TraegerDie Einstellung nach § 99 BetrVG

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2018, 365 Seiten, € 109,90

VERENAZWINGER (WIEN)

Das vorliegende Buch, das als Dissertation im Januar 2018 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen wurde, behandelt die Mitwirkungsrechte des BR in Zusammenhang mit der Einstellung von AN und deren zunehmende Verrechtlichung, die der Autorin zufolge in den letzten Jahren in Deutschland stattgefunden hat. Gem § 99 BetrVG ist in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten AN der BR vor Einstellung (sowie Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung) nicht nur zu unterrichten bzw darüber zu beraten, wie es in Österreich gem § 99 ArbVG der Fall ist, sondern dessen Zustimmung einzuholen. Diese Zustimmung darf jedoch nur aus bestimmten, in § 99 Abs 2 BetrVG dargelegten Gründen verweigert werden. Besonderes Augenmerk wird daneben auf die gängige Rsp der deutschen Gerichte gelegt, die in diesem Punkt laut Sabrina Traeger zT sehr extensive Auffassungen vertritt, die für die/den AG weitreichende Konsequenzen haben.

Als erster inhaltlicher Schwerpunkt wird der Begriff der Einstellung iSd § 99 BetrVG diskutiert. Nicht nur hinsichtlich der Definition der Einstellung per se, sondern auch bezüglich der Feststellung des an die Einstellung anknüpfenden rechtskonformen Verhaltens der Betriebsparteien sind sich die deutsche Rsp und Wissenschaft uneinig. Die Autorin stellte es sich sohin zunächst zur Aufgabe, selbst eine Definition der Einstellung iSd § 99 BetrVG durch eine, ihrer Ansicht nach, methodengerechte Auslegung zu finden, die zugleich den Anforderungen der modernen Arbeitswelt genügt. In diesem Sinne spricht sich Traeger dafür aus, als Anknüpfungspunkt für die Einstellung gem § 99 BetrVG anstatt der rechtlichen die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb zu nehmen. Dass dies miteinander einhergehen kann, aber nicht muss, folgert sie aus der systematischen Ausgestaltung des Abschnitts über die Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten im BetrVG. Damit folgt die Autorin dem BAG bzw aktueller dem LAG München, die beide feststellten, dass der BR keine Beteiligungsrechte geltend machen kann, sollte der Vertragsschluss nicht auch eine Einstellung darstellen (vgl BAG 21.7.2009, AP Nr 4 zu § 3 AÜG; BAG 10.8.1993, NZA 1994, 187,189; BAG 16.7.1985, AP Nr 21 zu § 99 BetrVG 1972; LAG München 27.3.2013, 8 TaBV 110/12, juris). Beispielhaft werden zudem die Tätigkeit von Vereinsmitgliedern sowie anderen Personen aufgrund nicht-privatrechtlicher Grundlage genannt, deren Einsatz – obgleich keine AN-Eigenschaft vorliegt – die Beteiligungsrechte gem § 99 BetrVG auslöst.

Im folgenden Kapitel, in dem es um die von § 99 BetrVG erfasste Personengruppe geht, spiegelt sich diese Erkenntnis ebenso wider, da es – erneut in Einklang mit dem BAG – laut Autorin zu keiner Unterscheidung zwischen entliehenen und Stammarbeitskräften kommen dürfe und auch das Vorliegen der betriebsverfassungsrechtlichen AN-Eigenschaft unerheblich sei, da es gerade darum gehe, die bestehende Belegschaft vor der Einstellung Betriebsfremder zu schützen (S 113). In Bezug auf Leih-AN wird diese Auffassung im Übrigen auch in Österreich geteilt, wenngleich die Diskussion durch die Einführung des § 99 Abs 5 ArbVG, der explizit vorsieht, dass der BR über die Absicht, Leiharbeitskräfte aufzunehmen, zu informieren ist, relativ hintangehalten wurde (vgl Resch in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], § 99 ArbVG Rz 60). Hinsichtlich der AN-Eigenschaft gehen die hA sowie die Materialien zur Stammfassung des § 99 ArbVG davon aus, dass nur AN iSd § 36 ArbVG von der Mitwirkung bei Einstellung erfasst seien. Indes wird dies jedoch zT hinterfragt (vgl Resch in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], § 99 ArbVG Rz 10 f).

Ob neben der ersten Arbeitsaufnahme im Betrieb bzw der Ersteinstellung auch Vertragsmodifikationen einer Beteiligung des BR bedürfen, wird in der Folge beleuchtet. Dies ist auch in Österreich strittig (vgl Goricnik in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVG 35 [2015] § 99 Rz 13 mwN). Traeger gelangt zu dem Schluss, dass aufgrund des Wortlauts sowie der Systematik des Gesetzes lediglich die erste Aufnahme in den Betrieb als Einstellung zu sehen sei und sohin die deutsche Rsp in puncto Arbeitszeitverlängerung und Vertragsmodifikation über den im Wege der Interpretation ermittelten Rahmen hinausgeht. Anderes gilt nach Ansicht der Autorin nur dann, wenn es um die Versetzung einer/s AN in einen anderen Betrieb der/s AG geht, da die Beteiligungsrechte des BR an die Betriebsbezogenheit anknüpfen und in einem solchen Falle die Neuein-277gliederung in einen anderen (neuen) Betrieb erfolgt. Gestützt werden diese Überlegungen abermals primär auf die faktische Eingliederung in den Betrieb.

Des Weiteren wird die Applikabilität des gewonnenen Einstellungsbegriffs auf die Erscheinungsformen der Arbeit 4.0 geprüft. Bejaht wird die Anwendbarkeit in Bezug auf räumlich flexible Arrangements wie tele work, mobile office oder desk sharing, da es statt der örtlichen vielmehr auf eine organisatorische Zusammenarbeit ankomme und das Direktionsrecht des AG in jenen Fällen unverändert aufrecht ist. Anders sieht Traeger dies jedoch in Zusammenhang mit crowd work: Den derart Tätigen fehle es sowohl an der organisatorischen Zusammenarbeit als auch an der Weisungsgebundenheit.

Aufbauend auf den Erkenntnissen bezüglich der Einstellung und des davon erfassten Personenkreises beleuchtet die Autorin Schritt für Schritt die Konsequenzen des § 99 BetrVG für die Betriebsparteien sowie für das neu in den Betrieb eintretende Individuum. Dabei wird bspw festgehalten, dass die Pflicht des/r AG zur Nennung aller relevanten Daten nicht auch für abgelehnte BewerberInnen gelten kann, da dies, nach Ansicht Traegers, nicht dem Zweck des § 99 BetrVG entspricht. Zur Wahrung der Interessen der betroffenen Personen, die (ohne die Einholung der Zustimmung des BR) eingestellt wurden, merkt die Autorin kritisch an, dass diese oft nicht ausreichend berücksichtigt würden, da zwar das Zustandekommen des Vertragsverhältnisses per se nicht von der Zustimmung abhängig ist, jedoch in solchen Fällen weitreichende Kündigungsmöglichkeiten bestehen. Sohin es daher dem/r AG zumutbar ist, auf eine Einholung der Zustimmung(-sersetzung durch ein Arbeitsgericht) hinzuwirken, muss nach Ansicht der Autorin ein Schutz vor Kündigung gewährleistet sein.

Zusammenfassend kommt Traeger zu dem Schluss, dass das BetrVG dem BR ausreichende Kontrollmöglichkeiten eröffnet und eine Erweiterung der Beteiligungsrechte durch die Rsp nicht nur mangels dogmatischer Deckung hintangehalten werden sollte, sondern die Erweiterung des Einstellungsbegriffs auch nicht als zur Bekämpfung von Scheinselbständigkeit geeignetes und angemessenes Mittel gesehen werden könne (S 223).

Mit dem vorliegenden Buch gelingt Traeger ein sehr guter Überblick über die Beteiligungsrechte des BR in Zusammenhang mit der Einstellung gem § 99 BetrVG. Da sich die von der Autorin angestellten Überlegungen zumindest punktuell auch ins österreichische Recht übertragen lassen, ist die Lektüre des vorliegenden Buches für interessierte LeserInnen bzw jene, die sich betriebsverfassungsrechtlich über die Staatsgrenzen weiterbilden wollen, durchaus zu empfehlen.