Butzer/HolloDie verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer signifikanten Erhöhung des Bundeszuschusses an die Gesetzliche Rentenversicherung

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2017 121 Seiten, € 49,90

EWALDWIEDERIN (WIEN)

Die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate stagniert. Für Deutschland wird deshalb prognostiziert, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2045 von derzeit 48 % auf 41,7 % sinken wird, während der Beitragssatz von 18,7 % auf 23,6 % ansteigt. Um diese Entwicklung abzumildern, hat das BM für Arbeit und Soziales in seinem „Gesamtkonzept zur Alterssicherung“ vom November 2016 ua eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vorgeschlagen. Die hier zu besprechende Studie geht der Frage nach, an welche Bedingungen die Verfassung solche Zuschüsse knüpft und ob sie für diese eine Obergrenze normiert.

Nach kurzem Problemaufriss wird zunächst aus dem Wesentlichkeitstheorem abgeleitet, dass die Einführung eines Demographiezuschusses einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Eine solche müsste neu geschaffen werden, weil die bestehenden Rechtsgrundlagen nicht tragen: § 213 Abs 3 und 4 SGB VI scheidet wegen zu enger Zwecksetzung aus, § 213 Abs 1 bis 2a SGB VI wegen unpassender Berechnungsmethode. Dabei leiten die AutorInnen aus Begriff und Wesen eines Zuschusses ab, dass er als Unterstützungsbeitrag in seiner Höhe hinter dem Hauptbeitrag zurückbleiben muss (23 f).

Sodann wird Art 120 Abs 1 vierter Satz Grundgesetz (GG) eingehend erörtert, wonach der Bund die Zuschüsse zu den Lasten der SV trägt. Die AutorInnen legen dar, dass diese Bestimmung mehr als bloß kriegsbedingte Lasten abdeckt, dass sie aber eine Obergrenze einzieht, weil Zuschüsse als Unterstützungsmittel den Hauptbeitrag nicht übersteigen dürfen (46). Doppelt nähend, stützen sie dieses Ergebnis sodann über den Sozialversicherungsbegriff ab. Dieser Verfassungsbegriff lasse sich nämlich nicht definieren, sondern nur typologisch anhand prägender Strukturelemente umschreiben (49 ff). Konsequenz: Eine organische Fortentwicklung und Modernisierung der SV ist der Gesetzgebung gestattet, eine Umformung ist ihr verwehrt (54 ff). Wenn die Bundeszuschüsse die Hälfte der Finanzmittel überschritten, dann wäre der Bereich der SV verlassen und jener der Fürsorge betreten (57 ff).

Das überzeugt nur bedingt. Im Bedürfnis, das zentrale Ergebnis mehrfach abzusichern, nimmt die Gedankenführung sehenden Auges Zirkularität in Kauf: Um beurteilen zu können, ob ein Zuschuss Zwecken der SV dient, muss einerseits bereits vor ihm feststehen, was SV ausmacht; andererseits soll aber von der Höhe des Zuschusses abhängen, ob es sich beim Bezuschussten noch um SV handelt. Das hat zur paradoxen Folge, dass den Ländern exakt jene Umformung der SV zugestanden wird, die dem Bund schon kompetenzrechtlich verwehrt sein soll. Wenn sie eine SV mit überhälftigem Landeszuschuss einrichteten, handelte es sich erstens voraussetzungsgemäß um keine SV iSd Art 74 Abs 1 Nr 12 GG mehr, sondern allenfalls um öffentliche Fürsorge. Zweitens ginge auch das in Art 120 Abs 1 Satz 4 GG enthaltene Verbot von Länderzuschüssen zur SV ins Leere.

Von den grundrechtlichen Vorgaben kommt zuerst der Eigentumsschutz in den Blick. Die AutorInnen räumen ein, dass eine Erhöhung des Bundeszuschusses den Versicherten nützt, sie untersuchen aber gleichwohl, ob nicht mittelbar nachteilige Auswirkungen dadurch zu befürchten seien, dass durch den Bundeszuschuss die Grundrechtsposition der Versicherten ausgehöhlt und ihr Schutz geschwächt werde. Die Frage wird am Ende verneint mit dem zutreffenden Ergebnis, dass der Eigentumsschutz an sozialversicherungsrechtlichen Leis tungen und Anwartschaften durch einen Staatsanteil an der Finanzierung von über 50 % nicht beseitigt wird (72 ff). Eigentumsrechtlich ist dem Halbteilungsgrundsatz damit eine Absage erteilt.

Greifbarer als diese ein wenig kuriose Konstellation – Grundrechtsschutz gegen Grundrechtseingriffsbeseitigung – sind die Auswirkungen auf jene Steuerzahler, die den Zuschuss des Bundes finanzieren müssen, ohne von ihm zu profitieren. Hierin sehen die AutorInnen einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, den sie als gerechtfertigt erachten, weil sie keine gelinderen Mittel auszumachen vermögen: Die Erhöhung der Beiträge scheide mangels Tauglichkeit aus, die Funktionsfähigkeit des Sozialversicherungssystems zu gewährleisten, und durch Eingliederung der freien Berufe und der Beamtenschaft würden die Finanzierungsprobleme nur547aufgeschoben (80 ff). Zum gleichen Ergebnis führt die Prüfung der Anforderungen aus dem Gleichheitssatz. Die AutorInnen erinnern eingangs daran, dass in komplexen Systemen ein Vergleich nicht punktuell erfolgen darf, und sie sind sodann um den Nachweis bemüht, dass der Bundeszuschuss im System der Rentenversicherung keinen Fremdkörper darstellt, sondern ein tragendes Element, das kompensieren soll und muss, dass die Versicherungsgemeinschaft in großem Umfang auch Aufgaben der Allgemeinheit übernimmt (87 ff). Im Übrigen wird eine Pflicht des Bundes ins Treffen geführt, für eine hinreichende Absicherung zu sorgen, wenn er die Versicherten schon in ein System kollektiver Sicherheit zwingt (89 ff), und darauf hingewiesen, dass zwischen sozialversicherungsrechtlicher und steuerfinanzierter Alterssicherung mannigfache Wechselwirkungen bestehen, die der Gesetzgebung die Wahl lassen, an welcher Stellschraube sie dreht (91 ff). Mit dieser Betonung von Interdependenzen ist die eingangs (21, 25 f) angerissene Grundsatzfrage, ob die Bewältigung des technologischen und demographischen Wandels nun Aufgabe der Versicherungsgemeinschaft oder Aufgabe der Allgemeinheit ist, einmal mehr in der Schwebe gelassen. Aus österreichischer Perspektive überrascht außerdem, dass die Eignung der Versicherungsgemeinschaft, diese Aufgabe zu erfüllen, nur am Rande gestreift wird. Hierzulande wird ein hoher Staatszuschuss primär im Hinblick auf Art 120a Abs 1 B-VG als bedenklich erachtet, weil er augenfällig macht, dass die Versicherungsgemeinschaft ihre Aufgaben nicht mehr aus eigener Kraft zu besorgen in der Lage ist.

Zur Abrundung wird abschließend erörtert, ob die Sozialversicherungsträger durch Erhöhung des Bundeszuschusses Gefahr laufen, als Unternehmen iSd AEUV eingestuft und damit den Wettbewerbsregeln unterworfen zu werden. Nach Aufarbeitung der einschlägigen Rsp des EuGH äußern die AutorInnen entsprechende Sorge: Je mehr der Staat zuschieße, umso weniger Substanz bleibe für jenen sozialen Ausgleich zwischen den Versicherten übrig, der die Versicherungsträger von Unternehmen unterscheidet (100 ff).

Somit laufen (fast) alle Begründungsstränge auf den Halbteilungsgrundsatz zu. Schon diese erstaunliche Konvergenz zeigt, dass die erzielten Ergebnisse nicht durchwegs zwingend sind. Den Verdiensten der Arbeit tut dies indes keinen Abbruch. Sie geht den sich stellenden Verfassungsfragen mit Akribie bis in ihre Verästelungen nach, sie setzt sich mit allen Gegenargumenten auseinander, sie stellt Augenmaß unter Beweis, und sie zeigt überzeugend auf, dass der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers noch lange nicht ausgeschöpft ist.548