Kothe/Faber/Feldhoff (Hrsg)Gesamtes Arbeitsschutzrecht – Handkommentar

2. Auflage, Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 1.550 Seiten, gebunden, € 138,-

WALTERNÖSTLINGER

In Deutschland ereigneten sich 2017 ohne Berücksichtigung von Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Erkrankungen 873.562 meldepflichtige Arbeitsunfälle. Sie zeigen uns in unerbittlicher Weise das Missverhältnis zwischen dem, was wir hätten tun sollen und dem, was geschehen ist, weil wir das Notwendige verabsäumt haben.

Das deutsche Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) soll dazu beitragen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten durch jeweils geeignete Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. Es zielt auf die Abwehr von Gefahren und umfasst alle rechtlichen, organisatorischen, technischen und medizinischen Maßnahmen zum Schutz der physischen und psychischen Unversehrtheit der unter den Anwendungsbereich des ArbSchG fallenden Beschäftigten.

Im Kommentar, an dem insgesamt 30 AutorInnen mitgearbeitet haben, wird der betriebliche Gesundheitsschutz in seiner Breite und Vernetzung und zumeist mit Verweisen auf das Unionsrecht erläutert. Die drei maßgeblichen Gesetze ArbSchG, Arbeitszeitgesetz und Arbeitssicherheitsgesetz werden vollständig und auf dem aktuellen Stand kommentiert. Zudem werden die wesentlichen Verordnungen zum ArbSchG sowie weitere Gesetze, die für die Erhaltung der Gesundheit am Arbeitsplatz wichtig sind, dargestellt. Das sind Urlaub, betrieblicher Mutterschutz und Jugendarbeitsschutz sowie das Betriebliche Eingliederungsmanagement und die Betriebliche Gesundheitsförderung.

§ 3 ArbSchG regelt – um ein Beispiel zu nennen – die Grundpflichten des AG, zB seine Organisationspflichten. Neben umfassenden rechtlichen Erläuterungen und Verweisen auf Judikatur und Literatur werden die jeweils notwendigen Aktivitäten klar strukturiert und praxisorientiert sowie durch Grafiken unterstützt erläutert, welche Schritte er zu setzen hat, um die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die von der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht mit verwaltungsrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden können, umzusetzen. In diesem Zusammenhang kommt in den einzelnen Betrieben der in § 5 ArbSchG geregelten Gefährdungsbeurteilung – vergleichbar mit der in Österreich in § 4 ASchG normierten Arbeitsplatzevaluierung – eine entscheidende Rolle zu. Um welche betriebliche Gefahren (zB Arbeitsmittel, Arbeitsstoffe, Lärm) geht es überhaupt, wie können diese im Einzelfall auf der Grundlage des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) durch jeweils geeignete Maßnahmen erkannt, beseitigt oder minimiert werden und welche arbeitsmedizinischen, sicherheitstechnischen und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse sind dabei zu berücksichtigen?

Aktivitäten zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten erfordern auch ein fundiertes Wissen über die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit und somit der vertretbaren Dauer der Arbeitszeit. Lange Arbeitszeiten führen bekanntlich zu Ermüdung und einem Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit. Kommen weitere Belastungsfaktoren (Zeitdruck, Hitze, manuelle Lasthandhabung etc) hinzu, beschleunigt sich dieser Prozess. Eine reduzierte physische und/ oder psychische Belastungsfähigkeit kann Arbeitsunfälle oder arbeitsbedingte Erkrankungen begünstigen oder verursachen. In dem die Arbeitszeitbestimmungen regelnden Teil des Handkommentars werden die entsprechenden Bestimmungen auch für den betrieblichen Anwender verständlich mit den entsprechenden Details (Rufbereitschaft, Wegzeiten, Ruhepausen, Ruhezeiten etc) umfassend kommentiert. Fragen der Begrenzung der Arbeitszeit und der ausreichenden Möglichkeit zur physischen und psychischen Regeneration und Erholung in Verbindung mit der Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit stehen in engem Zusammenhang zu Gesundheit und Sicherheit und den daraus resultierenden Wechselwirkungen. Dies gilt auch für die von der Normalarbeitszeit abweichenden Regelungen, die in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden können, und für das Mitbestimmungsrecht des BR in solchen Fällen.

Durch diese Mitsprachemöglichkeiten der AN-Vertreter kann darauf Einfluss genommen werden, dass Ausnahmen nicht zur Regel und branchenbezogene Belastungen (Autoindustrie, Krankenanstalt, Handelsbetrieb etc) punktgenau berücksichtigt werden sowie durch jeweils geeignete Begleitmaßnahmen wie zusammenhängende längere Ruhezeiten in ihren negativen Wirkungen abgefedert werden. Regelungen also, die mit den bisherigen österreichischen Ausnahmebestimmungen vergleichbar waren, die aber offenbar in ihren für den AN-Schutz präventiven Auswirkungen vom Gesetzgeber nicht erkannt oder höherwertiger erscheinenden anderen Interessen untergeordnet und mit Beschluss des Nationalrates vom 5.7.2018 unter der Überschrift „Arbeitszeitflexibilisierung“ aufgeweicht wurden.

In einem eigenen Teil des Kommentars werden schließlich auch der betriebliche Mutterschutz, der Ju-57gendarbeitsschutz und den Arbeits- und Gesundheitsschutz betreffende Teile aus der Betriebsverfassung kommentiert. Für den Fall von Zuwiderhandlungen finden sich bei den einzelnen Bestimmungen ua auch Erläuterungen, welche Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung (zB Unterlassungsklage) bestehen, wenn gegen einzelne Bestimmungen verstoßen wird.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in dem 1.550 Seiten umfassenden Werk das betriebliche Arbeitsschutzrecht mit all seinen juristischen, medizinischen und technischen sowie arbeitswissenschaftlichen Hintergründen auf eine sehr umfassende und beeindruckende Weise kommentiert wird. Daher kann es allen, die mit Fragen des Arbeitsschutzes in Deutschland zu tun haben, nicht zuletzt den für die Arbeitssicherheitsorganisation zuständigen Fachkräften in den Betrieben wärmstens empfohlen werden. Es ist aber auch für Experten, die sich in Österreich mit dem Thema Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz beschäftigen, von Interesse, weil es viele wertvolle Informationen enthält, die nicht an Ländergrenzen gebunden sind.