31Keine Waisenpension neben Bezug eines Fachkräftestipendiums
Keine Waisenpension neben Bezug eines Fachkräftestipendiums
Die Waisenpension (als Ersatz der Unterhaltsleistung des Verstorbenen) soll die für die Dauer der Ausbildung bestehende Unmöglichkeit, gleichzeitig ein die Selbsterhaltung garantierendes Erwerbseinkommen zu erzielen, zumindest teilweise ausgleichen. Aus dem Grundgedanken der Waisenpension ergibt sich somit, dass diese erst dann subsidiär zur Sicherung des Lebensunterhalts herangezogen werden soll, wenn und solange während einer Ausbildung die angemessene Bedürfnisdeckung außerhalb des elterlichen Haushalts nicht schon anderweitig durch öffentliche Mittel – wie durch vom Arbeitsmarktservice gewährte Mittel bzw Arbeitslosengeld – abgedeckt wird.
Der 1992 geborene Kl arbeitete von 27.8.2012 bis 15.6.2017 und war bis September 2017 arbeitslos. Er bezog Arbeitslosengeld von täglich € 37,22. Seit 11.9.2017 besuchte er die Abendschule einer HTL für Berufstätige, wobei er 20,65 Unterrichtsstunden wöchentlich absolvierte. Er erhält für die Dauer der Ausbildung, voraussichtlich bis Mitte 2020, ein Fachkräftestipendium des Arbeitsmarktservice (AMS) von täglich € 37,22 (somit monatlich€ 1.115,69).
Mit Bescheid vom 28.8.2017 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag des Kl vom 8.6.2017 ab, ihm die Waisenpension nach seinem am 4.7.2001 verstorbenen Vater zu gewähren.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Zuspruch der Waisenpension ab 1.7.2017 gerichtete Klage ab. Rechtlich ging es davon aus, dem Kl komme die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG infolge Selbsterhaltungsfähigkeit nicht mehr zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Die außerordentliche Revision war nach Ansicht des OGH mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
„[…]
1.1 In seiner Stammfassung stellte das ASVG für die Frage, ob die Kindeseigenschaft durch eigenes Erwerbseinkommen verloren geht, darauf ab, ob Selbsterhaltungsfähigkeit vorlag oder nicht.
1.2 Mit der Neufassung des § 252 ASVG […] wurde das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit aufgegeben. Es sollte […] durch die leichter feststellbaren Merkmale der überwiegenden Inanspruchnahme der Arbeitskraft ersetzt werden.
1.3 […] dann, wenn sich ein Kind in einer ‚hauptberuflichen‘ Ausbildung befindet, seine Arbeitskraft dadurch so in Anspruch genommen wird, dass ihm (daneben) eine die Selbsterhaltungsfähigkeit garantierende Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Übte das Kind eine solche aber dennoch aus, so vernichtete das seinen Anspruch auf Waisenpension nicht. […] Neben der Ausbildung erzielte, zur Selbsterhaltungsfähigkeit führende Einkünfte wurden somit als für die Waisenpension nicht anspruchsschädlich erachtet.
2. Für Einkommen, die aus der Ausbildungstätigkeit selbst stammen, wurde hingegen davon ausgegangen, dass die Kindeseigenschaft nur bei einer Berufsausbildung und nur dann über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus weiter besteht, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird. […]
3.1 Anders liegt der vorliegend zu beurteilende Fall, in dem die Waise für den Zeitraum einer Ausbildung (öffentliche) Mitteln des Arbeitsmarktservices zur Bestreitung des Lebensunterhalts in einer die Selbsterhaltungsfähigkeit gewährleistenden Höhe erhält. Derartige Leistungen stehen nach bisheriger Rechtsprechung dem Anspruch auf Waisenpension entgegen. […] Ein während der Ausbildung in einer Fachschule vom Arbeitsamt ausnahmsweise zuerkanntes Arbeitslosengeld […] wurde ebenfalls als der Kindeseigenschaft […] entgegenstehend qualifiziert. […] Auch nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien war in jenen Fällen, in denen ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger die Berufsaus- oder Berufsfortbildung übernimmt oder für eine Umschulung sorgt und diese berufsfördernde Maßnahme durch eine Beihilfe aus öffentlichen Mittel unterstützt wird, darauf abzustellen, ob durch diese Beihilfe der Lebensunterhalt der Waise gesichert wird. […]
3.2 Die Rechtsprechung zum Wegfall der Kindeseigenschaft, wenn während einer Ausbildung Mittel des Arbeitsmarktservice zur Deckung des Lebensbedarfs bezogen wurden, beruht auf dem Gedanken, dass der Zweck der Waisenpension ganz allgemein darin liegt, an die Stelle der Unterhaltsleistung des verstorbenen Versicherten zu treten. Die Waisenpension soll die für die Dauer der Ausbildung40bestehende Unmöglichkeit, gleichzeitig ein die Selbsterhaltung garantierendes Erwerbseinkommen zu erzielen, zumindest teilweise ausgleichen. Aus dem Grundgedanken der Waisenpension ergibt sich somit, dass diese erst dann subsidiär zur Sicherung des Lebensunterhalts herangezogen werden soll, wenn und solange während einer Ausbildung die angemessene Bedürfnisdeckung außerhalb des elterlichen Haushalts nicht schon anderweitig durch öffentliche Mittel – wie durch vom Arbeitsmarktservice gewährte Mittel bzw Arbeitslosengeld – abgedeckt wird. […] In derartigen Fällen ist eine Bedarfslage vom Gesetzgeber vorausgesetzt, bei deren Nichtvorliegen der Gesetzeswortlaut des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG durch eine gedachte Ausnahmebestimmung teleologisch zu reduzieren ist. Die Gewährung einer den Lebensunterhalt deckenden Waisenpension ist jedenfalls dann nicht länger angebracht, wenn die Waise neben einer ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung ihren Lebensunterhalt aus einem aus den Mitteln des Arbeitsmarktservice finanzierten Stipendium oder Ausbildungsbeitrag abdecken kann.
3.3 Die Ansicht der Vorinstanzen, auch im vorliegenden Fall sei die Kindeseigenschaft im Hinblick auf das dem Kläger für die Dauer der Teilnahme an der Ausbildung gewährte Fachkräftestipendium […] weggefallen, stellt demnach keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung dar. Dieses Stipendium dient für die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung als Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts […] und erreicht eine die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Höhe. Die Gewährung einer den Lebensunterhalt deckenden Waisenpension zusätzlich zum Fachkräftestipendium würde daher der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Bedarfslage nicht entsprechen.“
Mit dieser E stellt der OGH mit Verweis auf frühere Entscheidungen klar, dass neben der Ausbildung erworbene Einkünfte dann für die Waisenpension nicht schädlich sind, wenn die Ausbildung selbst die Arbeitskraft der Waisen so in Anspruch nimmt, dass der Erwerb eines Einkommens zur Selbsterhaltung nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0085139). Dh jedoch im Umkehrschluss, dass bei Einkommen, die aus der Ausbildung selbst stammen, die Kindeseigenschaft nur dann ab dem 18. Lebensjahr weiterbesteht, wenn eben kein die Selbsterhaltung sicherndes Entgelt bezogen wird (RIS-Justiz 0085125).
Anders ist jedoch der Fall zu behandeln, wenn aus Mitteln des AMS, die der OGH als „öffentlich“ bezeichnet, eine Leistung gewährt wird. Bezieht der/die Waise zusätzlich eine solche Leistung, steht nach Rsp diese dem Anspruch auf Waisenpension entgegen. Dies war einerseits einer vom Vorgänger des AMS gewährten Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts gegenständlich (SSV-NF 2/35), andererseits bei Arbeitslosengeld (SSV-NF 5/91). Jeweils fiel die Kindeseigenschaft weg. Unter Bezugnahme auf die Rsp des OLG Wien wird in jenen Fällen, in denen ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger Berufsausbildungen übernimmt, auf die Sicherung des Lebensunterhalts durch diese Zahlung Bezug genommen (dazu Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 252 ASVG Rz 52 ff).
Der OGH unterstreicht, dass die Waisenpension den Zweck hat, die Unterhaltsleistung des/der Verstorbenen zu ersetzen – und zwar bis zum Ende der Ausbildung, die den Erwerb eines selbsterhaltenden Einkommens verunmöglicht. Damit nimmt das Höchstgericht auch eine Reihung der „öffentlichen“ Leistungen vor und erklärt die Waisenpension als „subsidiär“, indem beispielweise ein Fachkräftestipendium, das zur Deckung des Lebensunterhalts dient, vorgeht. Dem Bundesgesetzgeber ist eine Doppelversorgung nicht zuzusinnen, weshalb der Gehalt des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in richterlicher Rechtsfortbildung telelogisch zu reduzieren war.