Däubler (Hrsg)Arbeitskampfrecht – Handbuch für die Rechtspraxis

4. Auflage, Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 1052 Seiten, gebunden, € 148,–

WOLFGANGKOZAK (WIEN)

Mitten im heißen Herbst, der Warnstreiks der „Metaller und Eisenbahner“ gebracht hat und nach der arbeits- und sozialrechtlichen Tagung der Arbeiterkammer Wien, die dem Thema Streikrecht in Österreich gewidmet war, ist vorliegendes Werk mit Däubler in Herausgebereigenschaft noch brisanter, als es in Zeiten einer auch von der Regierung anerkannten Sozialpartnerschaft gewesen wäre. Vielleicht hätte man es als nicht streikgewohnter Österreicher als interessant im wissenschaftlichen Sinne, aber für Österreich nicht notwendig eingestuft.

Nun ist alles anders, und vielfach wird sehnsuchtsvoll nach Deutschland und dessen geregeltem Streikrecht geschaut. Dass aber trotz der Anerkennung der Koalitionsfreiheit in Art 9 Abs 3 deutsches Grundgesetz erst 1980 in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) das Streikrecht in einem Kernbereich als garantiert angesehen wird, erstaunt dann doch etwas. Das BAG traf denn auch mit der kargen Formulierung, dass Tarifverhandlungen ohne die gemeinsame Möglichkeit zur Arbeitsniederlegung nicht mehr als kollektives Betteln seien, ins Schwarze. Grosso modo geht die Rsp in Deutschland aber davon aus, dass lediglich der Tarifstreik zur Erzwingung besserer Arbeitsbedingungen (BeamtInnen in Gesamtheit wird bis dato das Streikrecht immer noch abgesprochen) zulässig ist.

Quasi auf der anderen Seite der Medaille der Kampfmaßnahmen steht die Aussperrung durch die AG. So wurde die damalige BRD in den 1980er-Jahren von Flächenaussperrungen durch AG als Reaktion auf gewerkschaftliche Lohnstreiks (zB 120.000 Aussperrungen als Reaktion auf 80.000 Streikende) erschüttert. Ziel war es, die finanzielle Kampfkraft der betroffenen Gewerkschaften entscheidend zu schwächen.

Trotz anhaltender Diskussion sind Aussperrungen bis dato in Deutschland nicht verboten (in den letzten 30 Jahren gab es lediglich keine relevanten Aussperrungen in Deutschland). Eine suspendierende Aussperrung ist nach der Rsp jedenfalls dann zulässig, um ein Verhandlungsübergewicht von Gewerkschaften auszugleichen.

Gerade für Österreich ist der Teil des Buches, welcher die internationalen Grundlagen des Streikrechts und das Arbeitskampfrecht der Union behandelt, beachtenswert. Die Ausführungen von Heuschmid zeigen auf, dass völkerrechtliche Grundlagen, wie sie Art 11 europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und § 28 europäische Grundrechtecharta (GRC) bieten, ebenfalls eine solide Basis für die Beurteilung von Streiks in Österreich darstellen können. Insb zeigen dies die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) Demir und Baykara sowie in der Folge Enerji Yapi-Yol, in welchen der EGMR ausspricht, dass durch Art 11 EMRK auch das Streikrecht geschützt ist. Dies wird von Lörcher in seinem Kommentierungsteil als Änderung in der Rsp des EGMR bezeichnet. Gleichzeitig ist laut Heuschmid davon auszugehen, dass aufgrund Art 52 Abs 3 GRC Art 11 EMRK insofern für die Auslegung von Art 28 GRC bedeutend ist, so dass Art 11 EMRK nunmehr als Mindeststandard der GRC anzusehen ist. In der Folge sollen nach Heuschmid dadurch mittelbar Arbeitsvölkerrecht wie die ILO-Übereinkommen und der die europäische Sozialcharta und die Spruchpraxis der relevanten Organe in die Auslegung von § 28 GRC einfließen. Es darf aber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass gerade die explizite Erwähnung des Streikrechts aber in § 28 GRC abgelehnt wurde (vgl Köchle in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar [2014] Art 28 GRC Rz 3 ff [Stand 1.5.2014, rdb.at]). Es bleibt mE daher abzuwarten, ob vorliegende Rechtsmeinung allgemein anerkannt wird.

Weiters stellt nach der Auffassung von Heuschmid aufgrund der Textierung von § 28 GRC dieser ein Grundrecht dar. § 28 GRC soll daher dem Einzelnen subjektive Rechte vermitteln, das bedeutet, dass dieser bei der Abwehr von unzulässigen Einschränkungen des Streikrechts durch staatliches Recht sich direkt auf § 28 GRC berufen kann.

Insgesamt geht damit der Ansatz der Autoren in zwei Richtungen (zumindest hinsichtlich der deutschen Rechtsansicht) gegenüber der herrschenden Rechtsmeinung hinaus: Zum einen ist durch die geschilderte Rechtslage nicht nur der gewerkschaftliche Streik geschützt, sondern jede kollektive Streikmaßnahme. Zum anderen unterliegen nicht nur Tarifstreiks, sondern auch Unterstützungsstreiks sowie ungewöhnliche Maßnahmen, wie Sit-ins, Flash-mobs etc der Garantie von § 11 EMRK und § 28 GRC.

In Österreich ist dieser Befund insofern noch bedeutender als für die deutsche Rechtslage, da die EMRK im Verfassungsrang steht und der VfGH zur Bedeutung der GRC in der E vom 14.3.2012 VfSlg 19.632 zum Ergebnis kam, dass der Bundesverfassung vergleichbare Bestimmungen der GRC ebenfalls vom VfGH im Rahmen der generellen Normenkontrolle als Prüfmaßstab heranzuziehen sind.

Im Ergebnis führt dies nicht nur dazu, dass Streiks jedenfalls im Rahmen unserer Rechtsordnung zulässig sind. Es drängt sich auch die Fragestellung auf, ob Streiks grundsätzlich rechtmäßig sind oder aus der isolierten Betrachtung des Vertragsrechts zwar rechtswidrig, aber unter gewissen Punkten gerechtfertigt sind. Gerade letztere Systematik führt aber bereits im281 Grundsätzlichen zu einer Einschränkung des Streikrechts, da Streik jedenfalls rechtswidrig ist, aber in Einzelfällen gerechtfertigt sein kann. Es liegt also ein Regel-/Ausnahme-Konstrukt vor, das von der Unzulässigkeit der Streiks ausgeht. Nimmt man die vorangestellten Ausführungen und die Grundrechtsgarantie ernst, muss die Konstruktion aber umgekehrt erfolgen: Streiks sind grundsätzlich zulässig, nur in Einzelfällen liegt (in Abwägung konkurrierender Grundrechte) Rechtswidrigkeit vor, wobei beachtet werden muss, dass Schadenszufügung beim Streikgegner jedenfalls ein Ziel des Streiks ist.

Aber zurück zum vorliegenden Buch: Auf ca 1.000 Textseiten wird von den Autoren das Thema in umfassender Art und Weise, die auch eine historische Betrachtung des Streikrechts in Deutschland miteinbezieht, abgehandelt. So erfahren neben dem speziellen deutschen Streikrecht auch die gesellschaftliche Funktion von Streik, dessen Erscheinungsformen, völkerrechtliche Grundlagen sowie der Arbeitskampf mit Auslandbezug eine ausführliche Kommentierung (hier ist insb die anwendbare Rechtsordnung beleuchtet).

Die Autoren beziehen durchwegs Stellung gegenüber Handlungen der HauptakteurInnen, wie Gerichte, Gewerkschaften und AG(-Verbände) und vermitteln in spannender und verständlicher Weise das Thema des Arbeitskampfrechts. Aufgrund der ausführlich kommentierten allgemeinen Themen, die nur in der Betrachtung der Rechtsfolgen auf das deutsche Recht bezogen sind, ist der vorliegende Band auch für den österreichischen Rechtsanwender bzw Wissenschaftler von grundsätzlicher Bedeutung, auch wenn der Rezensent die Hoffnung hegt, dass sich das politisch-gesellschaftliche System in Österreich nicht dergestalt verändert, dass auch aus praktischen Erwägungen eine intensive dogmatische Beschäftigung mit dem hierzulande geltenden Streikrecht notwendig wird. Gerade die Schilderungen von Streiks und Flächenaussperrungen in Deutschland verdeutlichen die großen Vorteile, die das österreichische System bisher Wirtschaft, AN und somit Staat und Gesellschaft gebracht hat.

Letztlich hindern diese Überlegungen nicht daran, dass eine unbedingte Kaufempfehlung ausgesprochen werden muss.