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Entlassung wegen Einbringung einer Kündigungsanfechtungsklage liegt ein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG zu Grunde

KLAUSBACHHOFER
§§ 105 Abs 3 Z 1 lit i, 106 ArbVG

Die Kl war beim Bekl als Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigt und wurde von diesem gekündigt. Nachdem die Kl eine Kündigungsanfechtungsklage gegen den Bekl erhob und ihm dabei Mobbing, Arbeitszeit- und Fürsorgepflichtverletzungen und den Bruch von Vereinbarungen vorwarf, wurde sie von diesem entlassen. Gegen diese Entlassung erhob die Kl eine Entlassungsanfechtungsklage und begehrte, diese für rechtsunwirksam zu erklären. Die Entlassung sei nur deshalb ausgesprochen worden, weil die Kl eine Kündigungsanfechtungsklage gegen die ihr ausgesprochene Kündigung eingebracht habe. Dies könne keinen Entlassungsgrund darstellen. Die Entlassung sei aus einem verpönten Motiv wegen offenbar nicht unberechtigter Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den AN ausgesprochen worden.

Der Bekl bestritt das verpönte Motiv, räumte aber ein, dass die Entlassung durchaus mit der Kündigungsanfechtung zu tun habe. Die darin angeführten Gründe seien ruf- und kreditschädigend und die Vorwürfe der Kl beträfen standeswidriges Verhalten und hätten zur Vertrauensunwürdigkeit geführt, die eine weitere Beschäftigung – auch nur während der noch offenen Kündigungsfrist – unzumutbar gemacht hätten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Geltendmachung von offenbar nicht unberechtigtem Vorbringen im Rahmen der Durchsetzung von Ansprüchen im Wege einer arbeitsverfassungsrechtlich zugesicherten Klage sei ein Recht des AN. Es stehe ihm zu, seinem Prozessstandpunkt dienliches Vorbringen zu erstatten, selbst wenn es sich – mit Ausnahme von Rechtsmissbrauch – als unrichtig herausstellen sollte.

Auch das Berufungsgericht sah den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit als nicht erfüllt an, da die Kl mit ihrem Vorbringen im Kündigungsanfechtungsverfahren das Sachlichkeitsgebot nicht verletzt habe.

Der OGH bestätigte die abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen und hielt zunächst fest, dass vom Schutzzweck des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG auch Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition gegen einseitige Eingriffe und die Vermeidung von Vergeltungskündigungen umfasst sind.

Zur entscheidenden Frage, ob mit einer auf den Motivschutz gestützten Kündigungsanfechtungsklage, die der AG zum Grund einer Entlassung macht, ein „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“ geltend gemacht wird, arbeitet der Gerichtshof zunächst den Unterschied zur Eventualkündigung, die ja als grundsätzlich zulässig erachtet wird, heraus. Von dieser unterscheidet sich die vorliegende Konstellation nach Auffassung des OGH dadurch, dass der Bekl nicht nur eventualiter für den Fall des Erfolgs der Anfechtung der ersten Kündigung an seiner Beendigungsabsicht festhielt, sondern das Arbeitsverhältnis jedenfalls und unabhängig vom Ausgang des ersten Verfahrens unverzüglich beenden wollte. Wäre aber eine ungerechtfertigte Beendigungserklärung, die auf die Führung einer zulässigen Anfechtungsklage gestützt wird, geeignet, ein Dienstverhältnis in anfechtungsresistenter Weise jedenfalls umgehend zu beenden, wäre der Motivkündigungsschutz leicht zu unterwandern.

Schließlich kann es nach dem OGH nicht Sinn des allgemeinen Kündigungsschutzes sein, der auf den aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, einem AN im Fall einer ungerechtfertigten Entlassung, die auf die Einbringung seiner das Sachlichkeitsgebot nicht überschreitenden Kündigungsanfechtungsklage gestützt wird, den Anfechtungsschutz zu versagen.

ANMERKUNG DES BEARBEITERS:
Die Bezugnahme des OGH auf die grundsätzlich nicht „motivanfechtungstaugliche“ Eventualkündigung nährt die Hoffnung, dass auch deren mitunter innewohnender „Vergeltungsaspekt“ in Zukunft öfter erkannt und als verpönt geahndet wird, auch wenn – wie übrigens auch in der vorliegenden zu begrüßenden E – der Beendigungswille bereits zuvor vorhanden war und nicht neu gefasst wurde.14