Giesen/KerstenArbeit 4.0 – Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht in der digitalen Welt

C.H. Beck Verlag, München 2018 291 Seiten, gebunden, € 29,80

KATRINWETSCH (SALZBURG)

Die Arbeitswelt ist im Wandel, die Digitalisierung verändert individuelle und kollektive Arbeitsbeziehungen und viele weitere Bereiche der heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft. Das zu besprechende Werk hat sich das Ziel gesetzt, einen Blick in die zukünftige („neue“) Arbeitswelt zu werfen. Es will gegenwärtige Probleme an der Schnittstelle von Technik, Kultur, Politik und Recht (unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklungen) diskutieren und soll insb Vertreter sowohl der AG- als auch der AN-Seite ansprechen.

Hält man das Buch erstmals in Händen, sticht formal zunächst die optische Gliederung (in insgesamt zehn Kapitel) ins Auge. Dabei fällt auf, dass insb im Inhaltsverzeichnis teils boulevardeske Formulierungen (durch Schlagwörter wie „New Labour“, oder „Solidarität-to-go“) gewählt und keine zusätzlichen Gliederungsebenen (in Form von Unterkapiteln) eingefügt wurden. Das vorliegende Werk umfasst 291 Seiten, Absätze werden nur sparsam eingesetzt. All das deutet bereits auf die gesamtkonzeptionelle Ausrichtung des Buches hin: Es handelt es sich um keine juristische Abhandlung arbeitsrechtlicher Problemkreise, vielmehr wollen die Autoren des Buches eine Prognose der zukünftigen Arbeitswelten unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Folgen geben.

In der Einleitung (1.) diskutieren die Autoren das grundsätzliche Verständnis von „Arbeiten 4.0“ des Weißbuch Arbeiten 4.0. (2016) des deutschen BM für Arbeit und Soziales und die dort zugrunde gelegte Spiegelung der „Industrie 1.0 bis 4.0“ in „Arbeit 1.0 bis 4.0“.

Inhaltlich wird sodann ein recht breites Themenfeld angerissen, das die vielseitigen Herausforderungen (1. „Wer arbeitet in der digitalisierten Welt wie selbstbestimmt?“) von Arbeit 4.0 anhand „sieben Fragen der digitalisierten Arbeitswelt“ (S 26) näher herausarbeiten will: Dabei geht es zunächst um unser bisheriges Verständnis von Arbeit sowie um die „Volkskrankheit“ Burnout als neue Form der Überforderung (2. „Brauchen wir deshalb neue Regeln für unseren Maschinenpark?“).

Daran anknüpfend werden ausgewählte Themenfelder wie „Crowdwork“ (3. „Handelt es sich dabei um digitale Wander- oder Heimarbeiter?“) sowie die Zusammenarbeit in Betrieben (4. „Welche soziale Konsistenz entfaltet der Betrieb im Spannungsfeld von Realität und Virtualität?“) bzw (5. „Passt das Betriebsverfassungsgesetz noch in die digitalisierte Arbeitswelt?“) behandelt.

Auch die Thematik, dass Gewerkschaften vor der Frage stehen, wie sie einerseits die Gewerkschaftsmitgliedschaft institutionell profilieren (6. „Gelingt den Gewerkschaften ein neuer Balanceakt zwischen Klassenbewusstsein und Solidarität-to-go?“) und andererseits die Interessen von AN in zunehmend flüchtigen Arbeitsverhältnissen virtuell repräsentieren können, wird (7. „Brauchen wir eine Governance der Schwärme?“) im Werk behandelt.

Unbestritten ist, dass die Digitalisierung zahlreiche Teilgebiete des derzeitigen Betriebsverfassungsrechts berührt. Die feststellbaren Veränderungen der Arbeitswelten werfen freilich die Frage auf, wie kollektive Mitbestimmung in der digitalisierten Arbeitswelt funktionieren kann.

Das Hauptaugenmerk der Diskussion wird dabei oftmals auf den Betriebsbegriff gelegt, der – so die Kritik der Autoren – in einer entgrenzten Arbeitswelt zunehmend an Kontur verliere. Dies führe im Lichte einer individualisierten Arbeitswelt dazu, dass die Chancen auf die Bildung von Betriebsvertretungen sinken, weil das derzeitige System der Betriebsverfassung für „konventionelle“ Betriebe konzipiert worden sei. Dabei helfe die Erweiterung des Betriebsbegriffs wenig weiter, weil das geltende (starre) Betriebsverfassungsrecht keine Möglichkeiten für flexible Kooperationsmodelle und schnelllebige Strukturänderungen biete und jede Erweiterung des Betriebsbegriffs die Handhabung des geltenden Gesetzes eher erschweren als erleichtern würde. Daher sei die eigentliche zentrale Frage, ob das Betriebsverfassungsrecht in seiner derzeitigen Form noch zeitgemäß sei.

Diese Kritik (S 145) ist auch berechtigt, weil sich die vielseitigen Entgrenzungstendenzen von Arbeit (Crowdwork, agiles Arbeiten etc) und die dadurch entstehenden Problemfelder wohl nicht mit Hilfe einer einheitlichen Gestaltung eines „soliden“ neuen Betriebsbegriffs bewältigen lassen. Dazu sind die derzeitigen und wohl auch zukünftigen Veränderungen viel zu umfangreich und nicht vorhersehbar. Neue (bekannte) Arbeitsformen erschweren schon jetzt eine eindeutige Zuordnung von Mitarbeitern zum Betrieb bzw ist für manche For-543men neuer Arbeitserbringung nicht einmal eine „physische“ Betriebsstätte erforderlich.

Dabei zeigt sich, dass sich hinter diesen Entwicklungen eine Vielzahl neuer (auch unternehmensübergreifender) Arbeitsformen verbergen. Die Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung kann deshalb im Kern wohl nur in einer Öffnung des bestehenden gesetzlichen Rahmens in Form eines „digitalen Updates“ (vgl dazu Krause [2016] B 88 ff) und dem damit verbundenen (erweiterbaren) Einsatz von Informationstechnologien bestehen.

Diese Öffnung der betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen könnte beispielsweise darin liegen, mehrere Modelle von Betriebsverfassungen vorzusehen. Dabei könnten die in traditionellen Betrieben bestehenden und bisher (funktionalen) Regelungen fortbestehen, während in flexibleren und virtuell-geprägten Betrieben eine flexiblere Mitbestimmungsvariante eingeführt werden könnte.

Eine gute Lösung wäre ein „Wahlrecht“, wo sich Belegschaften und AG zusammen für ein „flexibles Mitbestimmungssystem“ oder eben für die herkömmliche Betriebsverfassung entscheiden könnten. Denkbar wäre, wie bereits von Thüsing vertreten, eine zusätzliche AN-Vertretung neben den BR treten zu lassen, die funktionell eine begrenzte Zuständigkeit hat.

All dies betont die Notwendigkeit, die arbeitsrechtliche Diskussion über die Grenzen des bestehenden „prä-digitalen Regelungssystems“ hinaus zu entwickeln und zu systematisieren und sich der Herausforderung einer weiterführenden Analyse des Arbeitsrechts und insb des Betriebsverfassungsrechts zu stellen.

In Conclusio hinterlässt das Buch (insb durch die Vielseitigkeit der Denkanstöße) einen guten Eindruck und positioniert sich damit als Überblickswerk in dem noch relativ jungen Forschungsgebiet „Arbeit 4.0“.

Es vermittelt dem/der interessierten LeserIn eine breit angelegte Beschreibung der Herausforderungen der „digitalisierten Arbeitswelt“ und den damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Folgen, weshalb das Werk seiner Zielsetzung, gegenwärtige Probleme an der Schnittstelle von Technik, Kultur, Politik und Recht (unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklungen) zu diskutieren, durchaus gerecht wird.