19Zahlung einer Sicherheitsleistung durch den Dienstleistungsempfänger nach dem AVRAG
Zahlung einer Sicherheitsleistung durch den Dienstleistungsempfänger nach dem AVRAG
Die DienstleistungsRL berührt nach ihrem Art 1 Abs 6 nicht das „Arbeitsrecht“. Der Begriff des Arbeitsrechts ist in diesem Zusammenhang weit zu verstehen und unterscheidet nicht zwischen Vorschriften des materiellen Arbeitsrechts und Vorschriften, die die Maßnahmen zur Durchsetzung des materiellen Arbeitsrechts regeln oder die die Wirksamkeit von Sanktionen im Fall seiner Nichtbeachtung gewährleisten sollen.
Die Sicherheitsleistung nach § 7m AVRAG beschränkt die EU-Dienstleistungsfreiheit und ist unverhältnismäßig, da sie erlassen wird, bevor die zuständige Behörde eine Verwaltungsübertretung festgestellt hat, der Dienstleistungserbringer nicht die Möglichkeit hat, vor dem Erlass der betreffenden Maßnahmen Stellung zu nehmen und die zuständigen Behörden die Höhe der Sicherheitsleistung festlegen können, ohne etwaige Baumängel oder andere Vertragsverstöße des Dienstleistungserbringers bei der Erfüllung des Werkvertrages zu berücksichtigen.
Ausgangsverfahren
8 Čepelnik ist eine in Slowenien ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
9 Sie schloss mit Herrn Vavti einen Werkvertrag über die Durchführung von Bauarbeiten in seinem Haus in Österreich. Der Auftragswert belief sich auf 12.200 €.
10 Die Parteien vereinbarten eine Anzahlung in Höhe von 7.000 €, die von Herrn Vavti geleistet wurde.
11 Am 16.3.2016 führte die Finanzpolizei/Financna poličija (Österreich) (im Folgenden: Finanzpolizei) auf der Baustelle eine Kontrolle durch. Dabei stellte sie fest, dass Čepelnik die Beschäftigung von zwei auf die Baustelle entsandten AN nicht der zuständigen nationalen Stelle gemeldet habe (Verstoß gegen § 7b Abs 8 Nr 1 iVm § 7b Abs 3 AVRAG) und die Lohnunterlagen für vier entsandte AN nicht in deutscher Sprache bereitgehalten habe (Verstoß gegen § 7i Abs 4 Nr 1 iVm § 7d Abs 1 Sätze 1 und 2 AVRAG).
12 Aufgrund dieser Feststellungen trug die Finanzpolizei Herrn Vavti auf, die Zahlungen für die Arbeiten zu stoppen. Außerdem beantragte sie bei der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt/Okrajno glavarstvo Velikovec (Österreich) (im Folgenden: Bezirksverwaltungsbehörde), Herrn Vavti die Zahlung einer Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns (5.200 €) aufzutragen.
13 Am 17.3.2016 gab die Bezirksverwaltungsbehörde dem Antrag statt und trug Herrn Vavti die Zahlung von 5.200 € als Sicherheit für eine möglicherweise in einem späteren Verfahren gegen Čepelnik zu verhängende Geldstrafe auf. Herr Vavti brachte gegen den Bescheid keine Beschwerde ein und zahlte die Sicherheitsleistung am 20.4.2016.
14 Mit Straferkenntnissen vom 11. und 12.10.2016 wurden gegen Čepelnik wegen der beiden Verwaltungsübertretungen, die ihr von der Finanzpolizei bei der Kontrolle vom 16.3.2016 vorgeworfen worden waren, Geldstrafen in Höhe von 1.000 € und von 8.000 € verhängt. Am 2.11.2016 brachte Čepelnik Beschwerde dagegen ein, über die bei Erlass des Vorlagebeschlusses noch nicht entschieden war.
15 Nach Beendigung der Arbeiten verlangte Čepelnik von Herrn Vavti die Zahlung eines Betrags von 5.000 €. Da Herr Vavti diesen Betrag nicht zahlte, erhob Čepelnik beim vorlegenden Gericht Klage.
16 Herr Vavti macht vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass er Čepelnik den Betrag von 5.000 € nicht mehr schulde, nachdem er eine Sicherheitsleistung von 5.200 € an die Bezirksverwaltungsbehörde gezahlt habe. Nach der einschlägigen österreichischen Regelung habe die Zahlung dieser Sicherheitsleistung nämlich schuldbefreiende Wirkung.
Zu den Vorlagefragen
26 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art 56 AEUV und die RL 2014/67 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats, wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, entgegenstehen, wonach die zuständigen Behörden einem inländischen Auftraggeber auferlegen können, die Zahlungen an seinen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertragspartner zu stoppen und sogar eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen, um die Zahlung einer Geldbuße zu sichern, die gegen den Vertragspartner im Fall der Feststellung eines Verstoßes gegen das Arbeitsrecht des ersteren Mitgliedstaats verhängt werden könnte.
27 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich entsprechend den Ausführungen des Generalanwalts in Nr 41 seiner Schlussanträge den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen entnehmen lässt, dass die RL 2014/67, deren Umsetzungsfrist nach ihrem Art 23 am 18.6.2016 abgelaufen ist, mit einem im Juni 2016 erlassenen und am 1.1.2017 in Kraft getretenen Gesetz in österreichisches Recht umgesetzt worden ist. Da sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens im März 2016 ereignet hat, ist die RL 2014/67 auf ihn nicht anwendbar, und die Vorlagefragen sind nicht zu beantworten, soweit sie auf diese Richtlinie Bezug nehmen (vgl entsprechend Urteil vom 3.12.2014, De Clercq ua, C-315/13, EU:C:2014:2408, Rn 49 bis 51).
28 Außerdem haben mehrere Beteiligte, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, geltend gemacht, dass der Gerichtshof seine Antwort auf die Vorlagefragen auch auf die RL 2006/123 stützen müsse.227
29 Hierzu ist festzustellen, dass diese Richtlinie nach ihrem Art 1 Abs 6 „nicht das Arbeitsrecht [berührt]“.
30 Nach dieser Bestimmung bezeichnet der Begriff „Arbeitsrecht“ iSd RL 2006/123 gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen über Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, einschließlich des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz und über die Beziehungen zwischen AG und AN, die von den Mitgliedstaaten gemäß nationalem Recht unter Wahrung des Unionsrechts angewandt werden.
31 Art 1 Abs 6 der RL 2006/123 enthält somit im Licht ihres 14. Erwägungsgrundes eine weite Definition des Begriffs „Arbeitsrecht“.
32 Diese Bestimmung unterscheidet nicht zwischen Vorschriften des materiellen Arbeitsrechts und Vorschriften, die die Maßnahmen zur Durchsetzung des materiellen Arbeitsrechts regeln oder die die Wirksamkeit von Sanktionen im Fall seiner Nichtbeachtung gewährleisten sollen.
33 Weiter ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber mit der RL 2006/123 nach ihrem siebten Erwägungsgrund ein Gleichgewicht zwischen dem Ziel, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern und der Dienstleistungsfreiheit zu beseitigen, und dem Erfordernis wahren wollte, ein hohes Niveau des Schutzes von im Allgemeininteresse liegenden Zielen, insb der Einhaltung des Arbeitsrechts, sicherzustellen (vgl entsprechend Urteil vom 11.7.2013, Femarbel, C-57/12, EU:C:2013:517, Rn 39).
34 Enthält eine nationale Regelung, wie die im Ausgangsverfahren fragliche, abschreckende Maßnahmen zur Durchsetzung von materiellem Arbeitsrecht sowie Vorschriften zur Gewährleistung der Wirksamkeit von Sanktionen im Fall seiner Nichtbeachtung, trägt dies zu einem hohen Niveau des Schutzes des im Allgemeininteresse liegenden Ziels der Einhaltung des Arbeitsrechts bei.
35 Eine solche nationale Regelung wird somit vom Begriff „Arbeitsrecht“ iS von Art 1 Abs 6 der RL 2006/123 erfasst.
36 Folglich ist die RL 2006/123 auf Maßnahmen, wie sie in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung vorgesehen sind, nicht anwendbar. Nach Art 1 Abs 6 der Richtlinie erübrigt sich damit aber nicht die Prüfung der Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit dem Unionsrecht, insb mit dem in den Fragen des vorlegenden Gerichts angeführten Art 56 AEUV.
Zur Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
37 Nach stRsp des Gerichtshofs sind alle Maßnahmen, die die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen, als Beschränkungen dieser Freiheit zu verstehen (Urteil vom 4.5.2017, Vanderborght, C-339/15, EU:C:2017:335, Rn 61 und die dort angeführte Rsp).
38 Ferner verleiht nach stRsp Art 56 AEUV nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch ihrem Empfänger Rechte (Urteile vom 18.10.2012, X, C-498/10, EU:C:2012:635, Rn 23, sowie vom 3.12.2014, De Clercq ua, C-315/13, EU:C:2014:2408, Rn 52).
39 Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach ein Auftraggeber die Zahlungen an seinen Vertragspartner zu stoppen und eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen hat, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Dienstleistungserbringer eine Verwaltungsübertretung in Bezug auf nationales Arbeitsrecht begangen hat, können sowohl Auftraggeber aus dem betreffenden Mitgliedstaat davon abhalten, in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleistungserbringer heranzuziehen, als auch diese davon abhalten, den genannten Auftraggebern ihre Dienste anzubieten.
40 Wie der Generalanwalt in den Nrn 37 und 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann nämlich durch solche Maßnahmen zum einen der Zeitpunkt, zu dem der betreffende Dienstleistungsempfänger den noch ausstehenden Werklohn zu zahlen hat, vorverlegt und dem Dienstleistungsempfänger damit die Möglichkeit genommen werden, wie in der einschlägigen nationalen Regelung üblicherweise vorgesehen, einen Teil dieses Betrags als Ausgleich für eine mangelhafte oder verspätete Fertigstellung des Werks zurückzubehalten. Zum anderen verlieren in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleistungserbringer durch diese Maßnahmen das Recht, von ihren österreichischen Kunden die Zahlung des noch ausstehenden Werklohns zu verlangen, und sind damit dem Risiko von Zahlungsverzögerungen ausgesetzt. [...]
44 Der soziale Schutz der AN sowie die Bekämpfung von Betrug, insb Sozialbetrug, und die Verhinderung von Missbräuchen sind Ziele, die zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehören, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können (vgl in diesem Sinne Urteile vom 19.12.2012, Kommission/Belgien, C-577/10, EU:C:2012:814, Rn 45, sowie vom 3.12.2014, De Clercq ua, C-315/13, EU:C:2014:2408, Rn 65 und die dort angeführte Rsp).
45 Maßnahmen, wie sie in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung vorgesehen sind, die ua die Wirksamkeit möglicher Sanktionen gegen einen Dienstleistungserbringer im Fall eines Verstoßes gegen arbeitsrechtliche Vorschriften sicherstellen sollen, können als geeignet angesehen werden, die Erreichung derartiger Ziele zu gewährleisten.
46 [...] Zur Frage, ob eine solche Regelung im Hinblick auf die genannten Ziele verhältnismäßig ist, ist erstens festzustellen, dass die zuständigen Behörden dem Auftraggeber nach dieser Regelung auferlegen können, seine Zahlungen an den Dienstleistungserbringer zu stoppen und eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen, wenn der „begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung“ in Bezug auf nationales Arbeitsrecht vorliegt. Nach dieser Regelung dürfen derartige Maßnahmen somit erlassen werden, noch bevor die zuständige Behörde eine Verwaltungsübertretung festgestellt hat, die auf einen Betrug, insb einen Sozialbetrug, einen Missbrauch oder eine den Schutz der AN beeinträchtigende Praktik hinweisen würde.
47 Zweitens hat der Dienstleistungserbringer, gegen den der begründete Verdacht besteht, nach228 dieser Regelung nicht die Möglichkeit, vor dem Erlass der betreffenden Maßnahmen Stellung zu dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt zu nehmen.
48 Drittens entspricht die Höhe der Sicherheitsleistung, die dem betreffenden Dienstleistungsempfänger auferlegt werden kann, nach der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung der Höhe des bei Erlass dieser Maßnahme noch ausstehenden Werklohns. Da die zuständigen Behörden die Höhe der Sicherheitsleistung somit festlegen können, ohne etwaige Baumängel oder andere Vertragsverstöße des Dienstleistungserbringers bei der Erfüllung des Werkvertrags zu berücksichtigen, könnte die Sicherheitsleistung gegebenenfalls erheblich über dem Betrag liegen, den der Auftraggeber an und für sich nach Beendigung der Arbeiten zahlen müsste.
49 Aus jedem der in den vorstehenden drei Randnummern dargelegten Gründe geht eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche über das hinaus, was zur Erreichung der Ziele des AN-Schutzes sowie der Bekämpfung von Betrug, insb Sozialbetrug, und der Verhinderung von Missbräuchen erforderlich ist.
Im Zentrum der gegenständlichen E steht die Sicherheitsleistung nach § 7m AVRAG. Diese nach dem Vorbild des § 37 VStG geschaffene Bestimmung war bereits als § 7k AVRAG Teil des mit 1.5.2011 in Kraft getretenen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG). Mit dem Arbeits- und Sozialrechtsänderungsgesetz 2014 (ASRÄG, BGBl I 2014/94) erfolgte dann eine Neufassung und insb eine Erweiterung um den Zahlungsstopp. In der aktuellen Fassung finden sich Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung in § 34 LSD-BG (Näheres zu Entwicklung und Zweck der Sicherheitsleistung Wiesinger, Dienstleistungsfreiheit und Lohn- und Sozialdumping, ASoK 2019, 12 f).
Die Bedeutung der Sicherheitsleistung im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Lohndumping ist groß. Etwa zwei Drittel der Strafen werden gegen ausländische AG verhängt. Eine Möglichkeit, diese Strafen auch sanktionieren zu können, ist essentiell. Die DurchsetzungsRL (RL 2014/67/EU) hat die rechtlichen Grundlagen für die grenzüberscheitende Vollstreckung von Verwaltungsstrafen iZm Verstößen gegen Lohndumping geschaffen und die Behörden des Niederlassungsstaates des AG müssten entsprechenden Ersuchen von Behörden des Empfangsstaates nachkommen. Die ersten Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies in der Praxis unzureichend funktioniert. Sollte eine grenzüberschreitende Vollstreckung tatsächlich möglich sein, dann wären die rechtlichen Voraussetzungen für Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung idR nicht mehr gegeben. Diese setzen nämlich voraus, dass im Einzelfall auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, „dass die Strafverfolgung oder der Strafvollzug aus Gründen, die in der Person des Arbeitgebers (Auftragnehmers) oder in der Person des Überlassers liegen, unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird
“. Ob es sich bei dem Verdächtigen um einen ausländischen Staatsbürger handelt oder nicht, ist nicht unmittelbar von Relevanz. So wäre die Tatbestandsvoraussetzung nicht mehr gegeben, wenn die verdächtige Person im Inland weder Wohnort noch gewöhnlichen Aufenthalt hätte, aber eine grenzüberschreitende Vollstreckung tatsächlich „nicht wesentlich erschwert“ möglich wäre (Näheres dazu etwa Lindmayr in F. Schrank/V. Schrank/Lindmayr, Lohn- und Sozial dumping-Bekämpfungsgesetz § 34 LSD-BG Rn 4-6). Umgekehrt wäre die Tatbestandsvoraussetzung gegeben, wenn die verdächtige Person ein österreichischer Staatsbürger mit Wohnort im Inland wäre, aber auf Grund völliger Mittellosigkeit ohne die Erwartung einer Änderung dieser Situation in absehbarer Zeit, eine Vollstreckung unmöglich oder wesentlich erschwert wäre.
Das Verfahren bei Verhängung von Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung läuft – leicht vereinfacht – wie folgt ab: Nachdem die Kontrollorgane einen begründeten Verdacht einer einschlägigen Verwaltungsübertretung feststellen, prüfen sie, ob die Strafverfolgung oder der Strafvollzug aus in der Person des AG (Auftragnehmers) oder Überlassers liegenden Gründen unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird. Konnte weiters eine vorläufige Sicherheitsleistung gegen den AG (Auftragnehmer) bzw Überlasser oder den Beauftragten bzw die Ansprechperson nicht festgesetzt oder nicht eingehoben werden, dann können die Organe der Abgabenbehörden sowie die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) einen Zahlungsstopp verhängen. Durch den Zahlungsstopp wird dem Auftraggeber bzw bei einer Überlassung dem Beschäftiger aufgetragen, den noch zu leistenden Werklohn oder das noch zu leistende Überlassungsentgelt oder Teile davon nicht zu zahlen. Nach der Verhängung des Zahlungsstopps haben die Abgabenorgane bzw die BUAK binnen drei Arbeitstagen bei der Bezirksverwaltungsbehörde (BVB) die Erlegung einer Sicherheitsleistung zu beantragen. Die BVB hat in Folge ein Verfahren einzuleiten, im Rahmen dessen Parteiengehör zu gewähren, die erforderlichen Erhebungen durchzuführen und entweder das Verfahren einzustellen oder mit Bescheid abzuschließen. Wird dem Antrag stattgegeben, der Bescheid rechtskräftig und erfolgt die Überweisung durch den Auftraggeber bzw Beschäftiger, so wirkt diese gegenüber dem Auftragnehmer bzw Überlasser im Ausmaß der Überweisung schuldbefreiend. Wie mit der Sicherheit weiter vorzugehen ist, hängt grundsätzlich vom weiteren Verlauf des Verwaltungsstrafverfahrens (Hauptverfahren) ab. Sobald sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers bzw Überlassers oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist, ist die Sicherheit für verfallen zu erklären. Sie ist für frei zu erklären und an den Auftraggeber bzw den Beschäftiger auszuzahlen, wenn das Hauptverfahren eingestellt wird, die Strafe vollzogen wird oder nicht binnen einer bestimmten Frist (ein bzw zwei Jahre) der Verfall229 ausgesprochen wird. Die Sicherheit ist weiters auch dann für frei zu erklären, wenn der Auftragnehmer bzw Überlasser selbst die Sicherheit erlegt.
Der EuGH führt in seiner E zwei Gründe an, warum Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen. Zum einen wäre dem Dienstleistungsempfänger die Möglichkeit genommen, einen Teil des Werklohns als Ausgleich für eine mangelhafte oder verspätete Fertigstellung des Werks zurückzubehalten. Zum anderen ist der Dienstleistungserbringer dem Risiko einer Zahlungsverzögerung ausgesetzt. Letzteres trifft zu, denn selbst wenn die Sicherheitsleistung für frei erklärt wird, wird es idR zu einer Zahlungsverzögerung kommen. Ersteres trifft jedoch nicht zu. Dem Dienstleistungsempfänger wird durch die Sicherheitsleistung nicht die Möglichkeit genommen, privatrechtliche Einwände gegen die vertraglich geschuldete Zahlung vorzubringen. So hat der VfGH Ende 2016 kurz vor dem Vorabentscheidungsersuchen festgestellt, dass dem Auftraggeber „keine Zahlungsverpflichtung auferlegt wird, die sich gegenüber dem Auftragnehmer nicht bereits aus dem Zivilrecht ergibt
“. Es geht „immer nur um jenen Werklohn (oder um Teile desselben), den der Auftraggeber tatsächlich bereits schuldet. Es gibt weder im Gesetz noch in den Materialien einen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber dem Auftraggeber jeglichen Schutz habe entziehen wollen, den ihm das Werkvertragsrecht gegenüber dem Auftragnehmer bietet
“ (VfGH 13.12.2016, G 283/2016 ua). In diesem Sinne auch die E des VwGH vom April 2017 wonach Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung nicht verhindern, dass der Auftraggeber etwa in Ausübung zivilrechtlicher Gestaltungsrechte wegen bestehender Mängel oder wegen Verzugs Wandlung bzw Rücktritt erklärt, Preisminderungsansprüche geltend macht oder den Vertrag wegen Irrtums oder Täuschung anficht (VwGH 27.4.2017, Ra 2016/11/0123; siehe weiters VwGH 11.4.2018, Ro 2017/11/0012). Dem Urteil des EuGH lag also eine falsche Rechtslage zu Grunde. Das vorlegende Gericht hat entgegen der Judikatur der österreichischen Höchstgerichte § 7m AVRAG offenbar so interpretiert, dass die Sicherheitsleistung auch dann verhängt werden kann, wenn der Werklohn noch nicht fällig ist sowie ohne Rücksicht auf Gegenforderungen oder Zurückbehaltungsrechten. Das Gericht ist beim Vorabentscheidungsersuchen von dieser Rechtslage ausgegangen. Der EuGH hingegen ist im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nicht für die Auslegung innerstaatlichen Rechts zuständig (Schwarze in Schwarze [Hrsg], EU-Kommentar4 [2019] Art 267 AEUV Rn 4, 15 und 18 mwN) und konnte daher die Vorlagefragen ohne Prüfung der nationalen Rechtslage beantworten.
Der EuGH erachtete Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung als Maßnahmen, die in Anbetracht der Ziele, Schutz der AN, Bekämpfung von Betrug, insb Sozialbetrug und Verhinderung von Missbräuchen, die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können. Sie sind auch geeignet, jedoch aus drei Gründen nicht verhältnismäßig, wobei laut Gerichtshof jeder der drei Gründe über das hinaus geht, was zur Erreichung der genannten Ziele erforderlich ist. Als einer dieser drei Gründe wird angeführt, dass die Behörden die Sicherheitsleistung festlegen können, ohne etwaige Baumängel oder andere Vertragsverstöße des Dienstleistungserbringers bei der Erfüllung des Werkvertrages zu berücksichtigen. Dabei ist, wie bereits oben erörtert, der EuGH von einer falschen Rechtslage ausgegangen. Auch dem zweiten genannten Grund, nämlich die mangelnde Parteistellung des Dienstleistungserbringers, liegt eine falsche Rechtslage zugrunde. Der Auftragnehmer hat ein rechtliches Interesse, „dass er nur solche Vorschreibungen einer Sicherheitsleistung hinnehmen muss, die ihn nicht – im Wege der schuldbefreienden Wirkung der Überweisung der Sicherheitsleistung – rechtswidrig im Bestand seiner Forderung gegenüber dem Auftraggeber belastet
“. Er nimmt daher gem § 24 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) iVm § 8 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) am Verfahren kraft eigenen Interesses als Partei teil (VwGH 11.4.2018, Ro 2017/11/0012; VwGH 17.10.2018, Ra 2018/11/0181; LVwG Steiermark 4.7.2016, 41.22-968/2016). Auf Grund welcher Interpretationsmethode das vorlegende Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Dienstleistungserbringer im Verfahren über den Zahlungsstopp und die Sicherheitsleistung keine Parteistellung hat, wurde im Verfahren nicht offengelegt. Möglicherweise wurde unzulässigerweise vom „Sein“ (im konkreten Verfahren wurde dem Dienstleistungserbringer keine Parteistellung gewährt) auf das „Sollen“ (folglich hat der Dienstleistungserbringer keine Parteistellung) geschlossen.
Als dritter Grund für die Unverhältnismäßigkeit wird angeführt, dass Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung erlassen werden, bevor die zuständige Behörde eine Verwaltungsübertretung festgestellt hat. Dies ist insofern überraschend, als der Gerichtshof in der Vergangenheit die Absicherung einer Zahlung durch die vorherige Stellung einer Sicherheit ausdrücklich als geeignete und verhältnismäßige Maßnahme angeführt hat (EuGH7.5.1998, C-350/96, Clean Car , Slg 1998, I-2561, Rn 36). Auch lässt der EuGH die Frage, die sich jeden Rechtskundigen mit etwas Lebenserfahrung aufdrängt, unbeantwortet. Nämlich die Frage, wie eine Sicherheitsleistung und insb ein Zahlungsstopp wirksam sein kann, wenn vorher ein förmliches Ermittlungsverfahren erfolgen soll. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, welche andere, weniger einschneidende, aber dennoch wirksame Maßnahme zur Verfügung steht. Die Antwort auf diese Frage wäre jedoch für die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit wesentlich.
Die Problematik für den nationalen Gesetzgeber besteht nun, dass er nicht nur politisch, sondern auch europarechtlich gefordert ist, wirksame Maßnahmen gegen Lohndumping zu setzen. Bereits die EntsendeRL aus 1996 fordert in Art 5 „geeignete Maßnahmen“ und die ÄnderungsRL aus 2018 fordert in Art 5 Abs 2 konkreter Sanktionen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind sowie „alle230 für die Anwendung der Sanktionen erforderlichen Maßnahmen“. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte sein, die gegenständliche Regelung dahingehend zu ändern, dass im Verfahren zur Verhängung der Sicherheitsleistung nicht bloß geprüft wird, ob ein begründeter Verdacht vorliegt, sondern die BVB, ähnlich wie bei einer einstweiligen Verfügung, auf Grund präsenter Beweismittel eine vorläufige Entscheidung im Eilverfahren trifft.
Prüfungsmaßstab für den EuGH war die Dienstleistungsfreiheit gem Art 56 AEUV. Eine darüber hinausgehende Prüfung an Hand der RL 2006/123/EG (DienstleistungsRL) erfolgte nicht, da diese RL nach ihrem Art 1 Abs 6 das Arbeitsrecht nicht berührt. Der Begriff des „Arbeitsrechts“ ist im Lichte des 14. Erwägungsgrundes weit auszulegen und erfasst nicht nur Vorschriften des materiellen Arbeitsrechts, sondern auch Vorschriften, die die Maßnahmen zur Durchsetzung des materiellen Arbeitsrechts regeln oder die Wirksamkeit von Sanktionen im Fall seiner Nichtbeachtung gewährleisten sollen.
Der EuGH erachtet Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung als Maßnahmen, die in Anbetracht der Ziele, Schutz der AN, Bekämpfung von Betrug, insb Sozialbetrug und Verhinderung von Missbräuchen, die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können. Sie sind seiner Ansicht nach jedoch aus drei Gründen nicht verhältnismäßig, wobei der Gerichtshof bei zwei dieser drei Gründe von einer falschen österreichischen Rechtslage ausgegangen ist. Als dritter Grund wird angeführt, dass Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung erlassen werden, bevor die zuständige Behörde eine Verwaltungsübertretung festgestellt hat. Zahlungsstopp und Sicherheitsleistung nach Durchführung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens wäre aber praktisch wirkungslos. Es ist daher anzunehmen, dass eine europarechtskonforme Regelung auch in der Form möglich ist, dass die BVB bei Verhängung der Sicherheitsleistung auf Grund präsenter Beweismittel eine vorläufige Entscheidung über die Verwaltungsübertretung im Eilverfahren trifft.