KalteneggerPersonenbetreuung als selbständige Tätigkeit?

Verlag des ÖGB, Wien 2018 144 Seiten, kartoniert, € 29,90

THOMASPFALZ (KLAGENFURT)

Das vorliegende Werk, das auf der an der Universität Salzburg verfassten Diplomarbeit von Miriam Nina Kaltenegger beruht, behandelt die möglichen Ausübungsformen der außerfamiliären häuslichen Pflege. Den Ausgangspunkt bildet § 1 Hausbetreuungsgesetz (HBeG), demzufolge die Betreuung von Personen in deren Privathaushalten im Rahmen einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit erfolgen kann. Im einleitenden Abschnitt (1) wird die gesellschaftliche Bedeutung des Themas hervorgehoben. Die Autorin stellt die aktuelle Lage und prognostizierte Entwicklungen im Pflegebereich dar und veranschaulicht damit die Relevanz der Untersuchung.

Der folgende Abschnitt (2) zählt die im HBeG vorgesehenen Möglichkeiten der Personenbetreuung auf: die Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsvertrages mit der pflegebedürftigen Person oder deren Angehörigen, die Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsvertrages mit einer Trägerorganisation sowie die selbständige Ausübung des Gewerbes der Personenbetreuung. Da sich der Abschnitt auf diese Aufzählung beschränkt und nur eine halbe Seite umfasst, hätte man ihn iS einer straffen Struktur wohl in die Einleitung integrieren können.

Das folgende Kapitel (3) beinhaltet eine übersichtliche Darstellung der gewerberechtlichen Vorschriften zur Personenbetreuung. Die vom freien Gewerbe der Personenbetreuung (§ 159 GewO) umfassten Tätigkeiten werden aufgelistet, dabei wird auch auf die gegebenenfalls anwendbaren Bestimmungen des GuKG und des ÄrzteG verwiesen. Darüber hinaus gibt Kaltenegger auch einen Überblick über bundesgesetzliche Normen, die der Qualitätssicherung im Bereich der Personenbetreuung dienen.

Im Anschluss daran (4) wird die Förderung der 24-Stunden-Betreuung behandelt (vgl § 21b BPGG). Dieses Kapitel ist vor allem für tatsächlich Betroffene gewinnbringend und gibt Aufschluss über die Voraussetzungen und die Höhe der Förderung, auf die allerdings kein Rechtsanspruch besteht.

Als weniger informativ stellt sich der 5. Abschnitt heraus, der dem Betreuungsvertrag (Werkvertrag) zwischen einer selbständigen Pflegekraft und der pflegebedürftigen Person bzw deren Angehörigen gewidmet ist. In diesem Zusammenhang wird nur auf eine einschlägige Verordnung des BM für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW), die den Mindestinhalt eines solchen Vertrages festlegt (vgl BGBl II 278/2007), und auf zwei Musterverträge der WKO bzw des BMWFW verwiesen.

Der Umstand, dass dem Vertragsverhältnis einer selbständigen Pflegekraft nur wenig Beachtung geschenkt wird, ist wohl auf das Ergebnis der im Kapitel 6 durchgeführten Untersuchung zurückzuführen. Diese bildet das Kernstück der vorliegenden Arbeit. Untersucht wird, ob das selbständige Ausüben der Personenbetreuung in der Vielzahl der Fälle rechtlich überhaupt möglich ist. Dazu werden die Sachverhaltselemente eines typischen Falles der häuslichen Pflege dem von Judikatur und Lehre entwickeltem AN-Begriff gegenübergestellt. Der Fokus liegt dabei auf jenen Aspekten des typologisch gebildeten AN-Begriffs, die bei der Personenbetreuung durch die Tätigkeit an sich bereits mehr oder weniger determiniert werden: persönliche Weisungsgebundenheit, organisatorische Eingliederung (mit Blick auf Arbeitszeit und Arbeitsort), Kontrollunterworfenheit und persönliche Leistungspflicht.

Die Untersuchung erfolgt in der Weise, dass zunächst das jeweilige Element der persönlichen Abhängigkeit und dessen rechtliche Grundlage allgemein erläutert werden. Im Anschluss werden der Meinungsstand in der Lehre zur Bedeutung dieses Elements im Bereich der Personenbetreuung und die einschlägige Judikatur dargelegt. Schließlich erfolgen die Auswertung der erörterten Literatur und Judikatur und eine Aussage544darüber, ob im Regelfall der häuslichen Betreuung das jeweilige Element der persönlichen Abhängigkeit anzunehmen ist oder nicht. Dieser Aufbau wird konsequent beibehalten. Der zentrale Teil der Arbeit erscheint damit leserfreundlich und gut strukturiert.

Im Unterabschnitt zur Weisungsgebundenheit der Pflegekraft fällt auf, dass bei der Erörterung der einschlägigen Judikatur zwar die Argumentation des OGH bzw VwGH nachgezeichnet wird, allerdings bleibt unklar, zu welchem Ergebnis das Gericht im jeweiligen Fall letztlich gekommen ist und welche Rolle der Weisungsbindung dabei zuteilwurde. Die Autorin gelangt zu dem Ergebnis, dass Personen, die in der häuslichen Pflege tätig sind, regelmäßig an persönliche Weisungen gebunden sind, womit insofern ein Indiz für einen Arbeitsvertrag vorliege. Dies folge aus der notwendigen Ausrichtung der Betreuungsleistungen an den Wünschen und Bedürfnissen der pflegebedürftigen Person. Das Weisungsrecht werde entweder von der pflegebedürftigen Person selbst oder – falls diese nicht geschäftsfähig ist – den Angehörigen bzw dem Sachwalter (uU im Rahmen der „stillen Autorität“) ausgeübt.

Die örtliche Bindung an den Haushalt der zu pflegenden Person liegt bei der häuslichen Pflege auf der Hand. Kaltenegger untersucht, ob dies für eine organisatorische Einbindung der Pflegekraft und folglich für ein Arbeitsverhältnis spricht. Dies könnte mithilfe des in der Judikatur bisweilen anzutreffenden Arguments verneint werden, nachdem die örtliche Gebundenheit mancher Arbeitskräfte aus der „Natur der Sache“ erfließe. Die Tauglichkeit dieser Argumentation wird von der Autorin unter Hinweis auf entsprechende Stimmen in der Literatur in Zweifel gezogen.

Zur organisatorischen Einbindung in zeitlicher Hinsicht führt Kaltenegger aus, dass vor allem im Fall der 24-Stunden-Betreuung die Dispositionsfreiheit der Pflegekraft über die zeitliche Lage ihrer Arbeit weitgehend ausgeschaltet sei. Auch in diesem Zusammenhang spricht sich die Autorin dafür aus, die Relevanz der intensiven zeitlichen Inanspruchnahme der Pflegekraft nicht mit dem Hinweis auf natürliche Sachzwänge zu negieren.

Eine Kontrollunterworfenheit der Pflegekraft könne sich aus regelmäßigem Telefonkontakt zwischen der die Pflege organisierenden juristischen und der zu pflegenden Person oder deren Angehörigen ergeben. Bei einem Vertragsverhältnis zu der (geschäftsfähigen) pflegebedürftigen Person selbst werde die Pflegekraft ohnedies ständig kontrolliert. In der bloßen Verpflichtung zum Führen von Stundenlisten sei dagegen noch keine maßgebliche Kontrollunterworfenheit zu sehen, Gleiches gelte für gesetzliche Dokumentationspflichten (etwa nach § 3b Abs 6 oder § 5 GuKG).

Zur persönlichen Leistungspflicht der Pflegekraft weist Kaltenegger darauf hin, dass aufgrund der Nahebeziehung zwischen Pflegekraft und pflegebedürftiger Person ein (auch tatsächlich praktiziertes) generelles Vertretungsrecht wohl kaum denkbar sei. Weiters würden die in den Musterverträgen der WKO bzw des BMWFW enthaltenen Vertretungsklauseln – sofern sie nach der Judikatur aufgrund ihrer tatsächlichen Handhabung überhaupt beachtlich sind – nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen. Allerdings spreche es auch nicht per se gegen ein selbständiges Beschäftigungsverhältnis, dass die Pflegekraft persönlich tätig werden soll. Als Fazit zum Problemkreis der persönlichen Abhängigkeit hält die Autorin fest, dass in der häuslichen Pflege eine klare Tendenz in Richtung abhängiger Beschäftigung auszumachen sei.

In der Folge setzt sich Kaltenegger auch kurz mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit einer typischen Pflegekraft auseinander. Dabei werden die verschiedenen Bedeutungen dieses Begriffs umrissen (fehlende Verfügungsmacht über wesentliche Betriebsmittel iSd Judikatur zu § 4 Abs 2 ASVG; Lohnabhängigkeit). Beide Formen der wirtschaftlichen Abhängigkeit seien bei Pflegekräften regelmäßig anzunehmen. Betriebsmittel würden im Bereich der Pflege grundsätzlich nur eine untergeordnete Rolle spielen (genannt werden Kleidung, Reinigungsutensilien und Desinfektionsmittel). Die Lohnabhängigkeit könne jedenfalls bei der Vielzahl der in Österreich tätigen osteuropäischen Pflegekräfte auch nicht bezweifelt werden. Rechtsfolgen der wirtschaftlichen Abhängigkeit werden nicht erörtert.

Zum Abschluss des Kapitels 6 geht die Autorin der Frage nach, ob ein Werkvertrag eine taugliche Rechtsgrundlage für ein Betreuungsverhältnis bilden kann. Dies wird verneint, weil häusliche Pflege nicht als Herstellung eines Werkes verstanden werden könne, vielmehr handle es sich um ein Dauerschuldverhältnis. Betreuung und Pflege könnten nicht als gewährleistungstauglicher Erfolg qualifiziert werden, ein Werkvertrag scheide somit als Rechtsgrundlage der Personenbetreuung aus. Ein freier Dienstvertrag sei aufgrund der erörterten Lage zur persönlichen Abhängigkeit im Regelfall auch ausgeschlossen. Im Pflegebereich liege daher beim Großteil der derzeit tätigen Personen Scheinselbständigkeit vor.

Im Kapitel 7 werden die Rechtsfolgen einer Umqualifizierung bei Scheinselbständigkeit angesprochen. Erwähnt werden der Mindestlohntarif nach Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz (HGHAngG), Urlaubsansprüche, Sanktionen nach dem LSD-BG, das Arbeitszeitrecht nach HBeG bzw HGHAngG und sozialversicherungsrechtliche Folgen.

Da eine selbständige Beschäftigung regelmäßig ausscheide und ein Arbeitsverhältnis zur pflegebedürftigen Person selbst bzw deren Angehörigen diese mit einer Vielzahl von (verwaltungsstrafrechtlich bewehrten) administrativen Pflichten belege, hält Kaltenegger ein Arbeitsverhältnis der Pflegekraft zu einer Trägerorganisation für die vorteilhafteste Ausübungsform der Personenbetreuung. Dieses „Trägermodell“ wird im Kapitel 8 vorgestellt. Ein Vorteil für die Pflegekraft ergebe sich aus der Anwendbarkeit des KollV der Trägerorganisation (zB Rotes Kreuz) bzw des gesatzten KollV der Sozialwirtschaft Österreich. Probleme und legislativen Verbesserungsbedarf ortet die Autorin vor allem im Arbeitszeitrecht nach HBeG. Kritisiert wird ua, dass bestimmte Zeiten der Arbeitsbereitschaft nach § 3 Abs 2 HBeG nicht als Arbeitszeit gelten und damit nicht zu vergüten sind.

Kapitel 9 enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.

Insgesamt liefert das vorliegende Werk einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über die arbeitsrechtliche Stellung von Pflegekräften. Zwar ist eine abstrakte Qualifikation der Vertragsbeziehung von Gruppen von Leistungserbringern stets der Gefahr ausgesetzt, mit dem Hinweis auf die notwendige Berücksichtigung der545Umstände des Einzelfalls als nicht zielführend abgetan zu werden. Die Überlegungen von Kaltenegger zu Schuldinhalt, Weisungsgebundenheit, organisatorischer Eingliederung und persönlicher Leistungspflicht können aber wohl für die Vielzahl der Fälle der häuslichen Pflege Gültigkeit beanspruchen. Richtig ist zweifellos, dass die ständige Betreuung von Personen kein Werk iSd § 1151 HS 2 ABGB sein kann. Der von der Autorin gezogene Schluss, dass ein selbständiges Ausüben der Personenbetreuung praktisch ausgeschlossen ist, hängt wesentlich davon ab, ob man aus der „Natur der Sache“ erfließende Umstände der Leistungserbringung bei der Beurteilung ausklammert oder nicht. Diese Frage wird in Lehre und Judikatur unterschiedlich beantwortet (vgl statt vieler Schrammel in Klang3 § 1151 ABGB Rz 26 f; Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 102 f jeweils mwN; für den Bereich der Personenbetreuung: Mazal, ecolex 2007, 580; Tomandl, ZAS 2007, 196); man kann also davon ausgehen, dass die vorgelegten Ergebnisse sowohl Zuspruch als auch Kritik ernten werden. Reiner hat sich mit diesem Argumentationsmuster ausführlich beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass aus der Natur der Tätigkeit folgende Sachzwänge bei der vertragsrechtlichen Qualifikation nicht ausgeklammert werden sollten (JBl 2010, 549). Die Autorin folgt im Wesentlichen seiner Ansicht. Tatsächlich konnte noch niemand überzeugend darlegen, warum Aspekte der persönlichen Gebundenheit des Leistungserbringers nicht mehr relevant sein sollen, wenn sie bereits aus der geschuldeten Tätigkeit an sich folgen. Außerdem können bei praktisch jeder Tätigkeit Sachzwänge abgeleitet werden, die sich auf das Ausmaß der Fremdbestimmung der Arbeit auswirken (man denke etwa an eine Reinigungskraft, die in einem Bürogebäude täglich vor oder nach Büroschluss putzt). Die Berücksichtigung von Sachzwängen bei der arbeitsrechtlichen Einordnung führt dazu, dass bestimmte Tätigkeiten tendenziell nur in selbständiger oder unselbständiger Form ausgeübt werden können. Dies ist aber bloß eine – für manche offenbar nicht haltbare – Konsequenz des organisatorischen Kriteriums der persönlichen Abhängigkeit. Fraglich ist, ob und gegebenenfalls inwieweit § 1 Abs 1 HBeG die Abgrenzung im Bereich der Personenbetreuung modifiziert (vgl Tomandl, ZAS 2007, 196 [200]). Eine nähere Auseinandersetzung mit dem (fehlenden?) normativen Inhalt von § 1 Abs 1 HBeG wäre daher wünschenswert gewesen. Nichtsdestotrotz wird das vorliegende Werk die Diskussion um die rechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen im Pflegebereich voranbringen. Es hat seine Zielsetzung damit voll und ganz erfüllt.