LukanMehrarbeit aus arbeitsrechtlicher und europarechtlicher Sicht
Verlag des ÖGB, Wien 2018, 256 Seiten, kartoniert, € 29,90
LukanMehrarbeit aus arbeitsrechtlicher und europarechtlicher Sicht
Lukans Buch widmet sich einem Abschnitt des Arbeitszeitrechts, der vor Kurzem unter dem Titel „Zwölf-Stunden-Tag“ heiß diskutiert wurde, es geht um Fragen der Arbeitszeitverlängerung. Das Thema könnte somit kaum aktueller sein. Allerdings wurde das Buch noch vor der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes284 (BGBl I 2018/53) verfasst, daher sind die Ausführungen immer auf ihre Aktualität hin zu prüfen. Das Werk beruht auf der an der Universität Graz 2017 approbierten Dissertation von Natascha Lukan. Die sechs Kapitel bieten eine kritische Darstellung des europäischen und österreichischen Rechts der Mehrarbeit.
Die Arbeit holt im ersten Kapitel etwas weit aus, indem die unionsrechtlichen und österreichischen Rechtsgrundlagen – wenngleich überwiegend bloß deskriptiv – skizziert werden. Nach einer kurzen Darstellung der wesentlichen Vorschriften der Arbeitszeit-RL, der Teilzeitarbeits-RL und der Gleichbehandlungs-RL werden unter der Überschrift „Österreichisches Arbeitszeitrecht“ einige wichtige Bestimmungen des AZG geschildert, wobei hier wiederum auch die europarechtlichen Bezüge der Regelung erwähnt werden.
Spannend wird die Arbeit ab dem zweiten Kapitel, das den Mehrarbeitskategorien gewidmet ist. In diesem Teil des Werkes sind stets die umfangreichen Änderungen durch die Arbeitszeitnovelle zu berücksichtigen, die weite Teile dieses Kapitels überarbeitungsbedürftig machen. Zunächst wird die Mehrarbeit als ein Überbegriff definiert, wobei jede Arbeitsleistung unter diesen Begriff subsumiert wird, die das zeitliche Ausmaß der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder einzelvertraglich vereinbarten normalen Arbeitsleistung überschreitet; somit sind sowohl Mehrarbeit ieS als auch Überstunden erfasst. Beachtenswert sind die Erläuterungen zur ungleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit, wobei insb fraglich ist, inwiefern die Durchrechnungsmodelle auf Teilzeitbeschäftigungen anzuwenden sind (114 ff). Die Judikatur nahm bisher zu diesem Gestaltungsrecht keine Stellung. Lukan argumentiert – wohl Schranks Meinung folgend –, dass die flexiblen Arbeitszeitmodelle auch für Teilzeitarbeitsverhältnisse zur Anwendung gelangen sollten.
Das zweite Kapitel schließt unter der Überschrift „Europarechtliche Beurteilung“ mit einer Skizzierung der unionsrechtlichen Bezüge der behandelten Themen. Lukan stellt fest, dass die österreichische Rechtslage bis auf einen Punkt unionskonform ist. Sie macht aber darauf aufmerksam, dass die Regelung der Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 60 Wochenstunden bei Vorliegen von Arbeitsbereitschaftszeiten unionswidrig ist, weil die Vorgaben gem Art 22 Abs 1 Uabs 1 AZ-RL nicht ausreichend umgesetzt worden sind (152 ff). Erstens bemängelt Lukan das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung, die für den Einsatz von AN für Arbeitszeiten, die durchschnittlich länger als 48 Wochenstunden sind, eine ausdrückliche Bereiterklärung verlangt. Sie kritisiert weiters, dass im österreichischen Recht kein generelles Benachteiligungsverbot für AN normiert wird, die sich weigern, diesen überlangen Arbeitszeiten zuzustimmen. Drittens gibt es keine Listenführungspflicht für solche AN, die im Durchschnitt mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten.
Das dritte, kurze Kapitel, das insgesamt zehn Seiten umfasst, widmet sich dem Problem, inwiefern die AG die AN zu Mehrarbeit verpflichten dürfen. Die Novelle erneuerte die Überstundenmöglichkeiten in § 7 AZG zur Gänze und führte ein zweistufiges Überstundenregime ein, wobei bis zur zehnten Stunde pro Tag und bis zur 50. Stunde pro Woche die AN zur Überstunde he ran gezogen werden dürfen, sofern berücksichtigungswürdige Interessen der AN der Überstundenarbeit nicht entgegenstehen. Hinsichtlich darüber hinausgehender Überstunden besteht ein begründungsfreies Ablehnungsrecht samt Benachteiligungsverbot (siehe zB Risak, Die wichtigsten Eckpunkte des Arbeitszeitpakets 2018, ASoK 288, 291 f). Durch diese Änderungen sind bestimmte Ausführungen im Buch nicht mehr aktuell. Dennoch könnten einige Erläuterungen weiterhin auf die aktuelle Rechtslage anzuwenden sein, so bspw das Erfordernis einer zeitlichen Nähe zwischen der Notwendigkeit der Überstundenarbeit und der Vereinbarung über die Überstundenleistung (163 f).
Das vierte, umfangreiche Kapitel befasst sich mit der Vergütung von Mehrarbeit (169-228). Diese Ausführungen sind auf die derzeitige Rechtslage – bis auf den neu eingeführten § 10 Abs 4 AZG – umlegbar. Positiv fallen die Ausführungen zum Begriff des Normallohns auf, wobei Lukan die widerstreitenden Auffassungen in der Lehre und der Judikatur aufzeigt (173 ff). Sie macht darauf aufmerksam, dass der Zweck des Überstundenzuschlags neben der Abgeltung der Mehrbelastung auch eine Kostenerhöhung ist, damit kein Anreiz für die Überstundenarbeit aufseiten der AG entsteht (174 f). Damit begründet Lukan auch, dass regelmäßige Zulagen, die für Arbeitsleistungen innerhalb der Normalarbeitszeit gebühren, in die Berechnungsbasis einzubeziehen sind (entgegen der Auffassung von Schrank). Von hoher praktischer Relevanz sind die Überlegungen zur pauschalen Abgeltung der Überstunden (181 ff). Die neue Vorschrift (§ 10 Abs 4 AZG) deklariert das Wahlrecht der AN für die geleistete elfte und zwölfte Arbeitsstunde. Hierbei könnte es künftig fraglich sein, ob die (bereits abgeschlossenen) Überstundenpauschalen und All-in-Vereinbarungen auch die geleistete elfte und zwölfte Arbeitsstunde umfassen.
Im letzten Abschnitt dieses Kapitels, der den Titel „Europarechtliche Beurteilung“ trägt (220 ff), wird auf die mangelnde Rechtsetzungskompetenz bezüglich Entgelt und die Grenzen dieser Ausnahme verwiesen, bevor die EuGH-Urteile zur Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten skizziert werden. In diesem Abschnitt wird nur österreichische Literatur aufgearbeitet, wobei für eine tiefgehende Untersuchung die Beachtung zumindest der deutschsprachigen Literatur unentbehrlich gewesen wäre. Bei der Übertragung der europarechtlichen Erkenntnisse auf das österreichische Arbeitszeitrecht macht Lukan zu Recht auf die mögliche Unvereinbarkeit von § 19b Abs 3c AZG mit dem Unionsrecht insb im Lichte des Elsner-Lakeberg-Urteils aufmerksam, weil Teilzeitbeschäftigte durch diese Regelung stärker belastet werden könnten (224 ff). Sie schließt sich aber Gleißners Meinung an und argumentiert, dass die zitierte Vorschrift unionsrechtlich unbedenklich sei.
Der fünfte, kürzeste Teil der Arbeit fokussiert auf die Verjährung und den Verfall von Ansprüchen aus der Mehrarbeit. Die Arbeit endet mit Schlussbemerkungen.
Das vorliegende Werk liefert einen fundierten Überblick über die Rechtslage sowie praktisch einschlägige Ergebnisse auf klare und verständliche Weise. Während die österreichischen Vorschriften und die Judikatur umfassend aufgearbeitet wurden, ist die Erörterung der europäischen Rechtslage weniger tiefgehend, wird aber dem Anspruch der Prüfung der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht gerecht.285Lukan stellt ihre Meinungen nachvollziehbar dar. Die Mehrheit der Ausführungen ist auch noch nach der Arbeitszeitnovelle einschlägig. Somit kann das Buch jedem empfohlen werden, der eine fundierte Basis für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Fragen der Mehrarbeit sucht.