Strukturreform in der Sozialversicherung – Folgen für die Selbstverwaltung*

ELISABETHBRAMESHUBER (WIEN)
Angekündigt wurde das nunmehrige Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG) ua als „große Reform des Sozialversicherungssystems in Österreich“.* Allein die Reduktion der Versicherungsträger und die Umgestaltung der Gremien stellt bereits eine große Veränderung dar; eine solche Reduktion wurde iS von Effizienz- und Gleichheitserwägungen auch in der London School of Economics-(LSE-)Studie vorgeschlagen.* Ob die erwünschten Effizienzsteigerungen tatsächlich erreicht werden, kann und soll hier nicht beurteilt werden. Das SV-OG wirft jedoch auch zahlreiche Fragen im Hinblick auf die Selbstverwaltung auf; die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf drei umstrittene* Themenbereiche: die Neugestaltung der Besetzung der Organe der ÖGK – hier soll es zu einer paritätischen Besetzung durch DG und DN kommen; die „nachhaltige Stärkung“ des Aufsichtsrechts des Bundes; und schließlich die fachliche Eignung von VersicherungsvertreterInnen.* Diese drei Bereiche sollen vor allem im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben, insb der Art 120a bis 120c B-VG, näher beleuchtet werden.Die Grenzen des Gestaltungsspielraums des einfachen Gesetzgebers – insb nach der B-VG-Novelle 2008 und der Verankerung der sonstigen Selbstverwaltung in den Art 120a-120c B-VG – sind jedoch keineswegs zur Gänze geklärt.* Es wird demnach – einmal mehr – der VfGH sein, der diese Grenzen auszuloten haben wird. Da der Antrag von einem Drittel der Mitglieder des Bundesrates gem Art 140 Abs 1 Z 2 B-VG auf Überprüfung der Verfassungskonformität der Neuregelungen* sowie Individualanträge auf Normenkontrolle etwa der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (GKK) und der Tiroler GKK* gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG bereits eingebracht wurden, ist Medienberichten zufolge mit einer Behandlung in der Herbst- und/oder Dezembersession zu rechnen.
  1. Überblick über die neuen Organisationsstrukturen

  2. Verfassungsrechtlicher Rahmen

    1. Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers bezüglich Einrichtung und Auflösung

    2. Weisungsfreie Aufgabenbesorgung

    3. Staatliche Aufsicht

    4. Demokratische Binnenstruktur

  3. Paritätische Besetzung in der Österreichischen Gesundheitskasse

    1. Verfassungsrechtliche Vorgaben

      1. Wahrnehmung öffentlicher, in ausschließlichem oder überwiegendem gemeinsamen Interesse gelegener Aufgaben

      2. Organe aus dem Kreis der Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen – Dienstgeber als Mitglieder198

    2. Zum sich aus dem Sachlichkeitsgebot ergebenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum

  4. Aufsichtsrechte = „Schattengeschäftsführung“ durch das BMASGK oder „partizipative Selbstverwaltung“?

    1. Spannungsverhältnis weisungsfreie Aufgabenbesorgung und kontrollierende bzw überwachende Aufsicht

    2. Verwaltungsführung am Beispiel Vertagung der Beschlussfassung gem § 449 Abs 4 ASVG nF

    3. Zweckmäßigkeitsaufsicht

    4. Aufsichtsrecht und Satzungsautonomie

  5. Eignungstest VersicherungsvertreterInnen

  6. Résumé

1.
Überblick über die neuen Organisationsstrukturen

Nicht unmittelbar aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf die Selbstverwaltung problematisch sind bestimmte Aspekte der Neugestaltung der Verwaltungsorganisation.* Dennoch sei an dieser Stelle überblicksmäßig auf die größten Unterschiede zwischen ASVG aF/idgF* und ASVG nF hingewiesen: Aus dem Vorstand wird der Verwaltungsrat, aus der Generalversammlung die Hauptversammlung, das Organ „Kontrollversammlung“ wird abgeschafft. Im künftigen Dachverband wird die Trägerkonferenz zur Hauptversammlung, der Verbandsvorstand wird zur „Konferenz der Sozialversicherungsträger“ und das Verbandsmanagement wird zum „Büro des Dachverbandes“. All dies ist aus Sicht des Art 120c Abs 1 B-VG unproblematisch, denn danach ist kein „organisatorischer Mindestbestand“ wie bei der territorialen Selbstverwaltung nach Art 117 Abs 1 B-VG festgelegt, sodass der Gesetzgeber den Aufbau der Sozialversicherungsträger nach seinen eigenen rechtspolitischen Vorstellungen gestalten kann.* (Äußerste) Schranken sind lediglich das Sachlichkeitsgebot sowie das Gebot, die Selbstverwaltungskörper so zu gestalten, dass sie ihre Aufgaben sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig besorgen können.* Der nach Lachmayer/Öhlinger gebotenen „organisationsrechtlichen Minimaldifferenzierung in zwei Organe“ wird daher durch das SV-OG Rechnung getragen.*

2.
Verfassungsrechtlicher Rahmen

Besinnt man sich zu Beginn kurz der grundlegenden Ausgestaltung der Selbstverwaltung in der SV, so ist Korinek/Leitl-Staudinger folgend festzuhalten, dass die Sozialversicherungsträger „im überwiegenden Maße funktionell staatliche Verwaltungsaufgaben besorgen“.* Wiewohl dafür grundsätzlich das Prinzip der Weisungsgebundenheit gelten müsste, resultiert aus der Tatsache, dass die Sozialversicherungsträger ihre Verwaltungstätigkeit überwiegend im „eigenen Wirkungsbereich“ entfalten, auch eine Ausnahme von der Weisungsgebundenheit. Dies spiegelt sich in Art 120b Abs 1 B-VG wider bzw ist dort grundgelegt.*

Damit sind wir beim Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Überlegungen angelangt; dies müssen seit der B-VG-Novelle BGBl I 2008/2 zuvörderst die Art 120a bis 120c B-VG sein; hinzu kommt vor allem die Berücksichtigung des aus Art 7 B-VG resultierenden Sachlichkeits- und Effizienzgebotes.* Unabhängig davon, ob man nun von einem definitorischen* oder aber einem typologischen Begriffsverständnis* ausgeht, kann wohl festgehalten werden, dass eine rechtliche Einrichtung nur dann ein Selbstverwaltungskörper und die Tätigkeit als Selbstverwaltung zu qualifizieren ist, wenn die Wesensmerkmale des Selbstverwaltungsbegriffs, wie er dem 5. Hauptstück des B-VG zugrunde liegt,* erfüllt sind. Im Ergebnis handelt199 es sich daher bei der Selbstverwaltung um ein bestimmtes Modell von Verwaltung: Entscheidet sich der Gesetzgeber für dieses Modell, so müssen bestimmte Wesensmerkmale bzw Kerngedanken, die den Art 120a ff B-VG zugrunde liegen und die sohin der bis dahin ergangenen Judikatur des VfGH weitestgehend entsprechen,* erfüllt sein. Jede Änderung oder Auflösung eines Selbstverwaltungskörpers der sonstigen Selbstverwaltung muss daher nach den Art 120a ff B-VG erfolgen. Ebenfalls an diesem Maßstab zu beurteilen sind Regelungen über Einrichtung, Organisation,* Aufgabenstellung, Finanzierung und Staatsaufsicht bereits bestehender Selbstverwaltungskörper, sohin auch der Sozialversicherungsträger*.* Von den für die Einrichtung als Selbstverwaltungskörper wesentlichen Merkmalen interessieren im vorliegenden Zusammenhang vor allem die relative Unabhängigkeit, bestehend aus der Weisungsfreiheit, der wiederum die Aufsicht des Staates gegenübersteht, und die innerdemokratische Organbestellung als Ausfluss der demokratischen Legitimation.*

2.1.
Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers bezüglich Einrichtung und Auflösung

Bezüglich der Änderung oder Auflösung von Selbstverwaltungskörpern ist festzuhalten, dass dies im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers liegt: Werden durch gesetzliche Änderungen eines der (verfassungsrechtlichen) Selbstverwaltungsmerkmale und folglich der Charakter des Selbstverwaltungskörpers beseitigt, wird dies grundsätzlich als „ohne Weiteres“ für zulässig erachtet.*Stolzlechner nennt hier als Beispiel die Beseitigung der Weisungsfreiheit. Konsequenz ist, dass sodann ein „anderes Rechtsgebilde“, etwa eine „herkömmliche“ Körperschaft öffentlichen Rechts, aber eben kein Selbstverwaltungskörper mehr vorliegt.* Fehlt auch (nur) eines der Wesensmerkmale, dann ist davon auszugehen, dass auch kein Selbstverwaltungskörper mehr vorliegt.* Für die hier anzustellende Untersuchung bedeutet dies, dass bspw (bereits) dann nicht mehr von Selbstverwaltung auszugehen wäre, wenn die Weisungsfreiheit nicht mehr gewährleistet ist.

Nach wohl hA kann der Gesetzgeber entscheiden, „öffentliche Aufgaben“ nicht mehr in Selbstverwaltung erledigen zu lassen.* IdS ist daher – im Unterschied zur Gemeindeselbstverwaltung* – von keiner Bestandsgarantie iZm der sozialen Selbstverwaltung auszugehen. Auch aus Art 120a Abs 2 B-VG lässt sich eine Bestandsgarantie einzelner Selbstverwaltungskörper nicht ableiten.* Konsequenz muss sodann jedoch sein, dass „reguläre“ staatliche Verwaltung vorliegt, die wiederum den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen muss (Wahrnehmung der Aufgaben durch Staatsorgane; Weisungsbindung etc).* Da die Verwaltung nur innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben erfolgen darf, durch das SV-OG gerade keine200 Abschaffung der Selbstverwaltung intendiert war und sohin auch keine Umstellung von Selbstauf herkömmliche staatliche Verwaltung erfolgt ist,* müssen die Neuregelungen den Vorgaben der Art 120a ff B-VG entsprechen.* Die für die Beurteilung der Punkte Parität, Aufsichtsrechte und Eignungstest zuvörderst heranzuziehenden Wesensmerkmale der Selbstverwaltung sind die Weisungsfreiheit bei der Aufgabenbesorgung, die Aufsichtsbefugnisse des Bundes und die Rückanbindung an das demokratische Prinzip.

2.2.
Weisungsfreie Aufgabenbesorgung

Wiewohl das Recht nach Art 120b Abs 1 S 1 B-VG durch das Aufsichtsrecht von Bund und Ländern gem S 2 und 3 eingeschränkt ist,* sind ungerechtfertigte Eingriffe in das Recht nach Art 120a Abs 1 iVm Art 120b Abs 1 B-VG verfassungswidrig. „Staatliche Organe [haben daher] ungerechtfertigte Eingriffe“ in das Recht, gem Art 120b Abs 1 B-VG Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen, „zu unterlassen“. Ein derartiger ungerechtfertigter und damit verfassungswidriger Eingriff soll etwa vorliegen, wenn eine Aufgabe nach Art 120a Abs 1 B-VG einem (bestehenden) Selbstverwaltungskörper vorenthalten oder entzogen wird.*

Sobald daher ein Selbstverwaltungskörper eingerichtet wird, müssen diesem die öffentlichen Aufgaben (bzw die im selbständigen Wirkungsbereich zu besorgenden Aufgaben),* die im ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse der zusammengefassten Personen gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, auch zur Besorgung überlassen werden; dies ergibt sich aus Art 120a Abs 1 B-VG. MaW, sobald der Selbstverwaltungskörper eingerichtet ist, sind ihm die in seinem ausschließlichen oder überwiegenden Interesse liegenden Angelegenheiten zur Besorgung zu überlassen, wenn sie für einen solchen Vollzug geeignet sind.* Der Gesetzgeber ist daher an die Vorgaben der Art 120a-120c B-VG gebunden und hat insofern auch kein freies politisches Ermessen;* jede gegenteilige Regelung, wonach etwa eine derartige Aufgabe in die unmittelbare Staatsverwaltung übertragen würde, führte zu einem verfassungswidrigen Eingriff in das Recht nach Art 120a Abs 1 B-VG, die dort genannten Aufgaben selbständig wahrnehmen zu dürfen.* Kurz, der Gesetzgeber kann sich zwar entscheiden, einzelne Aufgaben in die unmittelbare staatliche Verwaltung zu übertragen, dann liegt jedoch keine Selbstverwaltung mehr vor, sodass das gesamte System auf staatliche Verwaltung umgestellt werden müsste. Bedeutet weisungsfreie Aufgabenbesorgung auch, nach eigenem Ermessen die Aufgabenverteilung auf die einzelnen Träger bzw Verwaltungskörper vornehmen zu können, so ist auch die Möglichkeit der Übertragung trägerübergreifender Aufgaben gem § 30c Abs 3 ASVG nF durch die BMASGK bzw deren Befugnis, die Vorbereitung von Richtlinien an einen oder mehrere Versicherungsträger zu übertragen (§ 30b Abs 3 bzw § 30a Abs 2 ASVG nF), problematisch zu sehen, wiewohl dies an dieser Stelle nicht näher vertieft werden kann.* Wesen bzw Kern der Selbstverwaltung ist sohin die weisungsfreie Aufgabenbesorgung, womit die Staatsunabhängigkeit der Selbstverwaltung begründet wird.* Die Selbstverwaltungskörper haben – sofern sie als solche eingerichtet sind – daher nach wohl hA ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Selbstverwaltung und somit auf weisungsfreie Aufgabenbesorgung, das auch gem Art 144 Abs 1 B-VG durchgesetzt werden kann.*

2.3.
Staatliche Aufsicht

Wie noch gezeigt wird,* bedarf es im Hinblick auf das Demokratieprinzip jedoch auch der staatlichen Aufsicht; dies ist in Art 120b Abs 1 S 2 B-VG positiviert. Dieses Zusammenspiel von Aufsichts-201recht und Selbstverwaltungsrecht führt jedoch dazu, dass nicht jeder Eingriff in das Recht nach Art 120b Abs 1 S 1 B-VG dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit unterliegt, vielmehr soll von einem solchen erst dann auszugehen sein, wenn durch eine staatliche Maßnahme das Recht auf selbständige Wahrnehmung einer Aufgabe nach Art 120a Abs 1 B-VG oder aber auf Erlassung einer Satzung „schlechthin verneint wird“. Als Beispiel hierfür nennt Stolzlechner die Aufhebung eines Bescheids eines Selbstverwaltungskörpers zu Unrecht mit der Begründung, die Aufgabe falle nicht in den Aufgabenbereich nach Art 120a Abs 1 B-VG.* Zu überprüfen gilt es, ob durch die Vorgaben des SV-OG tatsächlich eine Verletzung des Rechts nach Art 120b Abs 1 S 1 B-VG erfolgt, sodass von Verfassungswidrigkeit auszugehen ist.

Im Ergebnis ist daher danach zu fragen, ab wann die Schwelle überschritten wird, dass von einem Verstoß gegen Art 120b Abs 1 S 1 B-VG auszugehen ist. Korinek bringt dies insofern auf den Punkt, als zwar einerseits in der Tat von einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auszugehen ist, sohin der Wortlaut ernst zu nehmen ist, dem Gesetzgeber andererseits wohl auch ein „relativ“ weiter Spielraum zusteht: Eine Verletzung dieses Rechts könnte daher erst dann vorliegen, wenn das Recht auf Selbstverwaltung – wie bei der gemeindlichen Selbstverwaltung – „schlechthin“ betroffen ist.* Höchstgerichtlich bestätigt wurde dies iZm der funktionalen Selbstverwaltung hingegen – soweit ersichtlich – noch nicht. Hinzu kommt, dass diese Problematik vor allem in dem Zusammenhang diskutiert wird, dass eine staatliche Behörde das Recht des Selbstverwaltungskörpers auf Besorgung einer ihm übertragenen „öffentlichen Aufgabe“ nach Art 120a Abs 1 B-VGschlechthin“ verneint.* Durch das SV-OG, insb durch die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen bzw deren präsumtive zukünftige Handhabung, würde bzw könnte diese Verneinung – was es zu überprüfen gilt – einerseits durch den Gesetzgeber, andererseits durch die Aufsichtsbehörde, dh die BMASGK bzw den BMF erfolgen; denkbar ist daher durchaus, dass es auch nach Inkrafttreten der einschlägigen Bestimmungen des SV-OG zu Verfahren vor dem VfGH kommen wird, denn das Recht auf Selbstverwaltung kann eben auch durch einen auf Grund eines verfassungswidrigen Gesetzes erlassenen aufsichtsbehördlichen Bescheid verletzt werden.* So könnte zwar allenfalls das Gesetz noch verfassungskonform interpretiert werden – vorstellbar ist dies etwa iZm der Zweckmäßigkeitsprüfung –, dies hält allerdings die Aufsichtsbehörde nicht zwingend davon ab, dem Gesetz einen – wohl Art 120a ff B-VG widersprechenden und damit verfassungswidrigen – Inhalt zu unterstellen, indem sie keine zweistufige Zweckmäßigkeitsprüfung vornimmt.* Ein solcher Akt wäre dann im Ergebnis als verfassungswidrig zu beurteilen.

2.4.
Demokratische Binnenstruktur

Die für die Selbstverwaltung typische Weisungsfreiheit führt dazu, dass die Selbstverwaltung von der herkömmlichen Form demokratischer Legitimation entkoppelt ist: Bei der Staatsverwaltung wird die demokratische Legitimation dadurch gewährleistet, dass zwischen den Verwaltungsorganen und den sie leitenden obersten Verwaltungsorganen eine Weisungskette besteht und die obersten Organe zudem der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Als Ausgleich für das Fehlen dieses Weisungszusammenhangs und der Leitung durch die parlamentarische Kontrolle unterliegende oberste Organe wird bei der Selbstverwaltung die demokratische Bestellung wichtiger Selbstverwaltungsorgane durch die Verbandsangehörigen angesehen. Hierdurch werden diese demokratisch legitimiert.*

Nach „uneingeschränkt herrschender Ansicht“ müssen die mit wichtigen Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Organe gem Art 120c B-VG daher autonom aus der Mitte der Verbandsangehörigen durch demokratische Wahl bestellt werden. Dabei handelt es sich um einen Kerngedanken der Selbstverwaltung.* Dem einfachen Gesetzgeber wird allerdings bei der Herstellung der demokratischen Legitimation von Selbstverwaltungsorganen, denen „entscheidungswichtige Aufgaben“ übertragen sind, ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zugestanden.* Aufgrund der Tatsache, dass es bei der sozialen Selbstverwaltung „lediglich“ um die autonome Vollziehung der gesetzlich (durchaus intensiv) geregelten KV, UV und PV geht, ist auch eine bloß indirekte Wahl mit repräsentativ-demokratischen Elementen verfassungskonform.*

3.
Paritätische Besetzung in der Österreichischen Gesundheitskasse

Einer der wohl umstrittensten Punkte der Strukturreform ist die Neuzusammensetzung der Organe der ÖGK. Im Vergleich zur bisher geltenden Rechtslage kommt hier – zumindest prima facie – den DG-VertreterInnen nunmehr ein größerer Einfluss zu. Bislang setzte sich der Vorstand und die Generalversammlung aus DN- und DG-VertreterInnen im Verhältnis 4:1 zusammen (§ 426 Abs 1 Z 3 ASVG aF), die Kontrollversammlung hingegen umgekehrt im Verhältnis 1:4 (§ 426 Abs 2 ASVG aF). Schon bisher wurde dies auch als „gemeinsame Selbstverwaltung der Sozialpartner“ bezeichnet;* eine202 Beteiligung sowohl der DG als auch der DN an der Selbstverwaltung sei „grundsätzlich berechtigt und sachlich vertretbar“, da jene auch einen Beitrag zur Finanzierung leisten und diese die Versicherten sind.*

Nach dem SV-OG ist in der ÖGK „eine paritätische Besetzung durch Dienstgeber und Dienstnehmer vorgesehen“.* In Ergänzung werden bestimmte Beschlüsse, insb jene, die leistungsrechtliche Aspekte betreffen (Satzung, Krankenordnung und Gesamtverträge) „mit qualifizierten Mehrheiten versehen“.*)

In concreto setzt sich der Verwaltungsrat aus zwölf VersicherungsvertreterInnen zusammen, die je zur Hälfte aus der Gruppe der DN und der DG stammen (§§ 420 Abs 1, 426 Abs 1, 427 Z 1 ASVG nF). Unverändert bleiben hingegen die Entsende- bzw Wahlmodalitäten.* In den Materialien wird auf den „Grundsatz der Parität* verwiesen; damit soll wohl die Rechtskonformität dieser Änderung untermauert werden, wenngleich die Provenienz dieses „Grundsatzes“ ungeklärt ist. So kennen wir im verwandten Arbeitsrecht zwar auch paritätische Besetzungsregeln, etwa in § 110 ArbVG, allerdings ist dies dort als Drittelparität ausgestaltet (auf zwei Kapitalvertreter im Aufsichtsrat kommt ein AN-Vertreter). Ein Blick nach Deutschland, konkret in §§ 29, 44 SGB IV, kann zwar erhellend sein, allerdings unterscheiden sich die Voraussetzungen schon allein dem Wortlaut nach von jenen in Österreich. § 29 leg cit normiert explizit, dass die Selbstverwaltung gemeinsam „durch die Versicherten und die Arbeitgeber ausgeübt“ wird; nach § 44 Abs 1 Z 1 leg cit setzen sich die Selbstverwaltungsorgane grundsätzlich „je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber“ zusammen. Im Schrifttum wird diesbezüglich von einem „Grundsatz paritätischer Zusammensetzung“ gesprochen.*

Der neuen Hälfteparität wird im Schrifttum mit unterschiedlichen Begründungsansätzen Verfassungswidrigkeit attestiert. Für Rudolf Müller ergibt sich diese vor allem aus Verstößen gegen das „Prinzip der (ungestörten) Selbstverwaltung des in der ÖGK für Zwecke der Gesundheitsversorgung zusammengefassten Personenkreises“ sowie gegen das „dem allgemeinen Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebotes“.* Die Fünftelbeteiligung sei „gerade noch sachlich zu rechtfertigen“; angesichts der personellen Stärke (Verhältnis aktive Wirtschaftskammermitglieder zu unselbständig Beschäftigten) wäre eine Siebentel-(1:6) oder Achtel-( 1:7)Beteiligung rechtfertigbar. Auch ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der das Verhältnis bei 1:4 ansetzt, könne angesichts der Tatsache, dass das Repräsentativelement nicht notwendigerweise eine genaue zahlenmäßige Verhältnismäßigkeit verlangt, argumentiert werden. Dafür könne auch die nicht strikt interessenbezogene Aufgabenstellung der SV sowie die historische Komponente, dass seit 130 Jahren die Selbstverwaltung durch DG- und DN-VertreterInnen gemeinsam ausgeübt wird, ins Treffen gebracht werden. Grenze müsse jedoch ein „schwacher Einfluss“ sein.*Bußjäger/Schramek wiederum stellen vor allem auf die doppelte Interessenlage der DN als BeitragszahlerInnen und LeistungsempfängerInnen gegenüber den DG als (bloß) weitere BeitragszahlerInnen ab, weshalb die DN durch die Neuregelung „unsachlich benachteiligt“ seien.* Eine Hälfteparität ließe sich diesen Autoren zufolge erst dann sachlich rechtfertigen, wenn, wie in der UV und somit bei der AUVA, die DG alleinige BeitragszahlerInnen sind.*Lachmayer/Öhlinger hingegen halten ganz grundsätzlich eine Entsendung durch VertreterInnen der AG- und AN-Organisationen nicht mehr für sachlich gerechtfertigt; mag dies zwar bei den bisher bestehenden Selbstverwaltungskörpern im Lichte des im Jahr 2008 vorgefundenen Bestandes noch verfassungskonform gewesen sein, so sei bei Neuerrichtung eines Selbstverwaltungskörpers insb Art 120c Abs 1 B-VG Rechnung zu tragen, sodass die Organe aus dem Kreis der Mitglieder zu bilden sind. Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile zahlreiche Personengruppen in der KV pflichtversichert sind, die weder Arbeiterkammer- noch Wirtschaftskammermitglied sind, sei auch die Organbildung durch Entsendung nicht mehr sachlich gerechtfertigt.* Ob hingegen eine (wenn auch nur indirekte) Beteiligung aller Personen, die in einem Versicherungs- oder Leistungsverhältnis zur SV stehen, im Hinblick auf Art 120c Abs 1 B-VG tatsächlich verfassungsrechtlich erforderlich ist, wird von gewichtigen Stimmen im Schrifttum, namentlich Korinek und Leitl-Staudinger, bezweifelt.*

3.1.
Verfassungsrechtliche Vorgaben

Die verfassungsrechtliche Determinierung der Ausgestaltung der Organisation überlässt dem Gesetzgeber einen erheblichen Gestaltungsspielraum,203 denn Art 120c B-VG gibt nur vor, dass die Organe „aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden“ sind. Dieser Spielraum ist lediglich durch das Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG sowie dadurch determiniert, dass die Bestellung bzw Wahl nach „demokratischen Grundsätzen“ zu erfolgen hat.* Was genau unter diesen „demokratischen Grundsätzen“ zu verstehen ist, ist mangels Hinweisen im Gesetzestext und den Materialien durch Interpretation zu erschließen.* Dass es überhaupt zu einer indirekten Wahl der VersicherungsvertreterInnen und damit der DG- und DN-VertreterInnen in die Selbstverwaltungsorgane kommt, ist eng mit der demokratischen Legitimation der Selbstverwaltungskörper verbunden. Diese (indirekte) Wahl, die in der Praxis mit Elementen einer Entsendung verbunden ist, rechtfertigt es, von einer Weisungsbindung der obersten Organe abzusehen und stattdessen eine staatliche Aufsicht bei sonstiger Weisungsfreiheit vorzusehen (Art 120b Abs 1 B-VG).* Um das grundsätzlich bestehende demokratische Defizit, das aus dem Fehlen eines Weisungszusammenhangs mit demokratisch legitimierten Staatsorganen resultiert, zu beheben, bedarf es daher der „autonomen“ Bestellung der mit entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen betrauten Organe des Selbstverwaltungskörpers. Diese Autonomie wird durch die Bestellung aus der Mitte der Angehörigen gewährleistet; diese demokratische Bestellung entspricht nicht nur dem VfGH zufolge „einem Kerngedanken der Selbstverwaltung“,* sondern ist nunmehr auch in Art 120c Abs 1 B-VG positiviert. Bezüglich der Frage, wie die demokratische Legitimation gewährleistet werden kann, kommt dem Gesetzgeber allerdings nach Ansicht des VfGH „ein relativ weiter rechtspolitischer Spielraum“ zu.* Dabei sind folgende Parameter, die in der aktuellen Paritätsdebatte von Relevanz sind, zu beachten:

  • Die Intensität der Mitwirkung der DG und DN, dh der Mitglieder, deren Angelegenheiten ja in Selbstverwaltung geführt werden sollen, an der Kreation der Organe kann nach dem ersten Hauptverbandserkenntnis „nicht ohne Blick auf die dem Selbstverwaltungskörper übertragenen Aufgaben bestimmt werden“.

  • Zu beachten sind bei der Bestimmung der Intensität der Mitwirkung an der Kreation der Organe auch die Auswirkungen der Tätigkeit des Selbstverwaltungskörpers auf die Rechtssphäre seiner Mitglieder. In der SV reicht dies bei der autonomen Organisation der Vollziehung der KV, UV und PV „von der Beitragseinhebung bis zur Leistungserbringung“.*

All diese Erwägungen, die für die Zulässigkeit einer repräsentativ-demokratischen Wahl herangezogen werden, werden wohl auch iZm der Frage nach der sachlichen Rechtfertigung einer paritätischen Besetzung der nach dem SV-OG zu bildenden neuen Organe zu berücksichtigen sein, dh im Besonderen die Relation zwischen der Mitwirkungsintensität und den zu besorgenden Aufgaben einerseits und den Auswirkungen der Tätigkeit des Sozialversicherungsträgers auf die Mitglieder andererseits. Vorgezeichnet ist dies auch durch Art 120a und 120c B-VG.

3.1.1.
Wahrnehmung öffentlicher, in ausschließlichem oder überwiegendem gemeinsamen Interesse gelegener Aufgaben

Ausgangspunkt der Überlegungen ist jener, dass in den Selbstverwaltungskörpern der SV gem Art 120a bis 120c B-VG Personen mit gleichen Merkmalen, Eigenschaften oder wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden.* Dieses Wesensmerkmal „Einrichtung als Personalkörperschaft“ zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die im (ausschließlichen/überwiegenden) „gemeinsamen Interesse gelegen sind“,* ist unter mehreren Aspekten für die vorliegende Untersuchung von Relevanz.

Blickt man auf Art 120a Abs 1 B-VG, so lassen sich die „gemeinsamen Interessen“ nicht ohne die öffentlichen Aufgaben beurteilen. Nach dem Wortlaut werden jene Personen zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst, die solche öffentlichen Aufgaben gemeinsam besorgen sollen, die „in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen“ und für eine solche gemeinsame Besorgung auch geeignet sind. In diesem „eigenen Wirkungsbereich“ hat der Selbstverwaltungskörper gem Art 120b Abs 1 B-VG das Recht, die Aufgaben frei von Weisungen zu besorgen. Die Konkretisierung dieses „eigenen Wirkungsbereiches“ – welches sind nun die öffentlichen Aufgaben, die im gemeinsamen Interesse liegen – obliegt dem Materiengesetzgeber bzw letztlich dem VfGH.* Grundsätzlich muss die Zusammenfassung verschiedener Personen zu einem Selbstverwaltungskörper anhand objektiver und sachlich gerechtfertigter Momente erfolgen.* Der einfache Gesetzgeber verfügt jedoch über ein weites rechtspolitisches Ermessen, welche Personen er zu einem Selbstverwaltungskörper zusammenschließt. Erforderlich ist lediglich, dass der zusammengefasste Personenkreis im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot (Art 7 B-VG) durch „objektive und sachlich gerechtfertigte Momente“ abgegrenzt ist.* Es bedarf lediglich einer „Inte-204ressenparallelität“, sodass „gewichtige gemeinsame Interessen“ in sozialer Hinsicht vorliegen. Dass die Interessen teilweise divergieren, schließt eine Zusammenfassung von Personen zu einem Selbstverwaltungskörper daher nicht aus.*

Mit Rudolf Müller ist zwar festzuhalten, dass in der Tat dort, wo es solche im ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse liegenden öffentlichen Aufgaben nicht gibt, Selbstverwaltung fragwürdig wäre.* Aus Eberhards Ausführungen ist jedoch wohl abzuleiten, dass es aufgrund der „Inhomogenität der Erscheinungsformen funktionaler Selbstverwaltung“ einer differenzierten Betrachtung je nach Selbstverwaltungskörper bedarf. Zu untersuchen gilt es, worin die Kernfunktion der Autonomie des jeweiligen Selbstverwaltungskörpers besteht.* Sohin ist auch das Wirtschaftskammererkenntnis aus dem Jahr 2014 nur bedingt einschlägig für die hier vorliegende Frage. Zwar gilt ganz generell iZm Selbstverwaltungskörpern, dass nur solche Personen zusammengefasst werden dürfen, die im Hinblick auf den Wirkungsbereich des Selbstverwaltungskörpers „in gleicher Weise betroffen sind“. (Nur) Bei Interessenvertretungen gilt (aber), dass ausschließlich solche Personen zusammengefasst werden dürfen, die „insoweit gleichartige Interessen vertreten“.*

Dass gerade bei der Interessenvertretung gleichartige Interessen vorhanden sein müssen, ist offensichtlich. Wie auch R. Müller unter Verweis auf das erste Hauptverbandserkenntnis* und Eberhard* konzediert, bedarf es aber hinsichtlich der demokratischen Legitimation und somit hinsichtlich der Frage, welche Personen auch an der Selbstverwaltung mitwirken und in den Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden, eines gewissen Zusammenhangs mit der konkreten Aufgabe des Selbstverwaltungskörpers.* Es ist daher zu eruieren, worin die im gemeinsamen Interesse gelegenen Aufgaben bei der ÖGK liegen. Handelt es sich um Aufgaben, die im Interesse von DG und DN liegen, so ist auch die Einbeziehung der DG in die Selbstverwaltung nicht nur zulässig, sondern in Hinblick auf deren demokratische Legitimation sogar erforderlich.*

Mit beachtlichen Argumenten wird nun im Zuge des SV-OG im Ergebnis dahingehend argumentiert, bei DG handle es sich um Außenstehende. Sie sind weder krankenversichert noch leistungsberechtigt; dies sind nur DN, weshalb (nur) diese Mitglieder der Selbstverwaltung seien.* DG hätten zwar ebenfalls gewisse Interessen iZm der von den Sozialversicherungsträgern zu besorgenden Aufgaben, diese seien jedoch nicht „im Wesentlichen gleichgerichtet“,* sodass ihre Mitsprachemöglichkeit gemessen an diesem Interesse „deutlich hinter dem der ‚eigentlich Verwalteten‘ zurückbleiben müsse“. MaW, da es keine im Wesentlichen gleichgelagerten Interessen zwischen DN und DG am Hauptgegenstand der Selbstverwaltung in der ÖGK gebe, könnten diese auch nicht uneingeschränkt und gleichberechtigt in die Selbstverwaltung mit einbezogen werden. Dem stünde auch der Gleichheitssatz entgegen.* Verfassungsrechtliche Grenze einer Beteiligung von Außenseitern sei eine „Minderheitsbeteiligung“. Zudem dürfe nur ein schwacher Einfluss eingeräumt werden, der sich in Abstimmungsquoren ausdrücke. „Schwach“ sei ein Einfluss nur dann, wenn kein maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung möglich ist, insb keine Blockademöglichkeit in Angelegenheiten der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit bestehe.*

Eine mit Art 120a Abs 1 B-VG konforme Betrachtung muss jedoch mit Blick auf die von Eberhard postulierte „Legitimation-Aufgaben-Relation“ danach fragen, um welche Aufgaben es sich handelt, die durch die ÖGK besorgt werden sollen. Besteht diesbezüglich ein ausschließliches oder überwiegendes gemeinsames Interesse von DG und DN, ist die Beteiligung der DG aus demokratischen Gründen erforderlich und bei sachlicher Rechtfertigung auch eine Hälfte-Parität zulässig. Aubauer/Rosenmayr-Khoshideh stellen darauf ab, dass DN und DG an der Erfüllung der Aufgaben der SV (insb Vorsorge für bestimmte Versicherungsfälle) ein „im Kern gemeinsames Interesse“ haben.* Zu denken ist vor allem an die leistungs- und beitragsrechtlichen Bestimmungen und die daraus resultierenden Interessen sowohl von DG als auch von DN.* Blickt man in concreto auf den Bereich der KV, so zeugen die Vorschriften des ASVG davon, dass bspw das Interesse am Erhalt bzw an der Wiederherstellung205 der Gesundheit nicht nur ein solches der versicherten Person, sondern auch des DG ist: Gem § 133 Abs 2 ASVG sollen durch die Krankenbehandlung nicht nur die Gesundheit und die Fähigkeit, für die lebensnotwendigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden, sondern auch die Arbeitsfähigkeit. An der Gesundheitsversorgung bzw der Vorsorge für die Krankenbehandlung (§ 23 Abs 5 ASVG aF, § 23 Abs 2 ASVG nF) haben daher bereits nach dem bloßen Gesetzeswortlaut nicht nur die DN, sondern auch die DG ein – insofern nicht nur überwiegendes, sondern ausschließliches – gemeinsames Interesse. Dasselbe gilt etwa für die Einhaltung der ärztlichen Anordnungen und der Bestimmungen der Krankenordnungen durch die versicherten Personen und die Überprüfung des Gesundheitszustands (§ 23 Abs 4 ASVG nF); beides wird ebenfalls näher in den Krankenordnungen geregelt (siehe zB §§ 59 ff, § 33 Abs 2 der Krankenordnung der WGKK*). Dass an der Überprüfung des Gesundheitszustandes bzw der Feststellung der Arbeits(un)fähigkeit gerade aufgrund der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsvorschriften – wovon etwa auch der Verweis in § 33 Abs 1 Z 2 der Krankenordnung der WGKK zeugt – eben gerade auch die DG ein Interesse haben, muss wohl nicht näher erläutert werden. Auch an der „Kontrolle der Kranken“ gem § 456 Abs 1 ASVG aF und nF haben sowohl DG als auch DN ein valides Interesse.* Festzuhalten ist sohin, dass auch hinsichtlich der „Kernaufgaben“ der ÖGK, die (noch) in Selbstverwaltung geregelt werden, nicht nur DN-, sondern auch DG-Interessen bestehen.*

Besinnt man sich der „öffentlichen Aufgaben“, die durch die ÖGK besorgt werden (sollen), ist zudem mit Souhrada festzuhalten, dass eine der „Kernaufgaben“ der Gebietskrankenkassen (nunmehr der ÖGK) auch das mit der Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflichten verbundene Melde-, Versicherungs- und Beitragswesen ist.* Aus der Beitragspflicht des DG, der ja Schuldner des Gesamtbetrages, dh der DN- und der DG-Anteile, ist, resultieren auch weitere damit verbundene Konsequenzen, etwa nach §§ 153a bis 153d StGB. Zudem verpflichtet das Gesetz zur Sicherstellung, dass die Sozialversicherungsträger auch tatsächlich die Beiträge erhalten, weitere Personen zur Haftung für Beitragsschulden (§ 67 ASVG).* Den Beiträgen und den sonstigen Pflichten nach dem ASVG müsste daher auch eine entsprechende Rechtsstellung der DG folgen.*

Man könnte nun freilich mit Rudolf Müller argumentieren, gerade in Bezug auf die Beitragshöhe und die Lastenverteilung zwischen DG und DN komme der Selbstverwaltung kein wesentlicher Einfluss mehr zu, da dies – im Vergleich zur Zeit zwischen 1888 und 1927 – gesetzlich geregelt ist. Im Gegensatz dazu bestehe bezüglich der Gesundheitsversorgung der versicherten Personen, dem „Kerngeschäft“ der Krankenversicherungsträger/ÖGK ein weitreichender Gestaltungspielraum des Selbstverwaltungskörpers, durch den Erlass von Satzungen, Krankenordnungen, aber auch durch den Abschluss von Verträgen mit LeistungserbringerInnen bzw von Gesamtverträgen. In Bezug auf die DG würden die Gebietskrankenkassen/ÖGK hingegen bloß eine die gesetzlichen Bestimmungen vollziehende Tätigkeit entfalten.* Hinzu kommt, dass die DG im Ergebnis nicht leistungsberechtigt sind, die DN hingegen insofern „in einer doppelten Eigenschaft repräsentiert“ sind, als sie sowohl Leistungsberechtigte als auch BeitragszahlerInnen sind.*

Auf der anderen Seite treffen die DN jedoch wiederum kaum Pflichten in Bezug auf das Melde- und Beitragswesen;* zudem ist gerade die Beitragslast beinahe gleich hoch – 3,78 % auf DG-, 3,87 % auf DN-Seite. Dem wird zwar wiederum entgegengehalten, dass DN zusätzlich durch die Zahlung von Rezeptgebühren und durch Leistungsersätze zur Finanzierung der KV beitragen,* auf der anderen Seite ließ das ASVG, in concreto § 426, schon bisher keine Kriterien erkennen, nach denen die Verhältniszahl zwischen DN und DG konkret festgesetzt wurde. Erwogen wurde daher auch, dass – nach206 rechtspolitischen Gesichtspunkten – das Verhältnis zwischen DN- und DG-VertreterInnen genauso gut die jeweiligen Beitragsleistungen widerspiegeln könnte.*

Auf all dies und insb darauf, ob ein Gestaltungsspielraum des Selbstverwaltungskörpers bezüglich der Aufgabenerfüllung besteht oder aber eine weitgehend gesetzliche Prädeterminierung vorliegt, kommt es dem VfGH zufolge jedoch nicht an. Bei der Frage nach dem Wirkungskreis des Selbstverwaltungskörpers stellt der Gerichtshof – im Unterschied etwa zur Vertretung beruflicher Interessen der Kammermitglieder gegenüber Staatsorganen und gegenüber dem sozialen Gegenspieler als Kerngeschäft der beruflichen Vertretungen der AG und AN – iZm der sozialen Selbstverwaltung auf die „autonome Organisation der Vollziehung der gesetzlich geregelten Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung von der Beitragseinhebung bis zur Leistungserbringung“ ab.* Nur darauf, dh auf diese Kernfunktion bzw den Wirkungskreis der Sozialversicherungsträger, kann es iZm der Eruierung der Legitimation-Aufgaben-Relation ankommen.

3.1.2.
Organe aus dem Kreis der Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen – Dienstgeber als Mitglieder

Mit beachtlichen Argumenten wird begründet, AG seien dem Grunde nach „Außenstehende“, sodass sie „in der Selbstverwaltung der Dienstnehmer ... nichts verloren“ hätten. Konzediert wird jedoch, dass unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung sowie in Anbetracht der Tatsache, dass die DG etwas mehr als ein Viertel der Mittel in der KV der DN als Teil der Lohnnebenkosten entrichten, (zumindest) ein Bezug zum Problemkreis vorhanden sei. Die (bisherige) Fünftelbeteiligung der DG sei daher „gerade noch sachlich zu rechtfertigen“.*

Eines der Kernargumente, warum DG „Außenstehende“ sind, ist, dass diese weder krankenversichert noch leistungsberechtigt sind.* Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedarf es jedoch einer Differenzierung zwischen Mitgliedern iSv Art 120a Abs 1 iVm Art 120c Abs 1 B-VG, also den Personen, die aufgrund der gemeinsamen Interessen zum Selbstverwaltungskörper zusammengefasst werden, und Mitgliedern der Versichertengemeinschaft* – dies sind bei ASVG-Pflichtversicherung in der KV nur die DN und ihnen gleichgestellte Personen. Das B-VG stellt „bloß“ auf die Mitglieder und deren gemeinsame Interessen, nicht hingegen (ausschließlich) auf eine Versichertengemeinschaft und damit die Zusammenfassung ausschließlich solcher Personen zu einem Selbstverwaltungskörper ab, innerhalb derer es zu einem Risikoausgleich kommen soll.

Geht man von dieser Differenzierung aus, so gehören zu den Personen bzw Mitgliedern nach Art 120a Abs 1 iVm Art 120c Abs 1 B-VG nicht nur die DN (und ihnen gleichgestellte Personen), sondern auch die DG. Dafür spricht auch ein weiteres der Wesensmerkmale der Selbstverwaltung, die obligatorische Mitgliedschaft.* DG können sich in der SV nicht aussuchen, ob sie die bei ihnen tätigen DN zur Pflichtversicherung melden und für diese Beiträge zahlen, sie werden daher dazu verpflichtet. Eine bloße „Beitrittsmöglichkeit“ besteht demnach nicht, vielmehr ist die obligatorische Mitgliedschaft an das Erfüllen bestimmter Kriterien geknüpft (etwa Beschäftigung im Inland gem §§ 1, 4 Abs 1 iVm Abs 2 ASVG).*207

Dass es sich bei den DG um Mitglieder iSd Art 120c Abs 1 iVm Art 120a Abs 1 B-VG handelt, geht nicht zuletzt auch daraus hervor, dass nach hA hoheitliche Befugnisse in der sonstigen, nicht territorialen Selbstverwaltung lediglich gegenüber Mitgliedern eines Selbstverwaltungskörpers ausgeübt werden dürfen. Dem VfGH zufolge ist es unzulässig, „eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zwar als Selbstverwaltungskörper einzurichten, diesem aber die Zuständigkeit zu übertragen, auch solche Angelegenheiten – unter Einsatz von imperium – weisungsungebunden zu besorgen, die sich auf einen Personenkreis beziehen, der von jenem verschieden ist, welcher dem Selbstverwaltungskörper die erforderliche demokratische Legitimation vermittelt, dh. der bei der Kreation (jedenfalls) des obersten Organs dieses Selbstverwaltungskörpers mitwirken konnte.* MaW, Bescheide gem § 410 ASVG können (nur) deshalb gegenüber DG erlassen werden, da es sich bei diesen um Mitglieder des Selbstverwaltungskörpers handelt.

3.2.
Zum sich aus dem Sachlichkeitsgebot ergebenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum

Wichtige Selbstverwaltungsorgane – wie nunmehr der Verwaltungsrat und die Hauptversammlung – sind aus der Mitte der Verbandsangehörigen durch Wahl zu bestellen.* Die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Vorgaben, insb dazu, wie die demokratische Legitimation von Selbstverwaltungsorganen herbeigeführt wird, gestehen dem Gesetzgeber jedoch einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum zu.* Einer der wenigen vom VfGH anerkannten Eckpfeiler ist, dass „ein sachlicher Zusammenhang zwischen den einem Selbstverwaltungskörper übertragenen Aufgaben und der Intensität der Mitwirkung von Verbandsangehörigen bei Herstellung der demokratischen Legitimation von Selbstverwaltungsorganen besteht“.* Insb eine Mitwirkung der Verbandsangehörigen an der Bestellung der Organe, die aus „repräsentativ-demokratischen“ Elementen der „indirekten Wahl“ besteht, wird daher bei den Organen der sozialen Selbstverwaltung für zulässig erachtet.* Davon abgesehen gibt Art 120c Abs 1 B-VG lediglich vor, dass „(d)ie Organe der Selbstverwaltungskörper ... aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden (sind)“. Allein aus dem Repräsentativelement resultiert jedoch keine Verpflichtung zu einer genauen zahlenmäßigen Vertretung einzelner Untergruppen nach ihrer tatsächlichen Zahl.* Anders als bei der AN-Mitbestimmung im Aufsichtsrat, bei der die bloße Drittelparität durch das gem Art 5 EMRK, Art 1 1. ZPEMRK geschützte Eigentumsrecht des AG bis zu einem gewissen Grad verfassungsrechtlich prädeterminiert ist, fehlt es schließlich an einer solchen grundrechtlich geschützten Position sowohl der DG als auch der DN iZm der Beteiligung in den Selbstverwaltungsorganen, die einen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt für eine stärkere Berücksichtigung der einen oder der anderen Seite geben könnte.

Schranke der Ausgestaltung der Organbestellung ist daher letztlich das Sachlichkeitsgebot (Art 7 B-VG).* Zu berücksichtigende Gesichtspunkte sollten die „Eigenart der von den Organen wahrzunehmenden Aufgaben, die Interessenlagen im Kreis der (dem SVTr) angehörenden Personen sowie die möglichen Auswirkungen der Tätigkeit (des SVTr) auf die Rechtsphäre der ihm angehörenden Personen“ sein.* Daraus kann vor allem angesichts der diversen den DG im Rahmen des Melde- und Beitragswesens auferlegten Pflichten für die paritätische Ausgestaltung geschlossen werden, dass auch in der KV eine verstärkte Berücksichtigung der DG-Interessen durch eine entsprechende Widerspiegelung bei der Anzahl der VersicherungsvertreterInnen in Verwaltungsrat und Hauptversammlung sachlich gerechtfertigt ist. Hinzu kommt, dass im Schrifttum das mit der Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflichten verbundene Melde-, Versicherungs- und Beitragswesen als eine der „Kernaufgaben“ der Gebietskrankenkassen (nunmehr der ÖGK) bezeichnet wird.* Wenn aber gerade durch eine Kernaufgabe vor allem die DG in die Pflicht genommen werden, scheint es keinesfalls unsachlich, diesen hier auch entsprechende Mitwirkungsrechte einzuräumen.

Doch selbst wenn man argumentierte, dass etwa aufgrund des Zahlenverhältnisses (mehr DN als DG als in der ÖGK zusammengefasste Personen und sohin Mitglieder) die DN zahlenmäßig stärker vertreten sein müssten,* ist auf jene Ansichten zu verweisen, wonach das Sachlichkeitsgebot keinesfalls unter allen Umständen „eine gleichberechtigte Mitwirkung aller Verbandsangehörigen“ fordert.208 Auch unterschiedlich intensive Mitwirkungsrechte können daher bei Vorliegen sachlicher Gründe vorgesehen werden.* Einzuräumen ist freilich, dass die Ausgestaltung der Beteiligung in der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) nicht zur Gänze in dieses Bild passt: Gem § 138 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG) stellen im Verwaltungsrat der BVAEB die DN sieben, die DG drei VertreterInnen, in der Hauptversammlung die DN 14, die DG sechs VertreterInnen. Kann hierfür eine sachliche Rechtfertigung gefunden werden, erschiene es jedoch jedenfalls kühn, bloß aus dieser Stimmverteilung auf die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen in der ÖGK zu schließen.

Schließlich sei auch noch auf das Universitäts-Organisationsgesetz-(UOG-)Erk* aus dem Jahr 1977 hingewiesen,* mögen auch Universitäten aktuell (nur) als „selbstverwaltungsähnliche Einrichtungen“ gelten; wie Eberhard betont, haben sich jedoch maßgebliche Inhalte der Dogmatik der Selbstverwaltung gerade iZm den Universitäten entwickelt.* Damals stand die drittelparitätische Zusammensetzung der Studienkommissionen aus ProfessorInnen, MittelbauvertreterInnen und Studierenden zur Debatte.* Der VfGH führte unmissverständlich aus, dass „(d)er Wesensgehalt des ... selbständigen Wirkungsbereiches der Hochschulen ... allein dadurch gekennzeichnet und mitgeprägt (ist), dass die Wissenschaftsverwaltung in diesem Bereich von durch sie unmittelbar betroffenen Personen geführt wird, nicht aber dadurch, dass daran ... nur eine bestimmte Gruppe betroffener Personen beteiligt war“. In concreto wurde nach den Erläuterungen zu § 59 UOG auf die gleiche Qualifikation der jeweiligen VertreterInnen insb in Bezug auf die Erlassung von Studienplänen abgestellt, denn sie brächten jeweils unterschiedliche, aber gleichwertige Interessen und Ansichten ein.* Schließlich verwies der VfGH auf die Verwirklichung rechtspolitischer Vorstellungen durch den Gesetzgeber, der sich mit der drittelparitätischen Regelung „durchaus im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen“ bewegte, die ihm auch durch das Gleichheitsgebot nicht verwehrt war. Doch selbst wenn die Regelung „dem erklärten Ziel des Gesetzgebers nicht entspräche und wenn sie unzweckmäßig wäre, wäre sie nicht sachfremd und verstieße ... nicht gegen das Gleichheitsgebot“. All dies spricht für einen weiten Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers iZm der Ausgestaltung der Beteiligung von DG- und DN-VertreterInnen in der ÖGK, sodass die hälfteparitätische Regelung wohl nicht als unsachlich zu qualifizieren ist.

4.
Aufsichtsrechte = „Schattengeschäftsführung“ durch das BMASGK oder „partizipative Selbstverwaltung“?

Die Frage der Weisungsfreiheit der Selbstverwaltungskörper ist ein (verfassungs-)rechtlicher „Dauerbrenner“ und steht seit jeher an prominenter Stelle in der akademischen Diskussion.* Damit eng verbunden ist die Frage nach der Reichweite des Aufsichtsrechts – in concreto des Bundes. Die Rechtmäßigkeitsaufsicht ist bereits im Hinblick auf das Demokratieprinzip geboten und Ausdruck des bzw Konsequenz der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen der Herrschaft des Staatsvolkes und der Erledigung öffentlicher Aufgaben in Selbstverwaltung.* Durch die Aufsicht kommt es im Ergebnis zur – demokratisch notwendigen – Rückanbindung an den Souverän; die staatliche Aufsicht ist sohin das gebotene Korrelat zur Selbstverwaltungsbefugnis.* Nach wohl hA hat sich die Aufsicht jedoch auf Überwachung und Kontrolle zu beschränken, hingegen handelt es sich nicht um unmittelbare Führung der Verwaltung. MaW, Aufsicht ist überwachende und kontrollierende Staatstätigkeit; eine unmittelbare Führung der Verwaltung ist hingegen ausgeschlossen.* Nach Korinek darf Aufsicht „nicht in Leitung umschlagen, denn dadurch würde die von Verfassung und Gesetz vorgesehene Verantwortung verschoben und gerade der staatsmachtbegrenzende Effekt jeder Art von Selbstverwaltung beeinträchtigt“.* Daraus folgt, dass die BMASGK bzw der BMF nicht selbst Verwaltungsentscheidungen treffen, sondern lediglich die Entscheidungen und Beschlüsse der Sozialversicherungsträger bzw deren Organen auf ihre Rechtmäßigkeit bzw unter gewissen Voraussetzungen auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüfen dürfen.*209

Sobald daher die Aufsichtsbehörde Einfluss auf die Willensbildung im Sozialversicherungsträger nehmen und sohin Verwaltungsentscheidungen treffen kann, bewegt sich die Aufsicht von ihrer Überwachungs- und Kontrollfunktion hin zu einer Entscheidungsfunktion. Damit entwickelt sich die Aufsicht jedoch weg vom – wenn schon offensichtlich Grundsätze aus Deutschland heranzuziehen sind – „Grundsatz der maßvollen Aufsicht“, der auf dem Gebot basiert, die Aufsicht solle bloß ultima ratio sein.* Gerade diese Möglichkeit des Einflusses auf die Willensbildung bringt auch wieder das Spannungsverhältnis zur weisungsfreien Aufgabenbesorgung hervor: Sobald einem Selbstverwaltungskörper bestimmte Aufgaben zur eigenverantwortlichen Besorgung übertragen werden, haben die Organe diese „nach eigenem Willensentschluss und daher unbeeinflusst vom Willen staatlicher Organe“ wahrzunehmen.* Dies stimmt mit dem grundlegenden Befund Balthasars überein, dass es bei Selbstverwaltung „konzeptionell zuallererst um Autonomie“ gehe.*

Gegenstand der Aufsicht ist in der Regel die Sorge um die gesetzmäßige Führung der Geschäfte sowie die Aufrechterhaltung des ordnungsmäßigen Ganges der Verwaltung.* Die Rechtmäßigkeitskontrolle war im Bereich der sozialen Selbstverwaltung schon bisher relativ stark ausgeprägt; Zustimmungs-/Genehmigungsvorbehalte haben sich aber weitgehend auf die Erlassung von generellen Rechtsnormen wie etwa Satzungen (§ 455 Abs 1 ASVG aF) oder Krankenordnungen (§ 456 Abs 1 ASVG aF) beschränkt; bestimmte Vermögensgeschäfte waren auch schon bisher genehmigungspflichtig. Wie noch sogleich gezeigt wird, waren diese Befugnisse der Aufsichtsbehörde auch bislang restriktiv auszulegen, sodass die Zustimmung nur wegen Rechtswidrigkeit oder gravierender Unzweckmäßigkeit verweigert werden durfte.*

Hauptsächlicher Grund und Gegenstand der staatlichen Aufsicht ist es, die ordnungsgemäße Verwendung erheblicher, zwangsweise eingenommener Geldmittel der Selbstverwalteten zu kontrollieren.* Da gerade in der SV über nicht unerhebliche Teile des Einkommens der Selbstverwalteten verfügt wird, können Hauer zufolge an das Aufsichts- und Kontrollrecht durchaus höhere Anforderungen gestellt werden als etwa in jenen Fällen, in denen die Mitglieder nur zu vergleichsweise geringen Zahlungen verpflichtet werden.* Dabei ist der einfache Gesetzgeber jedoch an das Gebot „adäquater Effizienz“ des Aufsichtsrechtes geboten.* Daraus kann wohl abgeleitet werden, dass das Aufsichtsrecht im Lichte des Art 7 B-VG nicht über das sachlich Gebotene und Erforderliche hinausgehen darf.* Hinzu kommt, dass etwa das Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Geldmitteln die Aufsichtsbehörde lediglich zur Kontrolle über die Gesetzmäßigkeit der Geschäftsführung und die Ordnungsmäßigkeit der Gebarung, nicht hingegen bspw zur Überprüfung von Zweckmäßigkeits- und Ermessenserwägungen in Personaleinzelangelegenheiten berechtigt.*

Zu überprüfen gilt es, ob die Neugestaltung der Aufsicht, insb des § 449 iVm § 444 ASVG, in der Tat wie von Potacs ausgeführt zu einer „Schattengeschäftsführung* durch die Aufsichtsbehörde führt. Art 120b B-VG legt dem Wortlaut nach ein Aufsichtsrecht des Staates nur allgemein fest, sodass es allein Sache des Gesetzgebers ist, sachlich erforderliche Aufsichtsmittel zu regeln. Maßstab dafür, ob die Gebote der Sachlichkeit und der Erforderlichkeit beachtet werden, ist Art 7 B-VG.* Sofern eine sachliche Rechtfertigung besteht, steht es dem Gesetzgeber auch frei, zu entscheiden, welche Behörde der staatlichen Verwaltung er zur Aufsicht beruft;* in concreto also entweder BMASGK oder BMF. Durch das SV-OG sollen allerdings die Aufsichtsrechte des Bundes „nachhaltig gestärkt“ werden, wiewohl „an den Prinzipien der Selbstverwaltung im Sinne der Art 120a ff B-VG nicht gerüttelt, sondern diese im Sinne der verfassungsrechtlichen Bestimmungen weiterentwickelt werden sollen (partizipative Selbstverwaltung)“.*

Kern der Problematik ist demnach, worin die verfassungsrechtlichen Grenzen des Aufsichtsrechts bestehen, wobei diesbezüglich entsprechend Art 120b Abs 1 S 2 und 3 B-VG zwischen Recht- und Zweckmäßigkeitsaufsicht zu differenzieren ist. Das Spannungsverhältnis besteht dabei zwischen der schon bislang hA, wonach jedenfalls Beschränkungen der Selbstverwaltung und sohin wohl auch die bisherigen Aufsichtsbefugnisse (also nach ASVG aF) „restriktiv“ auszulegen waren,* sodass die Aufsicht in der Tat auf Kontrolle und Überwachung zu beschränken war, und der beabsichtigten Wei-210terentwicklung der Prinzipien der Selbstverwaltung hin zu einer „partizipativen Selbstverwaltung“.* Die Partizipation betrifft hingegen gerade nicht – wie man prima facie meinen könnte – die in der Selbstverwaltung zusammengefassten Personen,* sondern die Aufsichtsbehörde, also das jeweils zuständige BM. MaW, die BMASGK bzw der BMF sollen offensichtlich nach den Vorstellungen des Gesetzgebers an der Selbstverwaltung teilhaben. Ob dies tatsächlich noch innerhalb des Verfassungsbogens liegt, gilt es zu untersuchen.

4.1.
Spannungsverhältnis weisungsfreie Aufgabenbesorgung und kontrollierende bzw überwachende Aufsicht

Nach Eberhard ist „prägendes Wesensmerkmal“ der Selbstverwaltung die Unabhängigkeit von der staatlichen Verwaltung.* Zu bedenken ist zudem, dass das Recht der Sozialversicherungsträger, Aufgaben weisungsfrei zu besorgen, ein subjektives Recht impliziert,* das die Freiheit von aufsichtsbehördlichen Eingriffen mit einschließt, die nicht im Gesetz verankert sind.* Mit dem SV-OG wurden nun die Aufsichtsrechte der BMASGK und des BMF gesetzlich ausgeweitet, sodass zumindest eine gesetzliche Grundlage für die Aufsichtsrechte besteht. Wie sogleich gezeigt wird, ist jedoch höchst umstritten, ob es sich bei den nunmehrigen Befugnissen der BMASGK sowie des BMF tatsächlich um – nach bisherigen anerkannten Maßstäben – noch zulässige überwachende und kontrollierende Aufsicht, oder aber um einen Eingriff in das Recht auf weisungsfreie Aufgabenbesorgung handelt. Fraglich ist daher, ob durch die neuen Befugnisse nicht über die soeben genannten Grenzen des Art 7 B-VG hinaus in das subjektive Recht der Sozialversicherungsträger eingegriffen wird; zu bedenken ist auch, dass aus Art 120b Abs 1 B-VG zudem vereinzelt sogar ein Grundrecht auf Selbstverwaltung abgeleitet wird.* In diesem Lichte ist daher auch nicht verwunderlich, dass bei der Frage, ob durch Aufsichtsrechte der Aufsichtsbehörden, insb der BMASGK, bzw durch deren Ausübung, das Recht auf weisungsfreie Aufgabenbesorgung und somit das Recht der Selbstverwaltung auf Eigenständigkeit verletzt wird, im Ergebnis auch von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gesprochen wird: (Nur) Dort, wo nicht „unnötig“* eingegriffen wird, weil eben gerade eine sachliche Rechtfertigung vorliegt, wird auch die Verfassungskonformität zu bejahen sein.*

Gerade im Hinblick auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf weisungsfreie Aufgabenbesorgung müsste das Aufsichtsrecht vor allem in jenen Bereichen besonders rücksichtsvoll ausgeübt werden, in denen das Selbstverwaltungsrecht in seinem – wohlgemerkt gesetzlich wenig determinierten – Kernbereich tangiert ist.* Hierzu gehören trotz der Vorschrift des § 432 Abs 1 ASVG nF etwa die interne Organisation und die Haushaltsführung. Einer der wenigen den Sozialversicherungsträgern verbleibenden, durch Gesetz kaum prädeterminierten Bereiche zur weisungsfreien Besorgung ist auch der Abschluss von Gesamtverträgen und von Verträgen mit sonstigen VertragspartnerInnen.*

Bei den durch das SV-OG zu den bisherigen Befugnissen hinzugetretenen Aufgaben der BMASGK und des BMF kann grob zwischen Aufsichtsrechten ieS und weiteren, über die Aufsicht hinausgehenden Befugnissen differenziert werden, wobei eine klare Abgrenzung nicht immer möglich ist. Der Aufsicht ieS lassen sich zunächst einmal all jene Befugnisse zuordnen, die in den §§ 448 bis 452a ASVG nF geregelt sind. Auf aus Sicht der Selbstverwaltung problematische Aspekte dieser Neuregelungen wird sogleich vertieft eingegangen. Darüber hinaus finden sich jedoch an vielen Stellen des SV-OG weitergehende Befugnisse der BMASGK und des BMF, hinsichtlich derer es zu untersuchen gilt, ob tatsächlich noch von einer kontrollierenden und überwachenden Aufsicht gesprochen werden kann, oder ob nicht vielmehr ein – aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls bedenklicher – Eingriff in das Recht auf weisungsfreie Aufgabenerfüllung vorliegt. Mit Potacs ist davon auszugehen, dass gesetzliche Regelungen betreffend die „Verwaltungsführung“ den Sozialversicherungsträgern ihre – in den Worten des VwGH – „Einschätzungprärogative* wahren müssen, sodass in einen gewissen Kernbereich nicht eingegriffen werden darf, widrigenfalls nicht mehr von Selbstverwaltung gesprochen werden kann.* Kurz skizziert seien an dieser Stelle einige wichtige Aspekte der verfassungsrechtlich gewährleisteten weisungsfreien Aufgabenbesorgung gem Art 120b Abs 1 S 1 B-VG.

Im Schrifttum wird aus der weisungsfreien Aufgabenbesorgung zunächst abgeleitet, dass der Selbstverwaltungskörper, sobald Aufgaben übertragen sind, zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verpflichtet ist, sodass die Überlassung der Entscheidungsbefugnis an überörtliche Stellen und die bloße Nachvollziehung von Überlegungen und Vorschlägen anderer (staatlicher) Organe durch eigene Beschlüsse einen Pflichtverstoß darstellt.*211

Auch verfüge die Selbstverwaltung über eine Organisationsautonomie, die ganz pauschal aus dem Recht auf Selbstverwaltung abgeleitet wird.* Aus dieser resultiere insb die Personalhoheit, wobei der VwGH diesbezüglich (lediglich) festgehalten hat, dass diese die Befugnis umfasst, die für die Verwaltung erforderlichen Angestellten und Hilfskräfte „auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen“. Folge der Autonomie ist daher, dass das zuständige Selbstverwaltungsorgan (etwa Vorstand oder Verwaltungsrat) „in voller Freiheit“, sohin ohne Einflussmöglichkeit der staatlichen Aufsichtsbehörde, über Anstellung, Kündigung und Dienstfreistellung aller Bediensteter entscheidet.* Daraus müsste jedoch im Größenschluss auch folgen, dass, wenn sogar die Begründung und Beendigung von Dienstverhältnissen in der Autonomie liegt, dies umso mehr für die interne Aufgabenübertragung gelten muss. Aufgrund dieser Organisationsautonomie, die sich in der Freiheit des Selbstverwaltungskörpers hinsichtlich der Gestaltung seiner inneren Organisation ausdrücke, bedürften Eingriffe des Gesetzgebers oder der Verwaltung einer sachlichen Rechtfertigung.*

Schließlich bedarf eine ordnungsgemäße weisungsfreie Aufgabenbesorgung auch der entsprechenden aufgabenadäquaten Finanzierung des Selbstverwaltungsträgers, denn nur so kann auch eine Art 120c Abs 2 B-VG entsprechende sparsame und wirtschaftliche (sowie zweckmäßige*) Erfüllung der Aufgaben gewährleistet werden.* Mithin obliegt es dem Gesetzgeber, den Selbstverwaltungskörper zweckmäßig und somit so zu gestalten, dass eine den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit entsprechende Verwaltungsführung gewährleistet ist.* Das Effizienzgebot als Ausprägung des Sachlichkeitsgebotes gebietet daher dem Gesetzgeber, Selbstverwaltungskörper gemessen an ihren Aufgaben so zweckmäßig auszustatten, dass eine ordnungsgemäße Verwaltungsführung gewährleistet ist.* Daraus resultiert für die vorliegende Thematik, dass im Ergebnis danach zu fragen ist, welche Aufgaben aufgrund des daran bestehenden gemeinsamen Interesses dem Sozialversicherungsträger (bzw dem Dachverband) zu übertragen sind* und folglich auch eine entsprechende Finanzierung zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung gesetzlich vorzusehen ist.*

4.2.
Verwaltungsführung am Beispiel Vertagung der Beschlussfassung gem § 449 Abs 4 ASVG nF

Ziel des Aufsichtsrechts ist dem Gesetzeswortlaut nach gem Art 120b Abs 1 S 2 B-VG zunächst (lediglich), die „Rechtmäßigkeit der Verwaltungsführung“ zu überwachen. Soll noch eine (bloß) überwachende und kontrollierende Aufsicht vorliegen, darf diese nicht zu „eingriffsintensiv“ sein. Ein zu großer Eingriff liegt dann vor, wenn die Aufsichtsbehörde selbst Entscheidungen bei der Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben treffen kann. Bereits § 449 Abs 3 ASVG aF wurde idZ als problematisch erachtet (Verlangen nach Einberufung von Sitzungen mit einer bestimmten Tagesordnung; eigenständige Anberaumung einer Sitzung und Leitung der Verhandlungen). Da allerdings die „eigentliche Willensbildung“ beim Verwaltungskörper verblieb und auch die Anberaumung sowie die Leitung der Sitzung zunächst vom Verwaltungskörper vorgenommen werden konnte, wurde davon ausgegangen, dass § 449 Abs 3 ASVG aF dem Sachlichkeitsgebot „(noch)“ entsprach.*Potacs begründet die Zulässigkeit auch mit dem Verweis auf § 449 ASVG im Ausschussbericht.* Als unter dem Aspekt des Art 18 Abs 1 B-VG „bedenklich“ eingestuft wurde jedoch auch die Unbestimmtheit der Aufsichtsregelung des § 449 Abs 3 ASVG aF, da keine Voraussetzungen normiert wurden, unter denen die Sitzung von der Aufsichtsbehörde selbst anberaumt und die Verhandlung von ihr geleitet werden konnte.*212

Denselben Bedenken unterliegt § 449 Abs 4 ASVG nF, der zunächst eine bloße Wiederholung des bisherigen Abs 3 darstellt. Gerade die neu hinzugefügten letzten zwei Sätze, wonach auf Verlangen des Vertreters der BMASGK oder des BMF die Beschlussfassung zu bestimmten Tagesordnungspunkten zu vertagen ist und dieses Verlangen für ein und denselben Tagesordnungspunkt maximal zwei Mal erfolgen kann, könnten dazu führen, dass dem Sachlichkeitsgebot nicht mehr entsprochen wird. Entkräftet können diese Bedenken jedoch weitgehend mit einem Verweis auf die Gesetzesmaterialien werden. Danach ist die Neuregelung deshalb erforderlich, „weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass einzelne hochkomplizierte Gegenstände ohne ausreichende Vorbereitungszeit zur Beurteilung durch die Vertreter/innen der Aufsichtsbehörde und des Finanzressorts – mitunter noch mit mangelhaften Unterlagen – auf die Tagesordnung der Sitzungen gesetzt wurden; dem soll diese Vertagungsmöglichkeit auf Initiative der erwähnten Vertreter/innen des Bundes vorgebeugt werden“.*Potacs hält dies durchaus für plausibel, sodass nicht „unnötig“ in die Selbstverwaltung eingegriffen wird; zudem sei dieser Eingriff nicht intensiver als die Anberaumungs- und Leitungsmöglichkeit. Bedenklich sei hingegen die zweimalige Vertagungsmöglichkeit, denn „erforderlich“ iS einer Sachlichkeitsprüfung sei lediglich eine einmalige Vertagung.

Den Bedenken, dass durch die Vertagungsmöglichkeit dringende Beschlussfassungen verhindert werden – auch der (vorläufige) Rechtsschutz gegen derartige Vertagungen könne eine dringend erforderliche Beschlussfassung nicht immer gewährleisten –,* wird im Ergebnis durch die Mustergeschäftsordnung für den Verwaltungsrat* Rechnung getragen. Nach deren § 3 Abs 1 werden Sitzungen des Verwaltungsrates vom Obmann nach Bedarf einberufen. Da die Einladungen zu den Sitzungen gem § 4 lediglich spätestens acht Kalendertage vor dem Sitzungstag auszusenden sind, kann trotz zweimaliger Vertagung der Beschlussfassung eine solche im Ergebnis binnen relativ kurzer Zeit gewährleistet werden. Äußerst fraglich ist allerdings im Hinblick auf den offensichtlichen – und durchaus sachlich gerechtfertigten – Zweck der Neuregelung einer ordnungsgemäßen Sitzungsvorbereitung, warum es hierfür gerade eines Vertagungsbegehrens der Aufsichtsbehörde bedarf. Der Sachlichkeit iS einer Ermöglichung der zeitgerechten Vorbereitung ebenfalls dienlich – und auch wenig eingriffsintensiver – wäre es gewesen, gesetzlich (und nicht erst durch die Mustergeschäftsordnung) festzulegen, dass die Unterlagen binnen einer bestimmten Frist vor der anberaumten Sitzung zur Verfügung zu stellen sind.* § 449 Abs 4 ASVG nF zeigt, dass sich der Gesetzgeber des SV-OG von den verfassungsrechtlich vorgesehenen Aufsichtsformen, Rechtmäßigkeitsaufsicht einerseits und Zweckmäßigkeitsaufsicht – sofern erforderlich – andererseits, wegbewegt, denn eine Einordnung des Vertagungsbegehrens in eine dieser Kategorien fällt alles andere als leicht.

4.3.
Zweckmäßigkeitsaufsicht

Nach Art 120b Abs 1 letzter Satz B-VG „kann sich das Aufsichtsrecht auch auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsführung erstrecken, wenn dies auf Grund der Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers erforderlich* ist“. Unterschiedlich wird vor allem die Frage danach beurteilt, was „erforderlich“ iSd Art 120b Abs 1 letzter Satz B-VG ist. Bereits die Gesetzesmaterialien zu Art 120b B-VG verweisen darauf, dass sich die Staatsaufsicht grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeitskontrolle zu beschränken hat, und nur „in Sonderfällen in Abhängigkeit von der Art der wahrzunehmenden Aufgabe ... – soweit erforderlich – auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle vorgesehen werden (kann)“. Explizit wird hinsichtlich der wahrzunehmenden Aufgaben auf § 449 ASVG aF verwiesen.* Nach Stolzlechner kann die Rechtfertigung einer Staatsaufsicht, die sich auf die Zweckmäßigkeit bezieht, nur „in der Besonderheit übertragener Selbstverwaltungsaufgaben liegen, zB bei einer überwiegend staatlich finanzierten Aufgabenerledigung“.* Wann hingegen eine Aufsicht tatsächlich „erforderlich“ ist, kann nur dann ermittelt werden, wenn auch ein entsprechender Maßstab zur Verfügung steht. An einem solchen fehlt es allerdings in Art 120b Abs 1 S 3 B-VG,* wodurch die Beurteilung, wann die Grenzen der Zweckmäßigkeitsaufsicht überschritten werden, nicht gerade erleichtert wird.

Nach Mayer/Muzak wird dem einfachen Gesetzgeber sohin ein weiter Spielraum zugestanden.*Potacs hingegen verweist auf die Terminologie des B-VG, wonach „erforderlich“ als „unerlässlich“ zu verstehen sei. Insofern hätten die Selbstverwaltungskörper und somit die Sozialversicherungsträger einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben, der sowohl gegenüber der Aufsicht als auch gegenüber dem Gesetzgeber gelten müsse. Letzterem ist vor allem aus teleologischer Sicht zuzustimmen, denn wie Potacs äußerst wohlbegründet ausführt, könnte die weisungsfreie Aufgabenerfüllung sonst durch den Gesetzgeber ad absurdum geführt werden.* Auch Eberhard spricht sich generell für einen an die Zweckmäßigkeitsaufsicht anzulegenden strengen Maßstab aus;* die Aufsicht setze213die Existenz von Autonomie voraus“,* sohin ist auch der Gesetzgeber zur Zurückhaltung bei der Festlegung von Aufsichtsbefugnissen und somit beim Eingriff in die weisungsfreie Aufgabenbesorgung berufen. IS dieser weitgehenden Autonomie ist daher der strenge Erforderlichkeitsmaßstab auch auf sonstige, nicht notwendigerweise als „Aufsicht“ bezeichnete Befugnisse staatlicher Behörden anzuwenden.* Auf den Punkt bringt dies Pernthaler: Durch das Gesetz muss dem Sozialversicherungsträger im Rahmen seiner jeweiligen Zuständigkeiten stets noch eine Entscheidungsmöglichkeit, also ein „Ermessen“, zugestanden werden, widrigenfalls „gesetzliche Bindung wie bei jeder anderen Verwaltungsbehörde“ bestünde.*

IZm den Sozialversicherungsträgern hat der VwGH festgehalten, dass „eine Zweckmäßigkeitskontrolle, die in jede von der Aufsichtsbehörde als unzweckmäßig empfundene Entscheidung eingreifen und damit in jeder Hinsicht dem Willen der Aufsichtsbehörde zum Durchbruch verhelfen könnte“, mit der Einrichtung der Sozialversicherungsträger als weisungsfreie Selbstverwaltungskörper in Widerspruch stünde.

Eine Zweckmäßigkeitskontrolle ist daher

  • erstens auf „wichtige Angelegenheiten“ zu beschränken, und

  • zweitens nur dann vorzunehmen, wenn „die von dem jeweiligen Beschluss angestrebten [oder anzustrebenden] Ziele offenkundig [verfehlt werden], dh grob zweckwidrig sind“.*

Diese Verquickung von wichtigen Angelegenheiten und offenkundiger Unzweckmäßigkeit ist auch deshalb erforderlich, damit die Aufsicht eine bloß „kontrollierende“ ist und bleibt und nicht in verfassungswidriger Weise „in Leitung umschlägt“.* Nach hA zur Rechtslage vor dem SV-OG kommt den Sozialversicherungsträgern zudem eine „Einschätzungsprärogative“ hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der von ihnen beabsichtigten Maßnahmen und Vorhaben zu, der von der Aufsichtsbehörde nur dann erfolgreich entgegengetreten werden kann, wenn eine grobe Zweckwidrigkeit bzw eine offenkundige Verfehlung des angestrebten Ziels anzunehmen ist.* MaW, zwischen mehreren wirtschaftlichen Möglichkeiten im Einzelfall besteht eine Einschätzungsprärogative des Versicherungsträgers.* Vor dem SV-OG wurden etwa die Abwehr eines drohenden Schadens vom Versicherungsträger, die Sicherung eines (sonst) dem Sozialversicherungsträger entgehenden Vorteils* oder der Abschluss eines Pachtvertrags über ein Forstgut der PVA* als „wichtige Frage“ der Zweckmäßigkeit eingestuft.

In engem Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art 120b Abs 1 S 3 B-VG steht § 449 Abs 1 ASVG nF, der weitgehend der bisherigen Regelung* entspricht. Danach soll sich diese Zweckmäßigkeitsaufsicht „auf wichtige Fragen beschränken und in das Eigenleben und die Selbstverantwortung der Versicherungsträger und des Dachverbandes nicht unnötig eingreifen“. Neu ist die Konkretisierung in § 449 Abs 2 ASVG nF, die demonstrativ (arg „insbesondere“) aufzählt, worum es sich bei diesen „wichtigen Fragen“ handelt.

Wie bereits erwähnt, wurden durch das SV-OG jedoch nicht nur unter Abschnitt VI des achten Teils des ASVG die Aufsichtsrechte der BMASGK bzw des BMF erweitert, vielmehr wurde auch an vielen anderen Stellen (wohl) eine Zweckmäßigkeitskontrolle eingeführt. Ohne dass hierauf im Detail eingegangen werden kann, sei etwa auf die – auch aus anderen Gründen verfassungsrechtlich bedenkliche – Verordnungsermächtigung der BMASGK nach den §§ 30a Abs 2, 30b Abs 3, 30c Abs 3 ASVG nF hingewiesen. Die BMASGK wird dazu ermächtigt, „wenn und soweit“ eine Übertragung der Vorbereitung (§§ 30a Abs 2, 30b Abs 3) bzw der Aufgaben (§ 30c Abs 3) bis zum 30.6.2021 nicht erfolgt, diese per Verordnung vorzunehmen. Ob der Dachverband die prima facie bestehende Übertragungsmöglichkeit ausnützt oder nicht, ist jedenfalls keine Frage der Rechtmäßigkeit, sodass nur eine Maßnahme der Zweckmäßigkeitskontrolle vorliegen kann. Wie bereits ausgeführt, kommt den Selbstverwaltungskörpern jedoch eine Einschätzungsprärogative zu, aus der auch resultiert, dass die Aufsichtsbehörde der Beurteilung der Zweckmäßigkeit durch das Organ der Selbstverwaltung, dh in concreto durch die Konferenz des Dachverbands „– abgesehen von der ihr in erster Linie obliegenden Rechtmäßigkeitsaufsicht – nur dann mit Erfolg entgegenzutreten vermag, wenn sie in einer wichtigen Frage eine grobe Verfehlung der von der Selbstverwaltung nach dem Gesetz grundsätzlich eigenverantwortlich zu berücksichtigenden Zielvorgaben darzulegen vermag“.* Verallgemeinert bedeutet dies, dass die Aufsichtsbehörde gerade nicht in jede von ihr als unzweckmäßig empfundene Entscheidung eingreifen und der Selbstverwaltung ihren Willen aufzwingen darf,* sodass die Zweckmäßigkeitskontrolle im Ergebnis zur dann zulässig sein soll, wenn sie „aus öffentlichen Rücksichten unabdingbar“ ist.* Mit Th. Müller* ist festzuhalten, dass – wohlgemerkt unter Zugrundelegung der bisherigen hA zu den Grenzen der Zweckmäßigkeitskontrolle, die insb214 zu § 449 Abs 1 ASVG aF entwickelt wurden – die Nichtübertragung der Vorbereitung von Richtlinien bzw von Aufgaben an sich nicht als grob zweckwidrig bzw als grobe Verfehlung einzustufen wäre, sohin die BMASGK unter den bisherigen Prämissen ihre Verordnungsermächtigung nicht ausüben dürfte.

Abgesehen von diesen „versteckten“ Aufsichtsproblematiken wurde bereits im Vorfeld des SV-OG vor allem die demonstrative Aufzählung der „wichtigen Fragen“ in § 449 Abs 2 ASVG nF iVm weiteren Vorschriften kritisch gewürdigt. Festzuhalten ist zwar zunächst mit Aubauer/Rosenmayr-Khoshideh,* dass bereits bisher die Angelegenheiten des § 437 Abs 1 ASVG aF, also etwa die dauernde Veranlagung von Vermögensbeständen oder die Beschlussfassung über Veränderungen im Bestand von Liegenschaften, als wichtige Frage angesehen wurde.* Daraus könnte zu schließen sein, dass all jene Angelegenheiten, die denen in § 437 Abs 1 ASVG aF entsprechen, auch weiterhin zulässigerweise der Zweckmäßigkeitskontrolle unterworfen werden können, vorausgesetzt, es wird das zweistufige Verfahren eingehalten. Zu bemerken ist allerdings, dass es sich bei den Angelegenheiten des § 437 Abs 1 ASVG aF evtl nur deshalb um „wichtige Fragen“ gehandelt haben könnte, weil durch die Entscheidung der Aufsichtsbehörde eine – durch Einwände der Kontrollversammlung ausgelöste – Pattsituation gelöst werden konnte. Dieses Mittels bedarf es nach dem SV-OG aber nicht mehr, denn zu einer Pattsituation innerhalb des Selbstverwaltungskörpers kann es mangels Existenz einer Kontrollversammlung nicht mehr kommen, vielmehr gewährleisten die Mechanismen zur doppelten Mehrheit für die Beschlüsse gem § 432 Abs 3 ASVG, dass eine Konsensfindung bereits vor der Entscheidung stattfindet. Die Aufsichtsbehörde ist daher gerade nicht mehr „eine Art Schlichtungsinstanz“.*

IZm der Neuregelung durch das SV-OG und insb iZm der demonstrativen Aufzählung der „wichtigen Fragen“ in § 449 Abs 2 ASVG nF werden vor allem die Einhaltung der Ziele der Zielsteuerung und Fragen der Finanzautonomie im Lichte der Einschätzungsprärogative der Sozialversicherungsträger sowie der zweistufigen Zweckmäßigkeitsprüfung als verfassungsrechtlich problematisch erachtet.* Ohne darauf hier im Detail eingehen zu können, ist festzuhalten, dass dann, wenn die diesbezügliche Aufsicht pro futuro jedenfalls und nicht nur bei grober Zweckmäßigkeit ausgeübt werden sollte, gegen das Konzept der Einschätzungsprärogative des Versicherungsträgers und sohin gegen die verfassungsrechtlich gewährleistete Autonomie verstoßen wird. Gerade das subjektive Recht auf weisungsfreie Aufgabenbesorgung macht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich, die durch das Element der groben Zweckwidrigkeit gewährleistet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass bei Wegfall dieser Zweistufigkeit der Prüfung eine unzulässige Beeinträchtigung dieses durch Art 120b Abs 1 S 1 B-VG gewährleisteten Rechts vorliegt.

Verschärft wird die Problematik durch das Einspruchsrecht des Vertreters der BMASGK und des BMF gegen Beschlüsse eines Verwaltungskörpers, die in wichtigen Fragen „gegen den Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen“ (§ 448 Abs 4 ASVG nF). Da diesbezüglich lediglich auf § 449 Abs 2 ASVG verwiesen wird, ist mit Potacs zu vermuten, dass dieses Einspruchsrecht nicht auf eine Grobprüfung in dem Sinne beschränkt werden soll, dass nur bei grober Unzweckmäßigkeit Einspruch erhoben werden darf. Auch hierdurch würde wiederum die Einschätzungsprärogative der Selbstverwaltungskörper in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eingeschränkt.* Bereits die gesetzliche Ausgestaltung dieses „Aufsichts-“Rechts ist damit aus verfassungsrechtlicher Sicht äußerst bedenklich. Hinzu kommt die für die Praxis bedeutsame aufschiebende Wirkung des Einspruchs, die gerade iZm dem Abschluss von Gesamtverträgen (dazu sogleich) zu prekären Situationen führen könnte, denn die Durchführung des Beschlusses ist nach dem Einspruch vorläufig aufzuschieben; der Vorsitzende hat die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Entscheidet diese über längere Zeit hinweg nicht, ist der Versicherungsträger, der der Aufsichtsbehörde als Träger von Rechten gegenübersteht, dazu berechtigt, gem § 452a ASVG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht der Aufsichtsbehörde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben.* Säumnisbeschwerde kann jedoch gem § 8 VwGVG erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Angesichts des somit doch für eine erhebliche Zeit drohenden vertragslosen Zustands ist zu vermuten, dass in der Praxis – auch zur Vermeidung eines langen Verwaltungsverfahrens – auf allenfalls von der Aufsichtsbehörde bereits vorab dargetane inhaltliche Anregungen in den Vertragsverhandlungen mit den Ärztekammern und sonstigen VertragspartnerInnen eingegangen werden wird. Dass hierdurch – praktisch über die Hintertür – intensiv Einfluss auf die Willensbildung des Selbstverwaltungsorgans genommen werden könnte, ist offensichtlich.

4.4.
Aufsichtsrecht und Satzungsautonomie

Durch das SV-OG wurden nicht nur die „wichtigen Fragen“, auf die sich die Zweckmäßigkeitsaufsicht erstrecken soll, präzisiert, vielmehr wurden auch in anderen Bereichen Aufsichtsrechte der BMASGK bzw des BMF eingefügt. Gerade die215 von der Bundesregierung postulierte „partizipative Selbstverwaltung“ entfaltet idZ ihr volles Gewicht, denn in den meisten Fällen gehen die Einflussnahmemöglichkeiten weit über kontrollierende und überwachende Aufsichtstätigkeiten hinaus. Dass diesbezüglich ein Spannungsverhältnis zur weisungsfreien Aufgabenbesorgung gem Art 120b Abs 1 S 1 B-VG besteht, ist offensichtlich.

Bedenklich ist vor allem die nunmehr gem § 456a Abs 4 ASVG nF bestehende Befugnis der BMASGK, Mustergeschäftsordnungen aufzustellen, die im Ergebnis dazu führt, dass hierdurch die Befugnis der Versicherungsträger, Geschäftsordnungen zu erlassen, inhaltlich stark eingeschränkt wird. Hinzu kommt, dass auch die auf der vom BMASGK erlassenen Mustergeschäftsordnung basierenden Geschäftsordnungen der Genehmigung durch das BMASGK bedürfen; diese ist zudem nur zu erteilen, wenn die Grundsätze der Mustergeschäftsordnung eingehalten werden (§ 456a Abs 2 ASVG nF). Schließlich haben die Geschäftsordnungen der Verwaltungsräte nach § 456a Abs 3 ASVG nF „Anhänge zu enthalten, in denen der Zeitpunkt und der Wortlaut ihrer Beschlüsse anzuführen sind, mit denen sie einzelne ihrer Obliegenheiten dem Obmann/der Obfrau oder die Besorgung bestimmter laufender Angelegenheiten, insbesondere jener nach § 432 Abs 1 Z 1 bis 4, dem Büro des Versicherungsträgers übertragen haben“. Einen solchen Anhang hat auch die Mustergeschäftsordnung der BMASGK zu enthalten.

In Bezug auf die weisungsfreie Aufgabenbesorgung und die bloß kontrollierende bzw überwachende Aufsicht ist idZ Folgendes zu bemerken: Bereits die Aufstellung von Mustergeschäftsordnungen durch die BMASGK gem § 456a Abs 4 ASVG nF ist aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch zu sehen, denn nach Art 120b Abs 1 S 1 B-VG haben die SozialversicherungsträgerInnen grundsätzlich das Recht, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen. Dies wird auch als Ausdruck „relativer Staatsunabhängigkeit“ gesehen.* Damit eng im Zusammenhang steht auch die Befugnis nach Art 120b Abs 1 S 1 B-VG, im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen. Ohne auf die zahlreichen verfassungsrechtlichen Teilprobleme idZ näher eingehen zu können, sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Satzungsbegriff nicht zur Gänze geklärt sein dürfte. Bei der Satzungsautonomie handelt es sich grundsätzlich um die Befugnis der Selbstverwaltungsorgane, die Rechtsverhältnisse der im Selbstverwaltungskörper zusammengefassten Personen nach eigenen Vorstellungen gestalten zu dürfen.* Diese Befugnis zur Erlassung von Satzungen zählt zum Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts.* Unter „Satzungen“ sind jedoch nicht nur als solche bezeichnete Rechtsakte zu verstehen, sondern grundsätzlich alle vom Selbstverwaltungskörper erlassenen generellen (hoheitlichen) Regelungen, die die Rechtsverhältnisse der Mitglieder untereinander oder im Verhältnis zum Selbstverwaltungskörper bzw dessen Organisation, Tätigkeitsbereiche und Finanzierung betreffen.* Als typische, durch Satzung zu regelnde Gegenstände sind etwa anerkannt: Finanz- und Umlagewesen (Beitrags-, Gebühren-, Haushalts- und Umlagenordnungen), Funktionärs- und Personalwesen (Dienst- und Pensionsordnungen, Aufwandsentschädigungen, Reisegebühren- und Diätenordnungen), aber auch die Organisation, etwa durch Geschäftsordnungen.* Sohin sollen durch Satzung auch Gegenstände geregelt werden können, die autonomer Rechtsgestaltung vorbehalten sind.*

In Bezug auf die Frage, inwiefern der Gesetzgeber den Rahmen für Satzungsregelungen determinieren darf, kann wiederum zweierlei festgehalten werden: Einerseits trifft den Gesetzgeber eine Determinierungspflicht, sodass er die Grundsätze des betreffenden Regelungsgegenstandes im Gesetz festlegen wird (in Bezug auf eine Umlage etwa deren Grundformen, Zweck, Höchstbetrag und Auszahlungsmodalitäten). Auf der anderen Seite darf diese Determinierung nicht zu intensiv erfolgen, sodass der Ausschluss jedweden Gestaltungsspielraums bzw eine zu intensive Einschränkung desselben als verfassungswidrig zu beurteilen ist.* Fehlt es an einer konkreten gesetzlichen Satzungsermächtigung, können diese – gestützt auf Art 120b Abs 1 S 1 B-VG – dennoch erlassen werden, vorausgesetzt, es existiert eine hinreichende inhaltliche Vorherbestimmung des Verordnungsinhalts.* Die Grenze der zulässigen Regelung des Rahmens ist allerdings abstrakt nicht bestimmbar, sondern unterliegt der nachfolgenden Prüfung durch den VfGH.*

Im Hinblick zu § 456a ASVG nF ist nun fraglich, inwiefern durch das Aufstellen von Mustergeschäftsordnungen, die zudem einen Anhang nach Abs 3 zu enthalten haben, in diese Satzungsautonomie eingegriffen wird. Erstens ist zu eruieren, ob es sich dabei überhaupt um eine Frage der Satzungsautonomie handelt, zweitens ist unklar, ob – jedenfalls bei bloßer Wortlautinterpretation – tatsächlich unzulässigerweise eingegriffen würde. Mit Potacs wird das Vorliegen einer Satzung iSd Art 120b Abs 1 S 1 B-VG wohl bejaht werden können, denn es handelt sich um Regelungen betreffend die Organisation des Sozialversicherungsträgers.*216

Probleme bereitet bereits der Wortlaut des § 456a Abs 3 und 4 iVm § 432 Abs 1 Z 1 bis 4 ASVG nF. Zwar hat die Mustergeschäftsordnung nach § 456a Abs 4 ASVG nF nur „einen Anhang nach Abs 3“ zu enthalten und sind in diesem (nur) „Zeitpunkt und Wortlaut ... der Beschlüsse anzuführen ..., mit denen (die Verwaltungsräte) ... die Besorgung bestimmter laufender Angelegenheiten, insbesondere solcher nach § 432 Abs 1 Z 1 bis 4 ASVG dem Büro des Versicherungsträgers übertragen haben“. Daraus könnte nun iZm § 432 Abs 1 Z 1 bis 4 ASVG nF geschlossen werden, dass danach ja gerade keine Verpflichtung zur Übertragung von Aufgaben an das Büro besteht, immerhin hat die Übertragung nur „tunlichst“ zu erfolgen.* Diese Neuregelung weicht zwar insofern vom bisherigen § 434 Abs 1 ASVG aF ab, als der Vorstand danach „die Besorgung bestimmter laufender Angelegenheiten dem Büro des Versicherungsträgers übertragen (kann)“. Grammatikalisch ist „tunlichst zu übertragen“, überdies iVm explizit aufgezählten Agenden, ein Plus gegenüber der bloßen Befugnis, bestimmte laufende Angelegenheiten zu übertragen. Vergleicht man die Situation am Papier mit jener in der Praxis, so zeigt sich jedoch, dass schon bisher von dieser Befugnis bzw Ermächtigung in der Praxis „reichlich Gebrauch gemacht* wurde. Auch wurde der bisherigen Regelung in § 456a ASVG aF attestiert, dass der gesetzliche Rahmen für Geschäftsordnungen der Verwaltungskörper hinsichtlich der Regeln über die Geschäftsführung „relativ weit“ sei.* Daraus könnte geschlossen werden, dass aus der bisherigen weitreichenden Übertragung der Befugnisse an das Büro jedenfalls die Zulässigkeit der Übertragung resultiert, mag diese auch „tunlichst“ zu erfolgen haben. Eine Verpflichtung besteht hingegen dem Wortlaut nach nicht.

Hinzu kommt, dass auch nach § 441f Abs 4 ASVG aF der Verbandsvorstand im Hauptverband „die Besorgung bestimmter laufender Angelegenheiten dem Verbandsmanagement (§ 441g) zu übertragen“ hatte. Es bestand daher sogar eine Verpflichtung zur Übertragung bestimmter, in der Praxis durch den Anhang zur Geschäftsordnung des Verbandsvorstandes,* bei der es sich nach der Diktion Eberhards wohl eindeutig um einen innenrechtlichen Akt* handelt, determinierten Angelegenheiten.* Dass dies bis dato als Verstoß gegen die Satzungsautonomie gewertet wurde, ist nicht ersichtlich, wiewohl nach der weiteren Definition des Satzungsbegriffs gerade auch Geschäftsordnungen darunter zu subsumieren sind.* Im Vergleich zur nunmehrigen Regelung lag hier jedoch eine gesetzliche Determinierung und kein de facto freies Ermessen eines Bundesministers vor.

In concreto stellt sich allerdings vor allem die Frage, wie das BMASGK die Genehmigungspraxis nach § 456 Abs 2 ASVG nF leben wird. Hinzu kommt, dass zwar nach dem Wortlaut des § 456a Abs 2 iVm Abs 4 ASVG nF noch hätte vermutet werden können, dass – sofern kein Beschluss nach § 432 Abs 1 ASVG vorliegt – die Geschäftsordnung auch keinen entsprechenden Anhang mit Zeitpunkt und Wortlaut der Beschlüsse enthalten wird und sohin nicht in die Satzungsautonomie eingegriffen wird. In der seit 1.4.2019 in Kraft befindlichen Mustergeschäftsordnung für den Verwaltungsrat* wird nun jedoch in der Tat festgelegt, welche Angelegenheiten gem § 432 Abs 1 ASVG nF an das Büro zu übertragen sind. Dies ist eindeutig dem Wortlaut der Mustergeschäftsordnung zu entnehmen, denn immerhin „sind“ gem § 1 Abs 2 „die Obliegenheiten und laufenden Angelegenheiten, die der Verwaltungsrat zur Erledigung übertragen hat, ... im Anhang zur Mustergeschäftsordnung festgehalten“. Zudem wird festgehalten, dass „dieser Anhang ... integrierender Bestandteil der Mustergeschäftsordnung (ist)“. Auch nach der Präambel zum Anhang „werden“ die sodann aufgeführten Obliegenheiten und laufenden Angelegenheiten der Geschäftsführung des Verwaltungsrates übertragen. Zwar kann der Verwaltungsrat jederzeit die delegierten Angelegenheiten wieder an sich ziehen; zudem könnte mit der Aufgabenübertragung iS einer effizienten Verwaltungsführung evtl sogar ein berechtigtes Interesse verfolgt werden. Der Eingriff ist aber dennoch als zu intensiv zu bewerten, denn die Satzungsautonomie wird hierdurch in hohem Maße eingeschränkt. Nimmt man die bisherigen Grenzen der Zweckmäßigkeitsaufsicht ernst – und nur um eine solche Aufsicht kann es sich handeln –, so hätte die BMASGK nur unter der Voraussetzung delegieren dürfen, dass die Nichtdelegation unzweckmäßig ist und es sich zudem um eine wichtige Frage handelt.

Weiteres denkbares Szenario ist, dass die Genehmigung der Geschäftsordnung nach § 456a Abs 2 ASVG nF nicht erteilt wird, solange darin keine Anhänge nach Abs 3 enthalten sind, mit denen tatsächlich Aufgaben an das Büro übertragen werden.* Damit ginge die Aufsicht jedoch wohl wieder über die – nach bisheriger hA existierenden – Grenzen der Zweckmäßigkeitsaufsicht hinaus, dies217 insb dann, wenn die Nichtübertragung nicht als grob unzweckmäßig zu beurteilen wäre, was in den meisten Fällen wohl zu verneinen wäre.*

Schließlich ist iZm der Übertragung nach § 432 Abs 1 ASVG nF noch kurz auf ein weiteres Problem aus Sicht der Selbstverwaltung hinzuweisen: Das Büro, an das „tunlichst“ Aufgaben übertragen werden sollen, ist kein demokratisch legitimiertes Organ, sodass Probleme iZm Art 120c Abs 1 B-VG zu bejahen sein könnten. Geht man mit Eberhard davon aus, dass die Organe, denen „wichtige Aufgaben“ überantwortet werden, auch einer demokratischen Legitimation bedürfen, so müsste jedenfalls bei Erlassung von Verordnungen „das Schwergewicht an operativen Kompetenzen bei den demokratisch legitimierten Organen liegen“.* Auch der VfGH hat im ersten Hauptverbandserkenntnis festgehalten, dass „(jedenfalls) die mit entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen betrauten Organe des Selbstverwaltungskörpers (die leitenden Organe...) von diesem ‚autonom‘ ..., dh. aus der Mitte seiner Angehörigen, zu bestellen (sind), um demokratisch legitimiert zu sein (...)“.* Dies wird durch die Mustergeschäftsordnung der BMASGK für den Verwaltungsrat konterkariert, denn danach sind etwa laufende Verwaltungsgeschäfte im Wert von bis zu € 216.000,–, Angelegenheiten des Vertragspartnerrechts, wenn sie nicht den Landesstellenausschüssen zugewiesen sind* – nur die Genehmigung hat jedenfalls beim Verwaltungsrat zu verbleiben – oder aber etwa das Veranlagungs- und Liquiditätsmanagement an das Büro zu delegieren. Zusammen mit allen anderen zu übertragenden Angelegenheiten dürfte es sich dabei wohl um das Schwergewicht an operativen Kompetenzen handeln, sodass den Grundsätzen der demokratischen Binnenstruktur wohl nicht mehr entsprochen wird.

5.
Eignungstest VersicherungsvertreterInnen

Die Verwaltungskörper der VersicherungsträgerInnen, dh der Verwaltungsrat, die Hauptversammlung und die Landesstellenausschüsse am Sitz der Landesstellen bestehen gem § 420 Abs 1 ASVG nF aus VersicherungsvertreterInnen. Dies ist an sich kein Novum; neu ist allerdings, dass diese einen Eignungstest erfolgreich absolvieren müssen, um als fachlich geeignet zu gelten: Gem § 420 Abs 6 Z 5 ASVG nF sind solche Personen von der Entsendung in das Amt des Versicherungsvertreters ausgeschlossen, die ihre fachliche Eignung „nicht durch den Besuch einer regelmäßig vom Dachverband durchzuführenden Informationsveranstaltung für angehende Versicherungsvertreter/innen samt erfolgreich absolviertem Eignungstest“ nachweisen. Diese aus Sachlichkeitserwägungen grundsätzlich valide Argumentation* wird jedoch durch den Gesetzgeber selbst konterkariert, denn nach den Übergangsvorschriften reicht es aus, dass der Nachweis der fachlichen Eignung bis spätestens 31.12.2021 erbracht wird (§ 718 Abs 7a ASVG nF). Es ist zwar davon auszugehen, dass die VersicherungsvertreterInnen auch bisher fachlich geeignet waren, allerdings lassen die Übergangsbestimmungen den Schluss zu, dass der Gesetzgeber auf die tatsächliche Überprüfung offensichtlich doch keinen so großen Wert legt.*

Hinzu kommt, dass – mit Rudolf Müller – im Ergebnis dennoch von einem Verstoß gegen das Prinzip der demokratischen Grundsätze, die bei der indirekten Wahl bzw Entsendung aus dem „Kreis der versicherten Personen“ (richtig: aus dem Kreis der Mitglieder iSd Art 120c Abs 1 B-VG, dh der Personen, die nach Art 120a Abs 1 B-VG zum Selbstverwaltungskörper zusammengefasst werden, sohin aus dem Kreis der DG und der DN) zu beachten sind, auszugehen ist.* Nimmt man das Demokratieprinzip ernst, so kann wie bei allgemeinen Wahlen die Eignung – abgesehen von persönlichen Voraussetzungen wie etwa Mindestalter oder Unbescholtenheit – nur von den Entsendungsberechtigten beurteilt werden. Eine wie nunmehr vorgesehen externe Evaluierung widerspricht sohin Grundsätzen einer demokratischen Wahl.*

Mit Potacs ist der neu eingeführte Eignungstest auch deshalb als problematisch anzusehen, da durch die Bestellung der Kommission, die den Test durchführt, durch die BMASGK im Einvernehmen mit dem BMF der autonome Vollzug von Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs durch Organe der Selbstverwaltung verletzt wird. Verstoßen wird dabei nach Potacs insb auch gegen die demokratische Legitimation als einen „Kerngedanken der Selbstverwaltung“: Da der Vollzug der die demokratische Legitimation von Selbstverwaltungskörpern sicherstellenden Regelungen auch durch Organe der Selbstverwaltung zu erfolgen hat, sei die Regelung in § 420 Abs 7 ASVG nF, wonach die Kommissionsmitglieder durch die BMASGK zusammen mit dem BMF bestellt würden, „jedenfalls als verfassungswidrig zu qualifizieren“.*

Dem gibt es kaum etwas hinzuzufügen; zu betonen ist die stRsp des VfGH, die bei Interpretation der „demokratischen Grundsätze“ des Art 120c Abs 1 B-VG heranzuziehen ist, wonach „die mit entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen“ betrauten Organe eines Selbstverwaltungskörpers von diesem „autonom“ zu bestellen sind. Diese Autonomie betrifft nicht nur die Bestellung aus der Mitte der Angehörigen;* sie folgt auch aus weiteren, in Umsetzung des Demokratieprinzips vorgesehenen Wahlgrundsätzen des B-VG, die218 zumindest eine gewisse „Vorbildfunktion“ haben, weil die demokratische Bestellung von Selbstverwaltungsorganen „einem Kerngedanken der Selbstverwaltung“ entspricht.*Korinek etwa spricht sich dafür aus, jedenfalls das allgemeine Wahlrecht als wesentliches Element anzusehen, das auch iZm der Wahl/Bestellung von Selbstverwaltungsorganen zu beachten ist.* Dieses kann zwar bei sachlicher Rechtfertigung – man denke an die Vorschriften zum passiven Wahlalter – eingeschränkt werden, allerdings wohl nicht derart, das nur eine bestimmte Personengruppe künftig zu VersicherungsvertreterInnen bestellt werden kann. Einmal mehr ist auf das Hauptverbandserkenntnis VfGHG 222/02 ua VfSlg 17.023 hinzuweisen, wonach „dem Selbstverwaltungsbegriff die Befugnis zur Bestellung der eigenen Organe aus der Mitte* der Verbandsangehörigen verfassungsrechtlich innewohnt“.

6.
Résumé

Bereits die Analyse einiger weniger ausgewählter Teilaspekte des SV-OG im Lichte des verfassungsrechtlichen Verständnisses von nichtterritorialer Selbstverwaltung hat gezeigt, dass an vielen Stellen Klarstellungsbedarf besteht. Inwiefern die verfassungsrechtlichen Bedenken sich bewahrheiten, werden die Erkenntnisse des VfGH zeigen. Während der Spielraum des Gesetzgebers in manchen Bereichen relativ groß ist und daher etwa iZm der Frage der Parität nicht notwendigerweise mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit gerechnet werden muss, dürften die weitreichenden Einflussmöglichkeiten der „Aufsicht“ die Selbstverwaltung sehr wohl in ihren Kernbereichen erschüttern. Zusammengefasst kann zu den dargestellten Teilbereichen des SV-OG wie folgt resümiert werden:

Die „Funktionsperspektive“, die danach fragt, welche öffentlichen Aufgaben dem jeweiligen Sozialversicherungsträger überantwortet sind, führt im Ergebnis dazu, dass bei der ÖGK bei der Besetzung der Organe nicht die zahlenmäßige „Überlegenheit“ der DN oder Fragen der Beitragsleistung ausschlaggebend sind.* Zweierlei kann aus dem Demokratiegebot und dem Repräsentativelement abgeleitet werden: Einerseits ist eine Vertretung aller im Selbstverwaltungskörper zusammengefassten Personen zwingend; da auch die DG in der ÖGK zusammengefasst werden, sind diese daher jedenfalls auch zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite resultiert allein aus dem Repräsentativelement keine Verpflichtung zu einer genauen zahlenmäßigen Vertretung einzelner Untergruppen nach ihrer tatsächlichen Zahl.* Mit Blick auf eine interessengerechte Zusammensetzung der Selbstverwaltungskörper lässt sich im Lichte einer Legitimation-Aufgaben-Relation daher auch die nunmehr durch das SV-OG erfolgte Veränderung hin zu einer Hälfte-Parität sachlich rechtfertigen; dass der Gesetzgeber hier auch rechtspolitische Vorstellungen umsetzen kann, resultiert etwa aus dem UOG-Erk des VfGH.

Hinsichtlich der Aufsichtsbefugnisse nach dem SV-OG ist festzuhalten, dass diese großteils über die im Korinek‘schen Sinne bloß überwachende und kontrollierende Aufsicht hinausgehen; die Aufsicht wird in weiten Bereichen vielmehr zur Verwaltungsführung. Mag dies zwar nach den Materialien im Lichte einer Entwicklung hin zu einer „partizipativen Selbstverwaltung“ gewünscht sein, so muss konstatiert werden, dass der Verfassungsbogen eine solche Form der Verwaltung nicht vorsieht: Entweder Aufgaben werden in Selbstverwaltung mit dem Kerngedanken der weitgehend weisungsfreien und selbständigen Verwaltungsführung besorgt oder aber in staatlicher Verwaltung inklusive Weisungsbindungen. Abgesehen von bestimmten Sonderkonstellationen – man denke an das Arbeitsmarktservice – bzw abgesehen von der Möglichkeit der Privatisierung ist für eine „Weiterentwicklung“ der Selbstverwaltung unter dem derzeitigen Verfassungsbogen kein Platz. Unzulässig im Hinblick auf die Autonomie der Sozialversicherungsträger ist auch der Eignungstest bzw dessen Ausgestaltung durch die Aufsichtsbehörde.

Abgesehen von diesen verfassungsrechtlichen Bedenken spricht gegen eine zu starke Einflussnahme des Staates durch verstärkte Aufsichtsrechte bzw Mitsprachemöglichkeiten des Staates schließlich der Grundgedanke der sozialen Selbstverwaltung: Dabei werden drei Interessenbereiche – Staat-Wirtschaft-Betroffene – zueinander in Beziehung gesetzt. Träger dieser Selbstverwaltung ist aber nicht der Staat, sondern sind dies vielmehr die DG- und DN-VertreterInnen und sohin die PartnerInnen des Arbeitslebens; maW: die SozialpartnerInnen. Deren Interessen an der Prosperität des Unternehmens sowie an einem den Lebensunterhalt sichernden Einkommen sind nicht immer deckungsgleich mit jenen der politischen RepräsentantInnen, die – vor allem je nach Wahlergebnis – einmal (relativ) beständig sind, einmal einem politischen Veränderungswillen unterliegen. Die Interessen der DG und der DN sind hingegen in aller Regel kontinuierlicher von einer gewissen Beständigkeit geprägt und weitgehend unabhängig von Legislaturperioden oder gesellschaftspolitischen Vorstellungen. Dies spiegelt sich etwa im erwähnten § 133 Abs 2 ASVG wider.* Diese Unabhängigkeit vom politischen Willen sowie die Administration im Rahmen der Selbstverwaltung durch die PartnerInnen des Arbeitslebens wurde auch als einer der großen Vorteile des österreichischen Gesundheitswesens im Zuge der LSE-Studie hervorgehoben,* allerdings auch im Lichte der Gewaltenteilung bereits von Korinek vor über 20 Jahren als positiv hervorgehoben: Durch eine vom Staat weitgehend unabhängige Selbstverwaltung wird auch die Staatsmacht begrenzt und Machtmissbrauch gehemmt. Hierdurch wird im Ergebnis die Freiheit der Gesellschaft und des Einzelnen gesichert.* Unter diesen Aspekten muss jeder dahingehende Eingriff in das System der funktionalen Selbstverwaltung überaus kritisch gesehen werden.219