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Änderung „Allgemeiner Vertragsbedingungen“ nur nach billigem Ermessen

MANFREDTINHOF
§ 17 AVB der ÖBB; § 8 KollV zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB

Die Kl sind bei den bekl ÖBB als Triebfahrzeugführer im wechselschichtigen Turnusdienst beschäftigt. Auf ihre Dienstverhältnisse sind die „Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen“ (AVB) in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Bis zum 31.12.2004 gewährten die AVB allen Bediensteten, die während des gesamten dem laufenden Urlaubsjahr vorangegangenen Urlaubsjahres im Lokomotiv-, Zugbegleit-, Kraftwagenfahr-, Seilbahn- oder Verschubdienst im Schichtdienst beschäftigt waren, über das reguläre Urlaubsausmaß hinaus zusätzlich acht Urlaubstage als „Turnusurlaubszuschlag“. Diese Regelung wurde mit Wirksamkeit ab 1.1.2005 durch den „Zusatzurlaub bei Nachtarbeit“ ersetzt, der – abhängig von den geleisteten Nachteinsätzen – eine Kürzung und Staffelung des bisherigen Zusatzurlaubs mit sich brachte (maximal sechs Werktage Zusatzurlaub). Mit Wirksamkeit ab 1.1.2013 wurden die AVB dahin geändert, dass die Bestimmungen über den Zusatzurlaub für jene Mitarbeiter (darunter die Kl) außer Kraft trat, auf die der KollV zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB in der ab 1.1.2013 geltenden Fassung Anwendung zu finden hatte. Gleichzeitig wurde im KollV die Zeitgutschrift (Nachtfaktor) für Nachtarbeitsstunden je Stunde um sechs Minuten erhöht. Diese Zeitguthaben können auch noch im darauffolgenden Durchrechnungszeitraum ausgeglichen werden, was durch zeitliche Verkürzung der Schichten erfolgt.

Die Kl begehrten die Weitergewährung des „Zusatzurlaubes bei Nachtarbeit“ auch für die Jahre 2013 bis 2015. Die Änderung der AVB bewirke durch die gänzliche Streichung des Zusatzurlaubs einen gravierend verschlechternden und daher einseitig unzulässigen Eingriff in die arbeitsvertraglichen Ansprüche der Kl.

Nachdem das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben und das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hatte, hielt der OGH die Revision der Kl für berechtigt und sprach die begehrten Zusatzurlaubstage zu.

Die bei den ÖBB Beschäftigten haben ihrer AG mit dem in ihren Dienstverträgen enthaltenen Verweis auf die AVB in der jeweils gültigen Fassung ein Gestaltungsrecht eingeräumt, das die AG nach Treu und Glauben und nach billigem Ermessen berechtigt, Vertragsbestimmungen einseitig abzuändern. In diesem Rahmen sind – in zumutbarem Ausmaß – auch Verschlechterungen der Stellung des AN möglich. Das Kriterium des „billigen Ermessens“, das die Gestaltungsbefugnis des AG begrenzt, ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Konkretisierung eine umfassende Analyse und Bewertung der Sachlage und der maßgeblichen Interessen beider Vertragsparteien erfordert.

Eine ausgewogene Regelung erfordert es nicht nur, Gleiches gleich zu behandeln, sondern auch Verschiedenes verschieden. Das Argument, dass die Neuregelung des Nachtzuschlags nun gleichermaßen für alle in den Nachtstunden eingesetzten Mitarbeiter gilt, berücksichtigt allerdings nicht, dass nur den Kl (bzw deren DN-Gruppe) dafür ein Sonderopfer in Form des Wegfalls eines ihnen vorher vertraglich zustehenden Urlaubsanspruchs auferlegt wurde. Eine solche Verschlechterung ohne Ausgleich wäre wohl dann unbedenklich, wenn die Sonderregelung schon ursprünglich ein nicht sachlich begründbares Privileg der speziellen DN-Gruppe gewesen wäre, oder wenn die Gründe für die Gewährung des Sonderurlaubs im Lauf der Zeit weggefallen wären. Derartiges hat das Verfahren aber nicht ergeben.

Ein vereinbarter Zeitausgleich käme in seinem Erholungswert dem entfallenen Zusatzurlaub gleich oder doch näher als verkürzte Nachtdienste. Eine Inanspruchnahme der aus dem neu geregelten Nachtfaktor entstandenen Zeitguthaben in Form von vereinbartem Zeitausgleich ist im KollV zwar auch vorgesehen, allerdings nur dann, wenn sie nicht innerhalb zweier aufeinanderfolgender Durchrechnungszeiträume ausgeglichen werden können. Dieser Ausgleich wird von der Bekl aber dadurch herbeigeführt, dass sie die Nachtfaktorzeiten laufend in den Dienstplänen berücksichtigt, wodurch den Kl die Inanspruchnahme von geblocktem Zeitausgleich verwehrt ist.

Der erkennende Senat folgt aus diesen Überlegungen dem Erstgericht darin, dass der verschlechtern-16de Eingriff in die Dienstverträge der Kl – auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen stufenweisen Reduktion des Zusatzurlaubs – schwerer wiegend war, als es unter Berücksichtigung der grundsätzlich beachtenswerten Interessen der Bekl erforderlich gewesen wäre, sodass er als unzulässig zu beurteilen ist.