1918

 KLAUS-DIETERMULLEY (WIEN)

War in vorindustriellen Gesellschaften die Zeiteinteilung noch überwiegend aufgabenorientiert, so änderte sich dies mit zunehmender Industrialisierung in zeitlich bemessene Arbeit. Sowohl im zünftlerischen Gewerbe des 17. und 18. Jahrhunderts, wie auch in der durch den Verlag organisierten Heimindustrie wurde nach der jeweiligen Nachfrage bzw den jeweiligen Aufträgen, wie auch nach den in unregelmäßigen Zeitabständen gelieferten Grundstoffen gearbeitet. Die Zeitbemessung an sich spielte kaum eine Rolle. Eine strikte Trennung in „Arbeitszeit“ und „Freizeit“ gab es vielfach nicht, zumal andere Tätigkeiten und häusliche Aufgaben ineinander übergingen. So etwa beschreibt E. T. Thompson den Alltag eines Webers (um 1782) und eines Töpfers (um 1830) mit einem Durcheinander an unterschiedlichen Tätigkeiten, einem unregelmäßigen, jedoch vielfach selbst bestimmten Arbeitsrhythmus: „Wo immer die Menschen ihren Arbeitsrhythmus selbst bestimmen konnten, bildete sich ein Wechsel von höchster Arbeitsintensität und Müßiggang heraus.* Dies sollte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts mit der Beschäftigung von AN, darunter vor allem Kinder und Jugendliche, in den ersten größeren Fabriken grundlegend ändern. Im „Jahrhundert des Fleißes“, wie Roman Sandgruber die Zeit von 1750 bis 1850 bezeichnet, sollten „durch institutionelle Reformen, die auf Disziplinierung der Gesellschaft, Förderung des Fleißes und Hebung der Erwerbsquote abzielten, (...) Produktionskraft, Steuervolumen und Wohlstand gesteigert werden, durch wirtschaftspolitische Verbesserungen und organisatorische Maßnahmen die Risken vermindert, die Produktivität gehoben und Innovationen angeregt werden.* Nun kam es für die AN zu einer Trennung zwischen der dem AG zur Verfügung zu stellenden Zeit und den eigenen Bedürfnissen: „Nicht die Aufgabe, sondern der aufs Geld reduzierte Wert der Zeit wird entscheidend.* Zeitökonomie und Disziplinierung wurden zu Kennzeichen des entstehenden Industriekapitalismus, über den Karl Marx ua feststellte: „Die kapitalistische Produktion, die wesentlich Produktion von Mehrwert, Einsaugung von Mehrarbeit ist, produziert also mit der Verlängerung des Arbeitstages nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeitskraft, welche ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungs- und Betätigungsbedingungen beraubt wird. Sie produziert die vorzeitige Erschöpfung und Abtötung der Arbeitskraft selbst. Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während eines gegebenen Termins durch Verkürzung seiner Lebenszeit.* Die nachfolgenden Bemerkungen geben einen kurzen, prägnanten und doch beschränkten* Überblick über den Arbeitszeitdiskurs in Österreich bis 1918.*

1.
Rechtlose AN in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Der arbeitszeitliche Diskurs setzte in der Monarchie gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit einer Kritik an der zunehmenden Kinderarbeit in Manufakturen und Gewerbebetrieben ein. Beanstandete man anfangs die Unbrauchbarkeit der ausgemergelten Jugendlichen für den Militärdienst,* kritisierte man zusehends die hygienische und soziale Verwahrlosung der Fabrikskinder und es wurden bald auch bildungspolitische Argumentationen ins Treffen geführt.* Ein Diskurs über die Tagesarbeitszeit erwachsener Personen fand in der Monarchie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nicht statt: Die Arbeiterschaft war rechtlos und den Fabrikanten, die als Grundherren oft auch Polizeibehörde waren, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Schon zaghafte Versuche, durch kollektives Handeln eine Besserstellung zu erreichen, wurden oft mit Polizeigewalt geahndet. Während man in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergeblich über eine Beschränkung der Kinderarbeit stritt – ein entsprechendes Hofkanzleidekret vom 11.6.1842* hatte mangels Sanktionen keine Wirkung –, propagierten der Frühsozialist Robert Owen und der Fabrikant John Fielden in England den 8-Stunden-Tag (Pausen nicht eingerechnet) zwischen 1817 und 1833 „als vorteilshafte Rationalisierung der Arbeitszeit“, denn „acht Stunden sind für Hygiene und Geistesentwicklung das äußerste an Arbeitsdauer, (...) niemand hat das Recht, aus Gewinnsucht ande-527re länger arbeiten zu lassen, alle haben an dem Wohlstand der Massen Interesse.* Nachdem nun einige Fabrikanten den 8-Stunden-Tag einführten, jedoch keine Lohnzuwächse gewährten und 1834 Streiks der englischen Spinner und Schneider für den 8-Stunden-Tag keinen Erfolg hatten, erlahmte diese frühe 8-Stunden-Tags-Bewegung bis zum Londoner Gewerkschaftskongress von 1872.* In Österreich wurde 1842 einem im Zusammenhang mit der Diskussion über die Beschränkung der Kinderarbeit von der Tiroler Landesbehörde (Grubernium) eingebrachten Vorschlag, gesetzliche Maßnahmen für alle AN anzuordnen, nicht Rechnung getragen, nachdem sich in einer Befragung alle anderen Landesbehörden dagegen aussprachen. Die Hofkanzlei sah ein legislatives Einschreiten zum Schutz Erwachsener als „bedenklich“ an, da die Arbeitsleistung von AN „ein Gegenstand freien Übereinkommens“ sei und im Übrigen „die Hemmung der Entwicklung der Industrie und endlich die Verschlimmerung der Lage der arbeitenden Classen, insofern sie mit ihrer Subsistenz auf Fabrikserwerb gerichtet ist, zur Folge haben.*

2.
Kampf gegen Ausbeutung 1848

In der vielfach von der Arbeiterschaft getragenen „bürgerlichen Revolution“ von 1848 gehörten Forderungen zu einer Verkürzung der Arbeitszeit zum Anliegen der AN.* So etwa forderten die Schlossergesellen eine Reduktion ihrer Arbeitszeit von täglich 14 auf 12 Stunden als „erste unserer Bitten“. Die Webergesellen baten ihre Fabrikanten, bei „seiner Majestät (...) die allerhöchste Entschließung zu erflehen, dass überall die Löhne der Arbeiter erhöht und die Arbeitsstunden vermindert“ werden. Einer Petition der Seifensieder-Arbeiter um Verminderung ihrer täglichen Arbeitszeit wurde von den Fabrikanten zumindest für die Wintermonate zugestimmt. Und den Wiener Buchdruckern gelang es, in einem ersten KollV vom 9.4.1848, der wenig später auf weitere Städte Österreichs ausgedehnt werden konnte, einen zehnstündigen Arbeitstag zu erreichen. Eine Arbeitszeitvereinbarung enthielt auch der am 28.3.1848 geschlossene Vertrag zwischen den AN und AG der Wiener Seidenerzeuger. Der Organisator und Vorsitzende des „Ersten Allgemeinen Arbeitervereins“, Franz Sander, der bekanntlich für den Oktober 1848 ein „Arbeiterparlament“ einzuberufen hoffte, stellte ebenfalls eine Arbeitszeitverkürzung in den Mittelpunkt seiner Forderungen. In der „Constitution“ schrieb er: „Kann aber ein geplagter Mensch, der sich von morgens 5 Uhr bis 7 Uhr abends (ja es läßt sich behaupten, von 4 bis 8 Uhr) bei schwerer Arbeit abmüht, Sinn für das Wahre, Gute, Schöne haben? Kann er die Erziehung seiner Kinder besorgen? Kann er sich um die Interessen des Vaterlandes kümmern? Nein! Deshalb verlangten unsere Nachbarn, die Franzosen, mit Recht Verminderungen der Arbeitszeit, damit der edlere Teil der Menschen nicht ganz und gar mit Füßen getreten, damit der Geist sich bewusst werde. Und auch wir machen diese Anforderung!*

3.
Arbeitszeit als Machtfrage

Wenn auch vieles, was im Schatten der revolutionären Bewegung 1848 von Fabrikanten gewährt wurde, in den folgenden Jahren der Restauration wieder rückgängig gemacht wurde, so zeigen die Ereignisse und zumindest kurzfristigen Errungenschaften der Arbeiterschaft deutlich, dass die AN nicht bereit waren, die Unterdrückung und Rechtlosigkeit hinzunehmen. Gleichwohl zeigen diese Beispiele erfolgreicher von Solidarität getragener kollektiver Kämpfe, dass es in Zeiten, in welchen die Macht des Kapitals durch gesellschaftspolitische Umstürze geschwächt war, den AN gelang, bedeutende Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lage zu erreichen. Wiewohl in den Revolutionswochen des Jahres 1848 von Arbeitern und Studenten „ein eigenes Ministerium der Arbeiter (...), welches sich ausschließlich mit diesen Angelegenheiten beschäftigt“ gefordert wurde, blieben soziale Agenden bis zur Errichtung eines Sozialministeriums 1917 überwiegend im Handelsministerium beheimatet. Arbeiterschutzbestimmungen, mit Ausnahme des Bergbaues, waren überwiegend Angelegenheiten des Gewerberechts. Wenn auch 1852 von Behörden festgestellt werden musste, dass seit 1948/49 „in der ganzen Monarchie die Willkür der Fabriksbesitzer in Ausbeutung der Arbeitskräfte der Arbeiter zum Nachteil der Letzteren zugenommen haben“, so regelte die auf liberalen Grundsätzen aufgebaute Gewerbeordnung (GewO) von 1859,* abgesehen von der Kinderarbeit, nur marginale Bereiche des Arbeiterrechtes. Nachdem Bestimmungen über die Einsetzung von Fabrikinspektoren abgelehnt wurden, blieb die GewO 1859 weitgehend totes Recht.

4.
Initiativen für den 10-Stunden Tag

Nachdem in der Schweiz für die Arbeit in Fabriken eine zwölfstündige Arbeitszeit für erwachsene AN gesetzlich bestimmt wurde, forderte der Vorarlberger Landtag von der Wiener Regierung eine ähnliche gesetzliche Festlegung, die jedoch nach Befragung der Handels- und Gewerbekammern abgelehnt wurde.* Im Dezember 1868 brachte der böhmische Arzt und Abgeordnete Dr. Franz Moritz Roser* einen Antrag auf Beschränkung der täglichen Arbeitszeit in den Fabriken auf zehn Stunden ein, der einem Ausschuss zuge-528wiesen wurde.* In dem vom wirtschaftlichen Liberalismus getragenen Ausschussbericht* wird festgestellt, was im Übrigen von den Handels- und Gewerbekammern und Unternehmervereinen nahezu gebetsmühlenartig in Folge immer wieder betont werden sollte, nämlich dass eine gesetzliche Festsetzung der Dauer der täglichen Arbeitszeit für Erwachsene

  • ein Eingriff in die Rechte eines mündigen Staatsbürgers sei (was allein schon ein Hohn war, denn die AN hatten bekanntlich kein Wahlrecht in die gesetzgebenden Körperschaften) und

  • einen Eingriff in die von Angebot und Nachfrage bestimmte Lohngestaltung darstellt,

  • da man den „tüchtigen“ AN nicht verbieten könne, mehr zu arbeiten, um damit mehr „Tageslohn“ zu erreichen,

  • wie man auch den Unternehmern nicht verbieten dürfe, die Arbeit dem Auftragsbestand entsprechend flexibel einzuteilen.

Dementsprechend sprach sich der Ausschuss „vom prinzipiellen Standpunkt gegen eine allgemein geltende Bestimmung über die tägliche Arbeitsdauer für Erwachsene aus“, wünschte und hoffte jedoch „dass die freiwillige Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit auch in Österreich, wie in anderen der Industrie fortgeschrittenen Ländern, einen kräftigen Fortgang nehmen werde.“* Allerdings konnte sich der Ausschuss arbeitsmedizinischen Argumenten für eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht verschließen und stellte dazu fest: „Es ist gegenwärtig in allen Industriestaaten anerkannt, dass, je länger die Arbeitszeit dauert, umso sicherer eine Überanstrengung der Arbeiter zu besorgen ist. Darunter leidet zunächst das körperliche Befinden, Krankheiten und frühzeitige Arbeitsunfähigkeit sind die unausbleiblichen Folgen der Überanstrengung. Gleichzeitig leiden Gesittung und Gemüt des übermüdeten Arbeiters; jede Fortführung wird ihm unmöglich gemacht, das Familienleben wird ihm verkümmert. (...) Ein Mensch, welchem das nötige Maß der Ruhe, des Schlafes, der körperlichen, geistigen und sozialen Erholung entzogen wird, kann selbst in der ihm ungebührlich verkürzten Periode seiner wirklichen Arbeitsfähigkeit auf die Dauer unmöglich so viel leisten wie ein Mensch, der bei kürzerer Zeit immer frisch, kräftig, munter und aufmerksam bei seiner Arbeit bleibt.* Das „Hoffen“ mancher Mitglieder des sozialpolitischen Ausschusses auf Einsicht der Industriellen war – wie nicht anders zu erwarten – vergeblich.

5.
Kampf um den „Normalarbeitstag“

In zahlreichen zum Teil mit Polizeigewalt niedergeschlagenen Demonstrationen und Streiks nahm die sich in bildungs- und gewerkschaftlichen Fachvereinen organisierende frühe Arbeiterbewegung nach Erringung des Koalitionsrechtes 1870 den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen auf.* So etwa konnte nach einem Streik der Seidenfärber 1872 eine zehnstündige tägliche Arbeitszeit erkämpft werden. In einer Versammlung von rund 800 Arbeitern und 200 Arbeiterinnen wurde in Wien einstimmig der 10-Stunden-Tag gefordert.* Die Forderung nach einer gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit auf einen „Normalarbeitstag“ wie es damals hieß, wurde neben jener nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht zu einer ihrer zentralen Forderungen, die auch in entsprechenden Petitionen an den Reichsrat gerichtet wurden.* Die Einführung eines „Normalarbeitstages“ war denn auch Bestandteil des Forderungskatalogs der sich 1874 in Neudörfl beratenden Vertreter der „österreichischen Arbeiterpartei“.* Bereits durch große Streiks 1880/81 erkämpften die Bergarbeiter eine Zwölf-Stunden-Schicht, wobei die faktische Arbeitszeit zehn Stunden täglich nicht überschreiten durfte. Damit wurden für einen Teil der Arbeiterschaft, der allerdings eine Sonderstellung zukam, die ersten Arbeitszeitnormen für Erwachsene eingeführt.*

6.
Die Arbeiterschutzenquete 1883

Im Rahmen der 1879 mit einem Regierungsvorschlag einsetzenden parlamentarischen Diskussion im Abgeordnetenhaus des Reichsrates über eine Neufassung der Gewerbeordnung fand vom 30.4. bis 8.5.1883 eine „Enquete über die Arbeitergesetzgebung“ statt.* Dabei ging es neben Fragen der Kinderarbeit auch um eine allgemeine gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit und um die Sonn- und Feiertagsarbeit „ohne Gefährdung der Concurrenzfähigkeit der Industrie und der Erwerbsfähigkeit des Arbeiterstandes“. Einleitend hielt der Arzt Abg. Dr. Rosner ein Plädoyer für einen zwölfstündigen Arbeitstag, wobei zwei Stunden auf Ruhens- und Essenszeit zu entfallen hätten. Sonn- und Feiertagsarbeit habe für alle Gruppen von AN zu gelten, Ausnahmen seien nur „im äußersten Notfall“ zuzulassen. Dieser Ansicht schloss sich auch der Arzt Abg. Dr. Steidl weitgehend an, während der unternehmerfreudliche Abgeordnete und Arzt529Dr. Julian Czerkanski meinte, die Causa Arbeitszeit sei „keine Frage der Ärzte, sondern eine solche, welche sich auf die national-ökonomische Concurrenz- und Erwerbsfähigkeit der Industrie bezieht“. In der Enquete, zu der auch Vertreter von Arbeiter- und Fachvereinen als Auskunftspersonen geladen waren, prallten dann die Ansichten von AN, AG, linken liberalen Abgeordneten und katholisch-konservativen Sozialreformern aufeinander. Letztere unterstützten die geladenen AN, die zwar kritisierten, dass sie ad personam und nicht als Vertreter der Vereine geladen wurden, aber dennoch heftige Kritik an den Aussagen der Auskunftspersonen der AG übten, welche die Arbeitsverhältnisse als produktionstechnisch notwendig und den AN angemessen darzustellen versuchten. Einmal mehr warnten die AG-Vertreter unterschiedlicher Branchen vor einem gesetzlichen Normalarbeitstag und wiesen stereotyp auf die dann gefährdete Konkurrenzfähigkeit sowie auf eine Beschränkung der persönlichen Freiheit des AN hin. Das gedruckt vorliegende 370 Seiten starke Wortprotokoll der Enquete des Abgeordnetenhauses ist das erste „offizielle“ Dokument, durch das Vertreter von gewerkschaftlichen Vereinen einer breiten Öffentlichkeit offen über die katastrophalen Zustände in den Unternehmungen und über die brutale Ausnützung der Arbeitskraft der AN durch das nur auf maximalen Gewinn orientierte Kapital berichten konnten. Die Enquete trug viel zum öffentlichen Diskurs über die Notwendigkeit einer Arbeiterschutzgesetzgebung bei und half letztlich den katholischen Sozialreformern, zumindest den elfstündigen Arbeitstag in Fabriken durchzusetzen.

7.
Die GewO 1885

In der der 9. Session des Abgeordnetenhauses eingebrachten Regierungsvorlage wurde die Außerachtlassung einer Festlegung einer Arbeitszeit für erwachsene Personen mit der Vermeidung einer „Verletzung der individuellen Freiheit eigenberechtigter Personen“ begründet: „Die Abkürzung einer allzulangen Arbeitszeit, welche allerdings ein berechtigter Wunsch der Hilfsarbeiter ist, kann nur im Wege des freien Übereinkommens zwischen Gewerbsinhaber und Hilfsarbeiter stattfinden. Es ist gewiß richtig, daß eine übermäßige Arbeitsdauer schädlich ist, und nachgewiesenermaßen führt eine quantitativ geringe Arbeitszeit meistens zu qualitativ besserer Leistung.* Da sich jedoch – so die Schlussfolgerung im Motivenbericht zum Regierungsentwurf – der AG bei der Einführung von überlangen Arbeitszeiten selbst wirtschaftlich schädigen würde, wird er es bleiben lassen. Dies zeige sich auch darin, dass in vielen Betrieben die Arbeitszeit bereits verringert wurde. Verschwiegen wurde, dass dieser Verkürzung der täglichen Arbeitszeit Druck von gewerkschaftlichen Fachvereinen sowie Arbeitskämpfe vorausgingen. Auch die zweite Regierungsvorlage enthielt keine Bestimmungen über die Dauer der täglichen Arbeitszeit.*

Das letztlich beschlossene und kaiserlich sanktionierte VI. Hauptstück der GewO 1885* enthielt erstmalig Bestimmungen über die Fürsorgepflicht des AG, über „angemessene Ruhepausen“, über Sonn- und Feiertagsruhe* sowie auch über Beschränkungen in der Ausnützung der Arbeitskraft von Kindern, Jugendlichen und Frauen uvm. In der betrieblichen Praxis blieben diese Bestimmungen jedoch oft mangels Sanktionen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vielerorts Schall und Rauch. Darüber hinaus gelang es jedoch den katholischen Sozialreformern, in langwierigen Verhandlungen in den Ausschussberatungen, entgegen den ursprünglichen Regierungsentwürfen trotz vehementen Widerstands der liberalen Linken des Abgeordnetenhauses, zumindest für Fabriksarbeiter einen elfstündigen Arbeitstag durchzusetzen.* Der bis Dezember 1918 gesetzlich gültige § 96a lautete: „In den fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen darf für die gewerblichen Hilfsarbeiter die Arbeitsdauer ohne Einrechnung der Arbeitspausen nicht mehr als höchstens 11 Stunden betragen. Doch kann der Handelsminister im Einvernehmen mit dem Minister des Inneren und nach Anhörung der Handels- und Gewerbekammern diejenigen Gewerbskategorien im Verordnungswege bezeichnen, welchen mit Rücksicht auf die nachgewiesenen Bedürfnisse derselben die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit um eine Stunde zu gewähren ist, und ist die Liste derselben von drei zu drei Jahren zu revidieren.“ Für die Unternehmungen mit Schichtarbeit („kontinuierliche Betriebe“) konnte der Handelsminister per Verordnung die Arbeitszeit „angemessen regeln“.*

8.
Victor Adler und die GewO 1885

Die GewO 1885 hatte den Behörden die Möglichkeit geboten, Ausnahmen von der elfstündigen täglichen Arbeitszeit zu genehmigen. So wurde den Baumwollspinnereien per Verordnung des Handelsministers drei Mal, jeweils auf ein Jahr beschränkt, ein zwölfstündiger Arbeitstag erlaubt. Als den Fabrikanten 1888 mitgeteilt wurde, dass eine weitere Verlängerung um ein Jahr nicht mehr geplant sei, reagierte der Verband der Baumwollspinner mit einer umfangreichen Petition an den Minister.* Die Industriellen versuchten nachzuweisen, dass die österreichischen Baumwollspinnereien gegenüber den Nachbarländern Deutsches Reich und Ungarn durch Steuern, Abgaben, Gebühren udgl benachteiligt wären. Eine Einhaltung des von der GewO 1885 vorgeschriebenen elfstündigen Arbeitstages würde darüber hinaus die AN durch ein Sinken der Löhne und der dann notwendig gewordenen Einführung von Nachtarbeit schwer treffen. Darüber hinaus drohten sie unverhüllt mit der Verlagerung ihrer Betriebe nach Ungarn, welches keine Arbeitszeitbeschränkung kannte. Das530Elaborat brachte Victor Adler auf die Palme. In drei in der „Gleichheit“ veröffentlichten Artikeln zerlegte er inhaltlich die Argumentation der Fabrikanten, wies nach, dass das Lohnniveau ohnehin bereits miserabel sei und stellte fest: „Unverhüllter ist die Brutalität, frecher die Schamlosigkeit der Besitzerklasse wohl kaum je zu Tage getreten als in dieser ehrenbietigst unterbreiteten Petition.“* Über die Ausbeutung der Wiener Tramwaykutscher schrieb Adler in dem ihm eigenen schwarzen Sarkasmus: „Die Tramway-Gesellschaft hat bekanntlich zwei Gattungen von Bediensteten. Die einen haben eine Arbeitszeit von 16-21 Stunden und ganz ungenügend Nahrung; die anderen arbeiten täglich 4 Stunden und werden reichlich genährt. Die ersten sind die menschlichen Bediensteten, die anderen die Pferde. Denn Menschenfleisch ist spotbillig in unserer Gesellschaft, Pferde aber kosten schweres Geld.*

9.
„Acht Stunden aber wollen wir Mensch sein“

Am 1.5.1886 scheiterte der amerikanische Gewerkschaftsverband Federation of Organized Trades und Labor Unions, den 8-Stunden-Tag mit einer Großdemonstration durchzusetzen.* In Chicago wurde der Streik von 40.000 AN von der Polizei mit Brutalität niedergeschlagen. Ohne sich darauf zu beziehen, beschloss die American Federation of Labour 1888 am 1.5.1890, mit Demonstrationen ihrer Forderung nach einer achtstündigen täglichen Arbeitszeit Nachdruck zu verleihen. Der 1889 in Paris tagende internationale Arbeiter-Congreß, an dem auch österreichische Sozialdemokraten unter Victor Adler teilnahmen, schloss sich dieser Forderung an. Der 1. Mai wurde in den folgenden Jahren zu einer machtvollen Kundgebung der Arbeiterbewegung für die Erreichung des 8-Stunden-Tages, nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht und für die Sicherung des Friedens.* Die „weitestgehende Beschränkung der Arbeitszeit“ durch „eine lückenlose und ehrliche Arbeiterschutzgesetzgebung“ unter Kontrolle von Gewerkschaften war denn auch Bestandteil der „Prinzipienerklärung“ der sich 1888/98 in Hainfeld konstituierenden Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs.*

10.
Arbeitszeitverkürzung durch Kollektivvertrag

Bereits dem ersten Gewerkschaftskongress der Freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften in Wien im Dezember 1893 lag ein Antrag des späteren langjährigen Sekretärs der Gewerkschaftskommission Anton Hueber vor, für einen Generalstreik mit den Forderungen nach einem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht sowie für die Verkürzung der Arbeitszeit auf täglich acht Stunden einzutreten.* Wurde dieser Antrag ob seines politischen Inhalts und der Durchsetzungsdrohung mittels Generalstreik dem Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) zur Behandlung zugewiesen, so forderte bereits der zweite Gewerkschaftskongress 1896 unmissverständlich „durch die Gesetzgebung einen Maximalarbeitstag von 8 Stunden“.* Bereits ein Jahr zuvor war es dem Zentralverband der Buchdrucker gelungen, eine neunstündige tägliche Arbeitszeit für ganz Österreich durchzusetzen, die 1905 dann weiter auf 8 1/2 Stunden verkürzt werden konnte.* Während in der Folge die Sozialdemokratie auf parlamentarischer Ebene für eine gesetzliche Regelung der täglichen Arbeitszeit eintrat, erkämpften die Gewerkschaften in zahlreichen Kollektivvertragsverhandlungen eine sukzessive Verkürzung der täglichen und der wöchentlichen Arbeitszeit. Unterstützung erhielten die Gewerkschaften durch die regelmäßigen Berichte der Gewerbeinspektoren, die Arbeitszeitverletzungen anprangerten, und durch den Arbeitsbeirat des Arbeitsstatistischen Amtes im Handelsministerium, indem Gewerkschafter ein Mitspracherecht hatten.* 1906 veröffentlichte das Arbeitsstatistische Amt eine eindrucksvolle Aufstellung, in welcher die Erfolge der Lohnkämpfe ersichtlich wurden.* Es konnte gezeigt werden, dass der einst gesetzlich normierte elfstündige Normalarbeitstag in vielen Branchen längst nicht mehr aktuell war. So arbeiteten im Jahr 1906 in der Metallverarbeitung 46,9 %, in der Maschinenindustrie 88 %, in der Kautschukindustrie 95 %, im Tapezierergewerbe 90,8 %, in der Bekleidungsindustrie 71,5 % und in der Textilindustrie 40,9 % (1908 waren es dann bereits 71,5 %) der beschäftigten AN zehn Stunden am Tag oder weniger.* 1919 sprach der sozialdemokratische Abgeordnete Josef Wiedenhofer für die Zeit von 1889 bis 1905 von über 3.000 gewerkschaftlichen Verhandlungen und Arbeitskämpfen mit dem Ziel einer Verkürzung der Arbeitszeit: „In dem Kampfe um die Forderung nach dem Achtstundentag wurde in dieser Zeit von 1889 bis 1905 erreicht, daß die Arbeitszeit in 3000 Betrieben der Großindustrie, der Kleinindustrie und der gewerblichen Industrie von 60 auf 57 Stunden vermindert wurde.* Die gewerkschaftlichen Erfolge wurden indes von AN-531Vertretern und Industriellen gegensätzlich interpretiert: Die Gewerkschafter forderten ob den großen regionalen und branchenspezifischen Ungleichheiten eine Arbeitszeitverkürzung für alle AN. Die Unternehmer, die Regierung und liberale Abgeordnete sahen in den Kollektivvertragserfolgen ein Argument von einer gesetzlichen Regelung über die GewO 1885 hinaus Abstand zu nehmen, da diese in vielen Betrieben ohnehin bereits Realität sei.*

11.
Das Scheitern des gesetzlichen 10-Stunden-Tages

Am 30.4.1909 stellte Ferdinand Hanusch im Abgeordnetenhaus den Antrag, die zulässige Arbeitszeit in allen Gewerbebetrieben etappenweise zu verkürzen: Bis Ende des Jahres 1912 sollte sie zehn Stunden, 1913 bis 1915 neun Stunden und ab 1916 acht Stunden betragen.* Darüber hinaus wurden Anträge über den 8-Stunden-Tag im Bergbau und in den „kontinuierlichen Betrieben“ (Schichtarbeit) eingebracht. Nachdem es jedoch den Unternehmern erfolgreich gelang, eine Beschlussfassung mit Verweis auf weitere notwendige Erhebungen zu verhindern, dazumal auch der christlichsoziale Abgeordnete Leopold Kunschak einen Antrag auf Einführung einer zehnstündigen Arbeitszeit eingebracht hatte, beschlossen SDAP und Freie Gewerkschaften, ihren Antrag auf einen zehnstündigen Arbeitstag zu modifizieren. Dies rief zwar Unmut bei ihren Mitgliedern hervor, zumal damit ein Abgehen von der zentralen Forderung nach einem 8-Stunden-Tag befürchtet wurde, schien jedoch angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus das einzig Durchsetzbare. Schließlich mussten jene rund 40 % der AN in Betracht gezogen werden, die nicht in den Genuss der gewerkschaftlichen Erfolge kamen und deshalb noch immer eine Arbeitszeit über zehn Stunden täglich zu leisten hatten. Allein dieser vom SDAP-Abgeordneten Karl Seitz im sozialpolitischen Ausschuss ausführlich begründete Antrag* wurde von den Industrie- und Gewerbevertretern 1913 mit 21 zu 11 Stimmen abgelehnt und kam im Plenum des Abgeordnetenhauses nicht zur Verhandlung. Die Unternehmervertreter argumentierten, dass es zum einen viele Übergangs- und Ausnahmebestimmungen sowie eine Festlegung bräuchte, Überstunden auch über die gesetzlich fixierte Maximalarbeitszeit anzuordnen. Abgesehen davon, dass – wie behauptet wurde – das Kleingewerbe dann überhaupt vor dem Ruin stehen würde, wäre eine schwere Schädigung der Produktivität und der Konkurrenzfähigkeit der Industrie zu erwarten, welche die gesamte Bevölkerung, mithin auch die Arbeiterschaft, schwer treffen würde. Im Übrigen verwies man auf noch ausstehende internationale Festlegungen.*

12.
Von der Monarchie zur Republik

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs hob die diktatorische Regierung Stürgkh eine Reihe von Arbeitsschutzbestimmungen auf. Nach Wiedereinberufung des Reichstages brachte Ferdinand Hanusch am 15.7.1917 im Auftrag der Gewerkschaftskommission erneut den 1909 eingebrachten und 1913 abgelehnten Antrag auf einen zehnstündigen Maximalarbeitstag für die gewerblichen Hilfsarbeiter ein,* der kurz darauf vom sozialdemokratischen Abgeordneten Jakob Reumann mit einem Antrag auf eine wöchentliche Maximalarbeitszeit von 55 Stunden ergänzt wurde.* Unmittelbar nach der Beendigung des infolge der katastrophalen Ernährungslage ausgebrochenen Massenstreiks im Jänner 1918* stellten die sozialdemokratischen Abgeordneten zur Befriedung der AN den Antrag, einen achtstündigen Arbeitstag in allen für den Kriegsbedarf arbeitenden Betrieben festzulegen.* Im Juli 1918 brachten die tschechischen Reichstagsabgeordneten Václav Klofác und František Svoboda, mit Hinweis auf die miserable Ernährungslage und der Erschöpfung der AN durch Überarbeitung, Anträge auf Einführung des achtstündigen Maximalarbeitstages in allen der GewO und der staatlichen Verwaltung unterworfenen Unternehmungen sowie auf eine entsprechende Änderung des Handlungsgehilfengesetzes ein.* Der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und die Gründung der Republik verhinderten eine Behandlung dieser Anträge, eröffneten aber Ferdinand Hanusch als Staatssekretär für soziale Fürsorge die Möglichkeit, mit Begründung der hohen Arbeitslosigkeit den 8-Stunden-Tag vorläufig für die Übergangszeit bis zum Friedensschluss für fabriksmäßig betriebene Gewerbeunternehmungen durchzusetzen und damit einen ersten Meilenstein in der sozialpolitischen Entwicklung zu setzen.* Nachdem in der Zwischenzeit der 8-Stunden-Tag von mehreren Staaten bereits eingeführt wurde oder sich in Verhandlung befand, konnte im Dezember 1919 der 8-Stunden-Tag auch für alle gewerblichen Betriebe definitiv durchgesetzt werden.*

Abschließend bleibt anzumerken: Als „wahrlich konstruktiver Beitrag“ zum 100-jährigen Republikjubiläum wurde nun im September 2018 von der Bundesregierung der von der Arbeiterbewegung nach jahrzehntelangen Ringen erkämpfte und vor 100 Jahren erstmals gesetzlich normierte 8-Stunden-Tag mit genau jenen perfiden Argumenten (Wettbewerb, Flexibilisierung, Wunsch von Teilen der AN) zunichtegemacht, mit welchen es den AG bis 1918 gelang, eine Gesetzeswerdung zu verhindern.532