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Ob eine Ausbildung im Inland oder im Ausland vorliegt, hängt vom faktischen Aufenthaltsort während der Ausbildung ab – keine Rahmenfristerstreckung durch Ausbildungszeiten im Ausland bei Prüfung der großen Anwartschaft gem § 12 Abs 4 AlVG

REGINAZECHNER

Am 22.3.2012 begann die spätere Beschwerdeführerin (BF) ihr Doktoratsstudium an der Universität Salzburg. Vom 2.2.2015 bis 1.2.2016 war sie arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt. Nachdem sie im August 2015 ein Stipendium erhielt, arbeitete sie im Zeitraum 1.2.2016 bis 27.1.2017 im Rahmen ihres österreichischen Doktoratsstudiums an der Boston University im Ausmaß von acht Stunden32pro Tag an ihrer Dissertation. Sie war während ihres Aufenthalts in den USA weiter an der Universität Salzburg inskribiert, musste aber keine Studiengebühren entrichten. Am 6.2.2017 stellte die BF einen Antrag auf Arbeitslosengeld. Dieser wurde vom Arbeitsmarktservice (AMS) mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit gem § 7 Abs 1 Z 1 und Abs 2 AlVG iVm § 12 AlVG abgewiesen, weil die große Anwartschaft nicht erfüllt und Arbeitslosigkeit somit nicht gegeben sei. Die BF hatte ihr Studium zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen und stellte erstmals einen Antrag auf Arbeitslosengeld während ihrer Ausbildung.

Das BVwG bestätigte die E des AMS und führte dazu aus, dass gem § 12 Abs 4 AlVG Arbeitslosigkeit während eines Studiums gem § 12 Abs 3 lit f AlVG nur dann vorliegt, wenn die „große Anwartschaft“ erfüllt ist. Das BVwG vertrat die Ansicht, dass bei dem Studienaufenthalt in den USA keine eigenständige Ausbildung vorliegen würde. Primäre Ausbildungsstätte des Doktoratsstudiums bleibe Österreich, da der Auslandsaufenthalt das Bestehen des österreichischen Studiums vorausgesetzt und die BF in Boston ausschließlich an ihrer Dissertation gearbeitet habe. Eine Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, wie etwa im Rahmen von Lehrveranstaltungen, habe nicht stattgefunden. Es erübrige sich daher die Frage, ob bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 12 Abs 4 AlVG Ausbildungszeiten im Ausland, im Gegensatz zu Ausbildungszeiten im Inland (§ 15 Abs 1 Z 4 AlVG), als Rahmenfristerstreckungsgrund für die Erfüllung der großen Anwartschaft herangezogen werden können. Ohne Berücksichtigung der Ausbildung im Ausland als Rahmenfristerstreckungsgrund würden nur 361 anwartschaftsbegründende Tage in der Rahmenfrist vorliegen.

Die BF erhob gegen das Erkenntnis eine außerordentliche Revision, die vom VwGH für zulässig erklärt wurde.

Entgegen der Ansicht des BVwG stellt der VwGH zunächst fest, dass der Tatbestand des § 15 Abs 2 Z 1 AlVG erfüllt ist, weil sich die BF in Boston einer Ausbildung unterzogen hat, durch die sie überwiegend in Anspruch genommen wurde. Wo sich der Arbeitslose iSd §§ 15 Abs 1 Z 4 und 15 Abs 2 Z 1 AlVG einer Ausbildung unterzieht, ist nach dem Aufenthaltsort des Arbeitslosen während seiner Ausbildung und nicht nach dem Sitz des Organs zu beurteilen, dessen Regelungen die betreffende Ausbildung unterliegt.

Gem § 12 Abs 3 lit f AlVG gilt insb nicht als arbeitslos, wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang ausgebildet wird. Abweichend davon gilt gem § 12 Abs 4 AlVG während einer Ausbildung ua als arbeitslos, wer die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 erster Satz AlVG – 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung im Inland in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruchs – mit der Maßgabe erfüllt, dass diese ohne Rahmenfristerstreckung durch die Heranziehung von Ausbildungszeiten gem § 15 Abs 1 Z 4 AlVG erfüllt werden und für die erstmalige Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes während der Ausbildung gelten. Es trifft somit zu, dass § 12 Abs 4 erster Satz zweite Alternative AlVG bei der Prüfung, ob die „lange Anwartschaft“ erfüllt ist, nur die Nichtberücksichtigung jener Rahmenfristerstreckung vorsieht, die auf der „Heranziehung von Ausbildungszeiten gemäß § 15 Abs 1 Z 4“ AlVG (Ausbildung im Inland) beruht. Fraglich ist daher, ob das Fehlen einer Klausel betreffend Ausbildung im Ausland eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke darstellt.

Der Grund für die Sonderregelung der im § 12 Abs 3 lit f AlVG genannten Personengruppe ist darin zu erblicken, dass der Gesetzgeber – ungeachtet subjektiver Umstände und Erklärungen des Arbeitslosen, insb über seine Arbeitswilligkeit – von der Vermutung der Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das AMS bzw des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Auch soll dadurch eine – systemwidrige – Finanzierung einer solchen Ausbildung durch eine Leistung aus der AlV verhindert werden. Berücksichtigt man, dass die Gleichstellung von im Ausland absolvierten Ausbildungen als Rahmenfristerstreckungstatbestand durch § 15 Abs 2 Z 1 AlVG eine den Arbeitslosen privilegierende Ausnahme vom Territorialitätsprinzip darstellt, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, die im Ausland absolvierten Ausbildungen nicht nur den im Inland absolvierten Ausbildungen gleich zu stellen, sondern iZm § 12 Abs 1 lit f iVm § 12 Abs 4 AlVG sogar besser zu behandeln. Dies würde einen tiefgreifenden Wertungswiderspruch darstellen. Für eine solche Besserstellung ist eine sachliche Rechtfertigung nicht zu erkennen. Der VwGH ist daher zu der Auffassung gelangt, dass § 12 Abs 4 AlVG, dessen Wortlaut lediglich auf § 15 Abs 1 Z 4 AlVG verweist, eine planwidrige Lücke aufweist, die – auch zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung – dadurch zu schließen ist, dass auch Ausbildungen, denen sich der Arbeitslose iSd § 15 Abs 2 Z 1 AlVG im Ausland unterzogen hat, bei Anwendung des § 12 Abs 4 AlVG nicht rahmenfristerstreckend berücksichtigt werden können. Die Revision war daher als unberechtigt abzuweisen.33