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Anwendung der Satzung des Österreichischen Roten Kreuzes aufgrund der wirtschaftlichen Prägung des Mischbetriebes durch den Einsatz von Krankentransportwägen

MANFREDTINHOF
§ 9 Abs 3 ArbVG; Satzung des ÖRK-KollV; KollV für Personenbeförderung mit Pkw

Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung gem § 9 Abs 3 ArbVG ist danach zu beurteilen, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gibt. Dafür kommt es nach der Rsp nicht nur auf einzelne Aspekte, wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der AN oder Zusammensetzung des Kundenkreises, an. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen ist.

Bei der hier angestellten Gesamtbetrachtung dieser Umstände ergibt sich daher, dass der Einsatz der Krankentransportwägen dem Ge-11samtbetrieb der Bekl die wirtschaftliche Prägung gibt. Damit kommt es aber darauf, ob auch der Krankentransport mit normalen Pkws, wie er von der Bekl durchgeführt wird, dem Anwendungsbereich des gesatzten KollV des Österreichischen Roten Kreuzes oder aber dem KollV für Personenbeförderung unterliegt, nicht mehr an.

SACHVERHALT

Die Bekl ist Mitglied beim Fachverband der Wirtschaftskammer für das Beförderungsgewerbe. Sie führt sowohl Krankentransporte mit Krankentransportwägen als auch die Beförderung Kranker mit normalen Pkws sowie zu einem geringen Prozentsatz (13 %) sonstige Transporte durch. Während der Beschäftigung des Kl, eines ausgebildeten Rettungssanitäters, hatte sie zwei Krankentransportwägen und zwei Pkws im Einsatz. Bei Bedarf wurden weitere Pkws dazu gemietet. Die Krankentransportwägen, in denen der Kl überwiegend eingesetzt war, sind mit einer speziellen medizinischen Ausstattung versehen und müssen mit mindestens zwei Rettungssanitätern besetzt sein. Mit den Pkws, die über keine medizinische Ausstattung verfügen müssen, werden zB gehfähige Personen zu Ärzten und Krankenhäusern, Therapien und Kurhäusern gebracht. Sie werden zu reinen Transportaufgaben und nicht für Notfälle herangezogen. Die Fahrer müssen keine Sanitäterausbildung haben. Die Bekl hat mit zehn verschiedenen Krankenversicherungsträgern Verträge über die Durchführung und Honorierung von Krankentransporten und Transporten zu ambulanten Behandlungen. Nach diesen sind die Fahrer verpflichtet, den Transportierten beim Ein- und Aussteigen, auf dem Weg zum Wagen und zur Behandlung behilflich zu sein.

Der Kl begehrt die Zahlung von Lohndifferenzen, da auf sein Arbeitsverhältnis der gesatzte KollV des Österreichischen Roten Kreuzes und nicht der KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw anzuwenden sei. Die Bekl bestritt und brachte vor, dass auf das Arbeitsverhältnis des Kl der KollV Personenbeförderung anzuwenden sei. Bei der Bekl handelt es sich um einen Mischbetrieb iSd § 9 ArbVG.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Während das Erstgericht das Klagebegehren abwies, gab das Berufungsgericht der Berufung des Kl überwiegend Folge. Es ließ die Revision zu, weil keine Rsp zur Frage bestehe, ob der KollV Personenbeförderung oder der KollV des Österreichischen Roten Kreuzes auf Betriebe anzuwenden sei, die Transporte kranker Personen mit normal ausgerüsteten Pkws durchführen. Die Revision wurde vom OGH als zulässig, aber nicht als berechtigt angesehen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„4. Verfügt ein mehrfach kollektivvertragsangehöriger Arbeitgeber über zwei oder mehrere Betriebe, so findet auf die Arbeitnehmer der jeweilige dem Betrieb in fachlicher und örtlicher Beziehung entsprechende Kollektivvertrag Anwendung (§ 9 Abs 1 ArbVG). Dies gilt sinngemäß auch dann, wenn es sich um Haupt- und Nebenbetriebe oder um organisatorische und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen handelt (§ 9 Abs 2 ArbVG). Liegt eine organisatorische Trennung in Haupt- und Nebenbetriebe oder eine organisatorische Abgrenzung in Betriebsabteilungen nicht vor, so findet jener Kollektivvertrag Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat; durch Betriebsvereinbarung kann festgestellt werden, welcher fachliche Wirtschaftsbereich für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat (§ 9 Abs 3 ArbVG). […]

7. Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung ist danach zu beurteilen, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gibt. Dafür kommt es nach der Rechtsprechung nicht nur auf einzelne Aspekte, wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der Arbeitnehmer oder Zusammensetzung des Kundenkreises, an. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen ist (Pfeil in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht [2015] § 9 Rz 22 mwN; 9 ObA 7/12p; 9 ObA 194/90 ua).

Diese Judikatur wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr will die Beklagte, ausgehend davon, dass sie die Pkw-Fahrten anders als das Berufungsgericht dem Mietwagengewerbe zuordnet, aufgrund der höheren Kilometerleistung und dem kostendeckenden Einsatz der Pkws die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung in der Personenbeförderung sehen.

Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Selbst wenn man von der Prämisse ausgeht, dass die Krankentransporte mit Pkw keine Tätigkeit im Sinn des KV ÖRK 2013 darstellen, ist der Aspekt der Tätigkeit, der dem Betrieb der Beklagten ‚das Gepräge‘ gibt, nicht in diesem Teilbereich der wirtschaftlichen Tätigkeit der Beklagten zu sehen.

Die Beklagte ist ein selbständiger Teil einer Organisation, die in der Öffentlichkeit nicht zuletzt aufgrund ihres Namens als Rettungsdienst wahrgenommen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass selbst bei der Beförderung mit Pkw sich die Betroffenen an die Beklagte wenden, weil sie davon ausgehen, dass ihre Bedürfnisse aufgrund von Beeinträchtigungen durch Krankheit oder Behinderung von einem ‚Rettungsdienst‘ anders wahrgenommen und berücksichtigt werden. Dem entspricht auch, dass bei der Beklagten sämtliche Mitarbeiter (wenn auch nicht alle rezertifiziert) ausgebildete Notfallsanitäter sind und die Fahrzeuge,12mag dies auch nicht vorgeschrieben sein, mit Notfallrucksäcken ausgestattet sind. Die Beklagte nutzt daher auch ihre Kapazitäten aus dem reinen Rettungsdienst für ihr Angebot im Rahmen der Beförderung kranker Personen. Dieser erfolgt auch zu einem wesentlichen Teil in Zusammenarbeit mit diversen Sozialversicherungsträgern, die die Beklagte auch dazu verpflichten, den Transportierten auf dem Weg zum Fahrzeug und zur Behandlungsstelle sowie beim Ein- und Aussteigen – in einem gegenüber § 16 Stmk Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen- Betriebsordnung relevant übersteigenden Ausmaß – behilflich zu sein sowie die Kosten des Transports zu übernehmen.

Dazu kommen aber auch die rein wirtschaftlichen Faktoren. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags nicht von der fluktuierenden Auslastung der einzelnen Fahrzeuge abhängig gemacht werden kann. In ihrer Grundausstattung verfügte die Beklagte zum Zeitpunkt der Tätigkeit des Klägers über zwei Krankentransportwägen und zwei Pkws, die vom Dachverband ständig angemietet waren, wobei (nur) bei Bedarf zusätzliche Fahrzeuge angemietet wurden. Allein von der Grundausstattung war also eine Gleichwertigkeit des Fuhrparks gegeben. Die gefahrenen Strecken variierten sehr stark nach der Auslastung (zwischen 10 % 2011 und 100 % 2014 Überwiegen der Pkw-Fahrten). Der durchschnittliche Gesamtumsatz war bei den Krankentransportwägen höher, ebenso der Aufwand. Dazu kommt, dass bei den Krankentransportwägen ein höherer Personaleinsatz erforderlich war, weil jeweils zwei Arbeitnehmer zu den Fahrten einzuteilen waren, der Fahrer und ein weiterer Rettungssanitäter, bei den Pkws nur ein Fahrer. Auch darin zeigt sich die große wirtschaftliche Bedeutung der Krankentransporte, auch wenn die Krankentransportwägen überwiegend Verluste erwirtschafteten und nur die Pkws kostendeckend arbeiteten.

Bei der – wie ausgeführt – anzustellenden Gesamtbetrachtung dieser Umstände ergibt sich daher, dass der Einsatz der Krankentransportwägen dem Gesamtbetrieb der Beklagten die wirtschaftliche Prägung gibt. Damit kommt es aber darauf, ob auch der Krankentransport mit normalem Pkw, wie er von der Beklagten durchgeführt wird, dem Anwendungsbereich des gesatzten KV des ÖRK 2013 unterliegt, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, oder dem KV Personenbeförderung, worauf die Revision abzielt, nicht mehr an. Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Revision muss daher nicht weiter eingegangen werden.

Aufgrund des wirtschaftlichen Überwiegens der Krankentransporttätigkeit im engeren Sinn ist daher auf den Gesamtbetrieb der gesatzte KV des ÖRK 2013 anzuwenden.“

ERLÄUTERUNG

In der arbeitsrechtlichen Praxis gilt es des Öfteren die Frage zu lösen, welcher (gesatzte) KollV oder Mindestlohntarif auf das Arbeitsverhältnis eines Beschäftigten anzuwenden ist, wenn dessen AG in mehreren Sparten tätig ist. Sollten in einem Unternehmen mehrere Betriebe bzw Haupt- und Nebenbetrieb oder organisatorisch und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen vorhanden sein, so ist der jeweils entsprechende KollV anzuwenden (§ 9 Abs 1 und 2 ArbVG). Es kann somit in einem Unternehmen auch zur Anwendung mehrerer Kollektivverträge kommen. In der Praxis ist dies aber nicht der Regelfall, weil es sich meist – so wie auch hier – um einen Mischbetrieb handelt: Ein solcher liegt vor, wenn die oben genannten Abgrenzungskriterien nicht zutreffen und zumindest zwei Kollektivverträge in Frage kämen. In diesem Fall findet jener KollV Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Es kommt in einem Mischbetrieb somit nur ein einziger KollV zur Anwendung (Prinzip der Tarifeinheit, § 9 Abs 3 ArbVG).

Für den Fall des Zusammentreffens eines KollV mit der Satzung eines anderen KollV (wie im vorliegenden Fall) bzw mit einem Mindestlohntarif hat der OGH bereits ausgesprochen, dass bei einem Mischbetrieb ein für die AN des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender gesatzter KollV (OGH 26.11.2013, 9 ObA 91/13t, vgl infas 2014 A 27) bzw ein Mindestlohntarif (OGH 24.11.2010, 9 ObA 11/10y, vgl infas 2011 A 23) in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die AN des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden KollV verdrängt.

Da gegenständlich ein Mischbetrieb vorhanden ist, stellte sich für den OGH die Frage, welcher KollV für den Betrieb die „maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung“ habe. Im Zuge einer Gesamtbetrachtung gelangte er zum Ergebnis, dass nicht die Krankenbeförderung mit normal ausgestatteten Pkws, sondern der Einsatz von Krankentransportwägen dem Gesamtbetrieb die wirtschaftliche Prägung gibt.

Der OGH hatte sich schon mehrmals damit zu beschäftigen, welche Rechtsquelle auf ein Arbeitsverhältnis bei einem AG, der Krankentransporte anbietet, anwendbar ist (vgl dazu die oben zitierten Entscheidungen sowie zuletzt OGH8 ObA 2/18dDRdA-infas 2018/120). Er konnte aber bislang die Frage offenlassen, ob der KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkws auch auf Betriebe anzuwenden sei, die Transporte für kranke Personen mit normal ausgerüsteten Pkws (ohne Sonderausstattung) und ohne zwingende Begleitung eines Rettungssanitäters durchführen. Und zwar deswegen, weil in den bisherigen Fällen die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung immer unstrittig im Krankentransport mit speziell ausgerüsteten Rettungswägen lag.13

Das Berufungsgericht war noch davon ausgegangen, dass es nicht darauf ankomme, ob die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung der Durchführung von Krankentransporten mit Krankentransportwägen oder Pkws zukomme, weil auch die Durchführung von Krankentransporten mit Pkws in den Anwendungsbereich des KollV des Roten Kreuzes falle und nicht vom Begriff des Mietwagengewerbes umfasst sei. Es ließ deswegen die Revision zu, weil es dazu noch keine Rsp gab. Der OGH musste sich aber wiederum nicht dazu äußern, weil er die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb im Einsatz der speziell ausgestatteten Krankentransportwägen sah. Daher bleibt nach wie vor oberstgerichtlich unbeantwortet, welcher KollV auf einen Mischbetrieb anwendbar ist, der zur Gänze oder zumindest deutlich überwiegend lediglich „normale“ Pkws für den Krankentransport verwendet.