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Integritätsabgeltung – Arbeitsunfall auf der Baustelle

SOPHIAMARCIAN

Der Kl wurde bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle am 11.9.2012 schwer verletzt. Der Kl stand in zirka 4,5 m Höhe auf einer ungesicherten Leiter; diese war nur an einen Schalungstisch angelehnt. Der Schalungstisch sollte mittels Kran angehoben werden. Der Kl hatte die Aufgabe, die Anschlagmittel (Ketten) des Krans am zirka zwei Tonnen schweren Schalungstisch zu befestigen. Aufgrund mangelnder Anordnungen durch den Polier, fühlte sich jedoch keiner der anwesenden Kollegen des Kl verantwortlich, als Einweiser für den Kranführer zu fungieren. Da der Kl selbst den Kranführer durch Handzeichen und Zurufe einweisen musste, während er die Anschlagmittel befestigte, kam es zu dem Zwischenfall, bei dem der Kl das Gleichgewicht verlor und in die die Tiefe stürzte, wobei er sich schwer verletzte. Bereits einige Wochen zuvor kam es in einer ähnlichen Situation beinahe zu einem Unfall. Der Kl meldete dies dem Polier, doch die Gefahr wurde nicht beseitigt, sondern der Kl nur angewiesen, in Zukunft besser aufzupassen.37

Das Erstgericht verpflichtete die bekl Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) zur Zahlung einer Integritätsabgeltung auf Basis des Integritätsschadens von 100 %. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge, es sprach aus, dass der Anspruch auf Integritätsabgeltung zu Recht bestehe und verpflichtete die Bekl zu einer vorläufigen Zahlung.

Der OGH wies die außerordentliche Revision der Bekl mangels Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) zurück.

Der Anspruch auf Integritätsabgeltung (§ 213a ASVG) setzt voraus, dass der Arbeitsunfall durch eine grob fahrlässige Außerachtlassung von AN-Schutzvorschriften verursacht wurde. Die grobe Fahrlässigkeit muss im Hinblick auf die Verletzung der AN-Schutzvorschriften, nicht hinsichtlich der Herbeiführung des Unfalls gegeben sein.

In seinem Beschluss führt der OGH aus, dass die Annahme eines groben Verschuldens angesichts der Unfallsituation keine zu korrigierende Fehlbeurteilung des OLG darstelle. Der Unfall sei nicht – wie von der Bekl behauptet – auf die kurzfristige Fehlleistung des Kranführers zurückzuführen, sondern auf fehlende Instruktionen zum Einweisungsvorgang in einer gefährlichen Situation. Nach § 19 Abs 2 der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO), BGBl II 2000/164, sei der AG des Kl verpflichtet gewesen, den Einsatz des Krans zu planen und die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeiten zu überwachen, sodass die Sicherheit der AN gewährleistet gewesen wäre. Das Verhalten des – dem AG gleichgestellten (§ 333 Abs 4 ASVG) – Poliers stelle somit eine grob fahrlässige Verletzung von AN-Schutzvorschriften dar.

Wie in seiner bisherigen Judikatur sprach der OGH erneut aus, dass grobe Fahrlässigkeit dann vorliege, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht gegeben sei, wodurch ein Schadenseintritt als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar erscheine (OGH10 ObS 104/04p SSV-NF 28/68 mwN; RIS-Justiz RS0030644).