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Keine Kollektivvertragsfähigkeit bei geringer Mitgliederzahl

KONRADGRILLBERGER (SALZBURG)
  1. Die in § 4 Abs 2 ArbVG genannten Voraussetzungen für die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit müssen kumulativ vorliegen. Bei der erforderlichen maßgebenden wirtschaftlichen Bedeutung kommt bei Berufsvereinigungen von AN der Mitgliederanzahl besondere Bedeutung zu.

  2. Bei der Prüfung der maßgebenden wirtschaftlichen Bedeutung kommt es zunächst darauf an, wie groß jener Personenkreis, dessen Arbeitsbedingungen die Vereinigung durch Abschluss von Kollektivverträgen regeln möchte, im Verhältnis zu jenen Personen ist, die tatsächlich Mitglieder der Vereinigung sind. Bei einer Berufsvereinigung, welche die Interessen von angestellten Ärzten vertreten will, sind jene angestellten Ärzte außer Betracht zu lassen, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen, weil für sie gem § 1 Abs 2 Z 3 ArbVG kein KollV abgeschlossen werden kann.

  3. Bei einem Prozentsatz von 0,36 % an erfassten Mitgliedern kann eine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung nicht angenommen werden. Eine Prüfung der tatsächlich entfalteten Aktivitäten der Berufsvereinigung kann bei derart geringer Mitgliederzahl unterbleiben.

[...] II. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin wurde in der Rechtsform eines Vereins gegründet (Entstehungsdatum: 26.1.2015) und ins Vereinsregister eingetragen.

Die entscheidungswesentlichen Teile der Vereinsstatuten der Beschwerdeführerin lauten:

„§ 1: Name und Sitz

Der Verein führt den Namen „XXXX – Gewerkschaft für angestellte Ärztinnen und Ärzte in Österreich“ und hat seinen Sitz in XXXX. Sein Wirkungsbereich erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet.

§ 2: Zweck und Aufgaben:

(1) die Gewerkschaft bezweckt die Wahrung der beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange seiner Mitglieder in Österreich unter Zugrundelegung ärztlicher Berufsauffassung. Er ist die gewerkschaftliche und berufspolitische Vertretung der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte.“

Mit Stand Dezember 2016 gibt es in Österreich insgesamt 31.251 Ärzte in einem Dienstverhältnis, wobei davon 2.006 bei österreichischen Sozialversicherungsträgern, 3.235 bei österreichischen Ordensspitälern und 1.165 bei der Medizinischen Universität Wien in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis stehen. Die Anzahl der privatangestellten Ärzte in Österreich beträgt daher mindestens 6.406.

Die Beschwerdeführerin hat mit Stand 1.6.2017 eine Mitgliederzahl von 1.519, wovon sich 1.513 in einem Dienstverhältnis befinden und sich davon 1.490 in Arbeitsverhältnissen zu Bund, Ländern, Gemeindeverbänden, Gemeinden und von Gebietskörperschaften verwalteten Betrieben, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds befinden. Die Anzahl jener Mitglieder, für die ein Kollektivvertrag abgeschlossen werden könnte, beträgt 23.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem Verfahren vor der belangten Behörde sowie insb aus dem Ermittlungsverfahren des BVwG und der am 1.6.2017 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung.

Dass die Beschwerdeführerin in der Rechtsform eines Vereins gegründet wurde, ergibt sich aus dem dem Akt einliegenden Vereinsregisterauszug vom 27.4.2015.

Die Zahlen hinsichtlich der Mitgliederanzahl der Beschwerdeführerin basieren auf ihren eigenen glaubwürdigen und konsistenten Angaben in ihren Stellungnahmen und im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Die Anzahl der in Österreich angestellten Ärzte insgesamt und die Anzahl der Ärzte, die bei den österreichischen Sozialversicherungsträgern, den österreichischen Ordensspitälern und der Medizinischen Universität Wien in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis stehen, ergeben sich aus den Angaben der Österreichischen Ärztekammer. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens des BVwG betreffend der Zahlen der privatangestellten Ärzte wurden auch das BM für Gesundheit und Frauen sowie die Österreichische Arbeiterkammer um Amtshilfe ersucht. Beide verwiesen diesbezüglich jedoch auf die Zahlen der Österreichischen Ärztekammer.

Die Österreichische Ärztekammer ist gem § 27 Ärztegesetz verpflichtet, eine Liste der zur Berufsausübung berechtigten Ärzte zu führen. Aus dieser Liste ist laut Angaben des in der mündlichen Verhandlung zeugenschaftlich einvernommenen Vertreters der Österreichischen Ärztekammer zwar nicht ersichtlich, ob das Dienstverhältnis des einzelnen Arztes öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist, jedoch ist der jeweilige DG angeführt. Das BVwG ersuchte deshalb um Bekanntgabe der Anzahl der bei den Sozialversicherungsträgern und den Ordensspitälern angestellten Ärzte, da diese Dienstverhältnisse jedenfalls privatrechtlicher Natur sind und zudem – wie schon aus den Zahlen ersichtlich – wichtige DG für Ärzte sind. Aus letztgenanntem Grund wurde auch um Bekanntgabe der Anzahl der bei den Medizinischen Universitäten privatangestellten Ärzten ersucht. Da bei den Universitäten jedoch sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Dienstverhältnisse bestehen,481kann die Ärztekammer diese Zahl nicht aufgrund der bei ihr geführten Liste ermitteln. Betreffend der Medizinzischen Universität Wien wurde jedoch seitens des Vizerektors für Finanzen die Zahl von 1.165 nach dem KollV – also privatangestellten – Ärzten mitgeteilt. Diese Angaben der Ärztekammer waren für das BVwG glaubhaft, während von den anderen Medizinischen Universitäten laut Angaben in der mündlichen Verhandlung nur informelle Auskünfte ohne entsprechende Dokumentation eingeholt worden sind und diese deshalb nicht herangezogen werden. Es war daher nur die Zahl von 1.165 bei der Medizinzischen Universität Wien privatangestellten Ärzte festzustellen.

Da die tatsächliche Anzahl aller privatangestellten Ärzte aufgrund der von der Ärztekammer geführten Liste nicht exakt ermittelbar ist, wurde eine Mindestanzahl von Ärzten festgestellt, die jedenfalls privatangestellt sind. Die tatsächliche Anzahl privatangestellter Ärzte ist jedoch wahrscheinlich wesentlich höher, da viele DG (zB die Medizinischen Universitäten Graz und Innsbruck, Private Universitäten, private Reha-Einrichtungen, Rettungsorganisationen, Kur- und Heilanstalten uvm) nicht hinzugerechnet wurden. [...]

3.3. Zur Entscheidung in der Sache:

Gem § 2 Abs 1 ArbVG sind Kollektivverträge Vereinbarungen, die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der AG einerseits und der AN andererseits schriftlich abgeschlossen werden. Nach überwiegend herrschender Auffassung ist der KollV also eine Institution des Privatrechts (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum ArbVG § 2 Rz 5). Der normative Teil eines KollV entfaltet jedoch im Unterschied zum schuldrechtlichen Teil nicht bloß Rechtswirkungen zwischen den Vertragsparteien, sondern ist ein rechtsverbindlicher Normenvertrag mit unmittelbarer, dh normativer Wirkung (§ 11 ArbVG; Strasser in Strasser/Jabor negg/Resch, Kommentar zum ArbVG § 2 Rz 6). Er ist also Gesetz im materiellen Sinn und der Abschluss eines KollV mit einem normativen Teil stellt damit einen Akt der Setzung generell-abstrakter Normen dar (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum ArbVG § 2 Rz 8). Diese Normsetzungsbefugnis der Kollektivvertragspartner ist von einer staatlichen Delegation herzuleiten (RV 840 BlgNR 13. GP 57). Diese Befugnis kommt gem § 4 Abs 1 ArbVG gesetzlichen Interessensvertretungen und gem § 7 ArbVG juristischen Personen des öffentlichen Rechts ex lege zu. Anderen Personen bzw Personengruppen kann die Kollektivvertragsfähigkeit, die eine besondere Art der Rechts- und Geschäftsfähigkeit darstellt (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 1), gem § 4 Abs 2 und 3 ArbVG mittels konstitutiven Akt des Bundeseinigungsamtes (BEA) verliehen werden (RV 840 BlgNR 13. GP 58; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 1).

Die Beschwerdeführerin beantragte die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit für den Abschluss von Kollektivverträgen für ihre arbeitnehmerseitigen Mitglieder mit deren AG. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit ist also anhand der Kriterien des § 4 Abs 2 ArbVG zu beurteilen. Demgemäß sind die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Berufsvereinigungen der AG und der AN kollektivvertragsfähig, wenn sie die in § 4 Abs 2 Z 1-4 ArbVG geregelten Kriterien erfüllen.

Der Ausdruck „auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvereinigung“ bedeutet, dass es sich um einen Personenverband von AG oder AN handeln muss, der eine körperschaftliche Verfassung besitzt (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 17). „Körperschaftliche Verfassung“ erfordert vor allem, dass das Substrat der Berufsvereinigung ein durch ein entsprechendes von der Rechtsordnung zugelassenes autonomes Organisationsrecht organisierter, dh auch und vor allem mit Organen versehener Personenverband ist (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 17). Diese Kriterien, sowie jenes der freiwilligen Mitgliedschaft, sind bei der Beschwerdeführerin unstrittig gegeben, da sie in der Rechtsform eines Vereins iSd VereinsG gegründet wurde. Des Weiteren verlangt der Begriff Berufsvereinigung auch Überbetrieblichkeit, dh Vereinigungen von AN eines einzigen Betriebes oder Unternehmens sind ausgeschlossen (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 17), was jedoch bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall ist.

Hinsichtlich der Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs 2 ArbVG ist vorauszuschicken, dass die in Z 1-4 genannten Merkmale kumulativ vorliegen müssen, sodass die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit nicht zulässig ist, wenn nur eine Voraussetzung fehlt (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 23).

Bereits das KollVG 1947 enthielt eine nahezu dem § 4 Abs 2 ArbVG entsprechende Regelung, sodass die in den Erläuternden Bemerkungen zum KollVG 1947 formulierten Zielsetzung auch zur Auslegung des ArbVG herangezogen werden kann. Zweck dieser Regelung ist es daher zu verhindern, dass unbedeutende Splittergruppen die notwendige Einhaltung einer planvollen Lohn- und Arbeitspolitik zum Schaden der Gesamtwirtschaft stören (RV 285 BlgNR 5. GP 11; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 1; VwGH 4.9.2013, 2011/08/0230). Dies wird nach der aktuellen Rechtslage insb durch die Z 2 und Z 3 des § 4 Abs 2 ArbVG ausgedrückt. Diese Voraussetzungen sind daher im Lichte dieses Gesetzeszwecks auszulegen (Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz, S 62).

Während Z 2 verlangt, dass die Berufsvereinigung in ihrer auf Vertretung der AG- oder der AN-Interessen gerichteten Zielsetzung in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich tätig wird, was abstrakt anhand der Statuten zu prüfen ist (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 20), ist die in Z 3 geforderte maßgebende wirtschaftliche Bedeutung konkret – gemessen an den Verhältnissen der österreichischen Wirtschaft – zu prüfen (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 21).

Dabei kommt es einerseits auf die Mitgliederanzahl und andererseits auf den Umfang der Tätigkeiten an, wobei der Mitgliederanzahl bei AN-Interes-482sensvertretungen besondere Bedeutung zukommt (VwGH 24.12.1982, 01/3355/79, ZAS 1984/16). Die Mitgliederzahl ist deshalb besonders entscheidend, um zu gewährleisten, dass nur solche Koalitionen Kollektivvertragsfähigkeit erlangen können, die im Rahmen ihres Wirkungsbereichs repräsentativ sind und gleichzeitig durch ihre Mitgliederstärke auf den sozialen Gegenspieler wirtschaftlich Druck ausüben können (Reissner in ZellKomm § 4 ArbVG Rz 18, Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 18).

Ob eine Vereinigung auf AN-Seite nach der Anzahl der Mitglieder maßgebende wirtschaftliche Bedeutung zukommt, hängt also zunächst davon ab, wie groß jener Personenkreises ist, dessen Arbeitsbedingungen die Vereinigung durch Abschluss von Kollektivverträgen regeln möchte, im Verhältnis zu jenem Teil der in Betracht kommenden Personen, die tatsächlich Mitglied der Vereinigung sind (VwGH 28.10.2008, 2007/05/0001). Des Weiteren ist auch die absolute Zahl der Vereinsmitglieder zu berücksichtigen (Mosler in Gahleitner/Mosler, ArbVG § 4 Rz 40; VwGH 24.12.1982, 01/3355/79, ZAS 1984/16). Zu der Frage, wie viel Prozent der AN, auf die sich die Tätigkeit der Vereinigung potentiell richtet, auch tatsächlich Mitglieder sein müssen, damit eine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung angenommen werden kann, ist auf die dazu bereits vorliegende Judikatur des VwGH zu verweisen. So entschied der VwGH, dass weder 400 tatsächliche von ca 25.000 möglichen Mitgliedern zuzüglich ca 6.000 Pensionisten (1,2 %) (VwGH 24.12.1982, 01/3355/79, ZAS 1984/16), noch ein Prozentsatz von 8,5 % oder 23 % ausreichen würden, wobei letzteres wohl zu weit gehen dürfte (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 21).

Im gegenständlichen Fall hat die Beschwerdeführerin mit Stand 1.6.2017 eine Mitgliederzahl von 1.519. Davon befinden sich allerdings nur 1.513 in einem Dienstverhältnis und 1.490 in einem Dienstverhältnis zu Bund, Ländern oder Gemeinden bzw von deren Fonds, Stiftungen oder Anstalten, auf die gem § 1 Abs 2 Z 3 ArbVG die Bestimmungen des 1. bis 4. Hauptstückes nicht anzuwenden sind. Für diese können daher keine Kollektivverträge geschlossen werden. Da der VwGH ausgesprochen hat, dass für den Prozentsatz der erfassten Mitglieder jener Personenkreis maßgeblich ist, „dessen Arbeitsbedingungen die Vereinigung durch Abschluss von Kollektivverträgen regeln möchte“ (VwGH 28.10.2008, 2007/05/0001), sind also nur jene Mitglieder der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, für die sie überhaupt einen KollV abschließen könnte, sohin sämtliche privatangestellten Mitglieder. Die Anzahl dieser ergibt sich aus der Differenz der Gesamtmitgliederanzahl abzüglich derjenigen, die in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stehen, und beträgt somit 23.

Die Anzahl aller in Österreich privatangestellten Ärzte beträgt – wie oben festgestellt – zumindest 6.406. Es ergibt sich daher ein Prozentsatz von 0,36 % erfassten Mitgliedern, sodass gemäß der Judikatur des VwGH, wonach bereits bei bloß 8,5 % erfassten Mitgliedern keine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung vorliegt (VwGH 9.11.1961, 1466/60), auch hier eine solche nicht angenommen werden kann.

Eine Prüfung, ob der Beschwerdeführerin die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung trotz der geringen Mitgliederzahl zukommt, konnte unterbleiben. Nach der Judikatur des VwGH kann nämlich von der Prüfung des Umfangs der Tätigkeit abgesehen werden, wenn bereits das Erfordernis einer ausreichenden Mitgliederzahl nicht gegeben ist (VwGH 9.11.1961, 1466/60; Strasser in Strasser/Jabor negg/Resch, ArbVG § 4 Rz 21). Insb bei einer so geringen Anzahl an Mitgliedern, für die ein KollV abgeschlossen werden kann, im Verhältnis zu der Gesamtanzahl der privatangestellten Ärzte ist nicht davon auszugehen, dass diese durch eine entsprechende Tätigkeit der Berufsvereinigung kompensiert werden kann.

Da die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 ArbVG jedenfalls kumulativ vorliegen müssen und bei Fehlen einer Voraussetzung die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit nicht zulässig ist, war mangels Vorliegens der Voraussetzung der „maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung“ iSd § 4 Abs 2 Z 3 ArbVG auf eine Prüfung der weiteren Kriterien aus verfahrensökonomischen Gründen zu verzichten (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 21).

Zur Anregung der Beschwerdeführerin, einen Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 2 ArbVG an den VfGH zu richten, ist auszuführen, dass verfassungsrechtliche Bedenken nicht substantiiert dargelegt wurden und seitens des BVwG nicht entstanden sind. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Regelung des § 4 Abs 2 ArbVG verstoße gegen die in Art 11 EMRK, Art 12 GRC und Art 12 StGG postulierte Koalitionsfreiheit. Für das BVwG ergaben sich hingegen keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung, da die angeführten verfassungsrechtlich gewährleisteten Bestimmungen lediglich die Koalitionsfreiheit gewähren und mitunter auch das Recht auf Abschluss schuldrechtlicher Verträge, nicht jedoch das – dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegende – Recht auf Erlangung der Kollektivvertragsfähigkeit iSd ArbVG, dh das Recht auf Abschluss von Verträgen mit Normwirkung, also einer Rechtssetzungsbefugnis (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 4 Rz 18; Mosler in Gahleitner/Mosler, ArbVG § 4 Rz 4; VwGH 24.12.1982, 01/3355/79, ZAS 1984/16; Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz, S 363 f).

Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Besetzung des BEA sei aufgrund der Zusammensetzung von AG- und AN-Seite verfassungswidrig, ist zu entgegnen, dass das BEA seine Entscheidung auf der Grundlage des § 4 Abs 2 ArbVG zu fällen hat, ihm dabei kein freies Ermessen zukommt und seine Entscheidung einer nachprüfenden gerichtlichen und unparteiischen Kontrolle unterliegt. Aufgrund der verfahrensrechtlichen Garantien verstößt auch die Regelung des § 5 ArbVG, der die Kollektivvertragsfähigkeit freiwilliger Berufsvereinigungen von einem positiven Bescheid des BEA483abhängig macht, nicht gegen Art 11 Abs 1 EMRK (Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz, S 365).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gem § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erk oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gem Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gem Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die E nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche E von der bisherigen Rsp des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rsp; weiters ist die vorliegende Rsp des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine stRsp des VwGH bzw auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rsp wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A) wiedergegeben. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

ANMERKUNG
1.
Verfahrensgang

Das Erk des BVwG enthält eine ausführliche Schilderung des Verfahrensganges vor dem BEA. Von einem Abdruck dieser Darstellung wurde aus Platzgründen abgesehen. Es genügen einige Hinweise darauf.

Der antragstellende Verein wurde nach eigenen Angaben am 26.1.2015 gegründet. Seinen vollen Namen gibt das Erk nicht wieder. Nur den Zusatz „Gewerkschaft für angestellte Ärztinnen und Ärzte in Österreich“ erfährt man. Diese Ärztegewerkschaft stellte am 12.5.2015 den Antrag auf Anerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit. In dem Antrag wurde zu ihrer wirtschaftlichen Bedeutung darauf verwiesen, dass die Mitgliederanzahl zum 1.5.2015 österreichweit bei 1.805 liege. Das BEA hat dann darauf hingewiesen, dass nur jene Zahl von Mitgliedern von Bedeutung sei, für die ein KollV abgeschlossen werden könne. Das hängt mit der Ausnahmeregelung in § 1 Abs 2 Z 3 ArbVG zusammen. Dort werden – verkürzt gesagt – alle AN von Gebietskörperschaften vom Geltungsbereich der Bestimmungen des ArbVG über Kollektivverträge ausgenommen. Für Ärzte in Krankenanstalten trifft das in weitem Umfang zu. Viele Krankenanstalten werden zwar von Gesellschaften (GmbH oder Aktiengesellschaft) betrieben. Der beherrschende Gesellschafter ist freilich ein Bundesland oder eine Gemeinde. Entsprechende Landesgesetze sehen vor, dass das in diesen Krankenanstalten tätige Personal DN des Landes oder der Gemeinde sind. Von der Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 3 ArbVG sind also insb nur solche Ärzte nicht erfasst, die kirchliche Orden, Sozialversicherungsträger oder eine medizinische Universität als DG haben. Nach den ursprünglichen Feststellungen des BEA, die auf den Angaben des Antragstellers beruhten, belief sich die Zahl solcher Ärzte unter den Mitgliedern der Antragstellerin auf 59. Die Gesamtzahl betrug nach den Feststellungen des BEA rund 7.000.

Unter Berufung auf die Judikatur des VwGH entschied das BEA, dass die Antragstellerin keine maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung habe. Der Erfassungsgrad in Bezug auf die in Betracht kommenden Ärzte betrage nur 0,85 %. Selbst wenn man die gesamte Mitgliederzahl zu Grunde lege, gelange man nur auf 6.45 % Gegen diesen ablehnenden Bescheid erhob die Antragstellerin am 8.12.2015 Beschwerde. Sie brachte Verfahrensmängel vor und wandte sich gegen die Auslegung des § 4 Abs 2 Z 3 ArbVG durch das BEA: Eine geringe Anzahl an Mitgliedern könne durch intensiveren Umfang der Tätigkeit kompensiert werden. Das treffe im konkreten Fall zu. Leider lässt das Erk des BVwG nicht erkennen, welche Tätigkeiten in der Beschwerde angeführt wurden. Das BEA wies mit einer Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde ab. Darauf wurde die Beschwerde antragsgemäß dem BVwG vorgelegt. Das Gericht führte neuerlich ein Erkundungsverfahren durch und kam zu den in seinem Erk wiedergegebenen Zahlen. Im Zuge des Verfahrens vor dem BVwG beantragte die Beschwerdeführerin auch, das Gericht möge den VfGH mit der Frage befassen, ob § 4 Abs 2 ArbVG verfassungswidrig sei. Die Kombination aus absolut zwingender Wirkung des ArbVG und den rigiden Voraussetzungen zur Erlangung der Kollektivvertragsfähigkeit verstoße gegen Art 11 EMRK und Art 28 GRC.

2.
Auslegung des § 4 Abs 2 ArbVG

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit an freiwillige Berufsvereinigungen sind teilweise von sehr unbestimmten Begriffen geprägt. Auch ist ihr Verhältnis zueinander nicht ganz eindeutig. Das gilt insb für die in § 4 Abs 2 Z 2 und 3 umschriebenen Voraussetzungen. Sowohl das BEA als auch das BVwG haben sich im gegenständlichen Fall an die von Strasser (vgl Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG-Kommentar § 4 Rz 20 f vertretene und vom VwGH übernommene Auffassung angeschlossen, dass in § 4 Abs 2 Z 2 ArbVG bloß formale Bedingungen festgelegt werden (VwGH2007/05/0001DRdA 2010/38, 401 [zust D. Weiß], anders mit guten Gründen Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz [2015] 67 ff). Im konkreten Fall hat die Berufsvereinigung in ihren Vereinsstatuten festgelegt, dass sie die beruflichen Interessen der angestellten und beamteten Ärzte im gesamten Bundesgebiet vertreten will. Diese Gestaltung der Statuten wurde im Verfahren offenbar zutreffend als ausreichend angesehen. Nicht geprüft wurde, ob die Berufsvereinigung auch tatsächlich in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich tätig wurde. Auf ihre Aktivitäten kam es gar nicht an. Das Verfahren und die Begründung der Entscheidungen des BEA und des BVwG konzentrierte sich auf die in § 4 Abs Z 3 ArbVG festgelegten Voraussetzungen. Es484kam also darauf an, ob die Beschwerdeführerin „vermöge der Zahl der Mitglieder und des Umfanges der Tätigkeit eine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung“ hat. Ebenfalls im Einklang mit der hA in Judikatur und Literatur hat das BVwG hervorgehoben, dass der Anzahl der Mitglieder bei Berufsvereinigungen von AN besonderes Gewicht zukommt. Bei dieser Prüfung ist im Anschluss des Erk des VwGH betreffend ein Zuerkennungsverfahren einer Berufsvereinigung für das Cockpitpersonal eines Luftfahrtunternehmens von Bedeutung, „wie groß jener Personenkreis ist, dessen Arbeitsbedingungen die Vereinigung durch Abschluss von Kollektivverträgen regeln möchte, im Verhältnis zu jenem Teil der in Betracht kommenden Personen, die tatsächlich Mitglieder der Vereinigung sind“ (VwGH2007/05/0001DRdA 2010/38, 401 [Weiß]). Die Besonderheit des gegenständlichen Falles lag darin, dass es nicht darauf ankam, für welchen Personenkreis die Berufsvereinigung die Arbeitsbedingungen regeln wollte, sondern aus rechtlichen Gründen regeln konnte. Nach den Statuten der Beschwerdeführerin war sie die „gewerkschaftliche und berufspolitische Vertretung der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte“. Unter den Begriff „angestellt“ könnte man zwanglos wohl auch jene Ärzte verstehen, die als Vertragsbedienstete eine Gebietskörperschaft als DG haben. Es ist aber völlig zu Recht sowohl im Verfahren vor dem BEA als auch vor dem BVwG stets nur die Zahl jener Ärzte in Betracht gezogen worden, für die aus Rechtsgründen der Abschluss von Kollektivverträgen auch möglich war. Die Kollektivvertragsfähigkeit begründet eine Rechtssetzungsbefugnis der Berufsvereinigung. Wenn feststeht, dass für gewisse Gruppen von AN oder – allgemeiner formuliert – von abhängig Beschäftigten gar kein Recht durch Abschluss von Kollektivverträgen gesetzt werden kann, wäre es zweckwidrig, einer solchen Berufsvereinigung die Kollektivvertragsfähigkeit zu verleihen. Bei der vom BVwG ermittelten Mitgliederzahl und den Zahlen jener AN, für die ein KollV überhaupt gelten könnte, konnte es gar keine Zweifel daran geben, dass der Beschwerde führenden Berufsvereinigung keine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung zukommen konnte.

3.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 4 Abs 2 ArbVG?

Im Verfahren hat die Berufsvereinigung auch angeregt, dass das BVwG einen Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 2 ArbVG an den VfGH richten möge. Die Norm verstoße gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, wie sie in Art 11 EMRK, Art 28 GRC und Art 12 StGG garantiert werde. Das BVwG hatte freilich keine verfassungsrechtlichen Bedenken: Aus den einschlägigen Grundrechten folge kein Recht auf Abschluss von Verträgen mit Normwirkung, also keine Rechtsetzungsbefugnis. Das Gericht konnte sich dazu auf eine entsprechende Äußerung des VwGH sowie auf die herrschende Ansicht in der österreichischen Literatur berufen. Insb hat Felten nach gründlicher Untersuchung der einschlägigen Judikatur des EGMR und des EuGH dargelegt, dass weder auf Art 11 EMRK noch auf Art 28 GRC ein Recht von Berufsvereinigungen auf Rechtsetzung durch Kollektivverträge gegründet werden kann (Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz 331 f). Selbst wenn es anders wäre, wird man nicht annehmen können, dass nach genannten Normen jeder Berufsvereinigung, unabhängig von der Zahl ihrer Mitglieder und ihrer Aktivitäten, ein derartiges Recht zustehen müsse. Der VfGH würde daher aller Voraussicht nach § 4 Abs 2 ArbVG wohl kaum zur Gänze oder auch nur teilweise aufheben, weil genügend Spielraum für eine verfassungskonforme Interpretation dieser Norm bestünde. Berufsvereinigungen, die gemessen an der Zahl der in Betracht kommenden AN, für die ein KollV abgeschlossen werden könnte, eine derart geringe Zahl an Mitgliedern haben, würde freilich keine noch so großzügige verfassungskonforme Interpretation zum angestrebten Ziel verhelfen.

Die beschwerdeführende Berufsvereinigung hat in dem Verfahren freilich auch noch damit argumentiert, dass die Koalitionsfreiheit auch ein Recht auf kollektive Verhandlungen zum Inhalt habe. Im österreichischen Recht gebe es aber abseits des Abschlusses von Kollektivverträgen mit Normwirkung keinerlei kollektive Verhandlungen. Eine Koalition, die die Kriterien des § 4 Abs 2 ArbVG nicht erfülle, habe keine Möglichkeit, mit der AG-Seite in Beziehungen zu treten. Sie könne auch keine schuldrechtlichen Verträge über die Regelung von Arbeitsbedingungen abschließen, habe keinen Zugang zu den Betrieben und daher keinerlei Möglichkeiten, Mitglieder entsprechend zu werben oder Rechtsschutzfunktionen zu übernehmen. Auch deshalb greife § 4 Abs 2 ArbVG unzulässig in die Koalitionsfreiheit ein. Zu Recht hat sich das BVwG mit diesen Argumenten nicht weiter auseinandergesetzt. Denn verfahrensgegenständlich war nur die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit, die nicht zum Inhalt des Koalitionsrechts gehört. Die anderen von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Bedenken konnten offenkundig keine Auswirkung auf den Ausgang des Verfahrens haben. Es fehlte somit an der Präjudizialität. In der Sache selbst war das Vorbringen der Berufsvereinigung ebenfalls nicht überzeugend. AG und Berufsvereinigungen, denen Rechtspersönlichkeit zukommt, haben nach österreichischem Recht gewiss die Möglichkeit, schuldrechtliche Verträge über die Gestaltung von Arbeitsverträgen abzuschließen. Wie Felten (Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz 363 ff) auch diesbezüglich überzeugend dargelegt hat, respektiert die österreichische Rechtslage das auf Art 11 EMRK gestützte Recht (besser wohl: Freiheit) auf Kollektivverhandlungen in ausreichendem Maße.485