SchmittDie Haftung betriebsverfassungsrechtlicher Gremien und ihrer Mitglieder

Nomos Verlag, Baden-Baden 2017 985 Seiten, broschiert, € 199,–

THOMASMATHY (LINZ)

Mit dem vorliegenden Werk, welches auf ihrer im Oktober 2016 approbierten Dissertation beruht, hat sich Schmitt zum Ziel gesetzt, ein in sich schlüssiges betriebsverfassungsrechtliches Haftungs- und Sanktionensystem vorzulegen, das sich friktionsfrei in die Privatrechtsordnung einfügt. Dieser breit gewählte Ansatz ist ausdrücklich zu begrüßen, trägt er doch der tiefen Einsicht von Stammler (Theorie der Rechtswissenschaft [1911] 24 f) Rechnung, dass die Anwendung eines Paragrafen eines Gesetzbuches auf die Anwendung der ganzen Rechtsordnung hinausläuft. Wenn demgegenüber Schneller (DRdA 2018, 178 f) es jüngst als „petitio principii“ abgetan hat, dass die Frage nach einer zivilrechtlichen Haftung des Betriebsratsmitgliedes nicht allein mit dem Wortlaut des § 115 ArbVG zu lösen ist, sondern dies aus dem ganzen II. Teil des ArbVG abgeleitet werden muss, lässt dies außer Acht, dass die Heranziehung aller Erkenntnisquellen zum richtigen Verständnis einer Rechtsnorm – insb eben auch der teleologisch-systematischen Interpretation – niemals ein Zirkelschluss sein kann; dies folgt schon aus dem in § 6 ABGB verwendeten „und“ (vgl dazu Strasser, Rechtsdogmatik, Rechtstheorie und juristische Methodologie,

). Der vermeintliche Zirkelschluss erweist sich daher in Wahrheit als hermeneutischer Zirkel – die Grundlage jedes Verstehensprozesses (vgl mwN Mayer-Maly, Auslegen und Verstehen, JBl 1969, 413 ff).

Bezüglich der der Haftungsproblematik vorgelagerten Frage nach dem Umfang der Rechtsfähigkeit des BR gelangt Schmitt – entgegen der hA in der BRD – zum Ergebnis einer umfassenden Vermögensfähigkeit (S 212 ff). Wenn dafür ins Treffen geführt wird, dass dem dBetrVG keine klare Aussage zur vermögensrechtlichen Stellung des BR zu entnehmen sei, eine Vermögensfähigkeit folglich nicht ausgeschlossen539werde, muss dem entgegengehalten werden, dass sich dem dBetrVG eben auch kein Hinweis auf eine unbeschränkte Vermögensfähigkeit entnehmen lässt. Auch der Schluss aus § 41 dBetrVG – ein Umlageverbot wäre sinnlos, wenn der BR nicht umfassend vermögensfähig wäre – vermag dieses Ergebnis mE nicht befriedigend zu begründen: Zumindest ebenso naheliegend wäre es anzunehmen, dass mit dem Umlageverbot bloß jene Form der Akquirierung von Vermögenswerten eine explizite Regelung erfahren hat, die (ansonsten) die größte praktische Relevanz hätte, dass darin jedoch der induktiv zu erschließende Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt, sämtliche – im dBetrVG nicht ausdrücklich vorgesehene – Formen der Finanzierung der Betriebsratstätigkeit auszuschließen. Es wäre dies eine Sichtweise, die dem Umstand Rechnung trägt, dass die Binnenverfassung des BR nach dem dBetrVG Fragen der Verwaltung und Kontrolle von Finanzmitteln ebenso wenig regelt wie deren Schicksal nach Ablauf der Funktionsperiode. Der ursprüngliche Zweck des Umlageverbots – Vermeidung einer Konkurrenzierung der Gewerkschaften – wäre folglich für die Auslegung des § 41 dBetrVG nicht allein ausschlaggebend.

Maßgebliche Bedeutung für die Frage nach der Haftung des Betriebsratsmitgliedes bzw des BR als Gremium hat die Art der Rechtsbeziehung, die zwischen den einzelnen AN bzw dem AG auf der einen Seite und den einzelnen Betriebsratsmitgliedern bzw dem BR auf der anderen Seite besteht. Schmitt nimmt nicht nur im Verhältnis zum AG ein gesetzliches Schuldverhältnis an, sondern auch im Verhältnis zu den einzelnen AN. Zwar ergeben sich aus diesen idR keine konkreten Leistungspflichten iSd § 241 Abs 1 dBGB, als solche qualifiziert Schmitt vorrangig die gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten (deren Charakter als Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 dBGB sie ohnehin auch bejaht [S 653 ff]); aus diesen Schuldverhältnissen leitet Schmitt jedoch Rücksichtnahmepflichten iSd § 241 Abs 2 dBGB ab. Gerade im Hinblick auf die im Verhältnis zu den einzelnen AN angenommenen gesetzlichen Schuldverhältnisse – bei denen Schmitt die Haftung analog §§ 31a, 31b dBGB auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einschränkt (S 609 ff) – erscheint die Argumentation problematisch: Nachdem dargelegt wird, dass eine Subsumtion unter keinen in § 311 dBGB positivierten Typus eines rechtsgeschäftlichen bzw rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses möglich ist, wird ein Schuldverhältnis infolge „nicht zufälligen Kontakts ohne Vertragsnähe“ angenommen (S 428 ff). Dieses sei ua durch erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf Rechtsgüter des anderen sowie durch Gewährung und Inanspruchnahme berechtigten Vertrauens gekennzeichnet. Vertrauen ist freilich ein sehr weiches Abgrenzungskriterium (so zu Recht Reischauer in Rummel, ABGB3 Vor §§ 918–933 Rz 14). Dies sieht wohl auch Schmitt und stellt daher zusätzlich darauf ab, ob berechtigterweise auf die Berücksichtigung der Individualinteressen vertraut werden dürfe und differenziert in der Folge danach, inwiefern das einzelne Mitwirkungsrecht die Rücksichtnahme auf Individualinteressen gebietet (S 468). Damit ist man zum eigentlichen Kern des Problems durchgedrungen, nämlich der Frage der Interessenträgerschaft in der Betriebsverfassung (ausführlich dazu zum österreichischen Recht Mathy, Haftung des Betriebsratsmitgliedes? [2016] 38 ff). Wenn Schmitt eine Interessenträgerschaft des einzelnen AN annimmt (S 404 ff), steht dies in auffälligem Spannungsverhältnis zu dem von ihr hervorgehobenen Umstand, dass die Belegschaft (S 155 f) und der BR (S 348) körperschaftliche Strukturen aufweisen. Das hervorstechende Merkmal der Körperschaft liegt darin, dass diese Träger eigenständiger Interessen ist, welche sich zwar von den Individualinteressen der Mitglieder ableiten, sich jedoch von diesen verselbstständigt haben (ausführlich Ostheim, Zur Rechtsfähigkeit von Verbänden im österreichischen bürgerlichen Recht [1967] 15 ff). Gerade hier wäre zu erforschen gewesen, ob eine solche Transformation auch im Rahmen des dBetrVG stattfindet bzw wenn nicht, welche Individualinteressen des einzelnen AN – objektive oder tatsächliche – zu verfolgen sind. Erst auf dieser Basis lässt sich beantworten, was ein pflichtwidriges Erfolgsunrecht darstellt und welche bzw wessen Schäden innerhalb des Rechtswidrigkeitszusammenhangs liegen (vgl Mathy, Haftung 38 ff, 101 ff).

Problematisch sind die Ausführungen zur sinngemäßen Anwendung des § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG („Geschäftsleiterermessen“). Diese will Schmitt auf das Innenverhältnis (maW: das Verhältnis zwischen BR bzw Betriebsratsmitglied und einzelnen AN) beschränken (S 541 ff). Dem dafür angeführten Beleg (Spindler in MünchKomm-AktG § 93 Rz 1) lässt sich eine solche kategorische Einschränkung auf das Innenverhältnis nicht entnehmen. Im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum ist es vielmehr anerkannt, dass auch im Außenverhältnis vergleichbare haftungsfreie Ermessensspielräume bestehen (zB Fleischer in Spindler/Stilz, AktG3 [2015] § 93 Rz 78). Im Übrigen schreiben sowohl § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG als auch § 84 Abs 1a AktG ohnehin bloß fest, was bereits zuvor von BGH und OGH zum Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsleiters judiziert wurde; das für die amerikanische Business Judgment Rule zentrale Element der Beweislastverteilung zugunsten des Geschäftsleiters wurde von beiden Regelungen nicht übernommen (vgl mwN Herda, JAS 2018, 162 f; dies übersieht Schneller, DRdA 2018, 179). § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG stellt also Voraussetzungen auf, unter denen der Geschäftsleiter jedenfalls sorgfaltsgemäß handelt, maW: kein Verhaltensunrecht vorliegt. Ohne Verhaltensunrecht besteht aber grundsätzlich keine Verschuldenshaftung.

Auch die weitgehende Ablehnung einer Parallele zwischen Staat und Belegschaft (S 156 f) erscheint vorschnell: Ungeachtet des Umstands, dass damit die Entstehungsgeschichte des Betriebsverfassungsrechtes außer Acht gelassen wird (zB Freese, Die konstitutionelle Fabrik3 [1919]), trägt das vorgebrachte Argument, das Demokratieprinzip bezwecke anders als die Betriebsverfassung „nicht die Begrenzung von Herrschaftsgewalt“, nicht. „...[D]emocracy cannot be absolute domination, not even an absolute domination of the majority.“, so eindrucksvoll Kelsen, The Foundations of Democracy (1955) 27. Trotz mannigfaltiger Unterschiede zwischen Staats- und Betriebsverfassung sind – mit der gebotenen Vorsicht – durchaus Parallelen zu ziehen (vgl Spielbüchler, Die Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder,

). Eine solche besteht zwar nicht hinsichtlich der haftungsrechtlichen Stellung im Allgemeinen, man denke einerseits an die durch Art 57 B-VG vermittelte berufliche Immunität des Abgeordneten sowie andererseits an die540unbestrittene Möglichkeit der Inanspruchnahme des Betriebsratsmitgliedes ex delicto (zB gem § 1295 Abs 2 ABGB). Eine Parallele zwischen dem Beschluss des BR sowie jenem des Nationalrats – und damit in weiterer Folge auch hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens des Organmitgliedes – ergibt sich aber bezüglich des Erfolgsunrechts, konkret hinsichtlich des Umfangs des Ermessens und daran anknüpfend der Möglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung (vgl eingehend Mathy, Haftung 68 ff; unklar dazu Schneller [DRdA 2018, 178 f], der meint, dass ich mich trotz der Untermauerung der diesbezüglichen Rsp [zB RIS-Justiz RS0051052] mit dieser „offenbar nicht abfinden“ will).

Die vorstehende Kritik soll die Leistung von Schmitt nicht schmälern. Es ist ihr gelungen, das angestrebte in sich stimmige System betriebsverfassungsrechtlicher Verantwortung vorzulegen. Restlos überzeugend sind die Ausführungen jedoch nur dann, wenn man Schmitt in ihren Prämissen folgt; gerade diese erscheinen aber mitunter als nicht zwingend.